„Die Situation vieler Sender ist prekär, teilweise existenzbedrohend“

von am 30.03.2021 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Dualer Rundfunk, Hörfunk, Kreativwirtschaft, Medienförderung, Medienpolitik, Medienwirtschaft, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Privater Rundfunk

„Die Situation vieler Sender ist prekär, teilweise existenzbedrohend“
Olaf Hopp, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR)

Private Rundfunkanbieter kritisieren fehlende wirtschaftliche Unterstützung durch den Bund

30.03.2021. Interview mit Olaf Hopp, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) und Geschäftsführer von ENERGY Deutschland

Für die privaten Radios sowie des lokalen und regionalen TV-Sender ist die wirtschaftliche Lage zu Beginn des zweiten Pandemiejahres noch schwieriger als vor einem Jahr, beim ersten Stillstand der Wirtschaft der Fall. Viele Kunden zumal in der Region haben nicht mehr genügend Liquidität, um Werbung zu schalten, auch wenn das angesichts der absehbaren stufenweisen Öffnung sinnvoll wäre. In den vergangenen Monaten sei ein großes Ungleichgewicht im dualen Rundfunksystem entstanden“, so Olaf Hopp, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR). „Während die Öffentlich-Rechtlichen durch den Rundfunkbeitrag abgesichert sind, haben die Privaten mit massiven Werbeausfällen zu kämpfen. Weitere Maßnahmen von Seiten der Politik sind dringend vonnöten, um das duale System in Deutschland zu schützen und die Medienvielfalt in ihrer jetzigen Form zu erhalten.“ Für den APR sei es „unverständlich“, dass der nicht ausgeschöpfte Betrag aus dem Hilfsprogramm des vergangenen Jahres nicht in das Jahr 2021 übertragen wurde und der private Rundfunk im zweiten „Hilfspaket Kultur“ nicht mehr berücksichtigt werde. Hier fordert die APR dringend Nachbesserungen.

medienpolitik.net: Herr Hopp, wie ist die wirtschaftliche Situation der Sender, die die Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk vertritt? Hält der Rückgang der Werbeumsätze auch 2021 an?

Hopp: Laut Nielsen gingen die Brutto-Werbespendings im Februar insgesamt um 16,5 Prozent zurück. Die Radiobranche verzeichnet einen dramatischen Rückgang zum Vorjahr von 33 Prozent. Der nun schon fast fünf Monate andauernde Lockdown hat die Ausgangslage für 2021 noch schwieriger gemacht als vor einem Jahr beim ersten Stillstand der Wirtschaft. Die Reserven bei Veranstaltern sind größtenteils aufgebraucht und der private Rundfunk wurde im zweiten „Hilfspaket Kultur“ unverständlicherweise nicht mehr berücksichtigt. Da aufgrund der aktuellen Entwicklung keine verlässliche Planung für das laufende Jahr möglich ist, gestaltet sich die wirtschaftliche Situation vieler Sender prekär, teilweise existenzbedrohend.

medienpolitik.net: Es gab, vor allem für die kleineren Sender im vergangenen Jahr wirtschaftliche Hilfen. Warum reichen diese nicht aus?

Hopp: Die Personalkosten der privaten Rundfunkanbieter, alleine in den Redaktionen betragen etwa 140 Millionen Euro im Jahr. Gerade in der jetzigen Situation, mit einem sehr großen Informations- aber auch Unterhaltungsbedarf in der Bevölkerung, kann man insbesondere am Personal nicht sparen. Hinzu kommen etwa 70 Millionen Euro Distributionskosten und somit sind die 12 Millionen Euro, die aus dem ersten „Hilfspaket Kultur“ für die Übernahme eines Teils dieser Verbreitungskosten bei den Unternehmen gelandet sind, eine gute, aber bei weitem nicht ausreichende Unterstützung. Die finanzielle Unsicherheit sorgt zudem dafür, dass bei vielen Mitgliedern wichtige Zukunftsinvestitionen, unter anderem in die Digitalisierung, aufgeschoben werden müssen und dies perspektivisch nachteilige Konsequenzen für die Geschäftsentwicklung birgt. Dies gilt es von der Politik zu berücksichtigen.

„Da aufgrund der aktuellen Entwicklung keine verlässliche Planung für das laufende Jahr möglich ist, gestaltet sich die wirtschaftliche Situation vieler Sender prekär, teilweise existenzbedrohend.“

medienpolitik.net: Die privaten Hörfunksender finden doch in der Pandemie eine hohe Akzeptanz und Resonanz. Warum schlägt sich das nicht wirtschaftlich nieder?

Hopp: Richtig ist, dass Radio auch und gerade in der Pandemie eine sehr große Zuwendung seiner Hörerschaft auf einem hohen und stabilen Niveau erfahren hat und seine Stärke als ständiger Tagesbegleiter, der relevante Informationen und notwendige Ablenkung liefert, eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte. Aber bei vielen, insbesondere lokalen Werbekunden ist einfach keine oder kaum mehr Liquidität vorhanden, um Werbung zu schalten, auch wenn dies angesichts möglicher stufenweiser Öffnungen sinnvoll wäre. Gerade Radio ist ein optimales Restart-Medium. Anbieter von Waren und Dienstleistungen können reaktionsschnell und regional ausgerichtet darauf hinweisen, dass sie wieder am Markt sind. Mit Radio lassen sich Sonderangebote oder besondere Öffnungszeiten und Maßnahmen zum Infektionsschutz schnell und effektiv an das breite Publikum kommunizieren.

medienpolitik.net: Was erwarten Sie, in welcher Zeit, konkret von den Ländern oder dem Bund?

Hopp: Die APR begrüßt ausdrücklich, dass im vergangenen Jahr Teile der Verbreitungskosten der Radiosender für UKW und DAB+ durch ein Hilfspaket übernommen wurden. Unverständlich ist allerdings, dass der nicht ausgeschöpfte Betrag nicht in das Jahr 2021 übertragen wurde und der private Rundfunk im zweiten „Hilfspaket Kultur“ nun überhaupt nicht mehr berücksichtigt wird. Hier fordert die APR dringend Nachbesserungen. Leider ist nach unseren heutigen Informationen vom Bund nichts mehr zu erwarten. Dieser verweist die privaten Veranstalter an die Länder, diese wiederum zeigen auf die Landesmedienanstalten. Bei denen fehlt allerdings das nötige Budget für Hilfspakete. Wir versuchen nun uns im Schulterschluss mit anderen Interessenverbänden und Marktteilnehmern und in Absprache mit den Landesmedienanstalten an die Staatskanzleien zu wenden und dort erneut auf die dramatische Situation hinzuweisen. Der private Rundfunk trägt maßgeblich zur Vielfalt der Hörfunk- und regionalen TV-Landschaft bei und ist systemrelevant. Dies hat er auch in den letzten Monaten eindrucksvoll gezeigt. In dieser Zeit ist allerdings auch ein großes Ungleichgewicht im dualen Rundfunksystem entstanden. Während die Öffentlich-Rechtlichen Kollegen durch die Rundfunkgebühren abgesichert sind, haben die Privaten mit massiven Werbeausfällen zu kämpfen. Daher sind weitere Maßnahmen von Seiten der Politik dringend vonnöten, um das duale System in Deutschland zu schützen und die Medienvielfalt in ihrer jetzigen Form zu erhalten.

„Es sind weitere Maßnahmen von Seiten der Politik dringend vonnöten, um das duale System in Deutschland zu schützen und die Medienvielfalt in ihrer jetzigen Form zu erhalten.“

medienpolitik.net: Sie kritisieren die Bedrohung durch Streaming-Plattformen. Worin besteht für private, regionale Hörfunkanbieter eine solche Bedrohung?

Hopp: Jeder Marktteilnehmer möchte einen Teil vom Werbekuchen und dies ist auch legitim. Aber nur, wenn alle Beteiligten auch identischen Bedingungen unterworfen sind. Es müssen für jeden die gleichen Anforderungen gelten, an die sich zum Beispiel alle inländischen Unternehmen, die mit einer Rundfunklizenz ausgestattet sind, halten müssen. Auch beim Thema Daten herrscht eine nicht zufriedenstellende Situation. Die Plattformen werden nicht nur mit kostenlosen Inhalten versorgt, vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk sogar durch von der Allgemeinheit gebührenfinanzierten Content, sondern sie behalten auch alle Nutzerdaten, die daraus resultieren. Auch hier bedarf es einer Regelung zum Schutz des Wettbewerbs mit gleichen Waffen.

medienpolitik.net: Im Wettbewerb der elektronischen mit digitalen Streaming-Angeboten sehen Sie die „Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit des privaten Rundfunks grundsätzlich zu sichern – alle Marktteilnehmer müssen den gleichen Bedingungen unterworfen werden und die diskriminierungsfreie Auffindbarkeit aller Angebote muss gewährleistet sein“. Was erwarten Sie hier von der Politik in Bezug auf den Medienstaatsvertrag und das Urheberrecht?

Hopp: Der Medienstaatsvertrag gilt, die konkretisierenden Satzungen der Medienanstalten sind formuliert. Jetzt geht es darum, das neue Recht anzuwenden. Die Medienanstalten haben mit den neuen Instrumenten auch viel Verantwortung bekommen. Die Erwartungen müssen jetzt eingelöst werden. Wir werden als Verband nicht auf die gelegentliche Evaluierung des neuen Rechts warten, sondern uns zu Wort melden, wenn Defizite bei der Umsetzung auftreten. So ist zum Beispiel bei der Abfassung der Satzung zu Public-value-Angeboten klar geworden, dass dort schon im Gesetz der Hörfunk unterbelichtet ist und regionale Angebote durch den Rost fallen.

medienpolitik.net: Wie relevant ist in diesem Zusammenhang für sie das EU- DSA-Regelungspaket? Welche Verbesserungen erwarten Sie?
Hopp: DAS und DMA sind von zentraler Bedeutung. Schon der Plan, das europäische Recht als Verordnungen auszugestalten bedeutet ja nichts anderes, als dass im Zweifel der Medienstaatsvertrag „überschrieben“ werden soll. Es geht um die Neuverteilung der Gewichte zwischen Plattformen, wobei es nicht nur um die ganz großen Anbieter geht, sondern mit der Änderung des Haftungsprivilegs die Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie endlich überarbeitet werden. Medienrechtlich wird die Abgrenzung zu den mitgliedsstaatlichen Regelungen bedeutend sein – Deutschland und Ungarn haben zum Beispiel sehr unterschiedliche Vorstellungen von freier Kommunikation, da werden sie europäisch nichts vereinheitlichen. Aber die Stellung der Plattformen gegenüber den Nutzern und den Anbietern der Services, die darauf stattfinden sind europaweit einheitlich zu sehen. Da steckt zum Beispiel auch bei der Abgrenzung zur AVMD-Richtlinie, zum neuen europäischen Urheberrecht und zur DSGVO noch ganz viel Detailarbeit drin, die für die Stationen von höchster Praxisrelevanz sind. Den letzten Satz sollten Sie fett wiedergeben, denn das hat sich noch nicht wirklich bei allen rumgesprochen.

„Der Plan, das europäische Recht als Verordnungen auszugestalten bedeutet nichts anderes, als dass im Zweifel der Medienstaatsvertrag ‚überschrieben‘ werden soll.“

medienpolitik.net: DAB+ konnte für 2020 eine positive Bilanz ziehen. Wie sehen Sie die Entwicklung von DAB+ aus der Perspektive des APR?
Hopp: Ich persönlich sehe die Entwicklung äußerst positiv. UKW und DAB+ werden noch einige Zeit nebeneinander existieren. Allerdings wird DAB+ nach meiner Einschätzung UKW in den kommenden Jahren sukzessive, für einzelne Programme zu unterschiedlichen Zeitpunkten, als primären Hörfunk-Übertragungsstandard ablösen. Genauso wie UKW einst die Mittelwelle abgelöst hat. Wann dies zu einer Abschaltung einzelner UKW-Sender führen wird, entscheidet für die privaten Hörfunkunternehmen jedes Unternehmen nach den Anforderungen des Marktes selbst.

Für die öffentlich-rechtlichen Programmkollegen gelten hier sicher andere Vorgaben, nämlich die der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, die nachvollziehbarerweise die Phase des Übergangs von UKW zu DAB+ aus Kostengründen so kurz wie möglich halten will. Rechtlich hat die KEF aber keine Vorgaben für die Privaten zu beschreiben, deren Finanzierung findet ja auch nicht aus Rundfunkbeiträgen statt. In diesem Zusammenhang dürfte sich aus medienpolitischen Gründen auch die mancherorts gestellte Frage, ob denn vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurückgegebene UKW-Frequenzen vom privaten Hörfunk genutzt werden können, erübrigen. Eine neue Technologie zu fördern, indem die Alte dem Markt wieder zugeführt wird, würde den Entwicklungsprozess eher verlangsamen und behindern, denn beschleunigen und wäre somit aus meiner Sicht kontraproduktiv. Etwas anderes ist es, Frequenzen für bestehende UKW-Angebote zu nutzen, wenn das technisch oder ökonomisch sinnvoll ist. DAB+ ist für alle Anbieter eine große Chance, sowohl für lokal, als auch für regional oder national agierende Sender. Ein Viertel aller Haushalte hat inzwischen die Möglichkeit, über DAB+ seinen Lieblingssender zu hören und macht hiervon schon rege Gebrauch und nutzt diesen Verbreitungsweg immer häufiger.

Seit Ende des Jahres gilt das neue Interoperabilitätsgesetz, nachdem in neu verkauften Autoradios nur noch Hybridgeräte verkauft werden dürfen, die sowohl analoges UKW als auch digitales DAB+ Radio empfangen. Dies und auch der Start des 2. nationalen DAB+ Multiplexes mit einem interessanten Angebotsmix, wird die Marktdurchdringung von DAB+ nochmals pushen und vorantreiben. Was wir nicht nachvollziehen ist, wenn Autohersteller die Freischaltung bereits verbauter DAB-Empfänger von einer Vergütung abhängig machen wollen – gar von einem monatlichen Abo. Wer so denkt, sollte aufpassen, dass er nicht in die urheberrechtliche Verantwortung kommt wie die Kabelbetreiber für die Weiterleitung von Programmen: Die Abo-Einnahmen sind ja keine Entgelte für den Einbau von Technik, sondern eine Vergütung für Inhalte.

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