„Man trifft einfach beim Surfen auf Informationen“
von Helmut Hartung am 16.03.2021 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Digitale Medien, Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft, Plattformen und Aggregatoren, Social Media, Studie

Die 14-29-Jährigen verfügen über ein breites Informationsportfolio
16.03.2021. Interview mit Martina Winicker, Managing Directorin und Johanna Mihm, Projektleiterin, IFAK Institut
Die Mehrheit der 14- bis 29-Jährigen hat Interesse an aktuellen, politisch und gesellschaftlich relevanten Themen. Dazu zählen aktuell die Corona-Pandemie, aber auch Themen aus den Bereichen Politik, Umwelt und Klima. Soft News, beispielsweise Meldungen über Prominente, sind im Durchschnitt weniger relevant. Je älter die Befragten, desto höher ist das Bedürfnis nach Information und desto stärker ist das Interesse an gesellschaftspolitischen Themen. Klassische Medien spielen auch in der jungen Zielgruppe eine Rolle, aber mehrheitlich nicht mehr auf dem klassischen Verbreitungsweg. Das sind einige Ergebnisse der Studie „Always on – jung, digital und informiert?“ des IFAK-Instituts für die Medienanstalten zum Informationsverhalten der Generation Z während der Corona-Pandemie. Die Studie habe gezeigt, dass die bekannten klassischen Medienmarken als vertrauenswürdig bei den 14-29-Jährigen verankert seien, erläutert dazu die Projektleiterin Johanna Mihm in einem medienpolitik.net – Interview. Ihnen werde hohe Informationskompetenz und Seriosität zugeschrieben. Es werden altbewährte Angebote online genutzt, die aufgrund ihrer Bekanntheit und ihres Images als verlässliche Informationsquellen dienen.
medienpolitik.net: Die Mehrheit der Altersgruppe der 14-29-Jährigen ist an gesellschaftspolitischen Themen interessiert. Welche Themen erachtet die Zielgruppe als sehr relevant? Gibt es Themen die als weniger relevant betrachtet werden?
Winicker: Die Studie zeigt, dass die 14-29-Jährigen an gesellschaftlichen und politischen Themen interessiert sind, diese als wichtig erachten und auch darüber informiert werden möchten. Auch in dieser Zielgruppe ist Corona das relevanteste Thema, gefolgt von Themen zur Umwelt und nationaler oder internationaler Politik.
Mihm: Auf gleicher Höhe liegen aber auch Meldungen zu Katastrophen z.B. Erdbeben und Überschwemmungen und Gesellschaftliche Themen, z.B. Rassismus und Flüchtlingskrise. Weniger wichtig – aber für Teilgruppen interessant – sind Themen aus Wirtschaft und Sport. Am wenigsten relevant werden Informationen zu Computerspielen, Kino und Theater oder gar Promi-News erachtet.
medienpolitik.net: Ist die Einstufung der Relevanz der Themen in der Zielgruppe sehr homogen, oder gibt es Unterschiede z.B. nach Alter?
Winicker: Einerseits gibt es Unterschiede in der Relevanz der Themen nach Alter. Die Teenager (14-19-Jährigen) interessieren sich mehr für Freizeitthemen wie Musik, Sport und Computerspiele und ihrer Lebensphase entsprechend, auch für Themen zu Schule und Ausbildung als dies die 25-29-Jährigen tun. Diese sind wiederum zum Großteil im beruflichen Leben angekommen und wenden sich mehr den gesellschaftlichen, politischen und auch wirtschaftlichen Themen zu.
Mihm: Um über die soziodemografische Variablen hinaus die Zielgruppe weiter analysieren zu können, haben wir eine Typologie berechnet, die am Ende 6 Nutzertypen erbrachte, die sich unter anderem hinsichtlich ihrer Interessengebiete unterscheiden:
- Die Bequemen, die Informationen nebenbei aufnehmen (insbesondere Nachrichten zu Kriminalität / Unglücken, Ratgeber sowie Unterhaltungsthemen)
- Online only mit selektivem Interesse (an Apps und Computerspielen)
- Social Media Nutzer*innen mit geringem politischen Interesse (eher sozialpolitische Themen)
- Social Media Asketen mit unterdurchschnittlichem Themeninteresse
- Aktive Informationsallrounder mit Schwerpunkt Gesellschaft und Politik
- Aktive Informationsallrounder mit Schwerpunkt Wirtschaft und Politik
medienpolitik.net: Welche Informationsquellen werden von den 14-29-Jährigen genutzt? Dominieren Onlinequellen?
Mihm: Mit durchschnittlich fünf Informationsquellen täglich verfügt die Zielgruppe über ein breites Portfolio. Als Informationsquellen werden klassische Angebote oder originäre Onlineangebote genutzt. Die Medienangebote der klassischen Anbieter aus TV, Radio und Print sind bei den 14-29-Jährigen weiterhin stark im Portfolio enthalten. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten hat angegeben, klassische Medienangebote, z.B. Tagesschau, täglich zur Information zu nutzen. Mehr als 60 Prozent geben aber auch an, dass sie die sozialen Medien oder originäre Onlineangebote – das sind Angebote, die es nur Online gibt, z.B. Newsapps – zur täglichen Information nutzen.
„Die bekannten klassischen Medienmarken sind bei den 14-29-Jährigen als vertrauenswürdig verankert.“
medienpolitik.net: Über welche Verbreitungswege informieren sich die 14-29-Jährigen?
Winicker: Für die jungen Erwachsenen sind die Verbreitungswege, die die mobilen Endgeräte bieten am relevantesten. Sie informieren sich über Webseiten und Social Media oder haben Apps eingerichtet. Über diese Wege nutzen sie wiederum z.B. Angebote der „Tagesschau“ oder ZDF „heute“ oder auch der Tageszeitungsverlage.
medienpolitik.net: Warum werden die klassischen Angebote unabhängig der Verbreitungswege, genutzt?
Mihm: Die Studie hat gezeigt, dass die bekannten klassischen Medienmarken (Tagesschau, Spiegel, Süddeutsche Zeitung, FAZ und regionale Tageszeitungen etc.) als vertrauenswürdig bei den 14-29-Jährigen verankert sind. Ihnen wird eine hohe Informationskompetenz und Seriosität zugeschrieben. Die markenorientierte Nutzung findet also auch in der Online-Welt weiter statt. Es werden altbewährte Angebote online genutzt, die aufgrund ihrer Bekanntheit und ihres Images als verlässliche Informationsquellen dienen.
medienpolitik.net: Die klassischen Medien sind dabei ihre Online-Angebote auszubauen. Steigt damit auch die Chance der Nutzung durch die 14-29-Jährigen?
Winicker: Aufgrund der Tatsache, dass die mobilen Endgeräte, insbesondere das Smartphone, stetige Begleiter im Alltag sind, nutzt die Zielgruppe damit zu jeder Tageszeit Informationsangebote bzw. diese begegnen ihnen z.B. beim Einschalten oder Surfen. Es macht Sinn jungen Menschen Angebote auf den Verbreitungswegen anzubieten, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit nutzen. Angebote, die im Rahmen ihrer Nutzungsgewohnheiten auffindbar sind, werden voraussichtlich auch genutzt.
medienpolitik.net: Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke für die Informationsgewinnung?
Mihm: Neben eingerichteten Apps und Favoriten sind die sozialen Netzwerke der zweite große Pfeiler, was die Informationsgewinnung der 14-29-Jährigen angeht. Die Mehrheit der Zielgruppe ist ohnehin täglich auf mindestens einer Plattform unterwegs, über 60% geben explizit an, dort auch Informationen aus den Bereichen Politik, Gesellschaft, Prominews, Kunst & Kultur, Sport oder Wirtschaft zu bekommen. Diese Informationsgewinnung ist zwar nicht immer aktiv herbeigeführt (vieles begegnet der Zielgruppe auch einfach beim Scrollen durch die Netzwerke), dennoch bedeutet es, dass ein großer Teil der Informationen täglich in den sozialen Netzwerken auf die 14-29-Jährigen herangetragen wird. Dabei werden natürlich nicht nur originäre Onlineangebote genutzt, sondern auch wieder Angebote der klassischen Anbieter. Auf Facebook sind es häufig Angebote der Tageszeitungen oder originäre Onlineangebo, auf Youtube und Instagram sind es häufig die Tagesschau und ZDF heute, neben originären online Angeboten von Blogger*innen oder Influencer*innen.
„Neben Apps und Favoriten sind die sozialen Netzwerke der zweite große Pfeiler, für die Informationsgewinnung der 14-29-Jährigen.“
medienpolitik.net: Zwei Drittel der Social-Media-Nutzungen, so sagt Ihre Studie, lassen sich als „zufällig“ bezeichnen. Was heißt zufällig? Zufällig in Bezug auf die Inhalte oder in Bezug auf den Anbietern?
Winicker: Die digitalen Verbreitungswege führen dazu, dass viele Kontakte zufälliger Natur sind, sie sind nicht aktiv herbeigeführt. Man trifft auf Informationen bei der Nutzung sozialer Medien oder einfach beim Surfen. Mehr als die Hälfte nutzt Apps oder Abos zur Information. Zufällig bezieht sich in diesem Zusammenhang aber hauptsächlich auf die Inhalte. Hierunter fallen auch automatisierte Empfehlungen oder Weiterleitungen in den sozialen Medien. Es handelt sich also um Inhalte, die vom Rezipienten nicht bewusst gesteuert aufgesucht wurden.
medienpolitik.net: Nimmt mit zunehmendem Alter die zielgerichtete Suche in Bezug auf den Anbieter zu? Hat man dann sein oder seine „Stammmedien“ gefunden?
Winicker: Eingangs haben wir ja erwähnt, dass die Zielgruppe täglich fünf Informationsquellen nutzt. Hier gibt es keine Unterschiede zwischen den 14-19-Jährigen oder den 24-29-Jährigen. Es gibt keine Indizien, dass sich die Zielgruppe auf ein oder wenige Stammmedien festlegen würde. Zufällig oder zielgerichtet muss man in diesem Zusammenhang anders verstehen. Die stetige Verfügbarkeit von Information über die digitalen Verbreitungswege führt dazu, dass man nicht aktiv suchen braucht, denn eine aktuelle Information wird gerade unaufgefordert angeboten. Man greift zum Smartphone und sieht schon die neuesten Nachrichten über News Widgets oder der selbst eingerichteten Apps oder Abos – was als „zielgerichtet“ interpretiert werden kann oder man geht auf Instagram und bekommt beim Surfen die aktuellsten Nachrichten angeboten. Dabei werden Informationen altbewährter Marken als vertrauensvoll erachtet. Aufgrund der Tatsache, dass viele 14-29-Jährige über Nachrichten Apps oder Abos verfügen, kann man vermuten, dass sie schon ein gewisses „Stamm-Umfeld“ geschaffen haben. Sie müssen aber nicht mehr „zielgerichtet“ den Moment bestimmen, an dem sie Nachrichten aufnehmen wollen, wie es frühere Generationen getan haben, weil Nachrichten z.B. zu bestimmten Uhrzeiten angeboten wurden.
medienpolitik.net: Klassische Medienanbieter werden als seriös wahrgenommen sagen Sie. Social-Media-Angebote dagegen als weniger neutral bzw. als unterhaltsam. Da aber der Anteil der Informationen über soziale Medien relativ hoch ist, muss man selbst bei einer geringen Glaubwürdigkeit von einem großen Einfluss auf die Meinungsbildung ausgehen?
Mihm: Man kann nicht pauschal sagen, dass Social Media Angebote als nicht neutral angesehen würden. Social Media ist als Verbreitungsweg zu sehen, wo man originäre Onlineangebote wie reine Online Nachrichtenseiten aber auch klassische Angebote wie von ZDF oder n-tv nutzen kann. Die Studie zeigt, dass die 14-29-Jährigen die von ihnen genutzten Angebote bekannter Marken recht differenziert bewerten können.
Winicker: Worauf die Frage vielleicht anspielt, sind die vielen Kontakte, die mit Blogger*innen und Influencer*innen stattfinden, die jetzt wegen zu vieler Einzelnennungen nicht zu Kategorien zusammengefasst und somit differenziert untersucht werden konnten. Diese originären Social Media Angebote (Influencer*innen oder Profile von Angeboten, die es abseits der Online Welt nicht gibt) sind aber dennoch beim täglichen Scrollen Teil des Informationsflusses und können also auch Einfluss auf die Meinungsbildung haben.
„Social Media ist als Verbreitungsweg zu sehen, wo man originäre Onlineangebote wie reine Online Nachrichtenseiten aber auch klassische Angebote wie von ZDF oder n-tv nutzen kann.“
medienpolitik.net: Die Informationsallrounder haben zu mehr als 50 Prozent Informationen über soziale Medien abonniert. Ist das in Bezug auf die Validität der Meinungsbildung problematisch?
Mihm: Auch hier muss differenziert werden, dass Social Media Verbreitungswege sind und man das Angebot seiner Tageszeitung z.B. über Facebook, die Tagesschau über Instagram, abonnieren kann. Die Cluster 5 und 6 sind sehr informationsorientiert und haben sich ihre Nachrichtenquellen über Social Media eingerichtet. Sie haben ja an anderer Stelle angegeben zu einem hohen Anteil z.B. News abonniert zu haben. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die Informationen über Social Media bei diesen beiden Gruppen großenteils aus klassischen Angeboten stammen. Unter diesem Aspekt wären die Gruppen, die sich weniger aktiv um Informationen bemühen und wenig Apps oder Abos eingerichtet haben, kritischer zu sehen. Ihnen werden ja auch viele Informationen angeboten, die aber nicht aus einem selbst selektierten Setting stammen.
medienpolitik.net: Sie haben diese Analyse im Auftrag der Medienanstalten durchgeführt. Welche Schlussfolgerungen müssten sich für die Medienanstalten aus dieser Studie ergeben?
Winicker: Ja, die Studie und die jetzt veröffentlichte Analyse haben wir im Auftrag der Medienanstalten durchgeführt. Es steckt ein enormer Fundus an Informationen und Erkenntnissen darin. Unsere Aufgabe war es die Studie zu konzipieren und durchzuführen. Jetzt liegen den Medienanstalten alle Ergebnisse vor, so dass diese nun ihre Analysen vertiefen und Schlussfolgerungen ziehen können.