„Die UKW-Verbreitung wird ohne gesetzlichen Zwang beendet sein“

von am 19.07.2021 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Hörfunk, Infrastruktur, Internet, Medienwirtschaft, Privater Rundfunk, Rundfunk, Technik

„Die UKW-Verbreitung wird ohne gesetzlichen Zwang beendet sein“
Rechtsanwalt Helmut G. Bauer, Foto: Copyright Jörg Wagner

In zehn Jahren könnte der Hörfunk von der Produktion bis zum Empfang durchgängig digital sein

19.07.2021. Interview mit Helmut G. Bauer, Rechtsanwalt

Am 1. August 2011 wurde in Regensburg der Startknopf für den ersten bundesweiten DAB+– Multiplex gedrückt. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der DAB+-Radioprogramme und der DAB +Radiogeräte vervielfacht. Immer mehr Menschen hören inzwischen Radio über DAB+ und das Internet. Die UKW-Radionutzung geht schrittweise zurück. Anlass für einen Rückblick und um einen Ausblick zu wagen. Helmut G. Bauer hat diese Entwicklung von Anfang an begleitet.

medienpolitik.net: Wie hat sich die Radiolandschaft in den letzten zehn Jahren verändert?

Bauer: In den letzten zehn Jahren sind im Wesentlichen drei Veränderungen festzustellen. Erstmals gab es bundesweite private Radioprogramme, die auch in den Bundesländern empfangen werden können, deren lokale, regionale und landesweite Programme noch nicht auf DAB+ senden. Im vergangenen Jahr ist der 2. bundesweite Multiplex hinzugekommen. Auf beiden Multiplexen gibt es fast nur Spartenprogramme. Die privaten Veranstalter können sich mit zunehmender Reichweite, die sie in den einzelnen Bundesländern generieren, aus dem bundesweiten Werbetopf finanzieren. Zweitens gibt es in fast allen Bundesländern inzwischen DAB+ Sendernetze. In NRW wird der landesweite Multiplex noch in diesem Jahr starten. In den zehn Jahren haben die Programmvielfalt, aber auch der Wettbewerb, weiter zugenommen. In vielen Städten sind jetzt 50 und mehr Programme zu empfangen. Drittens wächst die Zahl der DAB+ Radiogeräte kontinuierlich. Unabhängig davon hat sich die Audiolandschaft insgesamt in den letzten zehn Jahren verändert. Mit dem Musikstreaming-Diensten wie Spotify und Apple Music gibt es neue Marktteilnehmer, die um Aufmerksamkeit der Hörerinnen und Hörer werben. Podcasts machen zusätzlich inhaltliche Angebote. Sprachassistenten wie Alexa oder Amazon Echo erleichtern den Zugang zu allen Audioangeboten. Radio muss sich in Zukunft in diesem Umfeld behaupten.

medienpolitik.net: Ist es nicht Zeit, jetzt über das Abschalten des UKW – Sendernetzes zu sprechen?

Bauer: Das ist eine berechtigte Frage, wenn man berücksichtigt, dass nach der neusten Funkanalyse UKW in Bayern nur noch 58 Prozent der Radionutzung ausmacht. Bayern ist in Deutschland der Vorreiter für DAB+. Dort sind inzwischen alle Radioprogramme auch über DAB+ zu empfangen. Bundesweit besteht aber zwischen allen relevanten wesentlichen Marktteilnehmern und der Politik Konsens, dass es keine Zwangsabschaltung von UKW geben soll. Jeder Veranstalter soll selbst entscheiden, auf welchen Wegen er sein Programm verbreiten will. Inzwischen haben das Deutschlandradio und einige private Veranstalter begonnen, einzelne UKW-Sender abzuschalten. Insbesondere die ARD steht vor einer Herausforderung, da sie ab 2029 nicht mehr genügend Mittel für die UKW – und DAB+– Verbreitung hat. Radioveranstalter brauchen Planungssicherheit. Vor einer Entscheidung über die Aufgabe von UKW-Frequenzen wollen sie wissen, wie diese zukünftig genutzt werden sollen. Dazu sind wie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen bald auch in den anderen Landesmediengesetzen entsprechende Regelungen notwendig. In dem neuen Telekommunikationsgesetz hat der Bund bereits die Rechtsgrundlage geschaffen, in einer Frequenzverordnung zu regeln, wie auf der Ebene der Bundesnetzagentur mit freiwerdenden UKW-Frequenzen umzugehen ist.

„Radioveranstalter brauchen Planungssicherheit.“

medienpolitik.net: Gibt es eine Bereitschaft der Länder, diese Regelungen zu schaffen?

Bauer: Insbesondere nachdem sich die Medienstaatssekretärin in Rheinland-Pfalz Heike Raab für die Länder und Dorothee Bär, Staatssekretärin für Digitales für den Bund, um die Weiterentwicklung des Hörfunks kümmern und eine Sondierungsgruppe aus Persönlichkeiten der öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstalter und aus dem Kreis der Landesmedienanstalten dazu konkrete Vorschläge gemacht wurden, gibt es eine Basis für eine breite Diskussion. Dabei geht es nicht mehr um das „ob“, sondern um das „wie“. Wünschenswert wäre nach dem Vorbild der Schweiz eine freiwillige Vereinbarung aller Marktteilnehmer und der Politik. Wir müssen aber auch feststellen, dass noch nicht alle Radioveranstalter davon überzeugt sind, dass DAB+ gegenüber UKW der bessere Verbreitungsweg ist. Mit dem Hinweis, dass 5G der digitale terrestrische Verbreitungsweg für den Hörfunk sein wird, versuchen sie die Diskussion zu blockieren, um ihre Marktposition nicht noch mehr zu gefährden. Es ist Sache der Länder, rechtzeitig die Rahmenbedingungen für die Veranstalter zu schaffen, die auf die UKW-Verbreitung verzichten wollen.

medienpolitik.net: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat gegenüber den Privaten einen Vorsprung, weil er DAB+ nicht aus Werbung, sondern aus seinen Rundfunkgebühren bzw. -beitägen finanzieren konnte.

Bauer: Der Übergang von UKW zu DAB+ ist für jeden privaten Veranstalter eine Herausforderung, der auch mit Risiken verbunden ist. Um diese Risiken abzufedern und um einen Anreiz zu schaffen, sollten Bund und Länder den Ausbau von DAB+ und den Übergang fördern. Der neue Medienstaatsvertrag hat die Möglichkeit zur Förderung geschaffen, indem er die zeitliche Begrenzung zur Förderung der digitalen Infrastruktur aufgehoben hat. Es scheint eine grundsätzliche Bereitschaft zu bestehen, Medienunternehmen bei der Digitalisierung zu unterstützen. Die geplante Förderung der Presse mit 220 Million Euro, die in dieser Wahlperiode noch gescheitert ist, zeigt dies. Es gibt unzählige andere Beispiele wie mit öffentlichen Mitteln die Digitalisierung und Maßnahmen zur Energieeinsparung gefördert werden. Gerade die Energieeinsparung wird in den kommenden Jahren auch im Hörfunk ein wichtiges Thema. Verschiedene Studien, wie die der BBC, zeigen, dass bei der ausschließlichen digitalen Verbreitung über DAB+ und Internet gegenüber UKW viel Energie eingespart werden kann. Geringere Verbreitungskosten sind ein weiterer Effekt.

„Es scheint eine grundsätzliche Bereitschaft zu bestehen, Medienunternehmen bei der Digitalisierung zu unterstützen.“

medienpolitik.net: Trotz aller positiven Entwicklungen muss man feststellen, dass die Zahl der DAB+ Radiogeräte noch weit hinter der Zahl der UKW-Radios herhinkt.

Bauer: Spätestens seit der Entscheidung der EU-Kommission, dass alle Mitgliedstaaten Sorge tragen müssen, dass die Autoradios in allen Neufahrzeugen mit DAB+ ausgestattet sein müssen, ist europaweit klargestellt, dass DAB+ der digitale terrestrische Radiostandard ist. Auch bei den handelsüblichen Radiogeräten für zu Hause, setzt sich DAB+ immer mehr durch. Es ist also eine Frage der Zeit, wann alle Haushalte über ein oder mehrere DAB+ Radiogeräte verfügen. In Bayern haben bereits fast 39 Prozent der Haushalt mindestens ein DAB+-Gerät haben. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Erfahrung, dass die Hörer, die einmal DAB+ gehört haben, diesen Empfangsweg bevorzugen.

medienpolitik.net: Wo werden wir in zehn Jahren stehen?

Bauer: Aus meiner Sicht braucht man dazu keine Glaskugel, man muss nur in die Schweiz, UK und Norwegen schauen. Hörfunk wird in zehn Jahren von der Produktion bis zum Empfang durchgängig digital sein. Die UKW-Verbreitung wird ohne gesetzlichen Zwang beendet sein. Die Radionutzung wird über DAB+ und im Internet stattfinden. Das Handy ist dazu eine Ergänzung, wenn es ein Geschäftsmodell des Mobilfunks gibt und die die Kosten für den Datenverbrauch niedrig sind. Weil es eine große Nachfrage nach Frequenzen gibt, werden die UKW-Frequenzen u.a. von Organisationen mit Sicherheitsaufgaben wie den Rettungsdiensten und dem Technischen Hilfswerk genutzt werden.

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