„Nachwuchsförderung muss neu gedacht und ihr Stellenwert erhöht werden“

Viele Nachwuchsfilmschaffende können von ihrem erlernten Beruf nicht leben
07.07.2021. Interview mit Alexandra Krampe, Produzentin und Saralisa Volm, Produzentin und Schauspielerin, Leiterinnen der Nachwuchssektion des Produzentenverbandes
Für den überwiegenden Teil der Nachwuchsfilmschaffenden ist es nach ihrem Studium an einer der sieben staatlichen Filmhochschulen nicht leicht, „den Lebensunterhalt mit dieser hauptberuflichen Tätigkeit als Produzent, Regisseur oder Drehbuchautor zu finanzieren“, das ist das Fazit einer Studie der Goldmedia Strategy Consulting, die der Produzentenverband im Rahmen des Filmfest München 2021 präsentierte. Nachwuchsfilmschaffende gaben wiederholt an, parallel verschiedene Berufe ausüben zu müssen. Besonders schwierig sei es für Frauen im Bereich Produktion: 71 Prozent der Männer stünden nur 38 Prozent der Frauen gegenüber, die in diesem Bereich mit ihrem Beruf ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Es handelt sich um die erste Studie, die sich mit dem Thema Nachwuchsförderung in Deutschland auseinandersetzt. Durch die differenzierte Betrachtung der Entwicklung der letzten 10 Jahre und der aktuellen Situation soll die „Nachwuchsstudie“ eine Grundlage für einen ergebnisorientierten Branchendialog bilden. Fragen an die Initiatorinnen der Studie, Alexandra Krampe und Saralisa Volm, die die Nachwuchssektion des Produzentenverbandes leiten, zur Situation des Nachwuchses und der Verantwortung der Branche.
medienpoltik.net: Warum hat der Produzentenverband diese Studie in Auftrag gegeben?
Krampe: Als Nachwuchssektion des Produzentenverbandes hatten wir das Gefühl, dass es der Nachwuchsförderung in der jetzigen Form nicht ausreichend gelingt, den vorhandenen Talenten wirklich Mittel zu geben und Freiräume zu ermöglichen, um sich zu entfalten und zu etablieren. Als Interessenvertretung des Nachwuchses versuchen wir seit einigen Jahren auf Probleme der Nachwuchsförderung, vor allem auch für Nachwuchsfirmen, hinzuweisen. Bislang konnten wir nur aus Erfahrungen und Beobachtungen heraus argumentieren. Die Notwendigkeit einer bundesweit ersten Studie zur Situation und Förderung des filmischen Nachwuchses in Deutschland, ist eine Idee, die wir bereits vor der Sektionsgründung gemeinsam mit anderen Nachwuchsproduzenten entwickelt haben und die von uns dann in den Produzentenverband mitgenommen und weiterverfolgt wurde. Die vorliegende Studie zeigt nun faktenbasiert systemische Schwachstellen auf.
medienpoltik.net: Es existieren in Deutschland sieben staatliche Filmhochschulen. Fehlt es dennoch der Branche an gutem Nachwuchs?
Volm: Sowohl an den Filmhochschulen, als auch bei den Quereinsteigern ist großartiger Nachwuchs zu finden. Ihre Erfolge auf Festivals wie auch beim Publikum bestätigen das. Die Nachwuchsstudie zeigt jedoch, dass ihnen der Zugang zur Branche sehr schwer gemacht wird und unter extremen Bedingungen produziert werden muss. Wer sich das finanziell nicht leisten kann, seinen Lebensunterhalt und die Herstellung eines Films aus anderen Quellen zu finanzieren, verliert, unabhängig vom Talent.
„Wer sich das finanziell nicht leisten kann, seinen Lebensunterhalt und die Herstellung eines Films aus anderen Quellen zu finanzieren, verliert, unabhängig vom Talent.“
medienpoltik.net: Was ist für Sie die wichtigste Schlussfolgerung aus der Studie?
Krampe: Nachwuchsförderung muss neu gedacht und ihr Stellenwert erhöht werden, um wirklich effektiv und zukunftsfähig zu sein – für eine lebendige Filmkultur. Unsere Branche befindet sich in einem enormen Umbruch, deshalb reichen kleine Korrekturen nicht aus. Wir wollen einen Branchendialog starten, um gemeinsam mit Vertretern aller Bereiche die Talentförderung, auch über den ersten Langfilm hinaus, neu zu konzipieren. Ziel sollte sein, dass Nachwuchsfilmschaffende in kürzeren Zeiträumen ihre Ideen, unabhängig ob für Kino, TV oder Streaming, verwirklichen, ihr Publikum finden, ihr Team branchenüblich bezahlen und am Ende auch ihren Lebensunterhalt damit finanzieren können. Die Beispiele aus anderen europäischen Ländern, die wir in der Studie vorstellen, sind vielleicht nicht 1:1 auf Deutschland übertragbar, aber sie können Impulse geben für die Neukonzeption einer Gesamtförderstrategie.
medienpoltik.net: Welche Ziele sollte die Nachwuchsförderung verfolgen?
Volm: Die wichtigsten Ziele wären in unseren Augen: Nachhaltigkeit, Vielfalt und Progressivität. Die Branche erwartet vom Nachwuchs zurecht neue Perspektiven, neue Geschichten und eine neue Sprache. Bei diesen Erwartungen sollte sie auch den Mut haben Nachwuchstalenten Vertrauen zu schenken und sie zu unterstützen. Unterstützung heißt, ihnen zu helfen, ihre Vision umzusetzen, Freiräume schaffen und sich auch mal rauszuhalten. Vieles wird nicht sofort nachvollziehbar erscheinen, aber genau deshalb ein ungewöhnliches Ergebnis liefern. Das ist die Art von Überraschungen, die wir brauchen, und für die Menschen ins Kino gehen, gerne GEZ bezahlen oder ein Abo abschließen.
„Es ist entscheidend, dass die Sender weiterhin Kinokoproduktionen finanzieren und unterstützen und Talent auch im produzentischen Bereich fördern und mitdenken.“
medienpoltik.net: Welche Verantwortung haben Förderinstitutionen?
Krampe: Genau diese Verantwortung der Förderinstitutionen würden wir sehr gerne im Dialog mit der Branche im Hinblick auf die Nachwuchsförderung diskutieren. Der aktuelle Umbruch bietet die Chance, die Ziele der gesamten Filmförderung für die Zukunft neu zu definieren. Förderinstitutionen spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, Talent zu fördern und echte Chancengleichheit sowie inhaltliche wie personelle Diversität zu erreichen. Das gilt nicht nur in der Nachwuchsförderung, sondern in der gesamten Branche. So hat beispielsweise das Schwedische Filminstitut in den vergangenen Jahren gezeigt, wie Förderinstitutionen dieser Verantwortung gerecht werden und Veränderungen anstoßen können.
medienpoltik.net: Welche Rolle müssen TV-Sendergruppen und Streaminganbieter spielen?
Volm: TV und Streaming sind die Brücke zum Publikum, zu den Menschen, für die wir Filme machen, also unsere unerlässlichen Partner. Es ist in unseren Augen entscheidend, dass die Sender weiterhin Kinokoproduktionen finanzieren und unterstützen und Talent auch im produzentischen Bereich fördern und mitdenken. Leider fahren die öffentlich-rechtlichen ihr Engagement hier immer mehr zurück. Auch zum Leidwesen der Redakteure, die sich häufig für eigenständige Stimmen und Filme stark machen, aber nicht die notwendigen Mittel zur Verfügung haben. Gleichzeitig wäre es wichtig, dass Nachwuchs im TV-Bereich auch außerhalb der Kinokoproduktionen und unabhängig von einem eigenen Kinofilm Fuß fassen kann. Streaminganbieter setzen bislang hauptsächlich auf erfahrene Filmschaffende und müssen vermutlich erst noch definieren, wie Nachwuchsförderung in ihrem Rahmen aussehen könnte.