„Die Online-Medien haben stark an Bedeutung gewonnen“

von am 16.08.2021 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Digitale Medien, Journalismus, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Privater Rundfunk, Social Media

„Die Online-Medien haben stark an Bedeutung gewonnen“
Dr. Peter Frey, Chefredakteur des ZDF

ZDF-Nachrichtensendungen erreichen linear und online signifikant mehr Zuschauer

16.08.2021 Interview mit Dr. Peter Frey, Chefredakteur des ZDF

„Es ist ein großer Unterschied, ob man über Emotionen berichtet, die man vor Ort registriert, oder ob man Emotionen schürt“, so ZDF-Chefredakteur Dr. Peter Frey im Interview. Er verweist damit auf die Betroffenheit von Journalisten sowohl bei der jüngsten Hochwasserkatastrophe als auch bei der Debatte über den Klimawandel. Es sei die Pflicht von Journalisten, dort, wo Menschen Angehörige, ihr Hab und Gut, ihre Existenz verloren hätten, auch die Emotionen der Betroffenen zu zeigen. Auf der anderen Seite solle die Berichterstattung aber auch einen Beitrag zur Versachlichung leisten. Peter Frey verweist auf eine umfangreiche, sachlich und kritische Berichterstattung des ZDF über die jüngste Hochwasserkatastrophe. Mit Blick auf die Informationsverantwortung des ZDF stellt er fest: „Uns braucht niemand zu belehren, wie wichtig schnelle Reaktionen und die Bereitschaft, aus dem geplanten Programm auszusteigen, für das Profil sind.“ Auf den Wahlkampf angesprochen, betont der ZDF-Chefredakteur, die öffentlich-rechtlicher Sender hätten den Auftrag zu informieren, aber auch deutlich zu machen, warum es einen Unterschied mache, seine Stimme abzugeben oder nicht.

medienpolitik.net: Herr Frey, das ZDF hat seinen Sitz in Rheinland-Pfalz, dem Bundesland, das am schwersten von der Hochwasserflut betroffen ist. Ist es nicht problematisch, bei der verständlichen Betroffenheit und Solidarität dennoch objektiv zu berichten?

Frey: Diese Schwierigkeit habe ich nicht registriert. Schon der Abstand von 100 km erzeugt doch eine gewisse Distanz. Die Kolleginnen und Kollegen, die aus dem Ahrtal und aus NRW berichten, berichten mit großer Professionalität und anderseits auch mit Empathie über die von einer Jahrhundertkatastrophe getroffenen Menschen. Besonders hervorheben will ich unsere Landeskorrespondentin in Rheinland-Pfalz Susanne Gelhard. Sie ist eine profilierte Auslandskorrespondentin, hat über viele Kriege und Katastrophen berichtet. Das hat ihr geholfen, das Ausmaß des Unglücks an der Ahr zu schildern, sich in die Schicksale der Betroffenen einzufühlen, also das menschliche Leid zu schildern, aber andererseits auch kühl die Schäden zu analysieren und die Frage nach der Verantwortung zu stellen.

medienpolitik.net: Wie sehr hat die Hochwasser-Berichterstattung die Redaktion „belastet“?

Frey: Die Belastung war und ist sehr groß. Wir stecken ja noch mitten in der Bewältigung der Corona-Pandemie. Zudem war in Mainz das nationale Übertragungszentrum für die Olympischen Spielen für ARD und ZDF. Um den Rund-um-die-Uhr-Betrieb für TV und Online zu ermöglichen, mussten wir Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen einsetzen, die das Olympia-Sportteam verstärkt haben. Die nahezu zeitgleiche intensive Hochwasserberichterstattung, in allen Nachrichtensendungen. Magazinen, Dokumentationen, mit zahlreichen Sondersendungen, hat alles von uns gefordert. Ohne die Verstärkung aus anderen Landesstudios, die selbst nicht betroffenen waren, hätten wir diese zusätzliche Aufgabe nicht bewältigen können. Dieses flexible System ist ein Vorteil des ZDF, dahinter stehen aber viele hochmotivierte Kolleginnen und Kollegen.

medienpolitik.net: Welche Resonanz hat diese Berichterstattung bei den Zuschauern gefunden?

Frey: Das große Interesse am Geschehen und Schicksalen in den Hochwassergebieten sowie am Verlauf der Corona-Pandemie hält immer noch an. Seit März vergangenen Jahres werden unsere Nachrichtensendungen überdurchschnittlich stark eingeschaltet. Die „heute“-Sendung und das „heute –journal“ haben vor allem bei der Gruppe der Unter-50-Jährigen stark hinzugewonnen. Die „heute“-Sendung lag im Juli 2,2 Prozent über dem Vormonatswert und das heute-journal 2,1 Prozent über dem Vorjahreswert. Dazu kommen sehr gute Werte bei den Jüngeren über die sozialen Netzwerke. Es gab zu dem einen weiteren wichtigen Indikator für das große Interesse: die Resonanz auf unsere Spendenaktion. Bisher wurden 80 Millionen Euro für das „Aktionsbündnis Katastrophenhilfe“ gespendet. Da mag es eine Rolle gespielt haben, dass das ZDF schon am Dienstag nach der Katastrophe einen mehrstündigen Themenabend im Programm hatte, an dem die Redaktionen von ZDFzeit, Frontal und „Leschs Kosmos“ mitgewirkt haben. Weil das in der medienpolitischen Debatte ja immer wieder eine Rolle spielt: uns braucht niemand zu belehren, wie wichtig schnelle Reaktionen und die Bereitschaft, aus dem geplanten Programm auszusteigen, fürs Profil sind.

„Es ist ein großer Unterschied, ob man über Emotionen berichtet, die man vor Ort registriert, oder ob man Emotionen schürt.“

medienpolitik.net: Es gibt meiner Meinung gegenwärtig drei politische Schwerpunkte: Die Corona-Pandemie, die Klimapolitik und der Wahlkampf. Alle drei Themen sind emotional geprägt. Wie ist es dennoch möglich, sachlich und unaufgeregt zu informieren?

Frey: Es ist ein großer Unterschied, ob man über Emotionen berichtet, die man vor Ort registriert, oder ob man Emotionen schürt. Ich denke, es ist unsere Pflicht, dort, wo Menschen Angehörige, ihr Hab und Gut, ihre Existenz verloren haben, auch die Emotionen der Betroffenen zu zeigen. Nehmen Sie beispielsweise die verwüstetet Friedhöfe, bei denen man nicht mehr weiß, wo sich das Grab von Eltern oder Großeltern befindet. Das ist dann mit Verlust und Trauer verbunden und solche Gefühle müssen Reporter natürlich auch abbilden. Auf der anderen Seite soll unsere Berichterstattung auch einen Beitrag zur Versachlichung leisten. Das gilt insbesondere für die Strafanzeige gegen den Landrat des Kreises Ahrweiler wegen des Verdachts auf unterlassener Hilfeleistung.

medienpolitik.net: Es ist gegenwärtig die Rede von einem „Schlafwagen“-Wahlkampf, der eine geringe Wahlbeteiligung vermuten lässt. Sehen Sie für die ZDF-Berichterstattung die Aufgabe zu einer Mobilisierung für eine hohe Wahlbeteiligung beizutragen?

Frey: Wir müssen in unserer Berichterstattung klarmachen, worum es bei der Wahl geht, was die wichtigsten Themen sind und in welchen Bereichen die Parteien unterschiedliche Konzepte anbieten. Diese Fragen wollen wir unter anderem beim „TV-Triell“ von ARD und ZDF am 12. September herausarbeiten, aber auch in den „Klartext“-Sendungen, in denen wir aus der Perspektive von Bürgerinnen und Bürgern Sachfragen an die Kandidatin und Kandidaten stellen werden. Das Spektrum reicht von Corona bis zur Wohn- und Mietensituation, von Arbeitslosigkeit bis zur Migration. Wir haben als öffentlich-rechtlicher Sender den Auftrag zu informieren, aber auch deutlich zu machen, warum es einen Unterschied macht, seine Stimme abzugeben oder nicht. Wählen ist das wichtigste Privileg von Bürgern und Bürgerinnen in einer Demokratie.

medienpolitik.net: Sie haben im April in einem Kommentar gesagt: „Diese Bundestagswahl ist einzigartig“. Hat diese Analyse Konsequenzen für die Wahlberichterstattung des ZDF?

Frey: Die Wahl ist schon deshalb einzigartig, weil wir das erste Mal drei Anwärter auf das höchste Regierungsamt haben und die Ära Merkel zu Ende geht. Drei Persönlichkeiten mit Chancen, das Kanzleramt zu führen – das bedeutet, dass wir unsere Angebote ausbauen müssen, etwa mit drei Klartext-Ausgaben im Hauptabend des ZDF. Natürlich behalten wir dabei auch die Umfrageergebnisse im Auge. Sollte die FDP hier weiterzulegen und ihr Spitzenkandidat Ambitionen auf die Kanzlerschaft äußern, werden wir auch das berücksichtigen.

„Ich gehe nicht davon aus, dass sich neue private Informationsangebote auf unsere Zuschauerquoten signifikant negativ auswirken werden.“

medienpolitik.net: Was unterscheidet die Berichterstattung des Jahres 2021 von der des Jahres 2017?

Frey: Die Online-Medien haben sehr stark an Bedeutung gewonnen. Wir wissen, dass wir auch Menschen erreichen müssen, die sich vom linearen Fernsehen verabschiedet haben und die wir nur noch über unsere eigenen Online-Angebote oder über Drittplattformen erreichen können. Diese zusätzliche Aufgabe, die auch eine andere Arbeitsweise und –Struktur voraussetzt, müssen wir ohne zusätzliche Mitarbeiter, mit der gleichen Personalstärke wie vor vier Jahren bewältigen. Das bedeutet mehr Arbeit für jeden einzelnen Mitarbeiter, und dass wir die klassische Fernsehebene mit der Online-Ebene möglichst effektiv verknüpfen müssen.

medienpolitik.net: Was heißt das konkret für das Programm?

Frey: Wir wollen unsbeispielsweise mit der „Generation Merkel“ befassen. Dazu wird es eine klassische TV-Dokumentation geben, aber auch eine Reihe von filmischen Essays über Menschen, die so jung sind, dass sie keinen anderen Kanzler oder Kanzlerin als Angela Merkel erlebt haben. Das sind unterschiedliche Charaktere, aus verschiedenen Regionen und Milieus. Diese Filme sind ca. 15 Minuten lang und finden sich in der Mediathek und bei YouTube. Mit diesen Filmen wollen wir zeigen, dass nicht nur eine Kanzlerschaft endet, sondern eine Epoche. Die Protagonisten dieser Filme, die wir vor allem für die Online-Nutzung produzieren, werden aber auch in der erwähnten Doku und anderen Beiträgen des linearen Fernsehens und in Talk-Sendungen eine Rolle spielen. Solche Verschränkungen zwischen linearen und non-linearen Angeboten wollen wir in diesem Jahr bei verschiedenen Themen praktizieren.

medienpolitik.net: Wie aktiv kann sich der Zuschauer „einmischen“, welche Rolle spielen seine Themen und Fragen?

Frey: Wir organisieren bei allen Live-Sendungen Kommentarmöglichkeiten im Netz und schaffen auch Voraussetzungen, Fragen online einzubringen. Vor allem in den „Klartext“-Sendungen sind Bürgerinnen und Bürger im Studio dabei und können ihre Fragen direkt an die Politiker richten. Das Publikum soll hier nicht nur Stichwortgeber sein, sondern durch seine Fragen die Kanzlerkandidatin und Kanzlerkandidaten zu möglichst konkreten Antworten zwingen. Zudem haben wir in der Sommerpause von „maybrit illner“ ein Wahlkampfformat mit dem Titel „Für und Wider“ etabliert, in dem zwei unterschiedliche Positionen aufeinandertreffen. Repräsentiert einerseits von Bürgerinnen und Bürgern und andererseits von Politikerinnen und Politikern. Dort bemühen wir uns, etwas unabhängig von der Aktualität, auch grundsätzlichere gesellschaftliche Fragen in den Wahlkampf einzubringen, wie zum Beispiel Steuergesetzgebung oder Rentenpolitik oder auch das Verhältnis zwischen Ost und West. So wollen wir verhindern, dass der Wahlkampf nur von Stimmungen und kurzzeitiger Empörung bestimmt wird.

medienpolitik.net: Ist dieser Bürgerdialog auch intensiver als vor vier Jahren?

Frey: Ja, es gibt eine „Klartext“-Sendung mehr in der Hauptsendezeit und wir haben diese Möglichkeiten auch bei anderen Formaten erweitert.

medienpolitik.net: Welche Auswirkung hat auf Ihre Wahl-Berichterstattung, dass ProSiebenSat.1 und RTL ihre Informationsformate ausbauen?

Frey: Das spornt uns an. Wir beobachten die Konzepte und Resonanz sehr aufmerksam. Einige Formate, die als neu angekündigt werden, kennen wir allerdings schon seit Jahren. Dennoch finde ich, dass jede Art von Konkurrenz und Ideen, Themen anders aufzugreifen und andere Sichten darzustellen, uns guttun kann. Zudem ist es wichtig, möglichst alle Bevölkerungsschichten mit politischen Informationen zu erreichen. Ich wünsche den Kollegen eine gute Resonanz auf ihre Angebote.

„Wir wissen, dass wir auch Menschen erreichen müssen, die sich vom linearen Fernsehen verabschiedet haben.“

medienpolitik.net: Das bedeutet aber möglicherweise weniger Zuschauer für die ZDF-Sendungen?

Frey: Bisher spricht nichts für diese Vermutung. Möglicherweise erreichen die privaten Sender in Zielgruppen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bisher schon nicht sehr stark nutzen, für ihre Informationsangebote eine höhere Resonanz. Ich bin aber gespannt, wie erfolgreich solche Infoakzente in weitgehend von Unterhaltung geprägten Angeboten genutzt werden. Soweit ich das überblicke, blieben einige Sendungen jedenfalls unter den Erwartungen, die wir hätten. Ich gehe nicht davon aus, dass sich solche neuen Informationsangebote auf unsere Zuschauerquoten signifikant negativ auswirken werden.

medienpolitik.net: Und Bild-TV? Bereitet Ihnen das TV-Angebot der größten deutschen Tageszeitung mit rund 8 Millionen Lesern pro Ausgabe, nicht doch ein wenig Kopfschmerzen?

Frey: Wir beobachten den Markt natürlich auch bei solchen neuartigen Angeboten sehr genau. Ich sehe dabei mit großem Interesse, dass der Hauptschwerpunkt offenbar auf den Vormittag gelegt wird. Das ist aus unserer Perspektive kein Zeitraum, in dem mit intensiver Informationsberichterstattung beim Zuschauer besonders gepunktet werden kann. Dennoch ist es interessant zu sehen, welche Mittel Bild-TV findet, Zuschauer für sich zu gewinnen.

medienpolitik.net: Es ist häufig von einem Informationsmonopol des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu hören. Verliert der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein „Informationsmonopol“ bzw. sein Informationsvorsprung beim Bewegtbild?

Frey: Ich sehe kein Informationsmonopol der öffentlich-rechtlichen Sender, einen gewissen Informationsvorsprung aber schon. So hat RTL mit seiner Nachrichtensendung eine gute Resonanz und wenn man den Erfolg von n-tv auf den Online-Plattformen hinzurechnet, ist das eine ernst- zunehmende Konkurrenz. Im Interesse der Meinungsvielfalt ist es auch gut, dass es kein Informationsmonopol gibt. Auch bei Themen, Protagonisten, Moderatoren stehen wir in Konkurrenz, mit unseren privaten Mitbewerbern und auch der ARD. Das ist auch gut so, denn Wettbewerb ist Motor für Veränderung. Dass das ZDF in den letzten Jahren auf dem Markt so gut abgeschnitten hat und Sendungen wie „heute“ und „heute journal“, „auslandsjournal“ oder “maybrit illner“ dabei mit Erfolgstreiber sind, gibt uns die Gelassenheit, uns die Anstrengungen der anderen interessiert, aber in Ruhe anzuschauen.

Print article