„Eine staatsferne Aufsicht aus einer Hand in vielen Bereichen der digitalen Medien“

von am 10.08.2021 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Digitale Medien, Internet, Medienordnung, Medienpolitik, Medienrecht, Medienregulierung, Medienwirtschaft, Medienwissenschaft, Plattformen und Aggregatoren, Regulierung

„Eine staatsferne Aufsicht aus einer Hand in vielen Bereichen der digitalen Medien“
Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) und Direktor der Landesanstalt für Kommunikation (LFK)

Nahezu alle Satzungen zur Regelung von Medienplattformen, Intermediären und Video-Sharing-Diensten sind ab 1. September in Kraft

10.08.2021 Interview mit Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Medienanstalten und Direktor der Landesanstalt für Kommunikation (LFK) in Baden-Württemberg

„Das Bundesverfassungsgerichts hat die Notwendigkeit bekräftigt, Meinungsvielfalt und Informationsqualität gerade auch mit Blick auf Phänomene wie Desinformation und Fake News in der digitalen Medienwelt zu sichern. Mit seiner Entscheidung schafft das Bundesverfassungsgericht auch für die Medienanstalten eine verlässliche Finanzierungsbasis, mit der die Medienanstalten gerade auch die ihnen übertragenen wichtigen neuen Aufgaben weiterhin zielgerichtet angehen können“, kommentierte Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Medienanstalten die aktuelle Entscheidung der Verfassungsrichter zum Rundfunkbeitrag. Die Ländergesetzgeber haben den Medienanstalten mit dem Medienstaatsvertrag im November 2020 einen neuen, erweiterten Auftrag erteilt, um auch an den zunehmend wichtiger werdenden, digitalen Schnittstellen zu Medienplattformen und Intermediären den diskriminierungsfreien Zugang und die Auffindbarkeit privater und öffentlich-rechtlicher Inhalte und damit Meinungsvielfalt zu sichern. Zum Stand der Arbeiten und den Einwänden aus Brüssel zur Kontrolle der Intermediäre, Fragen an Dr. Wolfgang Kreißig.

medienpolitik.net: Herr Kreißig, die Medienanstalten haben durch den Medienstaatsvertrag die Aufgabe erhalten, zusätzlich die Regelungen zu Medienplattformen, Intermediären und Video-Sharing-Diensten umzusetzen und die Einhaltung zu kontrollieren. Sind die Medienanstalten damit die Aufsichtsbehörde nicht nur des Rundfunks sondern auch der digitalen Medien?

Kreißig: Die Länder haben mit dem Medienstaatsvertrag einen wichtigen Schritt in Richtung eines zeitgemäßen Regulierungsrahmens gemacht. Das neue Regelungswerk berücksichtigt nun auch Medienintermediäre sowie Anbieter von Benutzeroberflächen und bundesweit ausgerichteten Telemedien, die einen potenziellen Einfluss auf die Meinungsbildung haben. Die unterschiedliche Behandlung von Rundfunk und digitalen Medien ist dabei schon lange überholt. Im Kern der Inhalteregulierung des Medienstaatsvertrags geht es darum, den Prozess der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung zu gewährleisten und Meinungsvielfalt auch in der digitalen Medienwelt zu stärken und zu sichern. Diese Weiterwicklung des deutschen Medienrechts sowie die Bündelung der neuen Aufsichtszuständigkeiten unter dem Dach der Medienanstalten ist konsequent und sachgerecht. So kann eine zunehmend kohärente, staatsferne Aufsicht aus einer Hand nun auch in vielen Bereichen der digitalen Medien sichergestellt werden.

medienpolitik.net: Welche Kompetenz haben die Medienanstalten für die neue Aufgabe?

Kreißig: Die Medienanstalten verfügen über die erforderliche langjährige Regulierungserfahrung, belastbare Vernetzung sowie über die erforderliche strukturelle Unabhängigkeit und Staatsferne, um Meinungsvielfalt und Medienvielfalt auch in den digitalen Medien erfolgreich zu sichern. Schon seit jeher passen die Medienanstalten ihre Expertise und ihr Know-how fortlaufend den Entwicklungen in der Medienbranche an. So haben wir uns beispielsweise mit dem Thema der Intermediäre und ihrer Bedeutung für die mediale Kommunikation und für die Meinungsvielfalt in einer Demokratie schon seit über vier Jahren und damit schon vor Inkrafttreten des Medienstaatsvertrags intensiv beschäftigt. Über verschiedene Forschungsprojekte und Sachverhaltsklärungen im Vorfeld der Satzungsarbeiten haben wir frühzeitig eigene Erkenntnisse in diesem neuen Feld gesammelt und eigene Expertise aufgebaut. Bei Bedarf werden wir aber auch externe Expertise in Anspruch nehmen und haben hierfür entsprechende Vorsorge getroffen. In anderen Bereichen wie der Plattformregulierung im weiteren Sinne befinden wir uns ohnehin auf gewohntem Terrain, auf dem wir auf unser Know-how aus der bisherigen Regulierungspraxis zurückgreifen können. Es wird jetzt vor allem darauf ankommen, Erfahrungen mit den neuen Regulierungsinstrumenten zu sammeln und eine den Regulierungszielen entsprechende, praxisnahe und verlässliche Rechtsanwendung herauszubilden.

„Die unterschiedliche Behandlung von Rundfunk und digitalen Medien ist schon lange überholt.“

medienpolitik.net: „Die Landesmedienanstalten regeln durch gemeinsame Satzungen und Richtlinien Einzelheiten zur Konkretisierung der sie betreffenden Bestimmungen“, so sieht es der Medienstaatsvertrag vor. Wie ist der Stand der Arbeiten?

Kreißig: Unsere Arbeiten zur Konkretisierung der Bestimmungen des Medienstaatsvertrags durch Satzungen und Richtlinien sind mittlerweile nahezu abgeschlossen. Da wir bereits 2019 mit der Planung und Vorbereitung des Satzungsprozesses begonnen hatten, konnten wir rasch nach Inkrafttreten des Medienstaatsvertrags im November 2020 bereits mit ersten Satzungsentwürfen in eine Konsultations- und anschließende Anhörungsphase mit den Betroffenen und den Branchenverbänden treten und eine zügige Beschlussfassung durch die Gremien der 14 Landesmedienanstalten ermöglichen. Da die einzelnen Satzungen unterschiedlich neuartig oder komplex sind und damit auch einen unterschiedlich hohen Beratungsbedarf aufweisen, haben wir uns dazu entschieden, die Satzungen entlang der jeweiligen Verfahrensläufe sukzessive in Kraft zu setzen.

Somit sind seit dem 15. April 2021 die Satzungen zur Durchführung der Gewinnspielvorschriften, zur Durchführung der Werbevorschriften, zur Konkretisierung der Zulassungsfreiheit nach § 54 Abs. 1 sowie über die Schlichtungsstelle gem. § 99 MStV (Video-Sharing) in Kraft. Seit 1. Juni 2021 gilt die Satzung zu Medienplattformen und Benutzeroberflächen und seit 1. Juli 2021 die Satzung zu europäischen Produktionen. Mit dem Inkrafttreten der Satzung zur Regulierung von Medienintermediären rechnen wir im Herbst. Dabei ist zu beachten, dass die Bestimmungen des Medienstaatsvertrags ungeachtet des Zeitpunkts des Inkrafttretens der satzungsrechtlichen Konkretisierungen grundsätzlich bereits seit November 2020 zu beachten sind.

Die Regelungen zur Bestimmung von Angeboten, die in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt leisten, treten nach dem Medienstaatsvertrag erst zum 1. September 2021 in Kraft. Entsprechend wird auch die Satzung zur leichten Auffindbarkeit solcher Angebote, die sogenannte Public Value-Satzung, frühestens zu diesem Datum zur Anwendung kommen können. Nach deren Inkrafttreten führen wir eine Ausschreibung zur Bestimmung von Angeboten durch, um im Frühjahr 2022 eine Liste von Angeboten zu veröffentlichen, die in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt im Bundesgebiet leisten. Diese sind dann in Benutzeroberflächen leicht auffindbar zu halten.

medienpolitik.net: Besteht grundsätzlich ein Unterschied bei Satzungen für klassische Rundfunkmedien und den digitalen Medien?

Kreißig: Nein, denn auch der der heutigen Mediennutzung angepasste Anwendungsbereich des Medienstaatsvertrags verfolgt die klassischen Grundsätze der Inhalteregulierung, wie die Sicherung der Meinungs- und Angebotsvielfalt, den Nutzerschutz und die Einhaltung journalistischer Grundsätze. Die Satzungen spezifizieren in beiden Bereichen die jeweiligen gesetzlichen Normen.

medienpolitik.net: Angesichts der großen Vielfalt. Wie soll die Umsetzung und Einhaltung der Bestimmungen des Medienstaatsvertrages kontrolliert werden?

Kreißig: Der Medienstaatsvertrag fordert keine ständige, lückenlose und flächendeckende Kontrolle. Eine solche wäre mit den den Medienanstalten aktuell zur Verfügung stehenden Mitteln auch nicht realisierbar. Im Rahmen unserer kontinuierlichen Aufsichtstätigkeit führen wir daher regelmäßige und gezielte Monitorings und Schwerpunktanalysen von Angeboten durch. Dies gilt für neue wie bisherige Aufsichtsbereiche gleichermaßen. Ebenso gehen wir Hinweisen aus der Bevölkerung beziehungsweise Beschwerden antragsberechtigter Dritter nach. Sofern uns Anhaltspunkte auf mögliche Verstöße vorliegen, leiten wir entsprechende Verfahren ein, wie zuletzt im Fall der Kooperation von Google mit dem nationalen Gesundheitsportal des Bundesgesundheitsministeriums. Wir beobachten aber insbesondere im Telemedienbereich, dass ein Großteil der Anbieter auch im eigenen Interesse und im Interesse ihrer Nutzerinnen und Nutzer gesetzeskonform handeln wollen. Daher wählen wir bei neuen Gesetzeslagen in der Regel zunächst einen niederschwelligen Weg der Ansprache. Das ist beispielsweise die Herausgabe von Merkblättern oder der Versand von Hinweisschreiben, um aufzuklären und für die neue Regulierung zu sensibilisieren, bevor dann bei Verstößen selbstverständlich auch förmliche Verfahren folgen können. Entsprechend sind wir beispielsweise im Bereich der Kennzeichnungspflicht von Werbung in Online-Medien oder bei der Einhaltung journalistischer Sorgfaltspflichten in Telemedien verfahren. Erfreulicherweise hat dies zu einem guten Dialog mit der Branche und in vielen Fällen zu einer dauerhaft rechtskonformen Anpassung der Angebote geführt.

„Die interessante Frage ist, inwieweit der geplante DSA gegen die Gesetzgebungskompetenz der Länder verstoßen könnte.“

medienpolitik.net: Müssen die Landesmedienanstalten dafür personell aufgestockt werden, was auch finanzielle Folgen hätte?

Kreißig: Die Medienanstalten haben sich intensiv auf die neuen Aufgaben vorbereitet, die ihnen mit dem Medienstaatsvertrag zugewiesen wurden. Neben der Satzungsarbeit haben wir auch unsere internen Strukturen evaluiert und den neuen Gegebenheiten angepasst. Die letzten Monate waren insofern eine große Herausforderung, weil wir dies aufgrund der ausgebliebenen Beitragserhöhung mit gleichbleibender Finanzierung zu realisieren hatten. Wir sammeln nun im regulären Aufsichtsbetrieb weitere Erfahrungen und werden dann auf einer fundierten Basis übergreifend beurteilen können, welcher zusätzliche Aufwand durch die neue Regulierung entsteht und wie dieser zu bewältigen ist. Die konkreten Entscheidungen in Sachen Haushalt und Personal sind jedoch in vielen Fällen vor Ort in den jeweiligen Landesmedienanstalten und durch die dortigen Gremien zu treffen, sodass etwaige finanzielle Folgen auch anhand des Einzelfalls zu beurteilen sind.

medienpolitik.net: Die EU-Kommission hat Einwände gegen die Satzung, die die Kontrolle der Intermediäre betrifft. Ist diese Kritik für Sie nachvollziehbar?

Kreißig: Die von der Europäischen Kommission als problematisch identifizierten Verpflichtungen des notifizierten Entwurfs sind überwiegend solche, die sich bereits unmittelbar aus dem am 7. November 2020 in Kraft getretenen Medienstaatsvertrag ergeben. Bei dem notifizierten Entwurf handelt es sich um eine untergesetzliche Maßnahme zum Medienstaatsvertrag, weshalb die von der Kommission nun vorgeschlagenen Anpassungen (z. B. hinsichtlich der Verpflichtung, einen in Deutschland ansässigen oder niedergelassenen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen) für die deutschen Medienanstalten als Satzungsgeber nicht umsetzbar sind.

medienpolitik.net: Inwieweit verstößt diese Satzung gegen den geplanten „Digital Service Act“?

Kreißig: Meines Wissens liegt zum Digital Service Act bisher ein Entwurf vor, der momentan im Europäischen Parlament behandelt wird. Die eigentlich interessante Frage ist ja doch eher, inwieweit der geplante DSA gegen die Gesetzgebungskompetenz der Länder verstoßen könnte.

medienpolitik.net: Werden Sie diese Satzung jetzt „auf Eis“ legen und nicht anwenden?

Kreißig: Der EU-Kommission ist die abgestimmte Haltung von Bund, Ländern und Medienanstalten übermittelt worden. Jetzt müssen wir sehen, ob wir eine gemeinsame Lösung mit der Kommission finden.

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