„Der Trend scheint ein Freund der Spartenkanäle zu sein“

von am 20.09.2021 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Gesellschaftspolitik, Kreativwirtschaft, Medienpolitik, Medienwirtschaft, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

„Der Trend scheint ein Freund der Spartenkanäle zu sein“
Robert Bachem, Leiter des Programmbereichs „ZDFinfo, Gesellschaft und Leben“

Zehn Jahre ZDFinfo – 1,7 Prozent Marktanteil und jährlich rund 500 Dokumentationen als deutsche Erstausstrahlung

20.09.2021. Interview mit Robert Bachem, Leiter des Programmbereichs „ZDFinfo, Gesellschaft und Leben“

Im September 2011 startete ZDFinfo als neu ausgerichteter ZDF-Digitalsender für Info-Mehrwert aus den Bereichen Geschichte, Wissen, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und ist seitdem kontinuierlich auf Wachstumskurs: von 0,2 Prozent Marktanteil 2011 über 1,2 Prozent 2016 und 1,5 Prozent 2020 bis zum aktuellen Marktanteil von 1,7 Prozent. ZDFinfo zeigt jährlich rund 500 Dokus als deutsche Erstausstrahlung und gestaltet sein Programmangebot aus einem Repertoire von fast 5000 Dokus. ZDFinfo setzt verstärkt auf Doku-Mehrteiler und bietet als „Themenfernsehen“ in seinen Mehrteilern eine umfassende Aufarbeitung der Geschichten und Ereignisse. Im Oktober steht zum Beispiel die vierteilige Doku-Reihe „China versus USA – Clash der Supermächte“ exklusiv auf dem ZDFinfo-Programm.Das Kanalversprechen von ZDFinfo ist eindeutig. Egal, wann ich den Sender einschalte, finde ich dort hochwertige und spannende Dokumentationen, die nur durch Kurznachrichten unterbrochen werden“, sagt der Chef von ZDFinfo, Robert Bachem. Etwa 30 Prozent Dokumentationen seien vorher im ZDF gelaufen. Rund 70 Prozent seien eigens für ZDFinfo hergestellte Filme.

medienpolitik.net: Herr Bachem, es gibt im Zusammenhang mit der Novellierung des Auftrages im Länderkreis die Überlegung ZDFinfo nicht mehr zu beauftragen. Das heißt, das Programm muss nicht mehr linear verbreitet werden. Was würde dem Fernsehzuschauer fehlen, wenn dieser Fall eintritt?

Bachem: Ein Fernsehsender, mit dem vor allem jüngere Menschen sehr viel Zeit verbringen. Der August war der erfolgreichste Monat unserer Geschichte sowohl beim jungen als auch beim Gesamtpublikum. Über vier Millionen Menschen täglich schauen ZDFinfo linear. Insgesamt scheint es immer mehr zu geben, die unsere Themen-Abende oder -Tage sehr schätzen. Diese Zuschauer wollen also ganz offensichtlich ein kuratiertes Fernsehprogramm. Spartensender sind eine für die Zuschauer bequeme und am Bewegtbildmarkt äußerst erfolgreiche Alternative zu den On-Demand-Angeboten in den Mediatheken. Wir sind zwar äußerst stolz darauf, wie erfolgreich wir täglich in der Mediathek sind. Noch aber sehen sehr viel mehr Menschen unsere Filme im TV.

medienpolitik.net: Beiträge aus den Bereichen Geschichte, Wissen, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werden auch von anderen Sendern gezeigt. Was ist hier das Spezifische von ZDFinfo?

Bachem: Zum einen ist es die Konzentration auf das Genre Doku. Das Kanalversprechen von ZDFinfo ist eindeutig. Egal, wann ich den Sender einschalte, finde ich dort hochwertige und spannende Dokumentationen, die nur durch Kurznachrichten unterbrochen werden. Etwa 30 Prozent unserer Dokumentationen sind vorher im ZDF gelaufen. Rund 70 Prozent sind eigens für ZDFinfo hergestellte Filme. Diese zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie auf eine jüngere Zielgruppe hin konzipiert sind. Wir achten sehr darauf, möglichst „voraussetzungslos“ zu erzählen. Wir setzen also kein Vorwissen voraus und erklären beispielsweise möglichst viel mit Grafiken, wie etwa bei der Dokumentation „Erntehelfer – Unsichtbar und ausgebeutet“. Bei den Ankäufen von internationalen Lizenzen bearbeiten wir diese so, dass sie für ein jüngeres deutsches Publikum möglichst gut verständlich sind. Die kanadisch-deutsche Produktion „Ghosts of Afghanistan – Die Macht der Taliban“ ist dafür ein großartiges Beispiel. Da ZDFinfo kein festgefügtes Programmschema hat, können wir Themen auserzählen. Wo gibt es in den größeren Sendern schon Platz für eine zehnteilige Reihe, wie unsere Produktion „Krieg und Holocaust – Der deutsche Abgrund“? Das ist eine Form vertiefender Information, wie sie die klassischen Vollprogramme nicht bieten können.

„Spartensender sind eine für die Zuschauer bequeme und äußerst erfolgreiche Alternative zu den On-Demand-Angeboten in den Mediatheken.“

medienpolitik.net: Ohne starres Programmschema können Sie sehr flexibel programmieren…

Bachem: Ja, wir können themengetrieben programmieren. Bei uns gibt es nicht nur eine Doku zum Thema DDR-Geschichte, zur Wende oder über Wikinger, sondern acht hintereinander – also sechs Stunden hintereinander. Dabei schauen wir uns sehr genau an, welche Themen aus den Bereichen Politik, Wissen, Wirtschaft und Geschichte unsere jüngeren Zuschauer interessieren. So scheint es uns in der Vergangenheit gelungen zu sein, neue Themen und manchmal auch Macharten zu entdecken.

medienpolitik.net:  Wie exklusiv sind die Dokumentationen, die ZDFinfo zeigt?

Bachem: Alle unsere Auftragsproduktionen und Koproduktionen „gehören“ der ZDF-Familie, das sind bis zu 200 pro Jahr. Das gilt auch für den Großteil der Lizenzen, die wir am nationalen und internationalen Markt erwerben. Diese rund 600 neuen Dokus pro Jahr gibt es in der ZDF-Mediathek und linear überwiegend exklusiv bei ZDFinfo. Tatsächlich beliefern wir aus unserer Redaktion auch 3sat mit frischen Dokumentationen. Wir sind aber auch stolz darauf, dass sich unsere Filme auf allen ZDF-Kanälen wiederfinden. Zehn Prozent der Sendezeit beispielsweise von Phoenix sind ‚ZDFinfo-Dokus‘.

„Die große Stärke von ZDFinfo ist es flexibel reagieren zu können, das hat sich auch in der Corona-Krise wieder gezeigt.“

medienpolitik.net: Wie teuer ist ZDFinfo pro Jahr?

Bachem: Was ich Ihnen dazu sagen kann ist, dass wir pro Jahr cirka 20 Millionen Euro für Dokumentationen ausgeben.

medienpolitik.net: ZDFinfo hatte 2020 einen Marktanteil von 1,7 Prozent erreicht und sich damit Jahr für Jahr gesteigert. Worauf führen Sie das zurück?

Bachem: Tatsächlich stehen wir im Moment bei den 14- bis 49-Jährigen bei einem Marktanteil von 2 Prozent. Damit sind wir im Moment jedenfalls nach ARD und ZDF der dritterfolgreichste öffentlich-rechtliche Kanal in der jungen Zielgruppe. Die Akzeptanz der Jüngeren ist uns bei unserer Gründung vor zehn Jahren ja als wichtigste Aufgabe gestellt worden. Und Dokumentationen haben einen großen Vorteil:  Sie sind wie ein gutes Buch. Wir bieten zu jeder Zeit unsere besten Dokumentationen an, wann immer unsere Zuschauer Lust darauf haben. Vertiefendes Wissen, rund um die Uhr, 24/7. Nicht zuletzt deswegen konnten wir uns auf fast allen Zeitschienen verbessern Außerdem funktionieren einige für die Mediathek produzierte Programme auch im linearen TV besser als wir gedacht hätten. All das und der Trend, der ein Freund der Spartenkanäle zu sein scheint, erklären unseren Erfolg in diesem Jahr.

medienpolitik.net: Die klassischen TV-Sender haben in der Corona-Pandemie bei der Nutzung profitiert. Auch ZDFinfo?

Bachem: Die Hochphasen der Pandemie waren die Stunde der Vollprogramme mit Nachrichten, aktuellen Magazinen, politischen Talkshows und gut gemachter Unterhaltung. Dokumentationen zu anderen politischen Themen waren weniger gefragt. Es hat eine Weile gedauert, bis wir uns auf diese neue Situation am Fernsehmarkt eingestellt haben. Tatsächlich wurden Dokus, die wir schon lange im Portfolio hatten, auf einmal zu absoluten Publikumslieblingen – allen voran die BBC-Doku über die Spanische Grippe. Aber auch die hintergründigen Analysen abseits der Corona-Aktualität haben uns dann sehr genutzt – etwa die Ausgaben von Harald Lesch zu dem Thema oder zuletzt die Dokumentation „Der Corona-Gipfel – Kampf um die EU-Milliarden“, die den Konflikt um die europäischen Corona-Hilfen dargestellt hat. Nicht ganz so überraschend waren in Zeiten des Lockdowns außerdem Dokus über ferne Länder insbesondere beim jungen Publikum erfolgreich. Die große Stärke von ZDFinfo ist es eben flexibel reagieren zu können, das hat sich auch in der Corona-Krise wieder gezeigt.

„Wir zielen heute schon mit etwa 30 Prozent unserer Dokumentationen eher auf die Mediathek und weniger auf die klassische lineare Verbreitung.“

medienpolitik.net:  ZDFinfo ist kein Nachrichtensender. Wie schnell kann er dennoch reagieren?

Bachem: Unser Rekord war eine Umprogrammierung von neun Stunden am Morgen für den Nachmittag und Abend desselben Tages. Die Kollegen in der ZDF-Sendeleitung sind versierte Profis, die vier Sender abwickeln! Wenn es sein muss, sind die auch in der Lage, innerhalb von Minuten alles umzustellen. Tatsächlich aber erwarten die Zuschauer von uns nicht eine tagesaktuelle Umplanung, denn wir sind ja – wie gesagt – kein Nachrichtensender. Vom Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix hingegen wird das erwartet und denen stellen wir zu aktuellen Ereignissen passende Dokumentationen dann gerne zu Verfügung.

medienpolitik.net: Wie kann eine Verzahnung des klassischen TV-Angebotes mit anderen Ausspielwegen aussehen?

Bachem: Die Online-Verbreitung unserer Inhalte ist schon heute von entscheidender Bedeutung. Die ‚ZDFinfo-Dokus‘ sind auch in der ZDF-Mediathek ausgesprochen erfolgreich. Dies hat natürlich auch Folgen für die Bespielung des TV-Senders. Wir haben früher schon Doku-Serien produziert. Das intensivieren wir in jüngster Zeit, weil diese Serien auch online hervorragend funktionieren. Dokumentarfilme haben häufig wenig Zuschauerzuspruch im Fernsehen, online sind sie hingegen oft überproportional erfolgreich, vor allem beim jüngeren Publikum. Wir zielen heute schon mit etwa 30 Prozent unserer Dokumentationen eher auf die Mediathek und weniger auf die klassische lineare Verbreitung. Wir engagieren uns außerdem stark bei der Bespielung der sozialen Medien. Bei Instagram sind wir mit unserer Marke ZDFinfo ausgesprochen erfolgreich. Dazu kommen auch zwei Kanäle bei Funk, für die wir verantwortlich sind. Und von denen wir lernen. Die Kollegen der ZDFinfo-Programmplanung sorgen dafür, dass wir unsere Inhalte auf allen Plattformen, Mediathek, TV und Social Media, möglichst geschickt und erfolgversprechend platzieren. Wir stehen für unsere Inhalte und Themen, und wir versuchen, sie auf allen verfügbaren Wegen zu unseren Zuschauern zu tragen.

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