„Es muss sich etwas ändern, und das möglichst schnell“

von am 06.09.2021 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Dualer Rundfunk, Medienordnung, Medienpolitik, Medienrecht, Medienregulierung, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Rundfunk

„Es muss sich etwas ändern, und das möglichst schnell“
Dirk Schrödter, Chef der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein

Schleswig-Holstein ist gegen eine Mehrheitsentscheidung oder Rechtsverordnung beim Rundfunkbeitrag

06.09.2021. Interview mit Dirk Schrödter, Chef der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein

„Es ist ja nicht so, dass uns erst das Bundesverfassungsgericht auf die Idee gebracht hat, dass sich beim öffentlich-rechtliche Rundfunk etwas ändern muss. Schon seit Jahren wird im Länderkreis intensiv über die Zukunft des öffentlich-rechtliche Rundfunk diskutiert. Es gibt viele gute Vorschläge zur Modernisierung und Konkretisierung des Auftrags, die den Leitlinien des Bundesverfassungsgerichts entsprechen“, so Dirk Schrödter, Chef der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein gegenüber medienpolitik.net. Trotzdem sei es dem Länderkreis bisher noch nicht gelungen, in wesentlichen Fragen Einigkeit zu erzielen. Schrödter setze seine Hoffnung darauf, dass alle Länder von der Deutlichkeit des Urteils des Verfassungsgerichts überzeugt werden könnten. Es müsse sich etwas ändern, und das möglichst schnell. Zugleich sprach sich der Medienpolitiker gegen die Anregung des Bundesverfassungsgerichts aus, die Beitragsentscheidung durch Rechtsverordnung treffen zu lassen oder eine Mehrheitsentscheidung zu ermöglichen.
Nur weil etwas verfassungsrechtlich machbar ist oder für denkbar gehalten wird, ist es politisch längst nicht sinnvoll“, sagte Schrödter. Medienpolitik.net hat mehrere Staatskanzleien gebeten, Fragen zum Beitragsurteil des BVerfG zu beantworten. Wir werden diese Antworten in den nächsten Tagen veröffentlichen.

medienpolitik.net: Herr Schrödter, welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Urteil und der Begründung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 2021 für die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
Schrödter: Ich bin froh, dass das Verfassungsgericht so schnell für Klarheit gesorgt hat. Die Entscheidung schafft die notwendige Ruhe, um die Beratungen zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Länderkreis zum Abschluss zu bringen. Das Urteil unterstreicht die grundlegende gesellschaftliche Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gerade in Zeiten von Filterblasen, Fake News und Deep Fakes muss dieser ein vielfaltssicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht hierzu sein. Genau das ist sein Funktionsauftrag. Die Frage der Finanzierung ist eigentlich ganz einfach: Die Länder legen den Programmauftrag fest. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat dann einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine entsprechende Finanzierung. Genau das ist ja auch der Kern des Urteils.

Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Entwicklungen unserer digitalen Medienwelt gerecht werden kann, muss es eine entsprechende Reform der Beauftragung geben. Nur das sichert langfristig seine Akzeptanz – und damit auch die des Rundfunkbeitrags.

Das BVerfG hat schon im Juli 2018 bei seinem Urteil zur Beitragspflicht für Zweitwohnungen klare Leitlinien zur Beauftragung an die Adresse des Gesetzgebers formuliert – und diese jetzt nun noch einmal deutlich unterstrichen. Tenor: Das Programmangebot von ARD, ZDF und Deutschlandradio unterliegt anderen Entscheidungsrationalitäten als die des privaten Rundfunks. Information, Bildung, Beratung und Kultur sind der Markenkern des öffentlich-rechtliche Rundfunk und damit auch Grundpfeiler des Funktionsauftrags – wobei auch unterhaltende Angebote nicht fehlen dürfen, sofern diese sich an diesem Markenkern orientieren. Das Urteil lässt zur Frage der Ausgestaltung des Programmauftrags nicht viel Interpretationsspielraum. Das gilt es jetzt im Länderkreis – endlich – umzusetzen. Und es ist gut, dass das Verfassungsgericht in diesem Zusammenhang die Mitverantwortung jedes einzelnen Landes in der föderalen Verantwortungsgemeinschaft betont hat. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Länder erneut über einen entsprechenden Staatsvertrag entscheiden müssen. Ich hoffe sehr, dass die nächste Beitragsentscheidung mit handfesten Reformen einhergeht, was die Zustimmung aller Länder deutlich einfacher machen wird.

„Ich hoffe sehr, dass die nächste Beitragsentscheidung mit handfesten Reformen einhergeht, was die Zustimmung aller Länder deutlich einfacher machen wird.“

medienpolitik.net: Sehen Sie die Notwendigkeit durch das Urteil, am Entwurf des neuen Auftrags für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Änderungen vorzunehmen?
Schrödter: Es ist ja nicht so, dass uns erst das Bundesverfassungsgericht auf die Idee gebracht hat, dass sich beim öffentlich-rechtliche Rundfunk etwas ändern muss. Schon seit Jahren wird im Länderkreis intensiv über die Zukunft des öffentlich-rechtliche Rundfunk diskutiert. Es gibt viele gute Vorschläge zur Modernisierung und Konkretisierung des Auftrags, die den Leitlinien des Bundesverfassungsgerichts entsprechen. Sie liegen fertig in den Schubladen. Schleswig-Holstein hat bereits bewiesen, dass es die Diskussion um den Auftrag aktiv mit eigenen Vorschlägen nicht nur gestaltet, sondern auch vorantreibt. Trotzdem ist es dem Länderkreis bisher noch nicht gelungen, in wesentlichen Fragen Einigkeit zu erzielen. Ich setze meine Hoffnung darauf, dass alle Länder von der Deutlichkeit des Urteils des Verfassungsgerichts überzeugt werden können. Es muss sich etwas ändern, und das möglichst schnell.

„Nur, weil etwas verfassungsrechtlich machbar ist oder für denkbar gehalten wird, ist es politisch längst nicht sinnvoll.“

medienpolitik.net: Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts steht es „den Landesgesetzgebern etwa verfassungsrechtlich frei, die Beitragsentscheidung durch Rechtsverordnung treffen zu lassen oder eine Mehrheitsentscheidung zu ermöglichen.“ Ist das für Sie die Lösung des „Demokratiedilemmas“, wie es der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt gekennzeichnet hat?

Schrödter: Es gibt viele gute Gründe dafür, dass Rundfunk- und Medienpolitik Ländersache ist. Daran will auch niemand etwas ändern, und das steht auch überhaupt nicht zur Diskussion. Aber Föderalismus ist nicht immer einfach. Im Länderkreis einstimmige Entscheidungen zu bekommen, ist nicht selten ein steiniger und beschwerlicher Weg. Aber, weil das so ist, sind einmal getroffene Entscheidungen von großer Stabilität. Das ist ein großer Vorteil unseres Förderalismus, gerade auch in der Medienpolitik. Wir Länder sind uns unserer Verantwortung immer bewusst. Zudem zeigt die Erfahrung: Es hat bisher immer funktioniert – und das wird es auch zukünftig.

Zu den Grundzügen des Föderalismus im Medienrecht gehört es, dass sich alle Länder gleichberechtigt staatsvertraglich einig werden. Wer daran etwas ändern will, höhlt unser föderales System aus. Mehrheitsentscheidungen oder auch Rechtsverordnungen, wie vom Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen, sind durchaus verfassungsrechtlich theoretisch denkbare Möglichkeiten – mehr aber auch nicht. Sie sind insbesondere kein Ausweg aus dem so bezeichneten “demokratischen Dilemma“, ein Ausdruck, den ich ohnehin weder mag noch richtig nachvollziehen kann.

Wer die in den Raum gestellten Alternativen einmal ernsthaft durchspielt, merkt zudem schnell: Auch dann gäbe es verschiedenste Sollbruchstellen, an denen die Umsetzung einer KEF-Empfehlung scheitern könnte. Denn auch auf die Modalitäten und Rechtsgrundlagen von Mehrheitsentscheidungen und den Erlass von gesetzlichen Verordnungsermächtigungen müssen sich 16 Länder verständigen und müssen 16 Landesparlamente zustimmen. Für mich heißt das: Nur, weil etwas verfassungsrechtlich machbar ist oder für denkbar gehalten wird, ist es politisch längst nicht sinnvoll. Es ist uns bisher immer gelungen, Einstimmigkeit zu erzielen – und wir werden das auch in Zukunft hinbekommen. Daran müssen wir eben noch intensiver arbeiten als bislang. Eine Herausforderung, die ich sehr gern annehme.

Im Übrigen sitzen wir Länder an der wichtigsten Stellschraube: Der Ausgestaltung der Beauftragung. Und diese Stellschraube sollten wir endlich nutzen. Ich hoffe sehr, dass sich nach der Bundestagswahl die Gemüter wieder beruhigen und wir auch in dieser Frage zu einer sachlichen Diskussion zurückkehren können. Dann wird es uns gelingen, rechtzeitig zur nächsten Beitragsempfehlung der KEF eine grundlegende Reform von Auftrag und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf den Weg zu bringen.

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