„Bei der Reform des Auftrags und der Finanzierung muss die private Medienindustrie beachtet werden“

von am 25.11.2021 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Dualer Rundfunk, Medienordnung, Medienpolitik, Medienregulierung, Medienwirtschaft, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Privater Rundfunk

„Bei der Reform des Auftrags und der Finanzierung muss die private Medienindustrie beachtet werden“
Claus Grewenig, VAUNET und Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Universität Leipzig

Trennung von Auftrag und Finanzierung in der Kritik

25.11. 2021. Interview mit Claus Grewenig, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des VAUNET und Bereichsleiter Medienpolitik bei der Mediengruppe RTL Deutschland GmbH und Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig

Seit 19. November ist der Entwurf zur Reform des Auftrags für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk öffentlich. Bis 14. Januar 2022 ist Zeit für Stellungnahmen und Änderungsvorschläge. Nach den bisherigen Reaktionen ist zu erwarten, dass die Vorgaben für Unterhaltung, eine mögliche Ausweitung von Nicht-EU-Lizenzfilmen in der Mediathek, die absehbare Expansion der Online-Angebote und die damit verbundene Kostensteigerung, zu Einsprüchen führen werden. Nach Auffassung von Claus Grewenig vom VAUNET sollte der Auftrag „auf die Hauptprogramme und Kernzeiten fokussiert werden. Eine Auslagerung des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags in den Bereichen Information, Bildung und Kultur auf Randzeiten, Spartenprogramme oder ins Internet konterkariert den Sinn und Zweck des Auftrags und kann eine Beitragsfinanzierung nicht legitimieren.“ Kritik am Entwurf kommt auch von Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Medienrechtler an der Universität Leipzig: „Das Gegengewicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bezieht sich in erster Linie auf die Bereiche, in denen private Medien Vielfaltsdefizite ausweisen. Eine smarte Regulierung setzt an diesen Funktionsdefiziten an. Diesem Ziel wird der Entwurf nicht gerecht.“ Bei der Ausklammerung der Finanzierung wurde übersehen, so Gersdorf, dass eine Beauftragung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Finanzierungsnotwendigkeit nach sich ziehe. Was beauftragt ist, sei zu finanzieren. Das verlange das Verfassungsrecht.

Claus Grewenig, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des VAUNET und Bereichsleiter Medienpolitik bei der Mediengruppe RTL Deutschland GmbH:

medienpolitik.net: Herr Grewenig, wird im vorliegenden Entwurf des neuen Medienstaatsvertrages zur Reform des Auftrages für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Auftrag ausreichend geschärft, um ARD, ZDF und Deutschlandradio deutlich vom privaten Rundfunk abzugrenzen?

Grewenig: Es sind einige gute Ansätze erkennbar, vor allem, soweit der Auftrag fokussiert werden soll. Ganz wichtig ist allerdings, dass die wettbewerbsintensiven Felder im Interesse des gesamten dualen Mediensystems gelöst werden: Es darf keine Ausweitung der Verfügbarkeit von Nicht-EU-Werken in den Mediatheken geben. Dies könnte anderenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Lizenzmärkte haben. Für Lizenzware gibt es reichlich private Medienangebote auf Abruf, es gibt daher keinen Grund, diese Inhalte im Bereich beitragsfinanzierter Angebote vorzusehen.

Der Auftrag sollte auf die Hauptprogramme und Kernzeiten fokussiert werden. Eine Auslagerung des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags in den Bereichen Information, Bildung und Kultur auf Randzeiten,  Spartenprogramme oder ins Internet konterkariert den Sinn und Zweck des Auftrags und kann eine Beitragsfinanzierung nicht legitimieren. Das gilt für das Radio genauso wie für das Fernsehen. Gerade die Gewichtung macht hier oft den Unterschied. Entwicklungen wie das Überangebot an Krimis oder Konkurrenzprogrammierungen bei Show oder Comedy zur besten Sendezeit gehen in die völlig falsche Richtung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat durch die Finanzierung gerade das Privileg und die Freiheit einer nicht marktorientierten Gewichtung. Das muss sich auch im Selbstverständnis spiegeln.

Eine Deckelung von Webchannels und Radioprogrammen sowie das Verbot einer flächendeckenden Lokalberichterstattung in Telemedien müssen gewährleistet bleiben. Sie sind zwar auch eine Aufgabe der einzelnen Länder und ihrer Staatsverträge, müssen aber unbedingt im Fokus bleiben, weil gerade im Radio die Zahl der Angebote gesamt sehr hoch und der Wettbewerb besonders intensiv ist und wir eine ganz klare Tendenz zur einer weiter fortschreitenden Ausweitung der Angebote und ihrer Vermarktung sehen. Diese wettbewerblichen Punkte werden wir in den kommenden Konsultationen konstruktiv, aber klar benennen, denn hier hätte eine Veränderung des öffentlich-rechtlichen Auftrags weitreichende Auswirkungen auf den Markt.

medienpolitik.net: Inwieweit sehen Sie durch den Entwurf die Interessen des privaten Rundfunks negativ tangiert?

Grewenig: Änderungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben immer auch Auswirkungen auf die private Seite im dualen Mediensystem. Deshalb muss dieses Thema ganzheitlich betrachtet und die privaten Medienanbieter von der Politik immer von vornherein eingebunden werden. Hier sehen wir Luft nach oben, zumal der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor allem im Vermarktungsbereich und bei den Audio- und Mediatheken zuletzt deutlich offensiver aufgetreten ist. Uns ist klar, dass die Länder vor einer großen Herausforderung stehen. Dennoch: „Auf zwei Beinen steht man besser“ –  die Neudefinition des Auftrags und auch der Finanzierung kann nur dann ein Erfolg sein, wenn sie auch die private Medienindustrie beachtet. Dazu besteht jetzt die Chance und dabei sollten die Länder die aktive Rolle der Gestaltung, die das Bundesverfassungsgericht eingefordert hat, auch nutzen.

„Die derzeit laufenden Drei-Stufen-Test-Verfahren z. B. lassen eine deutliche Expansion im Online-Bereich mit dahingehend entstehenden Mehrkosten erahnen.“ (Claus Grewenig)

medienpolitik.net: Nach Einschätzung des KEF-Vorsitzenden Dr. Fischer-Heidlberger und auch von Chefs von Staatskanzleien bzw. Medienstaatssekretären wird der Entwurf nicht zur Beitragsstabilität bzw. einer Reduzierung beitragen. Diese Fragen sollen in einer zweiten Runde geklärt werden. Wie bewerten Sie das?

Grewenig: Die Länder sollten wissen, dass aufgrund der sehr klaren Trennung von Auftrag und Finanzierung die große Chance der Gestaltung – auch für die daraus folgende Finanzierung – schon zu Beginn durch die Auftragsdefinition wahrgenommen werden muss. Wenn das Portfolio entsprechend fokussiert wird, muss dem dann auch eine angepasste Finanzierung folgen. Es ist allerdings derzeit noch nicht erkennbar, dass nach dem gegenwärtigen Ansatz signifikante Einschnitte angedacht wären. Die derzeit laufenden Drei-Stufen-Test-Verfahren z. B. lassen eine deutliche Expansion im Online-Bereich mit dahingehend entstehenden Mehrkosten erahnen. Für die privaten Medien ist es zudem unerlässlich, auch die Einschränkung der Werbung wieder aufzurufen. Für eine klarere Abgrenzung der Rollen im dualen System und eine Profilstärkung der Programme von ARD und ZDF sollten die aktuellen Beratungen eine Klärung der Verteilung von Werbung im dualen System miteinschließen. Die Diskussion hierzu wurde in den letzten Jahren genauso wie die Frage von Struktur und Auftrag nur zurückgestellt. Der VAUNET setzt sich bei Werbung und Sponsoring in den öffentlich-rechtlichen Programmen für werbe- und sponsoringfreie TV- und Online-Angebote sowie eine Harmonisierung der Radiowerbung entsprechend des NDR-Modells auf 60 Minuten täglich und ein werbeführendes Programm pro Anstalt sowie des Sponsorings ein.

Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig:

medienpolitik.net: Herr Gersdorf, wird der vorliegende Entwurf des neuen Medienstaatsvertrages zur Reform des Auftrages für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk den Anforderungen an das Aufgabenspektrum, das in der jüngsten Entscheidung des BVerfG zur Beitragsfestsetzung formuliert worden ist, gerecht?

Gersdorf: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Beitragsfestsetzung seine ständige Rechtsprechung bekräftigt und nochmals die vielfaltverengenden Tendenzen werbefinanzierter privater Medien hervorgehoben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein notwendiges Gegengewicht zu den privatwirtschaftlich arbeitenden privaten Medien, weil er aufgrund der öffentlichen Beitragsfinanzierung in der Lage ist, ein von Quoten und Massengeschmack unabhängiges Angebot zu verbreiten. Das Gegengewicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bezieht sich daher in erster Linie auf die Bereiche, in denen private Medien Vielfaltsdefizite ausweisen. Eine smarte Regulierung setzt an diesen Funktionsdefiziten an. Diesem Ziel wird der Entwurf nicht gerecht.

„Die Abwägung zwischen den Interessen der Anstalten einerseits und der Beitragszahler sowie der privaten Medien darf nicht in die Hände der Anstalten gelegt werden.“ (Hubertus Gersdorf)

medienpolitik.net: Was meinen Sie damit? Kann aus dieser Entscheidung, die die besondere Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angesichts des digitalen Medienwandels hervorhebt, nicht auch eine Ausdehnung des Angebotes abgeleitet werden, wie es der Entwurf anscheinend ermöglicht?

Gersdorf: Der Entwurf sieht vor, dass das öffentliche-rechtliche Angebotsprofil vor allem dort wahrnehmbar sein soll, wo die Nutzung dieser Angebote besonders hoch ist. Das ist nicht anderes als eine Orientierung am Massengeschmack. Auch soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk eigenständige Telemedienangebote aus europäischen und nichteuropäischen Produktionen anbieten dürfen, und zwar unabhängig davon, auf welchen Genres diese Inhalte beruhen. Ein Gegengewicht ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk aber nicht, wenn seine Angebote ein more of the same sind, also auch bei den Privaten zu finden sind. Ein Gegengewicht ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur, wenn er ein Qualitätsversorger ist, also Inhalte bereithält, die es bei den Privaten entweder überhaupt nicht oder wenigstens nicht in dieser Qualität gibt. Eine solche Fokussierung auf einen qualitativen Mehrwert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks enthält der Entwurf nicht.

medienpolitik.net: Wie steht es um die Finanzierung dieser Auftragserweiterung?

Gersdorf: Der Entwurf klammert die Finanzierung der Angebote ausdrücklich aus. Hierbei wird übersehen, dass eine Beauftragung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Finanzierungsnotwendigkeit nach sich zieht. Was beauftragt ist, ist zu finanzieren. Das verlangt das Verfassungsrecht. Deshalb müssen bereits bei der Beauftragung alle schutzwürdigen Belange berücksichtigt werden. Hierzu gehören namentlich die Interessen der Beitragszahler. Eine Ausdehnung des Angebots führt regelmäßig zu einer Mehrbelastung der Beitragszahler. Das derzeitige System der Beauftragung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schützt die Beitragszahler nur unzureichend. Das gilt insbesondere für die anstaltsinterne Selbstbeauftragung (Drei-Stufen-Test). Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf zwar seine Interessen wahrnehmen; er ist aber nicht befugt, über die Belange der Beitragszahler zu disponieren. Die Abwägung zwischen den Interessen der Anstalten einerseits und der Beitragszahler sowie der privaten Medien darf nicht in die Hände der Anstalten gelegt werden. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, diese Schutzlücken zu schließen.

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