Die Vierte Gewalt

von am 17.11.2021 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Gesellschaftspolitik, Journalismus, Medienethik, Medienpolitik

Die Vierte Gewalt
Dr. Ortlieb Fliedner, Rechtsanwalt

Säule der Demokratie oder Krisenverstärker?

17.11.2021. Von Dr. Ortlieb Fliedner, Rechtsanwalt

In den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts hat das Wort Krise Konjunktur. Nach der Finanzkrise kam die Flüchtlingskrise. Corona-Krise und Klimakrise sind noch aktuell und über allem schwebt wie ein Damoklesschwert die Krise der Demokratie.

Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg sieht u.a. folgende Merkmale, die für eine Krise der Demokratie sprechen: Zustimmung für populistische Parteien, die undemokratische Positionen vertreten, niedrige Wahlbeteiligung, Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie. Die Spaltung der Gesellschaft durch Querdenker, Verschwörungstheoretiker und radikale Impfverweigerer wie der Hass und die Hetze, mit der Politikerinnen und Politiker im Netz überzogen werden, werden ebenfalls als Krisensymptome gesehen. Auch die aktuelle und intensive mediale Beschäftigung mit den Zerfallserscheinungen der Weimarer Republik zeigt, dass die Krise der Demokratie derzeit ein Thema ist.

Beitrag der Medien

Kein Thema ist in diesem Zusammenhang, welchen Beitrag die sogenannte Vierte Gewalt, die Medien und die in ihnen arbeitenden Journalisten zu den Krisenerscheinungen, insbesondere der Unzufriedenheit mit den im politischen Alltagsbetrieb Handelnden und insgesamt der Demokratie, leisten.

Die Debatte anlässlich der Frankfurter Buchmesse über die Anwesenheit rechtspopulistischer Verlage und die damit begründete Absage von Autorinnen und Autoren hat kurzzeitig darauf aufmerksam gemacht, dass die Pressefreiheit auch rechtes, undemokratisches Gedankengut verbreitende Medien schützt. Eine umfassende Diskussion über den Anteil der Medien an einer Schwächung der Demokratie hat diese Debatte nicht ausgelöst. Eine solche Diskussion ist jedoch überfällig. Die Bezeichnung der Bundesrepublik als neuen DDR-Obrigkeitsstaat durch den Vorstandsvorsitzenden eines mächtigen Medienunternehmens, der zugleich Präsident des Bundesverbandes der Zeitschriftenverleger und damit Repräsentant eines großen Teils unserer Medien ist, hat zwar zu Recht Protest hervorgerufen. In erster Linie wurde aber diskutiert, ob diese private Äußerung hätte öffentlich gemacht werden dürfen.

Es ist aber nicht nur der abwegige Vergleich, der ein Schlaglicht auf die Bewertung unserer Demokratie wirft. Ausgerechnet den Chefredakteur einer nicht immer fair agierenden Boulevardzeitung als einzigen Journalisten zu kennzeichnen, der sich diesem Staat entgegenstellt, während die meisten anderen Journalisten Propaganda-Assistenten der Regierenden seien, wie sich Herr Döpfner nach Medienberichten wohl geäußert hat, lässt eine Haltung erkennen, die nur noch als demokratieverachtend bezeichnet werden kann.

Verächtlichmachung normaler demokratischer Prozesse

Dieser Vorfall hätte durchaus Anlass sein können, etwas tiefer gehend die Haltung der Medien zu den demokratischen Prozessen und ihren Akteuren, den Politikerinnen und Politikern, zu betrachten. Denn Politikverachtung ist ein Phänomen, das sich nicht nur vereinzelt, sondern in den Medien in durchaus nennenswertem Umfang nachweisen lässt. Die Politikverachtung wird zwar nicht direkt ausgesprochen, sondern durch besonders negative Darstellung der demokratischen Prozesse und der dabei Handelnden zum Ausdruck gebracht.

Dazu einige Beispiele, die sich beliebig vermehren lassen:

Nach einer Wahl bilden sich Koalitionen und müssen Ämter besetzt werden, damit der demokratische Alltag funktionieren kann. Die häufige Darstellung dieses Sachverhalts beginnt z.B. mit der Überschrift „Erfolgreiche Postenschacherei“. Weiter heißt es dann:„Vertreter aller Parteien der (..) Koalition haben nun gut dotierte Stellen ergattert. Man kann von einer erfolgreichen Postenschacherei sprechen.“ (Frankfurter Rundschau vom 15.9.2016). In der medialen Darstellung wird aus einem normalen und zum Funktionieren der Demokratie notwendigen Vorgang „Postenschacherei“ und „Ergattern von Stellen“. Außerdem wird mit „gut dotiert“ noch das Vorurteil bedient, dass Politikerinnen und Politiker sich vor allem selbst bedienen und zu hoch bezahlt werden. Dabei zeigt ein Vergleich mit Führungspersonen in der Wirtschaft wie wenig wert uns unsere Politiker in Wahrheit sind – trotz einer wohl doch etwas höheren Verantwortung:

Die Bundeskanzlerin verdiente 2017 rund 300000 Euro im Jahr, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages etwa 115000 €. Der Vorstandsvorsitzende des Software Unternehmens SAP erhielt 2017 19,83 Millionen Euro Jahresvergütung, d.h. 66 Mal mehr als die Bundeskanzlerin und 172 Mal mehr als ein Abgeordneter. Übrigens: Haben Sie schon einmal in den Medien gelesen oder gehört, dass Vorstandsposten ergattert und um Aufsichtsratsposten geschachert wurde?

Die Rücktrittsankündigung des Bundesbankpräsidenten wird dem Leser so präsentiert: „Personalpoker um Weidmann-Nachfolge. Die Personalie könnte bei den Koalitionsverhandlungen eine wichtige Rolle im Postenpoker spielen.“ (tagesschau.de 25.10.21) Dem Leser wird nahegelegt, Demokratie als Kartenspiel zu verstehen, einem Kartenspiel, das den Ruf hat, dort werde oft falschgespielt.

Demokratie ist Diskussion. Mit diesem Satz hat der Philosoph und Staatsmann Masaryk einen Wesenskern der Demokratie auf den Punkt gebracht. Diktaturen lassen freie Diskussionen nicht zu. Wenn in den Parlamenten oder auf kommunaler Ebene in den Räten von den Gewählten öffentlich diskutiert wird, wird diese Diskussion sehr häufig mit äußerst negativ besetzten Begriffen belegt. Die Parteien zanken, zoffen und streiten sich. Das Thema ist so wichtig, dass es aus dem Parteiengezänk herausgehalten werden sollte, ist in diesem Zusammenhang eine gängige Formulierung.

In einer Kommentierung der ersten Ergebnisse von Koalitionsverhandlungen in verschiedenen Gemeinden nach einer Kommunalwahl kommt der Autor zum Schluss: „Nach der Postenschacherei ist vor dem Alltagsgezänk im kommunalpolitischen Betrieb“.

Politik als schmutziges Geschäft – ein tief sitzendes Vorurteil

Mit der hier beispielhaft dargestellten negativen Beschreibung demokratischer Vorgänge, die den normalen Politikbetrieb kennzeichnen und erforderlich sind, damit die Demokratie funktionieren kann, wird unterschwellig an das Vorurteil angedockt, dass Politik ein schmutziges Geschäft sei. Dieses Vorurteil ist immer noch weit verbreitet und wird daher nicht selten genutzt, um mediales Interesse zu wecken. Bestätigt wird dies durch eine Untersuchung, wie in fiktionalen Filmen und TV-Serien Politik dargestellt wird. Ihr Fazit ist, das das Handeln von Politikerinnen und Politikern überwiegend dem Image, dass Politik schmutzig sei, entspricht. (Christoph Classen, Zur Mediatisierung von Politik in populären Filmen und Fernsehserien)

Der in der Pandemie zu einer Berühmtheit gewordene Virologe Christian Drosten formulierte in einer Rede anlässlich der Verleihung des Hans-Joachim-Friedrichs-Preises: „Unsere Realität ist das, was die Medien uns spiegeln.“ Wenn der politische Betrieb in der Demokratie von den Medien tagtäglich so negativ gespiegelt wird, wie dies die Beispiele zeigen, ist es da verwunderlich, dass Politik- und Demokratieverdrossenheit sich ausbreiten und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen kleiner wird?

Verachtung der Politikerinnen und Politiker durch Intellektuelle

Und es kommt noch ein Sachverhalt hinzu, der eine solche Haltung befeuert: die Verächtlichmachung der Politikerinnen und Politiker durch Prominente des Medienbetriebs. Der 2016 verstorbene Roger Willemsen, angesehener Journalist und Literaturprofessor, setzte sich ein Jahr in das Plenum des Deutschen Bundestages und schrieb 2014 darüber ein Buch: „Das Hohe Haus – ein Jahr im Parlament“. Funktions- und Arbeitsweise des Parlaments ignorierend, zeichnet er ein Bild des Parlaments als Kasperletheater: „So entwickeln sich die Abgeordneten allmählich zu Charaktermasken. Wie die handelnden Personen im Kasperletheater erfüllen sie die Auflagen ihrer Rollen-Charaktere: Gretel, Polizist, Teufel, Hanswurst, Krokodil.“(S. 242)

Eines der bekanntesten Gesichter im Literaturbetrieb, die vielfach ausgezeichnete Autorin Thea Dorn, fragt in der ZEIT (Nr. 39/2021), ob im Bundestag, unserem höchsten Verfassungsorgan „tatsächlich nur noch Ladenhüter und Ausschuss“ sitzen. Ihre Antwort: Dies scheint der Fall zu sein.

Kontrollfunktion der Medien kein Freibrief

Die Medienfreiheit, die unsere Verfassung garantiert, wird zu Recht als konstituierend für eine Demokratie bezeichnet. Die Medien, die in dieser Freiheit agieren, verweisen deshalb gerne darauf, dass sie eine tragende Rolle in der Demokratie haben, als Vierte Gewalt die Aufgabe haben, die drei staatlichen Gewalten zu kontrollieren.

Ihre Kontrollfunktion, die sie gegenüber staatlichem Handeln haben, ist aber kein Freibrief, den normalen Politikbetrieb in der Demokratie, die notwendigen Funktionsweisen einer Demokratie in einer Weise zu spiegeln, die diesen Betrieb herabsetzt und verächtlich macht. Tragende Säule der Demokratie zu sein und gleichzeitig diese Demokratie immer wieder schlecht zu reden und zu schreiben, ist nicht nur ein Widerspruch in sich, sondern leistet auch einen Beitrag zu Politik- und Demokratieverdrossenheit. Zur Medienfreiheit gehört auch eine Verantwortung gegenüber der Demokratie!

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