Krise der Auslandsberichterstattung

Der Fokus auf wenige Länder lässt große Teile der Welt unsichtbar werden
28.02.2022. Weite Teile der Welt sind in der deutschen Auslandsberichterstattung derart unterrepräsentiert, dass zurecht von einer Krise des Auslandsjournalismus gesprochen werden kann. Das ist das Ergebnis des Arbeitspapiers „Das Verblassen der Welt“, welches die Otto Brenner Stiftung veröffentlicht hat. In seiner Untersuchung benennt der langjährige Auslandskorrespondent Marc Engelhardt die Gründe für diese Entwicklung, dokumentiert eine Verstärkung des Trends in der Covid-Pandemie und skizziert mögliche Lösungsansätze. „Während über acht Staaten, darunter insbesondere die USA, in den letzten zehn Jahren in 23 deutschen Zeitungen mehr als 100.000 Mal berichtet wurde, wurden 34 Staaten weniger als 50 Mal erwähnt“, kritisiert Engelhardt anhand der Ergebnisse seiner quantitativen Auswertung. Die Zahl der Korrespondenten hat in den letzten Jahren ebenso wie die der Auslandsseiten und Sendeplätze – vor allem in Print und Onlinemedien – abgenommen. Dazu kommt das Schrumpfen von Budgets und Redaktionen. Eine besondere Herausforderung ist auch der weltweite Anstieg autoritärer Systeme, die durch Repression und zunehmende Propaganda die Arbeit von Journalisten erheblich erschweren. Letzteres, so das Fazit des Papiers, wird ohne das Korrektiv der Korrespondenten vor Ort ein immer wichtigerer Grund für das verzerrte Bild der Welt in den deutschen Medien.
Neuer Auslandsjournalismus? Wie die Welt sichtbarer werden kann (Auszug aus der Studie der Otto Brenner Stiftung „Das verblassen der Welt“)
„Angesichts der beschriebenen Krise der Auslandsberichterstattung steht außer Frage, dass sich der Auslandsjournalismus verändern muss. Dieses Schicksal ihrer Profession teilen Auslandskorrespondentinnen und Auslandskorrespondenten mit allen anderen Journalistinnen und Journalisten, denen regelmäßig bescheinigt wird, dass sie sich neu erfinden müssen (vgl. Sängerlaub 2020). Und tatsächlich hat die Digitalisierung nicht nur die Medien, sondern auch unsere Wahrnehmung von der Welt so grundlegend verändert, dass der Auslandsjournalismus gleich in doppelter Hinsicht gefordert ist, sich dieser Situation anzupassen. Die Standards dafür wurden bereits weiter oben beschrieben: Orientierung, Kontextualisierung und Einordnung des Geschehens im Ausland, so dass Medienkonsumentinnen und -konsumenten in die Lage versetzt werden, Entwicklungen jenseits von Deutschland und ihre möglichen Auswirkungen auf sie selbst zu verstehen. Dass es dafür nicht die eine, große Lösung gibt, ist klar. Schon gar nicht gibt es ein „Zurück“ zur „guten alten Zeit“ des Auslandsjournalismus, die es tatsächlich nie gab. Denn einerseits stimmt es, dass die Auslandsberichterstattung heute sehr viel besser sein könnte als sie ist, andererseits ist doch auch wahr, dass die technischen Möglichkeiten für gute Auslandsberichterstattung noch nie so groß waren wie heute. Es muss also darum gehen, diese Chancen zu nutzen – um damit eine Berichterstattung über das Ausland zu erreichen, die besser ist als alles bisher Dagewesene und die den Anforderungen einer Ära globaler Herausforderungen entspricht. Im Folgenden werden einige Eckpunkte skizziert, die für einen zukünftigen Auslandsjournalismus unabdingbar scheinen.
1. Stärkung der Netzwerke und Zusammenschlüsse freier Korrespondentinnen und Korrespondenten
Wichtigster Maßstab für qualitativ hochwertige Auslandsberichterstattung ist, dass sie vor Ort gemacht wird. Leserinnen und Leser müssen einen Anspruch darauf haben, dass die Auslandsseiten von Korrespondentinnen und Korrespondenten im Ausland gefüllt werden. Nur so ist ein journalistisches „eyewitnessreporting“ möglich, das eine adäquate Abbildung und Einordnung der Geschehnisse ermöglicht. Weil Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten ihre Kompetenz dadurch erwerben, dass sie ihr Berichtsgebiet über lange Zeit kennen, muss diese Kompetenz inhaltlich und finanziell honoriert werden, auch dann, wenn es nicht „brennt“. Angesichts der Tatsache, dass mit einer Ausweitung der nach Hamilton und James’ Systematik „traditional foreign correspondents“ genannten festen Korrespondentinnen und Korrespondenten kaum zu rechnen ist, konzentrieren sich Lösungsansätze auf die anderen beiden Typen von Berichterstatterinnen und Berichterstattern im Ausland: Die „foreign local correspondents“, die aus ihren Heimatländern für deutsche Medien berichten und die „foreign foreign correspondents“. Zu den letzteren zählt das Netzwerk der Weltreporter, das in diesem Diskussionspapier immer wieder erwähnt worden ist und dessen aktives Mitglied der Autor lange war. Seit mehr als 15 Jahren vereint das Netzwerk freie Journalistinnen und Journalisten, die im Ausland leben und von dort für deutschsprachige Medien berichten. Zu den Vorteilen für die Mitglieder gehören der interne Austausch, die Bündelung von Angeboten, die laufende Sicherstellung von Qualitätsstandards und ein gemeinsames Marketing. Jede Weltreporterin, jeder Weltreporter arbeitet aber für sich und deckt ihr Berichtsgebiet alleine ab, die Berichte werden an traditionelle Medien verkauft.
Das Modell funktioniert für die knapp 50 Mitglieder auch deshalb, weil die meisten von ihnen schon seit langer Zeit im Ausland leben und arbeiten. Im Verlauf der Jahre wegfallende Kunden wurden bisher stets durch neue ersetzt. In ihrer Struktur entsprechen die Weltreporter einem klassischen Korrespondentennetzwerk, deren Nutzung jedem zahlenden Kunden freisteht. Als Netzwerk der „foreign local correspondents“ verstehen sich dagegen die Hostwriter, ein Netzwerk, das 2013 von den drei Journalistinnen Tabea Grzeszyk, Sandra Zistl und Tamara Anthony gegründet wurde. Nach eigenen Angaben sind auf der Online-Plattform von Hostwriter inzwischen 4.000 Journalistinnen und Journalisten aus 150 Ländern vertreten. Als Netzwerk will Hostwriter diese Journalistinnen und Journalisten miteinander in Verbindung bringen, um gemeinsame Recherchen zu ermöglichen. Die Professionalisierung der Plattform gelang mit Stiftungsgeldern. Beide Netzwerke, Weltreporter und Hostwriter, eint das Ziel, ein Netz aus Berichterstatterinnen und Berichterstattern bereit zu stellen, das Berichterstattung aus allen Winkeln der Welt bieten kann. Das alleine bekämpft aber nur den ersten der oben aufgeführten Gründe, das Verschwinden der Korrespondentinnen und Korrespondenten, die für die Krise der Auslandsberichterstattung auszumachen sind.
2. Erhalt der Auslandsseiten und -sendeplätze und kreative Nutzung neuer Möglichkeiten
Zugleich braucht es „Gefäße“, in denen die vertiefte und kontinuierliche Berichterstattung auch aus vernachlässigten Regionen Platz findet. Als erster Schritt sollte sichergestellt werden, dass die Auslandsflächen nicht noch weiter schrumpfen als bisher. Gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wäre ein deutliches Eintreten der Rundfunkräte für eine breite Berichterstattung aus dem Ausland nötig. Erfolgreiche Angebote wie die „Tagesspiegel Background“-Newsletter oder der Fachdienst „Africa Confidential“ weisen zudem daraufhin, dass Berichterstattung sich wirtschaftlich erfolgreich an ein kleineres, an bestimmten Thematiken interessiertes Publikum wenden kann. Gerade weil die reinen Produktionskosten für (digitale) Medien so niedrig sind wie nie, könnten vertiefte Recherchen in solchen separat bezahlten Newslettern vertrieben werden, während kürzere Berichte, die dennoch vom Aufwand der langen Recherche profitieren, in den „Hauptmedien“ publiziert werden, die eine breitere Zielgruppen ansprechen. Damit würde in Medienhäusern auch der Entwicklung Rechnung getragen, dass solche „breit rezipierten Medien“ womöglich eines Tages der Vergangenheit angehören könnten. Der „New Humanitarian“, der aus dem früheren Informationsdienst der UN-Nothilfekoordination hervorgegangen ist, finanziert sich aus Stiftungsgeldern und Spenden. Er spricht mit seinen Berichten aus Entwicklungsländern und der Welt der Entwicklungsarbeit eine Zielgruppe an, die in diesem Bereich arbeitet und bereit ist, für qualitativ hochwertige Informationen in ihrem Bereich zu spenden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind neben einer Redaktion in Genf überwiegend „foreign local correspondents“.
Eine weitere Möglichkeit, Flächen für die Auslandsberichterstattung zu schaffen, sind Eigenpublikationsmodelle der Korrespondentinnen und Korrespondenten. Zu den Plattformen, auf denen vertiefte Recherchen aus einer bestimmten Weltregion veröffentlicht werden, zählen etwa die Riffreporter, auf deren Seite bereits Korrespondentinnen und Korrespondenten aus Afrika, Australien und Lateinamerika eigene Präsenzen und Abo-Angebote erstellt haben. Bettina Rühl, die dort mit zwei Kolleginnen die „Afrikareporter“ betreibt, begründet den Aufbau der eigenen Seite so: „Wir können die Themen bestimmen, wir können die Länge bestimmen, wir können auch multimedial Elemente einbauen und hintergründigen Journalismus betreiben. Aber damit das überleben kann, braucht er [der Journalismus] neue Finanzquellen. Und die Afrikareporter sind der Versuch, auszuloten, ob wir uns direkt an Leserinnen und Leser wenden können und erreichen können, dass unsere Arbeit sich auszahlt.“ Dabei räumt Rühl ein, dass man als Journalistin und Journalist zu gerne unterschätze, dass zu einem Verlag oder einem Sender sowohl eine Marketing- wie auch eine kaufmännische Abteilung gehöre. „Es hilft wenig, einfach nur eine Geschichte ins Internet zu stellen, ohne irgendwelche begleitenden Maßnahmen. Das kriegt nämlich niemand mit, und bezahlen tut es auch keiner.“ Wenn Auslandskorrespondentinnen zu ihren eigenen Verlegerinnen werden sollen, braucht es nach Rühls Erfahrung Fähigkeiten, die von den Betroffenen oft erst gelernt werden müssen. Dennoch scheint es, als sei der Schritt, nicht nur sich, sondern auch die recherchierten Geschichten selber zu vermarkten, unausweichlich – wenn auch nicht ausreichend, um Korrespondentinnen- und Korrespondentenstellen alleine zu finanzieren. Die Nahost-Korrespondentin Theresa Breuer nutzte eine Plattform für Projektspenden, um gezielt Mittel für eine Recherche zu gewinnen. Gemeinsam mit einer Kollegin hatte sie sich vorgenommen, ein Team aus afghanischen Bergsteigerinnen bei ihrem Aufstieg auf den höchsten Berg Afghanistans zu begleiten – ein Berg, der 7.500 Meter hoch ist und den noch nie eine afghanische Frau bestiegen hat. „Und dann haben wir beschlossen: Lass uns das doch begleiten als Printreportage und Fotoreportage, aber auch als Dokumentarfilm. Und dieses Vorhaben haben wir dann einfach realisiert, [haben] über zwei Jahre geplant und […] erst einmal viel eigenes Geld reingesteckt, haben immer wieder auch kleinere Aspekte dieser Geschichte ausgekoppelt und uns somit unser weiteres Leben auch in Afghanistan finanziert. Dann haben wir Sponsoren gefunden für die Bergexpedition und eine große Kickstarter-Kampagne ins Leben gerufen, über die wir nochmal 50.000 Euro eingesammelt haben.“ Eine der Frauen schaffte es tatsächlich bis zum Gipfel. Dennoch sind die Geschichten aller Frauen spannend weitergegangen, wie Breuer erzählt, so dass sie nun eine Fortsetzung plant.
Allerdings ist es zwar möglich, mit einer solchen Kampagne einzelne Recherchen zu finanzieren und zugleich bekannt zu machen. Unklar ist jedoch, ob sich Crowdfunding-Portale wie Kickstarter, aber auch entsprechende Angebote des investigativen Netzwerks Correctiv (vgl. deren „Crowdfunding für Journalismus auf Startnext“) oder auf die persönliche Unterstützung von Kreativen ausgerichtete Plattformen wie Steady oder Patreon dafür eignen, eine Korrespondentin, einen Korrespondenten dauerhaft zu finanzieren. Denn eigene Erfahrungen und Gespräche mit denen, die solche Kampagnen organisiert haben, zeigen, dass der Aufwand, der zur Versorgung einer Spenderinnen- und Spendergemeinde betrieben werden muss, oft so hoch ist, dass der Ertrag nicht dem Aufwand entspricht. Ähnliches gilt auch für Recherchestipendien, die oft sehr umfangreiche Vorrecherchen erfordern, die in die Antragstellung einfließen sollen. Für einzelne, aufwändige Recherchen sind sie sicherlich eine gute Finanzierungsoption. Eine kontinuierliche, dauerhafte Finanzierung von Auslandsberichterstattung gewährleisten sie hingegen nicht.
3. Stärkeres Engagement Deutschlands bei Verstößen gegen die Pressefreiheit
Auslandskorrespondenten und -korrespondentinnen müssen nicht zuletzt angesichts der in Kapitel 4.5 ausführlich dargestellten Zunahme von Propaganda neue Aufgaben wahrnehmen, die über den traditionellen Faktencheck in der Berichterstattung hinausgehen. Eine Initiative, die in Afrika entstanden ist, ist die Organisation Africa Check, die mit vier Büros auf dem Kontinent sensible Informationen überprüft. Ähnliche Aufgaben kommen zunehmend auch Korrespondentinnen und Korrespondenten zu. Sich dann auch noch als sein eigener Verleger selbst zu verkaufen, ist eine zeitliche Bürde, die nicht jeder und jede übernehmen können wird, zumal die genannten wachsenden Hürden der Berichterstattung ebenfalls zeitlich zu Buche schlagen – bis hin zur im gleichen Kapitel beschriebenen Verfolgung durch staatliche Institutionen oder diesen hörigen Organisationen. In den Fällen, in denen die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten von Seiten des Gaststaats stark behindert wird, wird es in Zukunft besonders wichtig sein, dass sich die Betroffenen auf die Unterstützung der deutschen Botschaften verlassen können. Das gilt im konkreten Fall, wenn Korrespondentinnen und Korrespondenten betroffen sind, aber ebenso für lokale Journalistinnen und Journalisten. Die zunehmenden Einschränkungen machen die Verteidigung der Pressefreiheit in allen Ländern zu einer Frage, die weit über das Grundsätzliche hinausgeht. Wenn deutsche Leserinnen und Leser weiterhin erfahren sollen, was in anderen Teilen der Welt geschieht, dann müssen Vertreterinnen und Vertreter Deutschlands in der Welt Verstöße gegen die Pressefreiheit stärker thematisieren als bisher. Denn die Unterdrückung von Berichterstattung in einem beliebigen Land hat direkte Auswirkungen darauf, was wir aus diesem Land erfahren können.
4. Öffentliche Förderung der Auslandsberichterstattung
Und auch beim letzten Faktor wird der Staat ins Spiel kommen müssen. Das einzige Werkzeug, das gegen das Schrumpfen von Budgets wirken kann, ist ein so altes wie bewährtes: Geld. Und sein Einsatz ist ein notwendiges Mittel gegen das, was Jens Müller und Roland Schröder als „Ökonomisierung der Auslandskorrespondenz“ kritisieren (Müller/Schröder 2008, S. 100 f.): „Wenn bislang das journalistische Besser das ökonomische Mehr dominiert haben mag, so ist dieser Schein der Klarheit gewichen, dass zumindest bei privat organisierter Bereitstellung des in vielerlei Hinsicht öffentlichen Gutes Information die ökonomischen Grundlagen als Engpassfaktor des Journalismus ebenso bedeutsam sind wie dessen Ziele und Ergebnisse selbst.“ Es ist keineswegs zwangsläufig, dass die Auslandsberichterstattung in den vergangenen Jahren derart zusammengekürzt worden ist, dass wir von der Welt nur noch wenig mitbekommen (können). Diese Entwicklung muss vielmehr als Ergebnis eines primär gewinnorientierten Journalismus verstanden werden. Wenn Information aus dem Ausland dagegen – mit Müller und Schröder gesprochen – als öffentliches Asset verstanden würde, die (wie etwa Infrastruktur) die Grundlage für Demokratie und Prosperität darstellt, könnte die Lage schnell eine andere sein. Auslandsberichterstattung ließe sich dann öffentlich fördern und damit ausweiten. So wie die Bundesrepublik sich Filmförderung leistet, kann sie sich auch eine Förderung der Auslandsberichterstattung leisten. Was bislang fehlt, ist der politische Wille dazu. Gründe für eine solche Förderung gibt es genügend. Wer schon einmal als Korrespondentin oder Korrespondent im Ausland gearbeitet hat, der oder die weiß, wie sehr Diplomatinnen und Diplomaten auf die Informationen angewiesen sind, die sie von Auslandskorrespondentinnen und Auslandskorrespondenten der deutschen Medien erfahren – ob über den Umweg der Veröffentlichung oder im informellen Austausch. Andere öffentliche Quellen, die bisher zusätzlich herangezogen wurden, nehmen ab.
So wie Bürgerinnen und Bürger sich schlechter eine Meinung über das Geschehen in der Welt machen können, geht es auch Botschafterinnen und Beamten im Auswärtigen Amt, denen über die Medien hinaus nur begrenzt unabhängige Informationen zur Verfügung stehen. Weil im Auswärtigen Amt täglich Entscheidungen über den Umgang mit Situationen in der Welt getroffen werden müssen, ist eine verlässliche und kontinuierliche Auslandsberichterstattung für den Staat schon aus Eigeninteresse dringend förderungswürdig – zumal Deutschland sein globales Engagement ausweiten will und sich etwa als künftiges ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats sieht. Dass Propaganda die Sicherheit ganzer Staaten bedroht, wir uns gar bereits in einem „Krieg gegen die Realität“ befinden, wie der britische Journalist Peter Pomerantsev glaubt (Pomerantsev 2019), ist ein weiterer Grund, die Auslandsberichterstattung zu stärken. „Wenn gesamtgesellschaftliche Gewissheiten erodieren, wenn Menschen sich fragen, wem sie noch trauen können, wenn Staat, Wissenschaft und Leitmedien ihre Informationshoheit verlieren, dann bilden sich soziale Parallelwelten, die neue Machträume eröffnen“, warnen Jaster und Lanius. Als Gegenmittel fordern sie, die in Folge der sozialen Medien totgesagte Gatekeeper-Funktion des Journalismus wieder zu stärken. Denn: „Wer es schafft, Chaos anzurichten, der schwächt damit seinen Gegner. Fake News werden gezielt eingesetzt, um Politik zu machen“ (Jaster; Lanius 2019, S. 8 f.). Interessen der deutschen Exportwirtschaft und der vielen reiselustigen Deutschen sind in dieser Argumentation noch gar nicht berücksichtigt. Zudem gibt es Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund, die auf unabhängige Berichterstattung aus ihrem Heimatland angewiesen sind.
Die Beispiele machen offenkundig, dass der gesamtgesellschaftliche Nutzen einer qualitativ hochwertigen Auslandsberichterstattung vom privatwirtschaftlichen Nutzen abweicht (vgl. Müller/Schröder 2008, S. 104). Um den ersteren sicherzustellen, muss die Kosten-Differenz vom Staat gedeckt werden. Eine Verbesserung der Auslandsberichterstattung aus rein betriebswirtschaftlicher Dynamik heraus zu erwarten, scheint naiv, auch wenn das Interesse an neuen Nachrichtensendungen im primär wirtschaftlich motivierten Privatfernsehen 2021 überraschend boomte (vgl. Menschner 2021, Ufer 2021).Die Form einer Förderung von Auslandsberichterstattung muss die Unabhängigkeit der Berichterstattung gewährleisten und sollte Korrespondentinnen und Korrespondenten vor Ort ebenso unterstützen wie Publikationen, die mehr Raum für Auslandsberichte schaffen. Die genaue Ausgestaltung wäre Sache der Politik, die sicherlich jedoch gut daran täte, alle betroffenen Gruppen – auch Auslandskorrespondentinnen und Auslandskorrespondenten – am politischen Prozess zu beteiligen. Unbezahlbar jedenfalls wäre eine solche Förderung kaum. Vor dem Hintergrund der technischen Realitäten ist Berichterstattung aus dem Ausland sogar womöglich so günstig wie nie zu haben. Wo vor zehn Jahren noch Studios mit Satellitenschüsseln, Telex-Geräte und aufwändige Technik gebraucht wurden, reichen heute selbst für Fernsehberichte ein Laptop und ein Handy aus: Natürlich nicht in allen Berichtsgebieten, aber sicher in denen, die zurzeit besonders unterbelichtet sind.
Gegen die staatliche Förderung der Auslandsberichterstattung lassen sich mindestens die Argumente vorbringen, die gegen staatliche Medienförderung überhaupt ins Feld geführt werden: Drohende Wettbewerbsverzerrung auf dem Medienmarkt (etwa zugunsten großer Medienkonzerne), Gefahr der politischen Beeinflussung auch infolge von intransparenter Mittelvergabe (und damit letztlich das Ende der angestrebten Unabhängigkeit der Medien) oder die wenig effiziente Mittelausnutzung, wenn Geld nach dem Gießkannenprinzip vergeben wird. Es handelt sich dabei sicherlich um Kritikpunkte, die ernst genommen werden und bei der konkreten Ausgestaltung eines Förderinstrumentariums berücksichtigt werden müssen. Aktuelle Debatten über die staatliche Medienförderung, etwa in der Schweiz und auf EU-Ebene, thematisieren diese Fragen jedoch bereits – es sind Fragen, die nicht dem Auslandsjournalismus eigen sind, sondern auf jede Art von staatlicher Medienförderung zutreffen. Das Plädoyer des Autors geht dahin, diese Debatte zu führen und möglichst zielorientierte Lösungen zu finden, dabei aber den Auslandsjournalismus (der aktuell in der Diskussion praktisch keine Rolle spielt) nicht aus den Augen zu verlieren. Dann könnte, durch eine Kombination der vier skizzierten Ansatzpunkte, die Welt in den deutschen Medien zumindest wieder ein wenig sichtbarer werden.“
Siehe auch: https://www.otto-brenner-stiftung.de/
In eigener Sache:
Nach der Veröffentlichung eines Teils der Studie wurde ich von einem Nutzer des Blogs darauf aufmerksam gemacht, dass bei der Analyse, wie aus den Tabellen A 1 und A 2 hervorgeht, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nicht berücksichtigt worden ist. Wenn man bedenkt, dass die FAZ nach eigenen Angaben über das größte Korrespondentennetz der deutschen Zeitungen verfügt und sich jeden Tag Korrespondentenberichte aus aller Welt in allen Teilen der Zeitung finden, ist das eine schwerwiegende Lücke.