„Digitale Plattformen haben einen gesellschaftlichen Wandel eingeläutet“

von am 22.03.2022 in Archiv, Digitale Medien, Gesellschaftspolitik, Journalismus, Medienordnung, Medienpolitik, Medienregulierung, Plattformen und Aggregatoren, Social Media

„Digitale Plattformen haben einen gesellschaftlichen Wandel eingeläutet“
Dr. Christiane Schenderlein, CDU/CSU-Fraktion; Thomas Hacker, FDP-Fraktion

Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung im Bundestag diskutiert

22.03.2022. Der Bundestag hat jetzt den „Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2021“ beraten, der im Juni 2021 noch vor der vorigen Regierung vorgelegt worden ist. Unsere Gesellschaft befinde sich in einem Transformationsprozess, schreibt die Bundesregierung in ihrem Bericht. Die Digitalisierung ermögliche einerseits Vernetzung, Kommunikation und Teilhabe, werde andererseits jedoch zunehmend von einzelnen privaten Plattformakteuren dominiert, die den öffentlichen Kommunikationsraum prägen und gestalten. Dies habe zum einen die Rolle der „klassischen Medien“ als Torwächter für die Informationenauswahl und -aufbereitung zu den Plattformen verschoben, die mittlerweile nicht allein die Infrastruktur für den Informationenaustausch bieten, sondern die Inhalte und Kuratierung dieser maßgeblich mitbestimmen. „Folge dessen ist eine Veränderung der gesamten Informationsarchitektur“, urteilt die Regierung. Die klassischen Medien hätten ihre Rolle als zentrale Informationsfilter und Gatekeeper eingebüßt und damit gleichsam ihre Gestaltungshoheit über den öffentlichen Diskurs verloren. Zum anderen habe der Plattformisierungsprozess zu einer Fragmentierung des öffentlichen Diskurses geführt. Hier die Reden von Dr. Christiane Schenderlein, Sprecherin für Kultur & Medien der CDU/CSU- Fraktion und Thomas Hacker, kultur- und medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.

Dr. Christiane Schenderlein, Sprecherin für Kultur & Medien der CDU/CSU-Fraktion:

Der hier vorliegende Medien- und Kommunikationsbericht der vorhergehenden Bundesregierung erschien im Juni 2021 und damit mitten in der Corona-Pandemie. Folglich flossen bereits erste Erkenntnisse, wie die Pandemie unser Leben außerhalb der Gesundheitsvorsorge verändert hat, in die Bewertung ein. Eine der Haupterkenntnisse ist, dass die Digitalisierung und die damit verbundene Nutzung von digitalen Medien noch einmal einen enormen Schub erhalten haben. Ein ohnehin sich dynamisch entwickelnder Markt hat noch einmal stärkeren Zuwachs erfahren.

Auf diese Entwicklung gilt es in der neuen Wahlperiode zu reagieren. Altbekannte Themen bleiben aktuell: Die Medien- und Meinungsfreiheit, der faire Wettbewerb oder die Vielfalt der Medien müssen weiterhin gesichert werden, und gleichzeitig müssen wir auf neue Phänomene reagieren. Der Bedeutungszuwachs digitaler Plattformen hat die Form, wie und wo sich Menschen heutzutage informieren, revolutioniert und damit einen gesellschaftlichen Wandel eingeläutet, der unsere traditionellen Mediensysteme vor enorme Herausforderungen stellt.

Die Konsequenzen können wir aktuell in Russland und in der Ukraine, aber auch hier in Deutschland sehen. Während wir in unseren Medien täglich schockierende Bilder über den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und die verheerenden Folgen für die ukrainische Zivilbevölkerung sehen, glaubt ein Großteil der russischen Bevölkerung aufgrund gezielter Propaganda immer noch an einen humanitären Befreiungseinsatz gegen ein ukrainisches Naziregime. Das ist bei Weitem kein Einzelfall. Spätestens seit der Präsidentschaft Donald Trumps und seinen damit verbundenen Ausführungen auf Plattformen wie Twitter wissen wir, welche Gefahr auch für Demokratien von diesen Plattformen ausgehen kann. Man denke nur an den Sturm auf das Kapitol in Washington im Januar 2021. Neue Phänomene wie Hassrede und Cybermobbing gehören genauso dazu wie gezielte Desinformationen und mediale Manipulation, die die Rechtspopulisten mittlerweile auch in dieses Hohe Haus getragen haben.

Die Medien- und Meinungsfreiheit, der faire Wettbewerb oder die Vielfalt der Medien müssen weiterhin gesichert werden, und gleichzeitig müssen wir auf neue Phänomene reagieren. (Christiane Schenderlein)

Das alles zeigt, dass wir in den kommenden Jahren eine vertiefte Diskussion anstoßen müssen, ob und wie wir journalistische Standards auf den Onlineplattformen etablieren können.

Die grundsätzliche Frage besteht darin, ob wir die marktdominierenden Plattformen wie Google, Facebook, Twitter, TikTok usw. zu einer Kooperation und Selbstverpflichtung bewegen können oder ob neue Angebote geschaffen werden müssen. Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir jetzt die Grundlagen legen und bei allen politischen Entscheidungen zielorientiert und vernetzt denken.

Bereits bei der nun laufenden Auftrags- und Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen diese Ziele klar formuliert und beachtet werden. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 18. Juli 2018 bestätigt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Werte einer freiheitlichen Demokratie auf Plattformen zum Ausdruck bringen darf, dies aber in der aktuellen Form noch nicht leisten kann. Im Urteil wird erklärt, dass aufgrund der Werbefinanzierung vor allem massenattraktive Angebote auf den Plattformen konsumiert werden. Durch die Nutzung von Algorithmen wird verstärkt, dass Inhalte gezielt auf die Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Manifestierung gleichgerichteter Meinungen führt.

Das alles hat zur Konsequenz, dass viele Menschen aktuell nicht ausreichend zwischen Information, Meinung und Werbung unterscheiden können. Es entfällt derzeit die professionelle Aufarbeitung der Informationen anhand von verantwortungsbewussten journalistischen Standards. Hier besteht akuter Handlungsbedarf, der durch die öffentlich-rechtlichen Medien abgedeckt werden kann. Dies geht aber weit über den aktuellen Medienstaatsvertrag hinaus, weshalb die letzte Bundesregierung an dieser Stelle eine Anpassung des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angeregt hat. Das BKM hat in jedem Fall in den vergangenen Jahren eine sehr gute Arbeit geleistet und immer wieder wegweisende Regulierungen unterstützt, die den Entwicklungen der jeweiligen Zeit gerecht wurden. Das sind die Maßstäbe, an denen wir als Opposition die neue Bundesregierung messen werden.

Das Aufgabenfeld ist klar umrissen, und wir sind bereit, einen konstruktiven Beitrag zu leisten, um 16 Jahre Unionsarbeit nicht verfallen zu lassen.

Thomas Hacker, kultur- und medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion:

Der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung liegt nun schon mehr als ein Jahr vor, und doch greift er auch heute noch aktuelle Themen auf. Der russische Präsident Wladimir Putin führt nicht nur einen völkerrechtswidrigen und abscheulichen Krieg in der Ukraine. Er führt auch einen Krieg gegen die gesamte Welt – einen Krieg gegen unsere Medienordnung, einen Krieg gegen unsere Wertvorstellungen, gegen unsere Freiheit. Den Krieg in der Ukraine führt Putin mit Soldaten, Panzern und Bombern. Den Kampf gegen die Welt führt er mit Texten, Tonaufnahmen und Bildern. Gezielte Falschnachrichten werden immer wieder auf die russische und russischsprachige Bevölkerung losgelassen, überall in der Welt. Putin schafft sich so seine eigene Welt.

Die grausame Realität sieht anders aus. Diese Realität versucht er mit aller Vehemenz zu verbannen und zu verbieten. Waren die Plattformen der sozialen Medien zunächst noch die letzte Bastion offener und freier Informationsmöglichkeiten, so werden diese immer weitereingedämmt. Eine Abschottungswelle rollt über die russische Bevölkerung hinweg und macht aus einem weltoffenen und weltumspannenden Internet ein zentralistisches, politisch kontrolliertes Intranet. Das ist ein unsäglicher Vorgang, der uns allen deutlich vor Augenführt, welche Gefahren von staatlich kontrollierten und missbrauchten Medien ausgehen können. Der russische Präsident hat erkannt und macht uns deutlich, dass Medien nicht nur die Hüter einer freien Welt und demokratischen Grundordnung sind, sondern auch Instrument moderner Kriegsführung sein können. Dagegen vorzugehen, ist unsere Aufgabe in einer freien Welt.

Die sozialen Medien haben uns alle und unser gesellschaftliches Miteinander verändert, im Guten wie im Schlechten. Technik und technischer Fortschritt sind nicht böse oder schlecht. Entscheidend ist, was wir daraus machen, wie wir mit der Macht der ständigen Erreichbarkeit, der fortwährenden Nachrichtenaufnahme umgehen, wie wir die Gier nach Sensation und Aufmerksamkeit nutzen oder benutzen. Die Medienplattformen haben dies durch ihre Algorithmen und Geschäftsmodelle in der Hand: Folge ich dem Kreml oder Coronaleugnern, oder schaue ich mir Katzenvideos, Schminktipps oder Videos an, die zeigen, wie man eine Waffe zusammenbaut? Das Internet bietet jedem alles – mittlerweile 3,6 Milliarden Social-Media-Nutzern –: faktenbasierte Inhalte, aber eben auch Fake News, Propaganda und Hass. Die persönliche Meinungsbildung wird auf eine harte Probe gestellt: Bin ich umfassend informiert? Ist das eine seriöse Quelle? Warumsehe ich jenes Bild oder diese Nachricht? All diese Fragen müssen wir uns stellen.

„Unsere Mediengesetze sind gefangen im Nirwana zwischen Ländern, Bund und Europa.“

Doch die zivilgesellschaftliche Resilienz ist nicht so hoch, wie wir es uns wünschen. Ohne Gegenmaßnahmen werden sich Fake News, Propaganda und Falschinformationen gegen faktenbasierte Inhalte langfristig durchsetzen. Laut einer Studie der Stiftung Neue Verantwortung können lediglich 43 Prozent der Nutzer sozialer Medien Desinformation von Information unterscheiden. Hier müssen wir ansetzen, und hier werden wir als Ampelfraktionen auch ansetzen. Unsere Mediengesetze sind gefangen im Nirwana zwischen Ländern, Bund und Europa. Dies führt zu Überschneidungen, Unklarheiten und Rechtsunsicherheiten. Hier werden wir mit einer Bund-Länder-AG die Mediengesetzgebung voranbringen.

Die vorgebrachte Idee einer kooperativen europäischen Medienplattform ist nicht neu, doch was kann sie leisten? Die Verknüpfung von Fernsehen, Radio- und Printangeboten schafft eine größere Sichtbarkeit im Netz und kann zu mehr Informations- und Rechtssicherheit beitragen. Sie verkürzt als „europäisches Facebook“ darzustellen, wird ihrer eigentlichen Rolle und Bedeutung nicht gerecht. Es geht gerade nicht darum, privaten Anbietern staatliche oder europäische Gegenmodelle aufzuzwingen, sondern darum, europäisches Know-how vor Ort und mediale Vielfalt zu fördern. Eine gemeinsame Plattform kann das europäische Wir-Gefühl stärken, Vorurteile abbauen und Grenzen im Herzen und im Kopfeinreißen. Es geht darum, Pluralismus im Netz zu begünstigen, Öffentlich-Rechtliche und Private einzubinden, Transparenz zu fördern und westliche Grundwerte, die unser Leben prägen, auch im Netz aktiv zu leben und zu vertreten.

Die Bedeutung der sozialen Medien für die öffentliche Meinungsbildung ist immens, doch werden die angezeigten Inhalte allein von Algorithmen bestimmt, die ausschließlich den wirtschaftlichen Eigeninteressen der Unternehmen dienen. Sie richten sich nicht nach Wahrheitsgehalt und Richtigkeit der Inhalte, sondern verstärken Echokammern und Filterblasen. Damit kommen die sozialen Medien dem Auftrag unseres Grundgesetzes nicht nach. Klassische Medien wie Zeitungen und Zeitschriften, aber auch die sozialen Netzwerke sind unverzichtbarer Teil der öffentlichen Meinungsbildung. Ihr Auftrag ist es, konstruktiv zu unserer Demokratie beizutragen. Deshalb müssen wir Wege finden, den digitalen Raum sicher zu gestalten und vor Missbrauch zu schützen. Dies schafft Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt und stärkt damit unsere Gesellschaft.

Print article