Investitionsverpflichtungen für den Erhalt der deutschen Filmwirtschaft?

von am 17.03.2022 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Filmwirtschaft, Kreativwirtschaft, Kulturpolitik, Medienrecht, Medienwirtschaft, Plattformen und Aggregatoren, Studie

Investitionsverpflichtungen für den Erhalt der deutschen Filmwirtschaft?

Studie der FFA weist Verwerfungen im Markt durch globale VoD-Plattformen nach

17.03.2022. Die FFA hat durch ein unabhängiges Gutachten untersuchen lassen, welche Veränderungen der deutschen Produktionslandschaft durch nationale und internationale VoD-Anbieter entstanden sind und ob die Einführung einer Investitionsverpflichtung auch in Deutschland möglich und sinnvoll wäre. Hierfür hat sich Goldmedia GmbH Strategy Consulting als Gutachterin ausgesprochen. Nachdem die EU-Richtlinie über Audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) vom November 2018 den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit gibt, nationale und internationale Video-on-Demand-Anbieter zu Investitionen in unabhängige nationale oder europäische Produktionen zu verpflichten, haben zahlreiche europäische Staaten so eine Investitionsverpflichtung bereits umgesetzt oder bereiten dies vor. Die Studie kommt zu dem Schluss, „dass eine Investitionsverpflichtung für Video-on-Demand-Anbieter in Deutschland auf Basis der europäischen AVMD-Richtlinie ein geeignetes und angemessenes Instrument darstellt, um die Unabhängigkeit und Vielfalt der Produktionslandschaft in Deutschland – ebenso wie die gesamte Film- und Kinowirtschaft – vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung der Video-on-Demand-Anbieter zu schützen und zu fördern“. Durch die wachsende Marktmacht globaler VoD-Plattformen komme es zu erhebliche Verwerfungen in den Produktions- und Vertriebsstrukturen der deutschen Filmwirtschaft, so die Studie.

Zusammenfassung und Fazit des Gutachtens

„Durch die verschiedenen Schritte des Gutachtens, gestützt auf fundierte Analysen, zahlreiche Expertengespräche und belastbare ökonomische Modellierungen und Prognosen, konnte ein konsistentes Bild entwickelt werden, ob und wie eine Investitionsverpflichtung in Deutschland sinnvoll umsetzbar ist und mit welchen Effekten auf den deutschen Filmmarkt insgesamt sowie auf die Produktionslandschaft und Plattformen zu rechnen ist.

Die AVMD-Richtlinie ist ein europaweiter Rechtsrahmen, der es den einzelnen EU-Mitgliedstaaten ermöglicht, nationale und internationale Mediendienste-Anbieter zu einem finanziellen Beitrag zur Produktion europäischer Werke zu verpflichten. Eine Reihe von EU-Staaten (bspw. Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Belgien, Tschechische Republik, Slowenien) haben bereits von dieser Regelung Gebrauch gemacht, in anderen Ländern ist sie in Planung bzw. Diskussion. Die Möglichkeit einer Investitionsverpflichtung in audiovisuelle Produktionen in Deutschland auf Basis der AVMD-Richtlinie stellt den rechtlichen Hintergrund dieses Gutachtens dar.

Die Bestandsaufnahme zeigt, dass die Plattformökonomie bzw. die wachsende Marktdominanz internationaler VOD-Anbieter erhebliche und nachhaltige Auswirkungen auf die deutsche Produktionswirtschaft hat. Einer positiven Entwicklung der Auftragslage bei seriellen Produktionen steht dabei ein erhöhter Wettbewerbsdruck gegenüber. Dieser führt zu einem Fachkräftemangel ebenso wie zu neuen Chancen für Nachwuchskräfte. Es entstehen vielfältigere Genre-Produktionen für eine globale Verwertung, die jedoch die kulturelle Vielfalt europäischer und lokaler Inhalte oft kaum repräsentieren. Die mangelnde Beteiligung an Lizenzrechten bei VOD-Auftragsproduktionen bewirkt zudem einen Verlust finanzieller bzw. kreativer Unabhängigkeit der Produzenten.

Zusätzlicher Druck entsteht durch verstärkte Konzentrations- und vertikale Integrationsbewegungen, die besonders kleinere Produzenten und Filmverleihe unter Druck setzen und etablierte Auswertungsketten seit der Corona-Pandemie stark verändern. Für die Kinowirtschaft bedeutet dies einen weiteren Unsicherheitsfaktor neben dem stark eingeschränkten Spielbetrieb und entsprechend niedrigen Umsätzen aus Ticketverkäufen. Zugleich ist die Finanzierung deutscher Kinofilme gefährdet, da TV-Sender ihre Budgets für Kino-Ko-Produktionen stark reduzieren. Grund ist ein strategischer Fokus auf hochwertige Serienproduktionen, um die eigenen VOD-Plattformen gegenüber internationalen Anbietern zu stärken.

Diese Entwicklungen weiten den Einflussbereich der VOD-Plattformen gegenüber den lokalen Produzenten zunehmend aus. Zugleich sind die Plattformen in etablierten Strukturen der Filmindustrie und -förderung bislang nur geringfügig eingebunden. Das stellt die unabhängige Produktionslandschaft ebenso wie die Film- und Kinowirtschaft insgesamt vor große kreative und ökonomische Herausforderungen. Die kulturelle Vielfalt der produzierten Inhalte steht daher unter Druck.

„Ein Verzicht auf die Umsetzung der Investitionsverpflichtung lässt die bestehenden marktlichen Asymmetrien ungehindert fortlaufen.“

Die Bedarfsanalyse zur Notwendigkeit einer Investitionsverpflichtung zeigt, dass die Positionen der Marktakteure bei der Beurteilung einer strukturellen wettbewerblichen Asymmetrie zugunsten der VOD-Anbieter – und damit der Grundlage für regulatorische Eingriffe – stark divergieren. Nationale und internationale TV- bzw. VOD-Anbieter bestreiten die Notwendigkeit einer Verpflichtung und betonen die Risiken durch die zusätzliche Verknappung und Verteuerung von Fachkräften und Produktionskapazitäten. Kinobetriebe und Verleihe fordern, bei einer möglichen Investitionsverpflichtung nicht nur Produzenten, sondern auch die Kinowirtschaft zu schützen und zu fördern. Produzenten und kreativ Tätige fordern eine Verpflichtung mit Verweis auf die Gefährdung ihrer Unabhängigkeit, den Verlust kultureller und kreativer Vielfalt und die mangelnde Einbindung internationaler Anbieter in lokale Strukturen. Die Abwägung verschiedener regulatorischer Bedarfsperspektiven zeigt das Bestehen marktlicher Asymmetrien zum Nachteil der lokalen Film- und Produktionswirtschaft auf. Um das bestehende filmische Ökosystem in Deutschland zu bewahren, sind demnach steuernde Maßnahmen grundsätzlich zu empfehlen. Eine Investitionsverpflichtung hat gegenüber anderen Instrumenten – bspw. Branchenvereinbarungen, Förderrichtlinien oder Anreizsystemen – den Vorteil, dass sie sich im allgemeinen europäischen Rechtsrahmen bewegt und damit zur Harmonisierung der Filmförderungssituation in der EU beiträgt.

Im Rahmen dieses Gutachtens wurden zwei Modellrechnungen durchgeführt, um den Bedarf sowie die zu erwartenden Auswirkungen einer Investitionsverpflichtung zu prüfen. In diesen Modellrechnungen konnte deutlich gezeigt werden, dass:

1) das Investitionsniveau internationaler VOD-Anbieter im Vergleich zur umsatzbezogenen Bedeutung des deutschen Marktes bisher gering ist und

2) eine Investitionsverpflichtung zwar zu einer spürbaren Erhöhung der Produktionsausgaben internationaler VOD-Anbieter führen kann, jedoch in Relation zum Gesamtniveau der Investitionen in audiovisuelle Produktionen (VOD, TV, Kino) in Deutschland nur moderate Zuwächse zu erwarten sind.

„Um das bestehende filmische Ökosystem in Deutschland zu bewahren, sind steuernde Maßnahmen grundsätzlich zu empfehlen.“

Die Auswirkungen einer möglichen Investitionsverpflichtung sind dabei von verschiedenen Handlungsoptionen abhängig: Ein Verzicht auf die Umsetzung der Investitionsverpflichtung lässt die bestehenden marktlichen Asymmetrien ungehindert fortlaufen. Eine rein monetäre Investitionsverpflichtung ohne Lenkungswirkung würde die Marktentwicklung wie im ersten Falle weiter beschleunigen. Eine konkrete inhaltliche Ausgestaltung einer Verpflichtung ermöglicht hingegen eine Lenkungswirkung, damit Investitionen gezielt der unabhängigen europäischen und deutschen Produktionslandschaft zufließen können.

Der Überblick zur Situation in Europa zeigt, dass zahlreiche europäische Staaten eine Investitionsverpflichtung bereits umgesetzt haben oder eine Umsetzung – auch zusätzlich zu bereits bestehenden Abgaben – vorbereiten. Neben S-VOD-Anbietern sind teilweise auch A-VOD- und EST-/T-VOD-Anbieterberücksichtigt. Dies ist deshalb interessant, weil der A-VOD-Markt für Film- und Serienproduktionen zunehmend relevant wird und deutliche Umsatzsteigerungen zu beobachten sind. Die Verpflichtungen sind in allen Ländern so ausgestaltet, dass mindestens ein überwiegender Anteil der Investitionen an unabhängige europäische und nationale Produzenten bzw. Produktionen fließt. Dabei kommen vielfältige ergänzende Steuerungsinstrumente zum Einsatz, die bspw. Rechteverteilungen, die Möglichkeit von Lizenzinvestitionen oder die Nachwuchsförderung mit einbeziehen. Den Marktteilnehmern werden oftmals Möglichkeiten der schrittweisen bzw. flexiblen Einführung und Anpassung gegeben. Vor dem Hintergrund der EU-weiten Entwicklungen würde der Verzicht auf eine Investitionsverpflichtung die deutsche Produktionslandschaft im internationalen Wettbewerb mittelfristig schwächen.

Dieses Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass eine Investitionsverpflichtung für Video-on-Demand-Anbieter in Deutschland auf Basis der europäischen AVMD-Richtlinie ein geeignetes und angemessenes Instrument darstellt, um die Unabhängigkeit und Vielfalt der Produktionslandschaft in Deutschland – ebenso wie die gesamte Film- und Kinowirtschaft – vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung der Video-on-Demand-Anbieter zu schützen und zu fördern. Die Wirksamkeit und Steuerungsfunktion eines solchen Instruments unterliegt den Beschlüssen der Politik zur konkreten Ausgestaltung einer Investitionsverpflichtung. Die AVMD-Richtlinie bietet dafür zahlreiche Gestaltungsoptionen.“

https://www.ffa.de/aid=1394.html?newsdetail=20220311-1351_ffa-verwaltungsrat-konstituiert-bernd-neumann-als-praesident-wiedergewaehlt-plattformstudie-befuerwortet-investitionsverpflichtung

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