„Natürlich hat der europäische Film eine Chance“

von am 31.08.2022 in Aktuelle Top Themen, Filmwirtschaft, Kreativwirtschaft, Medienförderung, Medienwirtschaft

„Natürlich hat der europäische Film eine Chance“
Sonja Heinen, Geschäftsführerin European Film Promotion e.V. (EFP

Asien und Nordamerika kaufen am meisten europäische Filme ein

31.08.2022. Interview mit Sonja Heinen, Geschäftsführerin European Film Promotion e.V. (EFP)

European Film Promotion e.V. (EFP), ein europäisches Netzwerk zur Förderung und Promotion europäischer Filme und Talente, existiert seit 25 Jahren. Unter dem EFP-Label beteiligen sich die Mitglieder an ganz unterschiedlichen Initiativen, die den europäischen Film und seine Vielfalt weltweit bewerben und die europäische Filmindustrie auf den wichtigsten Filmfestivals und Filmmärkten weltweit international vernetzen. Zusammen mit seinen 38 Mitgliedern aus 37 Ländern entwickelt der Verein mit Sitz in Hamburg Programme und Initiativen, um den europäischen Film, seine Vielfalt und seine Filmschaffenden weltweit zu promoten und der europäischen Filmindustrie auf den wichtigsten Filmfestivals und Filmmärkten Sichtbarkeit zu verleihen und sie international zu vernetzen. Mitglieder des Netzwerkes sind Filminstitute und Promotion-Agenturen aus Ländern der Europäischen Gemeinschaft sowie aus Ländern, die Mitglieder des Europarates sind oder sich geografisch innerhalb der vom Europarat definierten Außengrenzen befinden. Das Interesse am europäischen Film, besonders am Arthouse-Film, sei recht groß. Der europäische Arthouse-Film stehe für seine Tiefe und seine Vielfalt – für einen bestimmten „spirit“. Deshalb ist der Slogan, mit dem europäische Kino beworben werde, auch „EUROPE! films. talent. spirit.“, sagt Sonja Heinen, Geschäftsführerin European Film Promotion e.V. gegenüber medienpolitik.net.

medienpolitik.net: Frau Heinen, das Netzwerk European Film Promotion existiert seit 25 Jahren. Was würde dem europäischen Film fehlen, wenn es das Netzwerk nicht gäbe?

Heinze: Sichtbarkeit (besonders außerhalb Europas) und internationale Vernetzung würden fehlen.

Unser Job ist es, europäische Filme insbesondere außerhalb Europas sichtbar zu machen und ihnen und ihren Verkäufern oder den Filmemachern dabei zu helfen, entdeckt, gekauft und dann in die internationalen Kinos gebracht zu werden. Zu unseren bekanntesten Aktivitäten zählen die European Shooting Stars, ein Promotionsprogramm für zehn ausgewählte europäische Nachwuchsschauspielerinnen und -schauspieler, die jährlich im Rahmen der Berlinale der internationalen Presse und Filmindustrie vorgestellt werden sowie die Initiative Producers on the Move zur internationalen Vernetzung und Promotion von 20 ausgewählten, aufstrebenden europäischen Produzentinnen und Produzenten beim Filmfestival in Cannes.  Weitere Programme stellen Filme von Nachwuchsregisseurinnen und -regisseuren in den Mittelpunkt (Future Frames, Internationales Filmfestival Karlovy Vary), konzentrieren sich auf die Regiearbeiten von Frauen (Europe! Voices of Women in Film, Sydney Film Festival) oder sind auf den Dokumentarfilm spezialisiert (The Changing Face of Europe, HotDocs Festival Toronto). Mit unseren EUROPE! Umbrellas (das sind Gemeinschaftsstände bei internationalen Filmfestivals und -märkten) und dem Förderprogramm Film Sales Support bieten wir Service und Unterstützung dabei an, um die Sichtbarkeit des europäischen Films weltweit zu stärken und europäischen Filmen und deren Verkäufern und Machern besseren Zugang zu Festivals und Filmmärkten außerhalb Europas zu ermöglichen.

Heinze: Ein Film von einem in Europa ansässigen Regisseur, der schwerpunktmäßig von europäischen Partnern hergestellt wurde.

medienpolitik.net: Warum wurde das Netzwerk gegründet?

Heinze: In jedem europäischen Land gibt es nationale Filminstitute oder Promotionsagenturen, die dafür zuständig sind, die Filme des eigenen Landes zu bewerben und sie beim Export zu unterstützen. Als EFP 1997 von 10 europäischen Mitgliedsorganisationen gegründet wurde, war der Gedanke, dass man als vereintes Europa eine stärkere internationale Power hat als viele einzelne kleine Länder. Inzwischen hat EFP 37 Mitgliedsländer.

medienpolitik.net: Es existiert German Films und auch die anderen Länder haben Institutionen, wie Sie gerade sagten, die den nationalen Filmexport unterstützen. Wozu muss es das Netzwerk European Film Promotion geben?

Heinze: Jede nationale Institution macht einen guten Job, aber die jeweiligen Aufgaben sind sehr vielschichtig und unterschiedlich. Manche machen mehr innerhalb Europas, und sie müssen sich stärker um ihre eigenen nationalen Branche kümmern. EFP hingegen ist eher international spezialisiert, das heißt wir helfen den nationalen Institutionen dabei, auch über die europäischen Grenzen hinaus effizient arbeiten zu können, indem wir zielgerecht zugeschnittene Promotion- und Networking-Programme bei internationalen Filmfestivals und -märkten durchführen, bei denen unsere Mitglieder dann gute und nachhaltige internationale Kontakte knüpfen können. Wir sind sozusagen die international bekannte Anlaufstelle, Kontaktmacher und Türöffner für und zur europäischen Filmindustrie.

„Europäisches Kino steht für eine Qualität, es ist kreativ, vielfältig, tiefgründig und handwerklich top.“

medienpolitik.net: Was sind gegenwärtig die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Heinze: Während der Hochzeiten der Pandemie haben wir unsere Programme ausschließlich online durchgeführt. Dafür mussten wir uns für jedes Programm etwas Neues ausdenken, denn wir arbeiten mit sehr unterschiedlichen Festivals/Filmmärkten als Plattformen sind in sehr unterschiedlichen Ländern (Kanada, USA, Südkorea, China, Australien, Lateinamerika, arabische Länder). Uns war es wichtig, dass wir alles tun, damit das europäische Kino auch außerhalb unseres Kontinents weiter sichtbar bleibt. Das hat auch online ganz gut geklappt. Gegenwärtig denken wir uns fast tagesaktuell neue Ansätze für unsere Programme aus. Alles ist im Umbruch. Die meisten aus der Filmindustrie wollen wieder reisen, aber zwei Jahre Corona haben auch gezeigt, dass man es gar nicht immer muss. Und wir versuchen, allein schon wegen der Umwelt, die Reisen deutlich zu reduzieren. Deshalb stellen wir alles auf hybrid um.

medienpolitik.net: Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?

Heinze: Wir bieten in einem Jahr 12 Programme an, die ausgewählte europäische Filme und/oder ausgewählte europäische Filmemacher, Schauspieler, Produzent, Weltvertriebe bei den wichtigsten internationalen Filmfestivals und Märkten in den Mittelpunkt stellen. Normalerweise könnte man ja denken, dass es schon toll genug ist, wenn ein Film für ein Festival ausgewählt wird, und das ist natürlich auch fantastisch. Aber es gibt oft 200 bis 400 Filme, die auf einem Festival laufen, und wir wollen ja dabei helfen, dass die Presse über „unsere“ Filme schreibt, bzw. die internationalen Verleiher „unsere“ Filme kaufen, um sie in ihren Ländern in die Kinos zu bringen. Jedes dieser Programme findet bei einem anderen Festival und/oder Markt in einem anderen Land statt. Unsere Arbeit besteht darin, die bereits bestehenden Programme fortlaufend zu evaluieren und zu schauen, ob sie noch ihre Ziele erreichen, sie gegebenenfalls zu verändern oder durch neue zu ersetzen. Wir haben in den letzten Jahren viel dazu gelernt, besonders auch zum Thema Online Promotion und Social Media. In der Corona-Zeit haben wir neue Formate entwickelt und dadurch viele potenzielle Einkäufer für unsere europäischen Filme besser kennengelernt (online natürlich). Dadurch sind gute Bindungen entstanden, und wir haben viel Know-how dazu gewonnen, wer wo was kauft. Daraus können wir Ideen für unsere Promo-Programme entwickeln, und das tun wir ständig. Ein großer Teil unserer Arbeit ist auch, Gelder für unsere Programme zu akquirieren. Das ist nicht so einfach. Creative Europe, das MEDIA-Programm der europäischen Union, ist ein maßgeblicher Finanzier, aber auch das deutsche BKM und die MOIN Filmförderung HH-SH sind wichtige Partner, ohne die wir nicht weitermachen könnten. Dafür müssen immer wieder neue Förderanträge gestellt und Berichte geschrieben werden. Dann treffen wir vier bis sechs Mal im Jahr mit unseren sieben Vorstandsmitgliedern und zweimal im Jahr (jeweils online oder persönlich) mit allen 37 Mitgliedsländern, um zu evaluieren, uns auszutauschen und neue Ideen zu entwickeln.

medienpolitik.net: Wer entscheidet darüber, welche europäischen Filme promotet werden?

Heinze: Bei den meisten unserer Programme funktioniert das sehr demokratisch. Unsere Mitgliedsorganisationen sind ja die „nationalen Spezialisten“, und die können jeweils einen Film für ein Programm nominieren. Aus den Nominierungen wird dann meistens nochmal eine Auswahl getroffen werden. Die wird dann von dem jeweiligen Festival, mit dem wir zusammenarbeiten, vorgenommen, denn die wissen ja am besten, welche Filme am besten zu ihrem Publikum passen.

„Die amerikanischen Filme, die weltweit in die Kinos kommen, sind auch nur einige wenige, denn auch in den USA werden unzählige Filme produziert, die nie in anderen Ländern zu sehen sein werden.“

medienpolitik.net: Wie groß ist außerhalb Europas das Interesse am europäischen Film? In welcher Region vor allem?

Heinze: Das Interesse am europäischen Film, besonders am Arthouse-Film, ist schon recht groß. Der europäische Arthouse-Film steht für seine Tiefe und seine Vielfalt – für einen bestimmten „spirit“. Deshalb ist unser Slogan, mit dem wir überall auf der Welt das europäische Kino bewerben, auch „EUROPE! films. talent. spirit.“ Wir haben wahnsinnig talentierte Filmemacher in Europa und sehr professionelle Filmschaffende in allen Gewerken. Europäisches Kino steht für eine Qualität, es ist kreativ, vielfältig, tiefgründig und handwerklich top. Asien und Nordamerika kaufen am meisten europäische Filme ein, aber Lateinamerika war auch immer ein wahnsinnig wichtiger Markt für uns. Der ist durch die Pandemie stärker eingebrochen als andere, aber rappelt sich hoffentlich auch langsam wieder auf.

medienpolitik.net: Welche Genres interessieren vor allem?
Heinze: Ganz salopp könnte man sagen: Asien liebt Genre-Filme, die Nordamerikaner Drama und die Lateinamerikaner Komödien. Generell wird Drama aber auch immer wieder gekauft von allen, die sich für Filme mit Erfolgen bei den größeren Filmfestivals interessieren. Die haben dann durch etwaige Festivalauszeichnungen und -preise schon eine Art Qualitätsstempel.

medienpolitik.net: In den vergangenen Jahren sind zahlreiche neue Festivals entstanden. Hat davon der europäische Film profitiert?

Heinze: Das kann man so nicht unbedingt sagen. Davon hätte dann auch nicht nur der europäische Film profitiert, sondern alle, denn die Festivalmacher blicken natürlich auch gerne mal über die Grenzen ihrer eigenen Kontinente hinaus.

medienpolitik.net: Hat der europäische Film eine Chance gegen die Übermacht US-amerikanischer Filme?

Heinze: Natürlich hat der europäische Film eine Chance, und ich sehe gar nicht so die Übermacht von US-amerikanischen Filmen, weil der Vergleich irgendwie hinkt. Die amerikanischen Filme, die weltweit in die Kinos kommen, sind auch nur einige wenige, denn auch in den USA werden unzählige Filme produziert, die nie in anderen Ländern zu sehen sein werden. Meines Erachtens sprechen wir aber auch von zwei unterschiedlichen Filmkulturen. Wenn wir die amerikanischen Filme betrachten, die bei uns „übermächtig“ sind, dann sind das oft solche, die ganz konkret dazu gemacht werden, viele Zuschauer zu erreichen, die Lust auf Entertainment haben. Das Autorenkino, das die europäische Filmkultur geprägt hat, ist etwas ganz Anderes. Hier werden oft einzigartige, ganz filigrane Geschichten, mit viel Tiefgang, zu wichtigen und interessanten Themen aus verschiedenen, oft neuen Perspektiven erzählt, und die richten sich vielleicht mehr an ein Publikum, das Lust hat, Neues zu entdecken und zu experimentieren. Diese beiden Arten von Filmen kann man nicht vergleichen. National gesehen gibt es in jedem europäischen Land eigene produzierte Blockbuster-Filme, die beim jeweils heimischen Publikum Millionen Zuschauer erreichen (wie z.B. „Willkommen bei den Hartmanns“). Die verkaufen sich auch international, aber laufen außerhalb des Heimatlandes nicht so gut wie die amerikanischen Filme in europäischen Ländern. Insgesamt muss man aber auch sagen, dass die großen amerikanischen Filme wesentlich mehr kosten als die großen europäischen Filme. Hinzu kommt, dass die Amerikaner dann nochmal ein Vielfaches der Produktionskosten in das Marketing der Filme stecken. In Europa wird einfach fast alles verfügbare Geld in die Produktion gesteckt.

medienpolitik.net: Wer finanziert das Netzwerk European Film Promotion?

Heinze: Unsere 37 Mitgliedsinstitutionen zahlen jährlich einen Mitgliedsbeitrag. Dazu bekommen wir dankenswerterweise Unterstützung von Seiten der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, von der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein und der Hamburger Behörde für Kultur und Medien. Die Programme, die wir machen, werden zu einem großen Anteil von Creative Europe, dem MEDIA-Programm der Europäischen Union finanziert. Jedes unserer Mitglieder, dessen Film oder Talent für ein Programm ausgewählt wird, beteiligt sich dann (über den jährlichen Mitgliedsbetrag hinaus) noch an dem Programm. Darüber hinaus suchen wir immer auch nach weiteren Partnern: Manchmal kommen noch Filmförderungen an Bord, manchmal aber auch Postproduktionshäuser, Film Commissions und private Sponsoren. Unsere Partnerfestivals beteiligen sich meistens mit der Übernahme der Kosten für Hotel sowie Auslagen vor Ort.  

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