Die Reißleine gezogen

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Die Reißleine gezogen
Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

Bemerkenswerter Beschluss der Rundfunkkommission: Länder zwingen die Anstalten zu Reformen

26.09.2022. Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

Die Rundfunkkommission der Länder fordert von allen Anstalten „finanzwirksame Selbstverpflichtungserklärungen“ sowie eine Überprüfung ihrer internen Aufsichts- und Compliance-Strukturen. Über die Prüfergebnisse und die beabsichtigten Maßnahmen wollen die Länder informiert werden. Die Länder beabsichtigen zudem „Anpassungen der gesetzlichen Bestimmungen“ zu prüfen, damit für den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk einheitliche, hohe Standards bei Transparenz- und Compliance-Fragen gelten. Außerdem wollen sie die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine angemessene Ausstattung der Gremienbüros checken. Es ist durchaus bemerkenswert, zu welchen Schritten sich die Rundfunkkommission in ihrer jüngsten Sitzung am 22. Oktober durchgerungen hat. Der aus sechs Punkten bestehende, einheitliche Beschluss, geht an Konkretheit über das hinaus, was man in den vergangenen Monaten aus den Staatskanzleien gehört hat.

„Man kann die Reichweite und Tiefe dieser Krise kaum überschätzen, denn es sind schwerwiegende Vorwürfe, die derzeit gegen Teile des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhoben werden. Das ist vor dem Hintergrund seiner Finanzierung durch Pflichtbeiträge hochsensibel. Die bekanntgewordenen Missstände sind weder rechtlich, noch politisch, noch ethisch zu akzeptieren. Der Kollateralschaden für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt ist immens“, hatte Nathanael Liminski (CDU), Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes NRW der FAZ am 20. September gesagt. Aus diesen Bemerkungen und denen mehrerer Staatskanzleichefs, wird klar, dass die Länder über den Umfang der Krise und die katastrophalen Auswirkungen auf seine Akzeptanz in der Gesellschaft beunruhigt sind. Zudem hatten sie anfangs gehofft, dass die ARD ihren Problemen schnell zu Leibe rücken wird. Doch die Spitzen der ARD-Anstalten verharrten überwiegend im Schweigemodus, gaben sich betroffen oder übten sich in Optimismus, wie der künftige ARD-Vorsitzende Kai Gniffke, Intendant des SWR. In den letzten Tagen wurden die Abgeordneten in den Landesparlamenten über den Entwurf des Medienstaatsvertrages unterrichtet. Bei einer solchen Sitzung des Medienausschusses in Sachsen-Anhalt gab es viele kritische Fragen zu den Schlussfolgerungen aus den ARD-Affären sowie über die Verwendung der Rundfunkbeiträge und das Programm. Dazu stellte Markus Kurze, medienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt fest, dass die Abgeordneten natürlich kritisierten, dass sich bei den Anstalten innerhalb von zwei Jahren, wo sie sich an gleicher Stelle mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk befasst hätten, scheinbar kaum etwas geändert habe. Nach wie vor würden in der ARD die Stimmen dominieren, die vom Einzelfall RBB sprechen.

Jetzt sei die Stunde der Intendanten, sagte der NRW-Medienminister. Es brauche noch in diesem Jahr eine klare Antwort auf die Krise. Ein solches Reformpapier dürfe nicht nur den Handlungsbedarf adressieren, sondern müsse auch konkrete Vorschläge machen, wie die Probleme gelöst werden könnten. Das ist die Führung, die man erwarten darf. Doch die Intendanten und Intendantinnen haben diese „Stunde“ weitgehend ungenutzt verstreichen lassen. Mit dem aktuellen Beschluss hat die Medienkommission die Reißleine gezogen, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor sich selbst zu beschützen.

„Jetzt sei die Stunde der Intendanten, sagte der NRW-Medienminister. Es brauche noch in diesem Jahr eine klare Antwort auf die Krise.“

Ende Juni hatte „Business Insider“ erstmals über Vorwürfe gegen die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger und die Leitung berichtet. Immer mehr Details tauchten auf, immer lauter wurde die Kritik: Die Causa Schlesinger hat sich zu einem Skandal entwickelt, der inzwischen den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk erfasst hat. Anfangs versuchten sowohl die Spitzen der ARD als auch Medienpolitiker die Vorfälle im RBB als „persönliches Fehlverhalten“ hinzustellen. Doch bekanntgewordene Verfehlungen in anderen ARD-Anstalten zeigen, zu viel liegt anscheinend bei der Kontrolle und der Verwendung der Beitragsmittel im öffentlich-rechtlichen Rundfunk generell im Argen: Dazu gehören die mangelhaften Maßstäbe und Richtlinien für Intendantenbezüge, die unzureichenden Festlegungen für Repräsentationsausgaben, die zu allgemeinen Regelungen für die Vermeidung von Interessenskonflikten oder auch die Ausstattung der ARD-Gremien. Zu einer Zeit, als die Öffentlichkeit erste konkrete Schlussfolgerungen der ARD-Intendantinnen und Intendanten erwartete, hatte die ARD am 20. August die Flucht nach vorn angetreten und der RBB-Führung das Vertrauen entzogen. Erst nach dem Bekanntwerden der Vorfälle beim Rundfunk Berlin-Brandenburg und dem Rücktritt von Patricia Schlesinger hat sich die juristische Kommission der ARD mit der Frage befasst, ob es in allen Anstalten einen Compliance-Beauftragten gibt. „Der MDR tauscht sich gerade aktuell intensiv mit den anderen ARD-Anstalten über seine Erfahrungen in der frühzeitigen, konsequenten Etablierung seines Compliance-Managementsystems aus“, sagte dazu der juristische Direktor des MDR, Jens Ole Schröder der FAZ am 1. September.

Bis heute, drei Monate nach Bekanntwerden der Missstände beim RBB und der offenbar gewordenen Verschwendung von Beitragsgeldern und unzureichender Kontrolle, existiert noch immer kein ARD-Papier, in dem abrechenbare, kontrollierbare Änderungen aufgelistet wären. Einer der Kernpunkte der Debatte ist die Höhe des Rundfunkbeitrages und seine Verwendung im Sinne des Auftrages. Das ist ein Bereich, indem für die Medienpolitik nur geringe Einflussmöglichkeiten bestehen. Maximal könnten in den Rundfunkgesetzen der Länder, langfristig, die Spitzengehälter an den öffentlichen Dienst gekoppelt werden. In dem bereits erwähnten Interview sagte Liminski dazu, er halte eine grundsätzliche Orientierung von Verträgen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk an Regelwerken im öffentlichen Dienst für sinnvoll und machbar. Das habe auch die KEF mehrfach angeregt. Jedoch würde ein Alleingang eines Landes in dieser Frage eine Verzerrung des Wettbewerbs innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darstellen. Die Länder müssten, wenn sie eine solche Regelung rechtlich für vertretbar hielten, diese für alle öffentlich-rechtlichen Sender gleichermaßen beschließen.

Solche „finanzwirksamen Selbstverpflichtungserklärungen“ könnten natürlich auch eine Reduzierung der Spitzengehälter und eine Beschränkung bei der Bedarfsanmeldung für die Beitragsperiode ab 2025 enthalten. Selbstverständlich müssen die Länder, von engen Ausnahmen abgesehen, der Beitragsempfehlung der KEF folgen, aber die Bedarfsanmeldung ist die Basis für Berechnung des Rundfunkbeitrages. Laut Verfassungsgericht muss der Beitrag „bedarfsgerecht“ sein. Wenn die Anstalten durch ein kluges Kostenmanagement, einen Ausbau der Digitalangebote mit Selbstbeschränkung und durch Kooperationen und sparsame Verwaltungsausgaben keinen Mehrbedarf anmelden, muss auch die KEF, trotz Inflation und höherer Energiekosten, keine Beitragserhöhung vorsehen. Zudem hat die KEF in den Berichten der vergangenen Jahre so viele Vorschläge für Einsparungen unterbreitet, dass sie eigentlich neue Bedarfsanmeldungen erst wieder annehmen dürfte, wenn ihre Empfehlungen umgesetzt sind.

Heike Raab (SPD), Medienstaatsekretärin in Rheinland-Pfalz hatte in einem FAZ-Interview am 17. August noch gesagt, dass berechtigte Kritik an Vorfällen in RBB von pauschalen Anschuldigungen unterschieden werden müssten. Inzwischen ist die Rundfunkkommission von immer neuen Missständen auch in anderen ARD-Anstalten überrollt worden. Der vorliegende Entwurf des Medienstaatsvertrages wird wohl nicht mehr verändert. Aber in der zweiten Stufe der Auftrags- und Strukturreform wollen sich die Länder mit der künftigen Finanzierung befassen und dann möglicherweise auch bei den Festlegungen zu den Ausgaben nachjustieren. „Die Reform muss zügig angepackt und umgesetzt werden. Wir benötigen für den nächsten Änderungsstaatsvertrag ein deutlich höheres Tempo. Der Entwurf muss bereits im nächsten Jahr in die Landtage eingebracht werden können“, resümiert Nathanael Liminski.

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