„Es droht die Einstellung von Zeitungsausgaben und Zeitschriftentiteln“

von am 19.09.2022 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Gesellschaftspolitik, Medienförderung, Medienordnung, Medienpolitik, Medienwirtschaft, Verlage

„Es droht die Einstellung von Zeitungsausgaben und Zeitschriftentiteln“
Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

Die Bundesregierung soll die Presseverlage schnell wirtschaftlich unterstützen

19.09.2022. Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

In die Presseförderung durch die Bundesregierung kommt Bewegung. Der Bundesrat hat am Freitag auf Anregung mehrerer Länder eine Entschließung verfasst, die sich an die Bundesregierung richtet: Er fordert sie auf, schnellstmöglich Maßnahmen zu ergreifen, um die flächendeckende Versorgung mit Presseerzeugnissen weiterhin gewährleisten zu können. Zur Absicherung einer qualitativ hochwertigen Berichterstattung im Lokal- und Regionalbereich könnten auch innovative Technologien, neue Geschäftsmodelle, Verbreitungswege, Formate oder neuartige Kooperationsmodelle beitragen, betont der Bundesrat. Er bittet die Bundesregierung, zeitnah ein Förderkonzept vorzulegen, das eine unabhängige journalistische Tätigkeit der Medienhäuser auch zukünftig gewährleistet. Die Zustellung von periodischen Presserzeugnissen wird vor allem in ländlichen Gebieten und in Flächenländern immer problematischer. Sinkende Auflagen, höhere Papierpreise und steigende Energie- und Spritpausgaben führen bei der Belieferung der Abo-Kunden zu immer höherem finanziellem Aufwand. Dadurch werden zunehmend mehr Zustellgebiete unwirtschaftlich.

Freie Medien seien ein wesentliches Element der demokratischen Ordnung, ein besonders schützenswertes Kulturgut und ein bedeutender Wirtschaftsfaktor mit einer herausgehobenen Verantwortung, betonen die Länder. Gerade in Zeiten von Fake News, Desinformation, Deepfakes und Verschwörungstheorien brauche es weiterhin eine leistungsfähige Medienlandschaft.

Diese stehe jedoch aktuell vor großen Herausforderungen: Presseerzeugnisse seien durch Kostensteigerungen zunehmend unter wirtschaftlichen Druck geraten, den sie nicht mehr allein abfedern können. Höhere Energie- und Kraftstoffkosten sowie die massiv gestiegenen Preise und Verknappungen von Zeitungspapier und Aluminium für Druckplatten beträfen insbesondere die Verlage und Druckhäuser. Ab Oktober komme noch eine weitere deutliche Erhöhung der Lohnkosten hinzu. Dies werde insbesondere die Zeitungszustellung weiter verteuern und in Teilen des Landes unwirtschaftlich machen, heißt es in der Entschließung, die der Bundesregierung zugeleitet wurde. Wann diese sich mit dem Appell der Länder befasst, entscheidet sie selbst. Feste Fristvorgaben gibt es dazu nicht.

Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), der Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) und der Medienverband der freien Presse (MVFP) begrüßen die Erklärung des Bundesrats, der von der Bundesregierung schnelles Agieren zur Sicherung der Zustellung von Presse fordert. Die Ampelkoalition habe sich dazu verpflichtet, die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presserzeugnissen zu gewährleisten und prüfe derzeit dafür geeignete Maßnahmen. Angesichts der weiter rapide steigenden Kosten bei Papier, Energie und Löhnen müsse jetzt vor allem schnell gehandelt werden. Es drohe die Einstellung von Zeitungsausgaben und Zeitschriftentiteln und damit eine Beschädigung der Pressevielfalt, warnten die Verlegerverbände.

Bundesratsinitiative von Sachsen und Niedersachsen

Im Juli hatten Sachen und Niedersachsen diese Initiative in den Bundesrat eingebracht. Der Bundesrat solle sich dafür einsetzen, „dass zur Absicherung einer qualitativ hochwertigen Berichterstattung im Lokal- und Regionalbereich auch Maßnahmen gefördert werden können, die die Unternehmen dabei unterstützen, innovative Ansätze zu erproben und umzusetzen. Diese Innovationen können sich auf eingesetzte Technologien, neue Geschäftsmodelle, Verbreitungswege, Produkte, Formate oder auf neuartige Kooperationsmodelle beziehen“, hieß es in dem Antrag.

Wie der Sächsische Staatsminister und Chef der Staatskanzlei Oliver Schenk gegenüber der FAZ zu der Initiative erklärte, erfordere die wirtschaftliche Lage der Presseverlage, die sich in den vergangenen Monaten verschlechtert habe, endlich ein schnelles Handeln durch das Bundeswirtschaftsministerium. Die letzte Bundesregierung hatte in ihrer mittelfristigen Finanzplanung für dieses Jahr 180 Millionen Euro für eine Presseförderung eingeplant. Dieser Posten sei in der laufenden Haushaltsabstimmung gestrichen worden. Das halten die antragstellenden Länder Sachsen und Niedersachsen für unglücklich. Ziel müsse es sein, so Schenk, zeitnah ein realistisches Konzept vorzulegen, das die Verlage wirtschaftlich entlaste.

Positionspapier von Verdi

Am Freitag veröffentlichte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ein Positionspapier, in dem sie sich für eine staatliche Förderung von Journalismus einsetzt, die die Pressevielfalt zum Ziel hat. In dem Positionspapier heißt es: „Wo keine lokale Berichterstattung erfolgt, wachsen Studien zufolge die Anreize für Machtmissbrauch und Misswirtschaft, die Wahlbeteiligung sinkt. Daneben fällt gezielte Desinformation aus dem In- und Ausland besonders bei Mangel an seriösen Informationsangeboten auf fruchtbaren Boden und wird zum Sprengstoff für einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Für die Demokratie ist eine flächendeckende Versorgung mit seriösem, vertrauenswürdigem, unabhängigem Qualitäts-Journalismus von zentraler Bedeutung. Das gesellschaftliche und politische Interesse daran, solche Angebote im Lokalen, Regionalen und Überregionalen zu erhalten und hierfür zügig aktiv zu werden, ist also hoch.

Für verdi ist klar:

1. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, Umsatz- und Erlösrückgänge wegen fehlgeschlagener Geschäftsmodelle auszugleichen. Gleichwohl ist die Verfügbarkeit von Qualitätsjournalismus aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung nicht dem Markt zu überlassen. Die Branche bei der Transformation in zukunftssichere, nachhaltige und damit auch weitgehend digitalisierte Geschäftsmodelle übergangsweise staatlich zu unterstützen, erscheint sinnvoll.

2. Ein politischer Eingriff in Form von direkter Medienförderung ist hochsensibel und darf nur unter der Prämisse der absoluten Wahrung der Staatsferne angegangen werden. Förderentscheidungen müssen von unabhängigen Dritten getroffen werden. Jegliche Fördermaßnahmen müssen die journalistisch-redaktionelle Unabhängigkeit vollkommen unberührt lassen. Über Förderkonzepte und –kriterien wie über die Erfüllung der Kriterien seitens der Geförderten braucht es umfassende Transparenz.

3. Der Fokus der Verlage auf die relativ steigenden Kosten für die Zustellung von Printmedien führt systematisch in die Irre. Staatliche Unterstützung auf diesen Aspekt zu konzentrieren, birgt das Risiko, ein teures Strohfeuer zu finanzieren, dessen entlastende Wirkung für die Branche in kurzer Zeit verpuffen würde. Notwendig ist vielmehr eine zweigleisige Medienförderung: Printerzeugnisse gilt es dort sicherzustellen, wo es für die Zielgruppe nötig ist. Gefördert werden sollte aber auch die Entwicklung zukunftsweisender Konzepte für attraktive digitale Medienangebote im Lokalen, Regionalen und Überregionalen, um Verlage und neue Medienanbieter nachhaltig zu stabilisieren und zukunftssicher aufzustellen. Der Zugang zu staatlichen Fördermitteln für eine zur Förderung eingereichte Maßnahme muss daher unabhängig vom Distributionsweg des verlegerischen Angebots sein.

4. Eine staatliche Förderung von Journalismus muss Pressevielfalt zum Ziel haben. Weiterer Medienkonzentration ist unbedingt entgegenzuwirken. Förderungen müssen sowohl dies berücksichtigen als auch von der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eines Verlages oder Medienanbieters abhängig gemacht werden.

5. Ziel jeglicher Medienförderung müssen gut ausgestattete Redaktionen sein, die unabhängig und investigativ recherchieren und publizieren können. Voraussetzung für die Förderfähigkeit müssen die Einhaltung branchenweiter Tarifverträge und branchenüblicher Sozialstandards sowie angemessener Zugang zu Aus- und Weiterbildung sein.

6. Staatliche Förderung dürfen ausschließlich Medienangebote erhalten, die sich zur Einhaltung des Pressekodex des Deutschen Presserates verpflichtet haben, die ihre innere Pressefreiheit durch Redaktionsstatute absichern und die sich nicht gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten. Gefördert werden sollten ausschließlich Erzeugnisse mit hohem Anteil an professionell journalistisch-redaktionellen Inhalten.“

Rechtsgutachten des Verbandes Deutscher Lokalzeitungen

Ein aktuelles Rechtsgutachten, im Auftrag des Verbandes Deutscher Lokalzeitungen, kommt zu dem Ergebnis, dass der Staat das Recht hat, die morgendliche Zustellung von Abonnement-Zeitungen zeitlich begrenzt zu fördern. Dies kann zur Bewältigung des digitalen Wandels, also bis zur flächendeckenden Verfügbarkeit regionaler journalistisch-redaktionell gestalteter Digital-Angebote, erfolgen. Hintergrund ist eine entsprechende Forderung der deutschen Lokal- und Regionalzeitungen in den laufenden Haushaltsverhandlungen des Deutschen Bundestages.

Der Berliner Gutachter, Professor Johannes Weberling, stellt eindeutig fest, dass Pressebeihilfen, die darauf ausgerichtet sind, die strukturelle Benachteiligung der Printmedien im digitalen Zeitalter auszugleichen, mit deutschem Verfassungsrecht und dem EU-Recht vereinbar sind. In dem Rechtsgutachten wird explizit darauf verwiesen, dass das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich entschieden habe, dass sich der Schutz des Grundrechts der Pressefreiheit in besonderer Weise auf die morgendliche Zustellung der Abonnement-Zeitungen erstrecke. Diese besondere Form des Zeitungsvertriebs sei für Tageszeitungen, die in besonderer Weise aktualitätsbezogen sind, alternativlos.

Das Gutachten konstatiert die mit der Erhöhung des Mindestlohnes verbundene Verteuerung der morgendlichen Trägerzustellung der Abonnement-Zeitungen. Regionale und lokale Medienhäuser würden dadurch signifikant belastet und ihrer Investitionsfähigkeit zur Entwicklung digitaler Angebote beraubt. Bemessungskriterien für eine erforderliche Subvention könnten ein Grundbetrag pro zuzustellendem Zeitungsabonnement sowie ein Zusatzfaktor sein, der die erhöhten Zustellkosten außerhalb von Ballungsräumen und Städten berücksichtige.

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