EU plant Verordnung zur Medienunfreiheit

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EU plant Verordnung zur Medienunfreiheit
Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

BDZV und MVFP: Mit dem „Media Freedom Act“ droht die Unterwerfung der Presse in der EU

12.09.2022. Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der Medienverband der freien Presse (MVFP) blicken mit großer Besorgnis auf Pläne der Europäischen Union, wonach die Presse einer weitreichenden Aufsicht durch eine europäische Medienbehörde unterworfen werden soll. Ein in der vergangenen Woche bekannt gewordener Entwurf zum geplanten „European Media Freedom Act“ (EMFA) der Europäischen Kommission demonstriere, wie sehr die Pressefreiheit in Europa in ihrem Kern beschnitten werden soll, warnen die Verbände. Gemeinsam fordern BDZV und MVFP daher die Europäische Kommission auf, den Vorschlag in ihrer anstehenden Sitzung des Kollegiums am Dienstag, 13. September, nicht anzunehmen. „In dieser Form wäre der Entwurf eine ‚Medienunfreiheitsverordnung‘ und ein Affront gegen die Werte der Europäischen Union und der Demokratie“, heißt es dazu von Seiten der Verbände.

Mit dem Plan, den Grundsatz der redaktionellen Freiheit von Verlegerinnen und Verlegern de facto außer Kraft zu setzen, würde die EU die Pressefreiheit zerstören, machen BDZV und MVFP klar. Dies sei nicht zuletzt deshalb nicht hinnehmbar, weil allein die Verlegerinnen und Verleger letztlich die ideelle, ökonomische und rechtliche Verantwortung für die gesamte Publikation trügen, heißt es von den Verbänden. „Die Kommission würde wesentliche Elemente der seit dem Beginn der Demokratie in Europa verankerten Pressefreiheit opfern, wenn sie die Verordnung in dieser Form weitertreibt.“ Darüber hinaus erläutern die Verlegerorganisationen, dass ein Grund für eine weitere Harmonisierung des Medienrechts auf EU-Ebene zugunsten einer stärkeren Kontrolle durch eine Medienbehörde oder mittelbar durch die Kommission „nicht ersichtlich“ sei. Vielmehr öffne das neu eingerichtete „Board“ für Mediendienste „Befürchtungen für eine politische Vereinnahmung der Medien Tür und Tor.“ Vor diesem Hintergrund fordern BDZV und MVFP, den Entwurf grundlegend zu überarbeiten oder ganz aufzugeben.

Inhalt des vorgesehenen Gesetzes

Nach den bisher vorliegenden Informationen, soll sich das „Europäische Gesetz zur Medienfreiheit“ mit Fragen der redaktionellen Unabhängigkeit, Medienregulierung, wirtschaftlichen Situation und öffentlich-rechtlichen Medien befassen, einschließlich der Presse. Der vorgeschlagene European Media Freedom Act (EMFA) ist vorgeblich eine Reaktion auf eine Reihe von Problemen in der europäischen Medienlandschaft, wie die Kommission behauptet. Dazu gehörten nach Ansicht der Kommission die mangelnde Abstimmung zwischen den nationalen Regulierungsbehörden, unzureichende Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit, ungleiche wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Fragmentierung des Medienmarktes.

Medienpolitik gehört nach wie vor in die Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten. Um ihr Eingreifen zu rechtfertigen, verwies die Kommission auf die Notwendigkeit, die unterschiedlichen  Medienvorschriften in den Mitgliedstaaten, die angeblich ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts verhindern, zu harmonisieren.

Medienaufsicht

Das Gesetz soll bewusst einen Strukturwandel in der Medienaufsicht einleiten. Die bestehende Europäische Regulierungsgruppe für audiovisuelle Mediendienste (ERGA), die gemäß der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste eingerichtet wurde, soll durch ein neues Gremium, den Europäischen Vorstand für Mediendienste, ersetzt werden. Der Vorstand wird sich ebenfalls aus Vertretern der nationalen Behörden zusammensetzen, die Kommission wird ein Beobachtermitglied sein und Sekretariatsdienste leisten. Der Vorstand entscheidet mit Zweidrittelmehrheit, einschließlich der Wahl seines Vorsitzenden alle zwei Jahre. Zu seinen Aufgaben gehören die Beratung der Kommission bei der Umsetzung der Verordnung, die Vermittlung zwischen den Organen der Mitgliedsstaaten und die Bewertung von Interessensgebieten wie dem Funktionieren von Medienmärkten und möglichen Auswirkungen nationaler Maßnahmen. Der Ausschuss erhält die Aufgabe, zu Fällen Stellung zu nehmen, in denen das Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigt sein könnte. Das könnte auch ein Dienst sein, der auch in einem anderen Mitgliedstaat verfügbar ist und so „Binnenmarktrelevanz“ hat.

Redaktionelle Unabhängigkeit

Während die Sicherstellung der Transparenz des Medieneigentums als eines der Hauptziele des Gesetzes und ein zentrales Ziel seiner Befürworter angepriesen wurde, enthält der Kommissionsvorschlag zu diesem Thema keine verbindliche Maßnahme; die Frage wird der begleitenden Empfehlung überlassen. Die Empfehlung enthält auch einen Katalog freiwilliger bewährter Verfahren für Medienunternehmen zur Förderung der redaktionellen Unabhängigkeit.

Mediendienstanbieter, die Nachrichten und Inhalte zum aktuellen Zeitgeschehen produzieren, müssen ihrem Publikum die Namen und Kontaktdaten ihrer direkten und wirtschaftlichen Eigentümer zur Verfügung stellen. Der Verordnungsentwurf enthält zudem Bestimmungen zur Stärkung der redaktionellen Unabhängigkeit, einschließlich eines Verbots staatlicher Eingriffe in die redaktionellen Richtlinien und Entscheidungen von Mediendiensteanbietern. Der Vorschlag sieht auch Maßnahmen bei einer Medienmarktkonzentration und ihren Auswirkungen auf den Medienpluralismus vor, die sowohl die Mitgliedstaaten als auch der neue Vorstand bewerten müssen.

Öffentlich bezahlte Werbung

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass öffentliche Gelder, einschließlich öffentlich bezahlter Werbung, den Medien in einem transparenten und objektiven Verfahren zugängig sind und dass die Behörden öffentlich Rechenschaft über die Verteilung ihrer Werbeausgaben ablegen. Im Gegensatz zu ähnlichen Gesetzen wie dem Gesetz über digitale Dienste (DSA) und der Verordnung über politische Werbung enthält das Transparenzkonzept keine spezifischen Anforderungen und die nationalen Regierungen erhalten so viel Platz für eigene Interpretationen. Die Überwachung obliegt den nationalen Behörden. Dennoch wird die Kommission mit der umfassenderen Aufgabe der jährlichen Überwachung des Binnenmarktes für Mediendienste als Ganzes beauftragt, einschließlich der Definition von Leistungsindikatoren und Analysen der Funktionsweise, Widerstandsfähigkeit und der ergriffenen Maßnahmen der Märkte der Mitgliedstaaten. Der Gesetzesentwurf schlägt die Einführung von Anforderungen an Reichweitenmessungssysteme und -methoden vor, die von relevanten Marktteilnehmern eingesetzt werden, um Verzerrungen bei öffentlichen Werbeausgaben zu vermeiden.

Öffentlich-rechtliche Medien

Die Verordnung enthält zahlreiche grundlegende Anforderungen an öffentlich-rechtliche Medienanbieter. So müssen die obersten Führungskräfte, einschließlich ihrer Vorstandsvorsitzenden und Mitglieder der Verwaltungsräte, nach transparenten, nicht diskriminierenden und objektiven Verfahren ernannt werden. Sie würden nur dann einer Befristung und möglichen Entlassung unterliegen, wenn festgestellt wird, dass sie ihre gesetzlich festgelegten Pflichten nicht mehr erfüllen. Die nationalen Regierungen müssten außerdem für eine stabile Finanzierung dieser Anstalten sorgen, um ihre redaktionelle Unabhängigkeit zu schützen.

Online-Plattformen

Der Schutz redaktioneller Inhalte betrifft auch große Online-Plattformen, mit mehr als 45 Millionen Nutzern in der EU. Unter dem DSA müssen diese Plattformen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen zusätzlichen Verpflichtungen nachkommen. Diese Betreiber müssen es den Empfängern ihrer Dienste ermöglichen, sich als redaktionell unabhängige, regulierte Mediendiensteanbieter zu erklären und werden verpflichtet, mit ihnen in einen „sinnvollen und effektiven Dialog“ zu treten, wenn der Medienanbieter die Plattform redaktionell einschränkt oder journalistische Aktivitäten behindert. Die Verordnung sieht auch vor, dass Plattformen Jahresberichte darüber veröffentlichen, wie häufig und aus welchen Gründen sie deklarierte Mediendiensteanbieter eingeschränkt oder suspendiert haben. Hersteller und Entwickler von Geräten und Benutzerschnittstellen müssen außerdem sicherstellen, dass Benutzer ihre Standardeinstellungen ändern können, um den Zugriff auf audiovisuelle Medieninhalte anzupassen.

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