„Das könnte sehr gefährlich werden“

von am 04.10.2022 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Filmwirtschaft, Kreativwirtschaft, Kulturpolitik, Medienförderung, Medienwirtschaft

„Das könnte sehr gefährlich werden“
Petra Rockenfeller und Christopher Bausch

Kinobetreiber hoffen auf Energie-Hilfspaket und wieder mehr Besucher

04.10.2022. Interview mit Petra Rockenfeller und Christopher Bausch, Vorstände der AG Kino

Mitte September hatten deutschlandweit 685 Kinos mit ihren 3.193 Leinwänden und 560.878 Plätzen erstmals ein Kinofest gefeiert. Mit 1,1 Millionen Kinofans konnte an das besucherstärkste Vergleichswochenende der letzten zehn Jahre im September 2019 angeknüpft werden. Dieses Kinofest sollte die Aufmerksamkeit wieder stärker auf die Kinos lenken, denn auch im dritten Pandemiejahr ist es für die Filmtheater bisher nicht sehr gut gelaufen: So ist im 1. Halbjahr, im Vergleich mit 2019 – dem letzten Jahr mit normalem Kinobetrieb – die Zahl der Kinobesuche um 38,1 Prozent auf 33,2 Mio. gesunken, der Umsatz um 33,8 Prozent auf 305,7 Mio. Euro. Durch steigende Energiepreise, eine hohe Inflation und die unsichere Corona-Lage birgt auch der Herbst für die Kinobetreiber viele Risiken. Sie hoffen, wie die Kinobetreiber Petra Rockenfeller und Christoph Bausch gegenüber medienpolitik.net sagten, auf weitere wirtschaftliche Hilfen, sonst werde es für viele Kinos „sehr gefährlich“.

medienpolitik.net: Wie ist die aktuelle wirtschaftliche Situation in Ihren Kinos?

Rockenfeller: Vor der Corona-Pandemie waren die Monate Juli- September ein starker Kinozeitraum. Gegenwärtig haben wir in unserem Kino 40 bis 50 Prozent weniger Besucher, im Vergleich zu den Jahren vor 2020. Daran konnten leider auch die attraktiven Filme der letzten Wochen nichts ändern.

medienpolitik.net: Worauf führen Sie das für Sie unbefriedigende Interesse zurück?

Rockenfeller: Die Menschen haben vor den coronabedingten Kinoschließungen mehr über Spielfilme und Kino geredet, es gab ja regelmäßig neue, interessante Filme. Diese „Kette“ wurde durch Corona unterbrochen. Jetzt habe ich das Gefühl, bei jedem neuen Filmstart muss man dem Publikum erklären, welches großartige Erlebnis es sein kann, diesen Film im Kino anzusehen. Wenn weniger Zuschauer im Kino sitzen, erreichen wir auch mit starken Trailern weniger Interessenten. 

Bausch: Uns fehlt die emotionale „Bugwelle“, die wir sonst nach dem Winter hatten: Die starken Filme waren noch in Erinnerung, die Zuschauer hatten die Trailer gesehen, Gutscheine gekauft, ihre Erlebnisse auf den sozialen Netzwerken geteilt. Dazu kam in diesem Jahr der Jahrhundertsommer, der auch nicht zum Kinobesuch animierte. Wir müssen deshalb das Kino gegenwärtig, viel stärker als früher, mit jedem einzelnen Film wieder ins Bewusstsein bringen.

medienpolitik.net: Inwieweit laufen gegenwärtig noch Wirtschaftshilfen?

Bausch: Die Kinos erhalten noch bis 31. Dezember dieses Jahres Geld aus dem Sonderfonds Kultur, der an eine reduzierte Auslastung der Säle gekoppelt ist. Wir hoffen natürlich darauf, die Zahl der Besucher nicht wieder beschränken zu müssen, dann gibt es auch keine Unterstützung mehr. Die Überbrückungshilfen sind inzwischen ausgelaufen.

medienpolitik.net: Wie sich Corona entwickelt ist nicht klar, klar ist aber, dass die Energiekosten steigen. Wie gefährlich ist das für die Kinos?

Rockenfeller: Das könnte sehr gefährlich werden. Allein durch unsere Starkstromprojektoren und die großen Säle, die beheizt werden müssen, haben wir einen großen Energiebedarf. Diese Geräte haben keine Stromspartaste, auch können wir nicht kurzfristig neue Laser-Projektoren, die über 100.000 Euro kosten, einbauen. Schwierig wird es vor allem für die Filmtheater, die mit Gas oder Öl heizen. Die meisten wissen heute noch nicht, welche Kosten in den nächsten Wochen drohen. Die Kosten werden also steigen, ohne dass wir das 1:1 an die Besucher weitergeben können.

„Jetzt habe ich das Gefühl, bei jedem neuen Filmstart muss man dem Publikum erklären, welches großartige Erlebnis es sein kann, diesen Film im Kino anzusehen.“ Petra Rockenfeller

medienpolitik.net: Das heißt, nach dem Corona-Hilfspaket musste jetzt ein Energie-Hilfspaket folgen?

Bausch: Darauf hoffen wir. Durch die Corona-Pandemie haben die Kulturorte stark gelitten, sie wurden zuerst geschlossen und zuletzt wieder geöffnet. Es würde vielen Kinobetreibern ansonsten sehr schwerfallen, die zusätzlichen Kosten zu verkraften. Wir wollen den Spielbetrieb ohne Einschränkungen weiter aufrechterhalten. Der Herbst ist für uns eine wichtige Saison, das notwendige Geld zu verdienen, um über den nächsten Sommer zu kommen. Wir sind in Kontakt mit der Kulturstaatsministerin um haben unsere Sorgen auch deutlich gemacht. Ab November benötigen wir ein solches Energie-Hilfspaket. Ab Januar laufen zudem für viele Kinos die Verträge mit den Energieversorgern aus und die neuen Vereinbarungen führen zu deutlich höheren Preisen. Ohne finanziellen Ausgleich wäre das für viele eine Katastrophe.

medienpolitik.net: Was planen Sie, um wieder mehr Menschen für einen Kinobesuch zu gewinnen?

Bausch: Wir haben bei unserer Konferenz „Cinema Vision“ auch analysiert, welche Aktivitäten es bei anderen Branchen gibt, um Gäste zu gewinnen oder zu halten. Das lässt sich natürlich nicht 1:1 auf die Kinos übertragen, aber einiges können wir übernehmen. Wir müssen unsere Netzwerke mit Kooperationspartnern, mit städtischen Einrichtungen, mit Verbänden nutzen und für Events sorgen. In Frankfurt am Main haben wir alleine im September fünf Festivals durchgeführt. Wir versuchen so, die unterschiedlichen Zielgruppen spezifisch anzusprechen und sie so wieder für das Kino zu begeistern. Das reicht vom klassischen Seniorenkino, dem Schulkino, bis zu speziellen Veranstaltungen für Jugendliche.

Rockenfeller: Wichtig ist auch, das Vertrauen der Schulen wieder zurück zu gewinnen. Hier finden wir den Nachwuchs, den wir für das Kino begeistern müssen und der zwei Jahre lang keine Kinosozialisation erfahren konnte. Das klappt über die Schulkinowochen, Festivals und engagierten Filmreihen sehr gut und es wird insgesamt wieder deutlicher nach Schulvorstellungen gefragt. Special Events sind wichtig, um eine große Aufmerksamkeit zu gewinnen. Das ist aber nicht unser Alltag. Wir benötigen auch für unsere „normalen“ Vorstellungen wieder kontinuierlich zugkräftige Spielfilme. Aber viele dieser Filme sind erst für den November geplant. Das ist unbefriedigend.

medienpolitik.net: Woran liegt das?

Rockenfeller: Wir haben bei der Filmkunstmesse in Leipzig mit vielen Verleihern darüber gesprochen, wie wir eine größere Planbarkeit erreichen können. Hier waren wir vor 2020 im Gespräch. Das bisherige Modell, mit dem wir durch die stärke mediale Aufmerksamkeit auch auf Verschiebungen flexiber reagieren konnten, ist durch die Corona-Pandemie obsolet geworden. Es ist schwieriger geworden, unsere Kinogäste rechtzeitig mit interessanten Filminformationen zu versorgen, so dass diese den Filmstart im Fokus haben. Das sehen auch die Verleiher. Wir hoffen, dass sich die Herausbringungsstrategie möglichst bald wieder ändert.

Bausch: Es besteht bei den deutschen Verleihern gegenwärtig eine große Unsicherheit darüber, wie erfolgreich der Film sein kann. Dadurch klammert man sich an bestimmte Zeiträume, in denen man mit stärkeren Besucherströmen rechnet. Jeder Verleih hofft natürlich auf die Qualität gerade seines Filmes und so kommt es zu Ballungen, die keinem nützen. Das Problem, einer diskontinuierlichen Auslastung der Kinos bestand auch schon vor der Pandemie, aber es hat sich leider verschlechtert.

„Der Herbst ist für uns eine wichtige Saison, das notwendige Geld zu verdienen, um über den nächsten Sommer zu kommen.“ Christopher Bausch

medienpolitik.net: Sie bemängeln hier gar nicht die Qualität deutscher Filme. Liegen jetzt so viele gute Filme auf Lager, dass Sie nicht zu kritisieren haben?

Bausch: Nein, das ist leider nicht der Fall. Trotz des Filmstaus fehlen uns nach wie vor ausreichend deutsche Filme, die für ein großes Publikum sorgen. Das sieht man auch daran, dass bei den internationalen Filmfestivals kaum ein deutscher Film vertreten war. Das muss sich dringend ändern.

medienpolitik.net: Besteht nach 2 ½ Corona-Jahren eine andere Erwartung an das Kino?

Rockenfeller: Eindeutig ja: Die Besucher sehen uns nicht mehr nur als „Abspielstätte“, sondern als einen sozialen Raum, in dem jeder willkommen ist, man Menschen aus seiner Stadt oder Region treffen und über Filme sprechen kann. Unsere Filmkompetenz und Fachkenntnisse sind intensiver gefragt als früher. Der Zuschauer erwartet eine umfassende Auskunft über den Film und seine Protagonisten: Welche Filme hat der Regisseur noch produziert, wo kann man den Hauptdarsteller sehen, welche nächsten Filme können sie uns empfehlen. Das stellt natürlich auch neue Anforderungen an unser Team.

medienpolitik.net: Da Sie für das kuratierte Kino stehen, müsste Ihnen diese etwas veränderte Erwartungshaltung doch recht sein?

Bausch: Wir kennen unsere spezifischen Zielgruppen und diese stärker auch in die Programmgestaltung einzubeziehen, gehört mit zu unseren Vorhaben. Das geht bis zu einer unterschiedlichen Ausrichtung der Häuser, indem hier ein jüngeres und dort ein älteres Publikum angesprochen wird, je nach dem Standort der Filmtheater. Das funktioniert sehr gut, indem wir Gastgeber sind und einen erlebnisreichen Abend gestalten, bei dem der Film im Mittelpunkt steht.

medienpolitik.net: Welche Rolle spielen Technik und Ausstattung für die Besucher? Man hört dazu gegenwärtig wenig aus Ihrer Branche. Ist dazu gegenwärtig keine Kraft vorhanden?

Rockenfeller: Im Gegenteil. Das Zukunftsprogramm I, mit dem Investitionen gefördert worden sind, war schnell überzeichnet und muss zusätzlich finanziert werden. Während der Corona-Pandemie haben viele Kinos dieses Programm genutzt, um technisch zu modernisieren und zu renovieren. Dennoch ist vieles noch nicht so, wie wir es uns wünschen. Wir sehen für die nächsten vier bis fünf Jahre noch einen kräftigen Investitionsbedarf. Dazu gehören auch energiesparende Geräte und Veränderungen bei der Klimatechnik.

Bausch: Durch den Klimawandel und die explodierenden Energiekosten kümmern sich die Kinos jetzt intensiver um nachhaltige Investitionen, die auch durch die Filmförderungsanstalt gefördert werden.

medienpolitik.net: Wie optimistisch oder pessimistisch sind Sie für die nächsten Monate?

Bausch: Ich sehe unsere Perspektive, trotz der genannten Probleme, relativ optimistisch. Ich erwarte in den nächsten Wochen sehr attraktive Spielfilme für ein breites Kinopublikum, in unterschiedlichen Genres. Sowie es kälter und regnerischer wird, kommen auch wieder mehr Besucher. Beim deutschlandweiten Kinofest waren die Kinos voll, wie wir es aus der Vor-Pandemie-Zeit gewohnt waren.

Rockenfeller: Das Kinofest hatte bewiesen, welche Stärke das Kino immer noch besitzt. Nicht Stars und zugkräftige Filme haben die Besucher angezogen, sondern die große Vielfalt der Kino-Events. Wenn Kinos und Verleiher in dieser Form auch im Alltag zusammen arbeiten, sehe ich positiv in die Zukunft.

Petra Rockenfeller

Vorstand AG Kino, Theaterleiterin im Lichtburg Filmpalast Oberhausen. Besonderer Schwerpunkt im Bereich der Kinder- und Jugendfilmarbeit im Kino.

Christopher Bausch

Vorstand AG Kino, Betreiber der Kinos Casino Aschaffenburg und Harmonie, Cinema & Eldorado Frankfurt am Main. Vertreter der AG Kino – Gilde in der Kommission Kinoprojektförderung der FFA. Mitglied im Validation Committee von Europa Cinemas.

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