„Wir wollen ein lebendiges, kreatives Netzwerk bilden“

ARD Kultur aus Weimar soll die Kulturinhalte der ARD-Anstalten auf einem Online-Portal bündeln
27.10.2022. Interview mit Prof. Dr. Karola Wille, Intendantin des MDR
ARD Kultur ist gestern mit dem Portal ardkultur.de gestartet. ARD Kultur steht zukünftig auch für den Aufbau eines kulturellen Gemeinwohlnetzwerkes. Auf der Webseite ardkultur.de werden vielfältige Kulturinhalte der ARD Mediathek und ARD Audiothek nach Themenbereichen kuratiert sowie neue innovative, digitale Produktionen präsentiert. Ein Navigator führt die Nutzerinnen und Nutzer durch das reichhaltige Kulturangebot. Die Gemeinschaftseinrichtung ARD Kultur ist unter Federführung des Mitteldeutschen Rundfunks in Weimar angesiedelt. ARD Kultur wird auf seinem Portal Kulturinhalte für alle Altersgruppen anbieten. Um dieses Ziel zu erreichen, wird das Team von ARD Kultur, gemeinsam mit den ARD Landesrundfunkanstalten und anderen öffentlich-rechtlichen Partnern auch neue digitale Inhalte produzieren, die sich besonders an Menschen zwischen 30 und 50 Jahren richten. Alle Erkenntnisse und Erfahrungen sollen in den derzeit laufenden Drei-Stufen-Test für ARD Kultur einfließen. Das Jahresbudget von ARD Kultur beträgt fünf Mio. Euro. Fragen zur neuen ARD-Gemeinschaftseinrichtung an Karola Wille.
Medienpolitik.net: Frau Wille, warum startet die ARD jetzt ein Kulturportal mit TV- und Hörfunkbeiträgen zum Thema Kultur?
Wille: Der Start des ARD-Kulturportals ist der nächste Schritt beim Aufbau unserer neuen ARD-Gemeinschaftseinrichtung ARD Kultur im Sendegebiet des MDR. Das Portal dient unserem Kulturauftrag und es stärkt den öffentlich-rechtlichen Markenkern in einer Zeit tiefer Krisen, in der unser Gemeinwohlbeitrag wichtiger denn je ist. Uns eint die Überzeugung, dass Kunst und Kultur für die Zukunft unserer Gesellschaft unverzichtbar und zugleich elementar sind, als kulturelles Bindegewebe für eine Gesellschaft, wenn Gewissheiten brüchig werden und epochale Herausforderungen zu bewältigen sind. Wir haben in den vergangenen Monaten die personellen, technischen und inhaltlichen Voraussetzungen geschaffen, um mit einem digitalen Portal an den Start gehen zu können, das Kultur in ihrer Vielfalt erschließt, in ihrer Zeit abbildet und als Ort der Vernetzung dem kreativen Prozess Räume ermöglicht. Wir werden viel lernen und erproben, es wird eine wunderbare Entwicklungsreise, zu der wir alle einladen.
Medienpolitik.net: Warum geht die ARD mit ARD Kultur einen eigenen Weg und entwickelt nicht mit dem ZDF ein gemeinsames Online-Kulturangebot? ZDFkultur war ja bereits im Februar 2019 gestartet.
Wille: ARD Kultur ist von Beginn an als vernetztes Angebot mit ZDF und Deutschlandradio konzipiert und entspricht damit auch den staatsvertraglichen Vorgaben, wonach die Telemedien der öffentlich-rechtlichen Häuser miteinander zu vernetzen sind. Die Gemeinschaftseinrichtung ARD Kultur beinhaltet zum einen das Portal, das vorhandene Beiträge aus neun Landesrundfunkanstalten kuratiert und unser breites, tief regional verankertes, kulturelles Spektrum zeigt. Darüber hinaus kommen auch neue innovative, digitale Produktionen und der Aufbau eines kulturellen Gemeinwohlnetzwerkes hinzu.
Bereits jetzt gibt es erste gemeinsame Projekte mit dem ZDF im Rahmen des ARD Kultur Creators-Wettbewerbs zum Thema ‚Verbundenheit‘, bei dem wir aus mehr als 600 Einreichungen einzelne Formate entwickeln. Eines wird das ZDF dann auch in seiner digitalen Kunsthalle ausstellen und ein weiteres mit einem Debattenformat auf ihren digitalen Kanälen begleiten. Wir profitieren somit wechselseitig von unseren Expertisen im Digitalen. Und ja, weitere Schritte der Zusammenarbeit sind sinnvoll und notwendig.
Medienpolitik.net: Sie haben mehrfach für ein „gemeinwohlorientiertes Kommunikationsnetzwerk“ plädiert. Wäre ein gemeinsames Kulturangebot dazu nicht ein erster Schritt?
Wille: Daran arbeiten wir ja. Der Gedanke eines gemeinwohlorientierten Kommunikationsnetzwerkes zielt auf einen gemeinsamen öffentlichen Kommunikationsraum für alle, der dem Gemeinwohl verpflichtet ist, als Austauschort für gesellschaftliche Diskurse, mit einer offenen Debattenkultur. Erste Schritte gehen wir in diese Richtung mit dem Ausbau der ARD Mediathek und der ARD Audiothek und einem gemeinsamen Streamingnetzwerk mit dem ZDF. Ich bin davon überzeugt, dass wir eine leistungsstarke gemeinsame technologische Infrastruktur benötigen, auf deren Basis sich unterschiedliche Zugänge für die Nutzerinnen und Nutzer ergeben. Daraus könnte sich ein gemeinsames Kulturportal entwickeln.
„Es ist mehr als ein multimediales Angebot für spezifische kulturelle Interessen, es soll den Blick auf die breite kulturelle Landschaft erweitern und neue Impulse geben.
Medienpolitik.net: Mit welchen Partnern, kulturellen Einrichtungen und Institutionen arbeitet ARD Kultur zusammen?
Wille: Vor dem Start wurden bereits Gespräche mit verschiedenen Partnern geführt, weil der Grundgedanke für ARD Kultur auch ein gemeinwohlorientiertes kulturelles Netzwerk ist. Wir wollen ein lebendiges, kreatives Netzwerk bilden, unter dem Motto: Wer Vielfalt will, muss einbinden. Wie eben schon erwähnt, neben dem ZDF sind auch das Deutschlandradio und die Deutsche Welle von Beginn an involviert.Zu den ersten Partnern gehören auch beispielsweise die Klassik Stiftung Weimar oder die Kunsthochschule Burg Giebichenstein. So wie wir den Kulturbegriff weit fassen, versuchen wir auch, die Vielfalt der deutschen Kulturlandschaft durch unsere Partnerinnen und Partner widerzuspiegeln. Dazu gehören auch die Kunsthochschulen, um jungen Kreativen hier eine Stimme zu geben, und ebenso die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund, um Kultur auch im Digitalen zu entdecken und zu erweitern.
Medienpolitik.net: Wie weit fassen Sie den Kulturbegriff?
Wille: Zum einen definiert der Medienstaatsvertrag eindeutig, was zu unserem Kulturauftrag gehört. Zum anderen existiert in der Öffentlichkeit eine intensive Debatte, was heute alles unter „Kultur“ zu fassen ist. Da wir Inhalte für alle anbieten müssen und wollen, muss das auch auf die Kultur zutreffen, das heißt Kultur für alle. Deshalb gehen wir von einem erweiterten Kulturbegriff aus, der neben Musik, Literatur oder Theater auch die gesamte Bandbreite des menschlichen Zusammenlebens umfasst. Die digitalen Video- und Audio-Inhalte reichen von der sogenannten Hochkultur wie Konzerten, Operninszenierungen und Buchlesungen bis hin zu Filmen, Pop, Jazz oder Techno. Zudem werden Produktionen über Streetart, Architektur und Mode auf dem Portal zu finden sein. Es geht darüber hinaus um eine Kultur des Miteinanders und eine Kultur der inhaltlichen Debatten.
Medienpolitik.net: Wenn man sich die Beta-Version ansieht, zielt ARD Kultur vor allem auf ein jüngeres Publikum. Verschrecken Sie damit nicht ihr älteres Stammpublikum?
Wille: Auch bei der Umsetzung des Kulturauftrages müssen wir auf die inzwischen sehr unterschiedlichen Formen der Mediennutzung in der Bevölkerung reagieren. Deshalb werden wir weiterhin Kulturangebote linear und gleichzeitig zunehmend auch über unsere verschiedenen digitalen Wege verbreiten. Mit dem neuen Portal ardkultur.de ergeben sich für uns Möglichkeiten, die vielfältige Kultur der gesamten ARD zu präsentieren, und somit für die Nutzerinnen und Nutzer erlebbar zu machen. Auf dem Portal wollen wir Kulturinhalte für alle Altersgruppen anbieten, generationsübergreifend. Um dieses Ziel zu erreichen, wird das Team von ARD Kultur, gemeinsam mit den ARD Landesrundfunkanstalten und weiteren Partnern auch neue digitale Inhalte produzieren, diese jedoch konkret ausgerichtet für Menschen zwischen 30 und 50 Jahren, da diese Zielgruppe im kulturellen Bereich bisher zu wenig erreicht wird. So wird es eine Reihe über politisch engagierte Künstlerinnen und Künstler aus Comedy, Musik oder Aktionskunst geben. Oder ein Literaturformat mit einer Gastgeberin, die in der Zielgruppe eine starke Stimme ist. All diese Erkenntnisse werden auch in den derzeit laufenden Drei-Stufen-Test für ARD Kultur einfließen.
„Es wurde auf eigene technologische Entwicklungen verzichtet und der vorhandene ARD-Modul-Baukasten, wie etwa die Player aus der Audiothek oder Mediathek, für dieses neue Projekt genutzt.“
Medienpolitik.net: Wo liegt der Mehrwert für den Nutzer durch ARD Kultur?
Wille: Der Mehrwert liegt einerseits im Kuratieren der reichhaltigen Audio- und Videowelt der neun Landesrundfunkanstalten in kulturellen Rubriken wie „Literatur“, „Musik“, „Kunst und Design“ oder „Bühne“. Man wird somit durch die unterschiedlichen kulturellen Bereiche und die Vielfalt an künstlerischen Darstellungsarten geleitet. Das nationale Portal ist dabei ein Navigator durch die deutsche Kulturlandschaft – von der Ostsee bis zum Breisgau, vom Ruhrpott bis in die Lausitz. Und gleichzeitig ist die nachhaltige Vernetzung mit vielen Partnern für uns sehr wichtig, um hier auf interessante Ereignisse, Orte und Themen aufmerksam zu machen. Es ist deshalb mehr als nur ein multimediales Angebot für spezifische kulturelle Interessen, es soll den Blick auf die breite kulturelle Landschaft erweitern und neue Impulse geben. Und unter der Rubrik „Genre-Sprenger“ wollen wir auch das Bauhausidee in der digitalen Welt ein Stück weiterdenken. Mit der Entgrenzung klassischer einzelner Kunstsparten, neuen Einsichten und Erfahrungen, sowie mit überraschenden Zugängen durch eine neue Vernetzung mit Vielem.
Medienpolitik.net: ARD Kultur hat ein Budget von knapp 5 Millionen Euro. Wie wird dieses zusätzliche Angebot finanziert?
Wille: Wir finanzieren unsere neue Gemeinschaftseinrichtung ARD Kultur aus dem Bestand innerhalb der ARD. Wir haben dafür keine extra Mittel angemeldet. Wir nutzen das Programmvolumen aller neun Landesrundfunkanstalten, weil wir neben den Neuproduktionen für die Zielgruppe der 30-50-Jährigen die vorhandenen Inhalte im Portal bündeln werden. Diese Video- und Audio-Inhalte finden sich zugleich auch in der ARD Mediathek und ARD Audiothek. Mit dem Kultur-Portal haben wir übrigens auch technologisch einen effizienten Weg gewählt. Es wurde auf eigene technologische Entwicklungen verzichtet und der vorhandene ARD-Modul-Baukasten, wie etwa die Player aus der Audiothek oder Mediathek, für dieses neue Projekt genutzt.
Medienpolitik.net: Führt ARD Kultur zu einer Verringerung des linearen Kulturangebotes? Man hatte in den vergangenen Monaten oft den Eindruck, dass bei Kulturangeboten zuerst gespart wird.
Wille: Im Kreis der ARD-Intendantinnen und -Intendanten haben wir in unserer jüngsten Selbstverpflichtung bekräftigt, dass die Kultur sehr wichtig ist, um Brücken in der Gesellschaft zu bauen. Das ist ein klares und kraftvolles Bekenntnis zu einem vielfältigen kulturellen Angebot. Die ARD Mediathek und die linearen Angebote sind gleichrangige Angebote geworden. Auch lineare Produkte erhalten eine digitale Bühne, um für ein noch größeres Publikum sichtbar zu sein. Zugleich erhalten Kultur-Sendungen im Ersten, wie zum Beispiel „Klassik am Odeonsplatz“, prominente Sendeplätze. Und wir lernen, das zeitgemäß und spannend erzählte Kultur-Dokumentationen für die Mediathek auch im Fernsehen ebenfalls gut angenommen werden.
Medienpolitik.net: Sie erwähnten das ZDF, Deutschlandradio und die Deutsche Welle als Partner. Was ist mit ARTE und 3sat?
Wille: Wir sind mit 3sat und ARTE im Gespräch. 3sat Kulturzeit ist Partnerin im ARD Kultur Creators-Wettbewerb und berichtet über Gewinnerprojekte. Ich bin sicher, wir werden eine vernetzte Zusammenarbeit auch hier ausbauen können. Allerdings sieht der neue Medienänderungsstaatsvertrag für 3sat keine Flexibilisierungsmöglichkeit vor. Das hätten wir uns anders gewünscht.
Medienpolitik.net: ARD Kultur hat seinen Sitz in Weimar, einer Stadt, die sehr ambivalent die deutsche Geschichte reflektiert. Welchen Einfluss hat das auf das Angebot von ARD Kultur?
Wille: Weimar ist ein Synonym für eine lebendige und geschichtsträchtige Kulturmetropole. Die Stadt ist ein kultureller Schatz und Weltkulturerbe. Weimar steht aber auch für die historische Erfahrung, dass selbst eine so hochstehende Kultur nicht vor den Gefahren menschenverachtender Ideologien und Gewaltherrschaft gefeit ist. Durch diese gesellschaftspolitische Ambivalenz ist dieser Ort für unser Vorhaben Kultur als etwas Verbindendes, als Verständigungsfaktor in der Gesellschaft zu stärken, bestens geeignet. Weimar liegt – räumlich gesehen – in Abstand zu den großen deutschen Metropolen, trotzdem oder möglicherweise gerade deshalb können wir die massiven Veränderungen objektiv in den Blick nehmen. Eine offene Gesellschaft ist immer auch eine kulturelle Aufgabe, dem fühlen wir uns mit ARD Kultur verpflichtet und wollen dies mit Leidenschaft, Entdeckergeist und Exzellenz ausfüllen.
Medienpolitik.net: Weimar liegt in Mitteldeutschland. Besteht die Gefahr, dass ARD Kultur zu ost-lastig wird?
Wille: Mitteldeutschland ist eine der geschichtsträchtigsten und kulturreichsten Regionen unseres Landes. Die Kultur Mitteldeutschlands gehört zum bundesdeutschen „Wir“, ebenso wie die Kultur in Nord-, Süd- oder Westdeutschland. Das wollen wir bundesweit noch sichtbarer machen. Aber natürlich wird ARD Kultur als Gemeinschaftseinrichtung der ARD die ganze kulturelle Vielfalt zeigen und zusammenführen, die digitalen Möglichkeiten für gesellschaftlich Relevantes nutzen und im und durch Vernetzen kreativ Neues befördern. Wir wollen eine bundesweite digitale Heimat für alle werden.