„5G-Broadcast könnte eine vielversprechende Evolution sein“

Medien und Kulturwirtschaft sehen wichtige Übertragungsfrequenzen gefährdet
09.11.2022. Interview mit Dr. Susanne Pfab, ARD-Generalsekretärin
Die Sicherung der Frequenzen des unteren UHF-Bands (470-694 MHz) für ihre Anwendungen fordern über 80 Verbände, Unternehmen und Einzelpersonen der Rundfunk- und Kulturindustrie aus mehr als 20 europäischen Ländern in ihrem zweiten „Call to Europe“. Adressaten der Forderung sind die politischen Entscheidungsträger und Regulierungsbehörden in ganz Europa. Sie bereiten derzeit ihre Positionen für die Weltfunkkonferenz 2023 (WRC-23) vor, auf der über die zukünftige Nutzung dieses Frequenzbereichs über das Jahr 2030 hinaus entschieden wird. Die Forderungen der Rundfunk- und Kulturindustrie zur unveränderten Nutzung des unteren UHF-Bands werden durch die Ergebnisse aktueller Studien untermauert. So ist das terrestrische Fernsehen weiterhin der meistgenutzte TV-Empfangsweg in Europa und zudem eine sehr energieeffiziente Übertragungstechnik. Auch die Nachfrage nach Frequenzen für drahtlose Produktionsmittel bei Veranstaltungen wächst stetig, zudem erfordert die Einführung technischer Innovationen zusätzliche Ressourcen. Fragen an Dr. Susanne Pfab, ARD-Generalsekretärin. Der Senderverbund gehört der „Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen“ an.
medienpolitik.net: Frau Pfab, Sie sorgen sich anscheinend um die Zukunft der Rundfunk- und Kulturfrequenzen. Warum?
Pfab: Ohne Frequenzen keine terrestrische Verbreitung von Rundfunk. Ohne Frequenzen keine drahtlose Mikrofonie in der Kultur- und Veranstaltungsbranche. Bisher nutzen Rundfunk, Kultur, Wissenschaft, Wetterdienst und Militär das Frequenzspektrum von 470-694 MHz, das sog. UHF-Band, gemeinsam in einem gut funktionierenden Sharing-Ökosystem. Da bei den Weltfunkkonferenzen die Weichen gestellt werden für zukünftige Zuweisungen und Nutzungen, ist es wichtig, dass sich Deutschland für die nächste Konferenz in 2023 entsprechend klar für den Erhalt der Frequenzen für Kultur und Rundfunk positioniert – so übrigens die Aussage im Koalitionsvertrag und die Haltung vieler anderer europäischen Länder.
medienpolitik.net: Inwieweit ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk davon direkt betroffen?
Pfab: Über DVB-T2 können wir den Menschen unsere audiovisuellen Inhalte über einen verlässlichen, niedrigschwelligen und überdies ökologisch nachhaltigen Weg zugänglich machen. Derzeit nutzen rund 12 Millionen Menschen in Deutschland DVB-T2 als primären Empfangsweg. In den Ballungsräumen sind es bis zu 15 Prozent. Insgesamt sehen wir einen Zuwachs der DVBT2-Nutzung von 31 Prozent seit 2019. Die terrestrische Radio- und TV-Infrastruktur verfügt übrigens auch im Vergleich zum Mobilfunk über eine deutlich höhere Resilienz, was im Katastrophen- oder Krisenfall von entscheidender Bedeutung sein kann.
medienpolitik.net: Es existiert inzwischen sogar eine „Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen“, dem neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch der Vaunet, Media Broadcast und Verbände der Digitalindustrie angehören. Wie kam es zur Bildung dieses breiten Bündnisses?
Pfab: Gemeinsam wird man besser gehört. Außerdem verdeutlicht die Breite des Bündnisses sehr gut, dass es um grundlegende gesellschaftsrelevante Fragen geht, die eben nicht nur den Markt oder eine Branche betreffen. Letztlich geht es bei diesen auf den ersten Blick technisch anmutenden Fragen um einen maßgeblichen Baustein für unsere künftige digitale Kommunikationsinfrastruktur, die immer auch gemeinwohlorientiert und nicht nur marktgetrieben gestaltet werden sollte. Und die Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen hat europaweite Mitstreitende bzw. Pendants. So haben sich in dieser Woche über 80 Verbände, Unternehmen und Einzelpersonen der Kultur- und Rundfunkindustrie aus mehr als 20 europäischen Ländern zu einem „Call to Europe 2“ zusammengefunden, zumal es immer eine europaweit koordinierte bzw. harmonisierte Lösung braucht. Rein nationale Entscheidungen für entweder Mobilfunk oder Rundfunk, die aufgrund einer koprimären Zuweisung möglich werden könnten, sind schon rein technisch keine praktikable Lösung. Denn Rundfunk und Mobilfunk brauchen Hunderte von Kilometer Abstand, um störungsfrei auf demselben Frequenzband zu funktionieren.
„Ein kluger Mix aus voneinander unabhängigen bzw. sich ergänzenden Übertragungswegen liegt meines Erachtens im Interesse der Allgemeinheit.“
medienpolitik.net: Was sind die Forderungen der Allianz?
Pfab: Kernforderung ist der langfristige Erhalt der dem Rundfunk und der Kultur zugewiesenen Frequenzen, also keine weitere Umwidmung an den Mobilfunk oder für andere Interessenten. Bei den sogenannten digitalen Dividenden I und II sind bereits auch vom Rundfunk Frequenzen zugunsten des Mobilfunks freigegeben worden. Nun Planungs- und Investitionssicherheit zu erhalten, ist nicht nur wichtig für die Stabilität der terrestrischen Rundfunkverbreitung. Die langfristige Sicherung der Frequenzen ist auch unerlässlich, um technologische Innovationen in diesem Bereich nicht zu ersticken. Ein kluger Mix aus voneinander unabhängigen bzw. sich ergänzenden Übertragungswegen liegt meines Erachtens im Interesse der Allgemeinheit.
medienpolitik.net: Die Bedeutung des Mobilfunks nimmt weiter zu. Inwieweit ist die Nutzung der Frequenzen in den Bereichen 470 bis 694 MHz für die künftige Entwicklung des Mobilfunks aus Ihrer Sicht erforderlich?
Pfab: Weiter zu nimmt vor allem die mobile Nutzung von Medien. Es ist wichtig, dass die Menschen Qualitätsinhalte auch unabhängig von Mobilfunkverträgen und Datenvolumina nutzen können. In diesem Sinne plant die Medienbranche, die mobile Nutzbarkeit des terrestrischen TV-Rundfunks weiterzuentwickeln. 5G-Broadcast könnte eine vielversprechende Evolution sein in Richtung eines konvergenten Systems für die lineare und non-lineare Mediennutzung. Für die ARD als gemeinwohlorientierte Inhalteanbieterin ist immer Maßstab und Ziel, dass alle auch in Zukunft einen ungehinderten und einfachen Zugang zu unseren Angeboten haben.
Am morgigen Donnerstag, den 10. November 2022, findet von 11:30 – 13:15 Uhr eine Online-Konferenz „Zukunft und Innovation für Rundfunk und Kultur – Wie viel zusätzliches Spektrum brauchen DVB-T2, 5G-Broadcast und moderne Funkmikrofone?“ statt. Anmeldung bis morgen, 10.11.22, um 10:00 Uhr unter veranstaltungen@ard-gs.de.
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