„Für den definierten Auftrag steht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine bedarfsgerechte Finanzierung zu“

Ver.di verteidigt Warnstreiks und erwartet für 2025 eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages
16.11.2022. Interview mit Christoph Schmitz, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes
Seit einigen Wochen kommt es in ARD-Anstalten, zuletzt am vergangenen Mittwoch und Donnerstag, zu Warnstreiks. Anlass sind die laufenden Tarifverhandlungen. Ver.di fordert Gehalts- und und Honorarerhöhungen von zirka sechs Prozent. Die Rundfunkanstalten bieten bislang maximal 2,8 Prozent, bei einer deutlich längeren Laufzeit. Die Geschäftsleitungen seien nicht bereit, über 2,25 Prozent hinausgehende Tariferhöhungen pro Jahr zu verhandeln und wollten eine Festlegung auf mindestens 24 Monate Laufzeit. Das hätte für die Beschäftigten eine Einkommensentwicklung zur Folge, die weit hinter der aktuellen Entwicklung der Lebenshaltungskosten zurückbliebe, so Christoph Schmitz, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes gegenüber medienpolitik.net. Angesichts der Kritik an hohen Pensionslasten verweist Schmitz darauf, dass die Sender in Abstimmung mit der Gewerkschaft diese Systematik 2017 reformiert hätten. Diese Regelung habe Gültigkeit mindestens bis ins Jahr 2031. Was davon jedoch keineswegs erfasst sei, seien die Ruhegelder und Altersversorgungszusagen für außertarifliches Leitungspersonal oder auch die Boni. Das seien Ausgaben, die verzichtbar, mindestens jedoch deutlich reduzierbar seien.
medienpolitik.net: Herr Schmitz, in verschiedenen öffentlich-rechtlichen Sendern finden gegenwärtig Streiks im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen statt. Ist es der Öffentlichkeit vermittelbar, dass ein Bereich, in dem überdurchschnittlich verdient wird, auch in einer Krisensituation, Forderungen nach höheren Gehältern erhebt?
Schmitz: Der Klarheit halber: Im Vergleich zum privaten Rundfunk wird im öffentlich-rechtlichen gleichartig, teils geringer verdient. Die steigenden Mieten und wachsenden Energie- und Lebenshaltungskosten sind überall zu spüren. Die Freien und die Angestellten mit niedrigen und mittleren Einkommen trifft es besonders schwer. Doch die Geschäftsleitungen sind nicht bereit, über 2,25 Prozent hinausgehende Tariferhöhungen pro Jahr zu verhandeln und wollen eine Festlegung auf mindestens 24 Monate Laufzeit. Sie halten stur an einem Plan der Vorjahre fest, so als ob sich nichts verändert hätte. Das hätte für die Beschäftigten eine Einkommensentwicklung zur Folge, die weit hinter der aktuellen Entwicklung der Lebenshaltungskosten zurückbleibt. Je nach Betrachtung klafft eine Lücke von fünf bis acht Prozent zwischen Inflation und den Tarifangeboten der Senderchefs, bei den Freien und unteren Entgeltgruppen ist die Kluft noch größer. Das ist für die Mitarbeitenden nicht hinnehmbar. Für die Freien im WDR zum Beispiel braucht es endlich effektive Honorarerhöhungen, da für die meisten Freien die Honorare seit mehreren Tarifrunden eingefroren sind.
medienpolitik.net: Ein großes Problem sind nach Einschätzung der Sender die Pensionslasten. Der anerkannte Nettoaufwand für die betriebliche Altersversorgung 2021 bis 2024 der Sender beträgt laut KEF 2,5 Milliarden Euro. In Relation zum gesamten Beitragsaufkommen belaufe sich der Nettoaufwand auf 8,0 Prozent, so die KEF in ihrem Bericht. Wie lässt sich das Problem lösen?
Schmitz: Für Arbeit erlangt man Rentenansprüche, wozu auch Betriebsrenten zählen. Das ist in erster Linie gerecht und planbar. Damit die Ausgaben für die Betriebsrenten nicht unangemessen hoch werden, haben die Sender in Abstimmung mit uns Gewerkschaften diese Systematik 2017 reformiert. Für die Sender wurden hier erhebliche Entlastungen vereinbart, was mit Abstrichen bei der Entwicklung der Betriebsrenten für die Beschäftigten verbunden ist. Diese Regelung hat Gültigkeit mindestens bis ins Jahr 2031. Was davon keineswegs erfasst ist, sind die Ruhegelder und Altersversorgungszusagen für außertarifliches Leitungspersonal oder auch die Boni, die erst kürzlich bekannt wurden – Ausgaben, die zweifellos verzichtbar, mindestens jedoch deutlich reduzierbar sind.
medienpolitik.net: Ist es für Sie vertretbar, das Lohngefüge im öffentlich-rechtlichen Rundfunk an den öffentlichen Dienst anzupassen?
Schmitz: Tatsächlich hat sich die Gehälterentwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk über lange Zeit an der im öffentlichen Dienst orientiert. Erst in der letzten Tarifrunde gab es eine Abkopplung. Will man den öffentlichen Dienst als Vergleichsgröße heranziehen, darf der Blick nicht auf die Tarifbeschäftigten verengt werden. Denn zum öffentlichen Dienst gehört auch die Beamtenbesoldung inklusive der hohen Beamten – und speziellen Privilegien wie private Krankenversicherung oder Zusatzversorgung fürs Alter. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erfährt die Hälfte der Belegschaft – die freien Mitarbeitern – nicht ansatzweise eine vergleichbare Behandlung wie Angestellte im öffentlichen Dienst, beginnend mit der Unsicherheit ihrer Beschäftigung bis hin zur geringeren Alterssicherung. Eine Rundfunkanstalt arbeitet mit anderem Personal und einer anderen Personalpolitik als eine kommunale Verwaltung oder Bundesbehörde, die auch anders finanziert werden als der ÖRR. Für bestimmte Bereiche wiederum – etwa in der IT, Produktion und Technik und bei hochqualifizierten Redaktionsjobs – müssen Löhne eher mit der Privatwirtschaft als mit dem bisherigen Gefüge im öffentlichen Dienst vergleichbar sein. Das ist auch im öffentlichen Dienst eine tarifpolitische Herausforderung angesichts sich ändernder Berufsbilder und der Konkurrenz um die Fachkräfte. Insgesamt ist die Tarifautonomie also der beste Weg für die Öffentlich-Rechtlichen. Und nur der Vollständigkeit halber: Das Gehaltsgefüge der Rundfunkanstalten ist auch durch die Prüfung der KEF gegangen, die den Finanzbedarf für die Rundfunkanstalten schließlich ermittelt.
„Ehrlicherweise müssen wir von einem schrittweise steigenden Rundfunkbeitrag ausgehen, selbst wenn alle Exzesse im Bereich der inakzeptablen Vergütungshöhen und Finanzzusagen in der Leitungsebene der Sender bereinigt werden.“
medienpolitik.net: Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff hat jüngst erklärt, dass eine Beitragserhöhung auf absehbare Zeit „nicht vermittelbar“ sei. Und die Rundfunkkommission der Länder fordert „finanzwirksame Selbstverpflichtungen“ der Anstalten. Erwarten Sie, dass der Rundfunkbeitrag auch 2025 wieder steigt?
Schmitz: Die Forderung der Rundfunkkommission an die Anstalten ist mit dem KEF-Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Hiernach ist es die Aufgabe der KEF, Einsparpotenziale am angemeldeten Bedarf der Öffentlich-Rechtlichen zu identifizieren. Dass die Rundfunkkommission dieses Verfahren nun untergräbt, ist für mich nicht akzeptabel. Wenn die Politik die Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Medien durch einen niedrigeren Rundfunkbeitrag stärken will, hat sie dafür ja durchaus Möglichkeiten. Doch die aktuelle Novellierung des Medienstaatsvertrags reizt das Maximum des Reformierbaren bei Weitem nicht aus. Auf weitergehende Änderungen konnte man sich in der Runde der Länder aber offenbar nicht einigen. Und für den hierin definierten Auftrag steht dem ÖRR eine bedarfsgerechte Finanzierung zu. Bei zehn Prozent Inflation, also auch enorm steigenden Kosten für die Anstalten, wäre es abenteuerlich, einen gleichbleibenden oder gar sinkenden Beitrag zu prognostizieren. Ehrlicherweise müssen wir von einem, so wie in der 90er Jahren bei erheblichen Inflationsraten, schrittweise steigenden Rundfunkbeitrag ausgehen, selbst wenn alle Exzesse im Bereich der inakzeptablen Vergütungshöhen und Finanzzusagen in der Leitungsebene der Sender bereinigt werden. Mit erkennbaren Investitionen ins Programm und ins leistungsfähige Personal halte ich das auch für einen für das Publikum, die Beitragszahler, akzeptablen Kurs.
medienpolitik.net: Wie mehrere Organisationen und Parteien hat auch ver.di ein Reformpapier für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Worauf kommt es Ihnen dabei vor allem an?
Schmitz: Geht es nach ver.di, würden die Öffentlich-Rechtlichen die aktuelle Krise dafür nutzen, verschiedene Fehlentwicklungen zu korrigieren und die Weichen grundsätzlich neu zu stellen, um gestärkt in die Zukunft zu gehen. Dabei muss es um Transparenz der Ausgaben und der Entscheidungen gehen, um Dialogbereitschaft mit dem Publikum und den Mitarbeitenden, um innere Rundfunkfreiheit und um eine Refokussierung auf die journalistische Qualität. Zweifellos brauchen wir als Gesellschaft starke, unabhängige, vertrauenswürdige öffentlich-rechtliche Medien. Deshalb müssen sich in dieser herausfordernden Zeit allen voran die Intendanten von ARD, ZDF und Deutschlandradio für eine zeitgemäße Entwicklung und Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Systems stark machen.
medienpolitik.net: Neben Forderungen, die auch von anderen erhoben werden, plädieren Sie dafür, „dass die Mitarbeiter eines Senders bei finanzwirksamen und anderen relevanten Entscheidungen mitbestimmen sollten – Feste und Freie gleichermaßen“. Wie soll das konkret aussehen?
Schmitz: Richtungsentscheidungen stur von oben sind weder dafür bekannt die besten zu sein, noch sind sie zeitgemäß. Ein Beispiel: Beim rbb werden Kameraleute nicht ausgelastet, während sogenannten VJs neben ihrer journalistischen Kernaufgabe die Arbeit von Kamera, Tontechnik und Fertigstellung eines sendefähigen Beitrags zusätzlich aufgelastet wird. Ich wage zu bezweifeln, dass diese Ressourcen- und Arbeitsverteilung den Öffentlich-Rechtlichen auf Dauer interessierten Nachwuchs und für das Publikum das bestmögliche Produkt hervorbringt. Diejenigen, die das Programm machen, wissen am besten, welche Strukturen sie dafür brauchen. Auf diese Fachlichkeit in den eigenen Häusern haben manche Sender jahrelang verzichtet und über die Köpfe der Belegschaft hinweg Umstrukturierungen und Einsparungen am Programm und in der Produktion betrieben, besonders bei freien Mitarbeiter*innen. Wichtig ist, die Betroffenen von Entscheidungen einzubeziehen: bei der Wahl von Direktor*innen, bei Schwerpunktsetzungen im Programm, bei Investitionen in Infrastruktur. Mehr Demokratie und vollwertige Mitbestimmung auch der vielen Freien könnte den Rückhalt für Weichenstellungen in der Belegschaft durchaus fördern.
„Der von den Ministerpräsidenten unterzeichnete Medienänderungsstaatsvertrag sieht keine Kürzungen vor, die geringere Kosten erwarten lassen würden als bisher.“
medienpolitik.net: Damit sind doch die Rundfunk- und Verwaltungsräte überflüssig, die Sie stärken wollen?
Schmitz: Wir wollen diese Gremien stärken: durch eine größere Rolle der Belegschaft und intensiven Dialog der Gremien mit dem jeweiligen Haus, aber auch mit dem Publikum. Außerdem setzen wir uns dafür ein, die Kontrollrechte von Rundfunk- und Verwaltungsräten gegenüber den Sendern auszuweiten und sie hierfür angemessen auszustatten. Auch das ist eine unmittelbare Lehre aus der Krise im RBB.
medienpolitik.net: In Ihrem Reformpapier ist keine Rede von einem sparsamen Umgang mit Beitragsgeldern und einem sparsamen Wirtschaften der Sender. Warum spielt das für Sie keine Rolle?
Schmitz: Es gibt zwei Aspekte. Einerseits ist da der Umfang, in dem Programm gemacht wird. Abträglich dafür waren die Appelle zum Sparen, die in den letzten Jahrzehnten leider zuverlässig zum Anlass genommen wurden, beim Journalismus zu kürzen. Gezielter Personalabbau hieß das zumeist, der dann hinterher durch Freie ersetzt wird oder auch gar nicht, wenn’s schlecht läuft. Auch hier ist der RBB ein Negativbeispiel. Das Gegenteil wäre notwendig! Eher sollte bei Lizenzkosten für Sport oder eingekauftes Programm gespart werden, statt das Herzstück der Öffentlich-Rechtlichen – Information, Bildung, Kultur und gleich bedeutsam auch Unterhaltungsprogramme – zu verzwergen. Bei Information und Unterhaltung zeigt sich ja, dass es im Medienmarkt einen großen Bedarf gibt, der allerdings im Sinne der Vielfalt nicht den privatwirtschaftlichen Akteuren allein überlassen werden darf. Der zweite Aspekt ist der sparsame und wirtschaftliche Umgang mit den zugeteilten Beitragsgeldern in den Sendern, der per Medienstaatsvertrag grundsätzlich vorgeschrieben und von Rechnungshöfen kontrolliert wird. Hierbei geht es um die Glaubwürdigkeit der Institutionen und um die Wahrnehmung einer Verantwortung durch die Spitzenkräfte in den Rundfunkanstalten. Umso erschütternder, was kürzlich über „Ruhegelder“ für die Leitungsebenen in einigen Rundfunkanstalten, gewissermaßen üppige Sofort-Renten für einen Kreis von Auserwählten, bekannt wurde. Gerade auch angesichts der unsicheren Beschäftigungsverhältnisse, mit denen viele freie Mitarbeitende der Sender unterdessen zu kämpfen haben, sind solche Verträge für die Spitze inakzeptabel.
medienpolitik.net: Sie verlangen, dass der „seit Jahren andauernde, von der KEF geforderte Abbau journalistischer Stellen rückgängig gemacht werden muss, denn Nutzen und Glaubwürdigkeit öffentlich-rechtlicher Medien hängen zentral von ihrer journalistischen Leistung ab.“ Hängen aber „Nutzen und Glaubwürdigkeit“, wie viele Studien zeigen, nicht auch davon ab, dass für den Bürger der Beitrag akzeptabel und angemessen ist?
Schmitz: Dass die Menschen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Studien zufolge kontinuierlich weitaus mehr Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit attestieren als den privaten Sendern, ist natürlich auch der journalistischen Kompetenz der Öffentlich-Rechtlichen zu verdanken. Daher rührt auch die weitreichende Anerkennung des ÖRR in der Bevölkerung, die auch nicht kleingeredet werden sollte. Diesen Bereich – die journalistische Qualität – sollten die öffentlich-rechtlichen Medien entsprechend unbedingt stärken, um den Beitragszahlern auf allen Kanälen seriöse Informationen zur Verfügung zu stellen. Darauf hat auch das Bundesverfassungsgericht hingewiesen. Das Informationsbedürfnis in der komplexen Nachrichtenlandschaft ist groß. Hierzu fordere ich auch eine noch stärkere Bemühung, junge und alle Teile unserer immer fragmentierteren Gesellschaft erreichen zu wollen, damit auch einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt zu leisten. Werden immer mehr Stellen eingespart, lassen sich der wachsende Aufwand und die geforderte Vielfalt nicht angemessen abdecken. Wir sehen ja auch, dass für ein ansprechendes Inhalteportfolio vom Publikum auch beträchtliche Abo-Gebühren gezahlt werden. Rundfunkabgaben müssen als für alle ebenso wertvolle Beteiligung am Programm verstanden werden können. Klar ist auch, dass der Rundfunkbeitrag nicht zur Belastung werden darf. Auskömmliche Einkommen sind dagegen das beste Mittel.
medienpolitik.net: Sie verweisen in Ihrem Papier auf das Bundesverfassungsgericht, das eine auskömmliche Finanzierung der Sender anmahnt. Damit verbindet das Gericht aber keine Ausdehnung der Inhalte. Warum kann eine Anpassung des Angebotes an die veränderte Mediennutzung nicht mit einem geringeren Beitrag erfolgen?
Schmitz: Das Bundesverfassungsgericht hat im August 2021 darauf hingewiesen, dass im digitalen Raum ein öffentlich-rechtliches Gegengewicht zu den marktbeherrschenden Plattformen nötig ist, um den gesellschaftlichen Diskurs auch bei veränderter Mediennutzung weiter zu befördern. Das Gericht sagte auch, dass den Sendern die hierfür notwendigen personellen und technischen Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Wege der Medienrezeption sind nun einmal vielfältiger geworden. Heute reicht es eben nicht mehr, Fernsehen und Radio zu veranstalten, um alle Menschen zu erreichen. Je mehr Ausspielwege bedient werden müssen, desto mehr Aufwand entsteht. Und der nun von den Ministerpräsidenten unterzeichnete Medienänderungsstaatsvertrag sieht keine Kürzungen vor, die geringere Kosten erwarten lassen würden als bisher. Wenn dieses politisch umrissene Auftragsportfolio erfüllt werden soll, ist ein sinkender Rundfunkbeitrag schlicht unrealistisch. Er müsste schon jetzt höher liegen als aktuell festgelegt, darauf haben wir immer hingewiesen.