Wege zu einer nachfrageorientierten Presseförderung

von am 22.11.2022 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Gesellschaftspolitik, Journalismus, Medienordnung, Medienpolitik, Verlage

Wege zu einer nachfrageorientierten Presseförderung
Rechtsanwalt Hermann von Engelbrechten-Ilow

Das Steuerrecht bietet ungehobenes Potenzial zur Unterstützung des Journalismus

22.11.22. Von Rechtsanwalt Hermann von Engelbrechten-Ilow

Die Ampel will die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen gewährleisten und prüfen, welche Fördermöglichkeiten dazu geeignet sind; so steht es im Koalitionsvertrag. Im Haushalt für 2022 schlägt sich das bisher nicht nieder, kritisiert der Bundesrat. In einem aktuellen Entschluss hat er den Bund aufgefordert, zeitnah ein Förderkonzept vorzulegen. Freie Medien seien ein wesentliches Element unserer demokratischen Ordnung. Insgesamt sei die Gesamtauflage der Tageszeitungen von etwa 27 Millionen 1991 auf ca. 12 Millionen Exemplare im Jahr 2021 gesunken, erinnert die Länderkammer. Gerade regionale und lokale Presseerzeugnisse stünden vor extremen Herausforderungen. Der Bundesratsvorstoß zeigt: Es gibt sehr viele gute Argumente für eine Medienförderung. Es gibt aber auch sehr viele gute Argumente dagegen. Diese sind weniger grundsätzlicher, sondern vielmehr praktischer Natur. Die Schwierigkeit der Medienförderung liegt darin, dass sie mindestens staatsfern und meinungsneutral, wenn nicht sogar auch technologieneutral erfolgen muss. Das erklärt, warum das Wirtschaftsministerium sich in der vergangenen Legislaturperiode zwar an einer Presseförderung mit einem Volumen von 220 Millionen Euro versucht, dieses Vorhaben aber aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken wieder aufgegeben hat.

Innerhalb der aktuellen Bundesregierung sind das Bundeswirtschaftsministerium sowie die Staatsministerin für Kultur und Medien verantwortlich. In Anbetracht der Zuständigkeiten und dem Wortlaut des Koalitionsvertrages, der die „flächendeckende“ Versorgung hervorhebt, lässt sich die Art der Unterstützung bereits erahnen. Es wird auf eine Zustellförderung bzw. zweckgebundene Direktzahlungen hinauslaufen. Für die Zustellförderung gibt es auch juristisch-praktische Gründe. Es existiert eine Blaupause und höchstrichterliche Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht hat Ende der 80er Jahre zum sogenannten Postzeitungsdienst das Grundsatzurteil zur Presseförderung gefällt. Beim Postzeitungsdienst übernahm die Bundespost die vergünstigte Auslieferung von Presseprodukten. Die Nutzungsbedingungen legte die Bundesregierung fest. Karlsruhe befasste sich mit der staatlichen Zustellförderung, weil die Bundespost die Zulassung einer wöchentlich erscheinenden Druckschrift zum Postzeitungsdienst widerrief. Deren Herausgeberin klagte durch die Instanzen, verlor aber auch vor dem Grundrechtesenat. Die Zeitung „werde jedenfalls auch zu dem Zweck herausgegeben, den geschäftlichen Interessen von Unternehmen, Vereinen, Verbänden und sonstigen Körperschaften zu dienen“. Die Postzeitungsordnung wolle aber „nur die echte Nachrichtenpresse bei der Wahrnehmung ihrer für das demokratische Gemeinwesen wichtigen Aufgabe der Information und Meinungsbildung durch möglichst niedrige Vertriebskosten unterstützen.“ Etwas weiter unten führt es aus: „Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbietet ihm [dem Staat] nur, daß er den Inhalt der Meinungen oder die Tendenz von Presseerzeugnissen zum Förderungskriterium macht und sich auf diese Weise Einfluß auf den gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildungsprozeß verschafft, der nach dem Willen des Grundgesetzes im Interesse der personalen Autonomie und des demokratischen Systems staatsfrei zu bleiben hat“. Weiter unterscheidet das Bundesverfassungsgericht zwischen Publikationen, deren Zweck auf die Verbreitung von Meinungen und Informationen ausgerichtet ist, und solchen, bei denen „die Meinungsäußerung und Information außerpublizistischen Zwecken untergeordnet wird“. Werbeanzeigen beeinträchtigten den Herausgabezweck dann nicht, „solange deren Verbreitung nicht das Ziel der Publikation, sondern das Mittel zur Finanzierung der Verbreitung von Meinungen und Informationen ist.“ Ein solches Differenzierungskriterium sei im Grundgesetz selbst angelegt, denn so das BVerfG im folgenden Absatz: „Die grundrechtliche Garantie der Pressefreiheit dient wie alle Garantien in Art. 5 Abs. 1 GG der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Die Erfüllung dieser Funktion ist daher auch ein zulässiges Kriterium für die Vergabe staatlicher Pressesubventionen. Druckwerke, die weder eigene Meinungen äußern noch fremde Meinungen wiedergeben, tragen zur Meinungsbildung nicht bei. Presseorgane, bei denen die Meinungsäußerung und Information außerpublizistischen Geschäftszwecken untergeordnet wird, sind ihrer Intention nach nicht primär auf einen Beitrag zur Meinungsbildung ausgerichtet.“

Merke: Der Staat darf publizistische Zwecke fördern, hat diese Förderung aber meinungsneutral auszugestalten. Diese Erkenntnis sagt noch nichts über die Art der Förderung. So bietet z.B. das Steuerrecht ungehobenes Potenzial zur Unterstützung des Journalismus. Der Geschäftsführer der FAZ, Thomas Lindner, fragte jüngst seinen Namensvetter Christian im Bundesfinanzministerium, warum man publizistische Medien nicht vollständig von der Mehrwertsteuer befreie. Ja, warum eigentlich nicht? Formaljuristisch deshalb, weil einem solchen Vorgehen die EU-Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem entgegensteht. Danach ist es den Mitgliedsstaaten lediglich erlaubt, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf digitale wie analoge Zeitungen und Zeitschriften anzuwenden. Es stünde den europäischen Institutionen jedoch gut zu Gesicht, sich einmal der vollständigen Mehrwertsteuerbefreiung für gedruckte wie digitale Medien anzunehmen. Schließlich hat die Europäische Kommission gerade öffentlichkeitswirksam einen Media Freedom Act angekündigt. Bei dieser Gelegenheit könnte man sie daran erinnern, dass eine Presse, die frei bleiben soll, auch eines funktionierenden Geschäftsmodells bedarf. Dazu kann eine vollständige Abschaffung der Mehrwertsteuer beitragen. Das geht nur, wenn der europäische Gesetzgeber es auch erlaubt.

Nun ist in der Diskussion über die schwierige Finanzlage des Journalismus viel von dessen Bedeutung für die Demokratie die Rede. Daraus leiten sich die Forderungen nach dessen Förderung ab. Das Bundesverfassungsgericht urteilt, die Pressefreiheit dient der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Gerade deshalb darf der Staat publizistische Zwecke fördern. In der Präambel des Pressekodex ist von der publizistischen Aufgabe die Rede. Die Presse erfüllt eine Funktion für die Demokratie, muss aber zwingend privatwirtschaftlich organisiert sein. Das ergibt sich aus Karlsruhes wegweisender Spiegel-Entscheidung: „So wichtig die damit der Presse zufallende „öffentliche Aufgabe“ ist, so wenig kann diese von der organisierten staatlichen Gewalt erfüllt werden. Presseunternehmen müssen sich im gesellschaftlichen Raum frei bilden können. Sie arbeiten nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen und in privatrechtlichen Organisationsformen. Sie stehen miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz, in die die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen darf.“

„Das Recht verfügt über einen Basisbegriff, den der Gesetzgeber um weitere meinungsneutrale Kriterien erweitern kann, um bestimmte Publikationsgattungen zu stützen.“

Wenn die Presse also privatwirtschaftlich arbeiten muss, warum dann nicht dieses privatwirtschaftliche Modell stützen? Das geht am besten, indem man die Nachfrage ankurbelt. Dort kommt das Steuerrecht wieder ins Spiel. Der Staat unterstützt gemeinnützige Organisationen, indem er Bürger Spenden steuerlich absetzen lässt. Wer z.B. über ein Bruttojahreseinkommen von 30.000 Euro verfügt und eintausend Euro an den gemeinnützigen Kulturverein spendet, dessen zu versteuerndes Einkommen sinkt auf 29.000 Euro. Spenden an politische Parteien honoriert das Finanzamt ebenfalls, aber anders: Wer 1.000 Euro an die Tierschutzpartei spendet, bekommt diese Spende nicht von seinem zu versteuerndem Einkommen abgezogen, sondern von der Steuerschuld – und zwar hälftig. Bei einem Einkommen von 30.000 Euro fallen nach aktueller Progressionstabelle regulär etwa 5.000 Euro Steuern an. Aufgrund der Parteispende verringert sich diese Summe um 500 Euro. Diese Regelung kann der Gesetzgeber auch auf die Presse anwenden.

Für die praktische Umsetzung braucht es meinungsneutrale Kriterien, die Journalismus im Rechtssinne konkretisieren und zugleich inhaltslenkenden staatlichen Einfluss ausschließen. Hier hilft der Medienstaatsvertrag weiter. Für die Bestimmung digitaler „journalistischer“ Medienangebote greift er auf den bereits im Rundfunkstaatsvertrag eingeführten Begriff des journalistisch-redaktionellen Angebots zurück. Journalistisch-redaktionelle Angebote haben „den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen“, § 19 Abs. 1 MStV. Eine gesetzliche Definition fehlt. Die Konkretisierung obliegt damit Literatur und Rechtsprechung. Diese verlangen eine gewisse Selektivität und Strukturierung, das Treffen einer Auswahl nach ihrer angenommenen gesellschaftlichen Relevanz mit dem Ziel des Anbieters, zur öffentlichen Kommunikation beizutragen, die Ausrichtung an Tatsachen, ein hohes Maß an Aktualität, ein hoher Grad der Professionalisierung der Arbeitsweise sowie ein gewisser Grad an organisierter Verfestigung, der eine gewisse Kontinuität gewährleistet.

Damit verfügt das Recht über einen Basisbegriff, den der Gesetzgeber um weitere meinungsneutrale Kriterien erweitern kann, um bestimmte Publikationsgattungen zu stützen. Wer gezielt und technologieneutral Journalismus fördern will, der seine Inhalte über Text und Standbilder vermittelt, der bezieht sich auf ein journalistisch-redaktionelles Presseangebot. Will der Gesetzgeber gezielt die Tageszeitung fördern, kommt das Merkmal der Universalität hinzu. Universalität zielt auf eine Berichterstattung ab, die insbesondere die Sparten Politik, Wirtschaft, Kultur sowie Sport umfasst. Ein weiteres Merkmal der Tageszeitung ist die Periodizität, konkret die werktägliche Erscheinungsweise. Regional ist die Tageszeitung dann, wenn ihre tägliche Berichterstattung Ereignisse aus einem Landkreis oder – sofern es um Berlin, Bremen und Hamburg geht – einem Bezirk umfasst.

Eine meinungs- und technologieneutrale Definition der regionalen Tageszeitung baut also auf folgenden vier Sätzen auf:

1. Eine Tageszeitung ist ein werktäglich erscheinendes journalistisch-redaktionelles Presseangebot, welches eine umfassende Berichterstattung bietet.

2. Eine umfassende Berichterstattung ist insbesondere eine solche, die Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport beinhaltet.

3. Eine regionale Tageszeitung ist eine solche, deren tägliche Berichterstattung Ereignisse aus einem Landkreis oder einer vergleichbaren Gebietskörperschaft umfasst.

4. Um Presse im Sinne des Gesetzes handelt es sich bei journalistisch-redaktionellen Angeboten, die im Schwerpunkt mittels Text und Standbild verbreitet werden.

Mithilfe dieser Definition kann der Bundesgesetzgeber die Regionalzeitung über das Steuerrecht stützen. Das geht, indem er den Paragraphen zur steuerlichen Privilegierung von Parteispenden nachbildet und einen entsprechenden Paragraphen für Medienabonnements einfügt. Der Vorschlag für diesen § 34 h Einkommenssteuergesetz lautet: „1Die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen mit Ausnahme des § 34 f Absatz 3, ermäßigt sich bei Abonnementzahlungen für

1. regionale Tageszeitungen, und

2. weitere journalistisch-redaktionelle Angebote, wenn ein Abonnement nach Ziffer 1 besteht. 2Die Ermäßigung beträgt 50 Prozent der Ausgaben, höchstens 400 Euro für Ausgaben nach den Nummern 1 und 2, im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten höchstens 800 Euro. 3§ 10b Absatz 3 und 4 gilt entsprechend.“

Die Höhe der Ermäßigungen ist gedeckelt und progressionsunabhängig, um zu verhindern, dass Steuerpflichtige mit höherem Einkommen einen größeren Einfluss auf den Prozess der politischen Willensbildung erlangen als Bürger mit geringerem Einkommen. Um Härten gegenüber anderen publizistischen Angeboten zu vermeiden, vermindert sich – sofern eine regionale Tageszeitung abonniert wird – die Steuerschuld auch bei Abonnement weiterer journalistisch-redaktioneller Angebote. Die Deckelung erfolgt bei 400 Euro. Ein konkretes Beispiel: Wer im Landkreis Stendal lebt und die Stendaler Volksstimme als E-Paper bezieht, zahlt dafür jährlich etwa 332 Euro. Wer dazu noch den Spiegel in der Print-Ausgabe abonniert, auf den kommen weitere 291 Euro zu. Zusammen macht das 623 Euro von denen die Hälfte, also 311,50 Euro von der Steuerschuld abgezogen werden kann.

Eine weitere Möglichkeit, den Journalismus über die Nachfrage zu stützen, kommt aus der Schweiz. Dort wird diskutiert, Pressegutscheine zu verteilen. Warum nicht auch in Deutschland? Praktisch könnte das so aussehen: Der Gesetzgeber bedient sich der staatsfernen Infrastruktur des Beitragsservices der Rundfunkanstalten und verschickt einmal im Jahr mit der Beitragsrechnung ein Gutscheinpaket. Dieses besteht aus einem Gutschein, der die hälftige Übernahme der Abonnementkosten einer regionalen Tageszeitung garantiert. Für alle anderen journalistisch-redaktionellen Angebote garantiert ein weiterer Gutschein die Übernahme von bis zu einem Viertel der Abonnementkosten. In der Summe ist die Kostenübernahme auf 400 Euro jährlich begrenzt.

Ob nun über das Steuerrecht oder per Gutscheinen, beide Vorschläge haben einen Nachteil: Es wird teuer. Sie würden den Fiskus ein Vielfaches der 220 Millionen Euro kosten, die in der letzten Legislaturperiode für Presseförderung eingeplant waren. Und ob sie wirklich substanziell die Nachfrage ankurbeln, kann nur die Praxis zeigen. Die Steuerermäßigung setzt voraus, dass die Menschen eine Steuererklärung abgeben. Für die Gutscheinlösung müsste eine Zahlungsinfrastruktur aufgebaut werden. Der Vorteil der nachfrageorientierten Presseförderung besteht darin, dass es zu keinen direkten Beziehungen zwischen Staat und Presse käme, die Gefahr staatlicher Einflussnahme also deutlich geringer ist. Und die Entscheidung, welche Medien unterstützenswert sind, treffen allein die Bürger.

Hermann von Engelbrechten-Ilow ist Rechtsanwalt in Berlin und spezialisiert auf die verfassungsrechtlichen Aspekte gesellschaftlicher Meinungsbildung.

Print article