„Wir können internationalen Playern auf Augenhöhe begegnen“

von am 14.11.2022 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Digitale Medien, EU-Politik, Medienordnung, Medienpolitik, Medienwirtschaft, Regulierung, Social Media

„Wir können internationalen Playern auf Augenhöhe begegnen“
Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) und Direktor der Landesanstalt für Kommunikation (LFK)

Twitter muss sich an die rechtlichen Vorgaben in Deutschland und der EU halten

14.11.2022. Interview mit Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten und Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg

Am 28. Oktober hat Elon Musk Twitter für 44 Milliarden Dollar gekauft. Seitdem reißen die Spekulationen über die wirtschaftliche Lage und die künftige Ausrichtung des sozialen Netzwerkes nicht ab. Laut Kontor können wöchentlich bis zu 2,8 Millionen Deutsche über Twitter erreicht werden. Im Jahr 2021 belief sich die Zahl der weltweiten Twitter-Nutzer auf 362,6 Millionen. Vor allem von wirtschaftlichen Entscheidern, Politikern und Journalisten wird Twitter genutzt. Soziale Medien hätten maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Prozesse der öffentlichen Kommunikation und Meinungsbildung tiefgreifend verändert haben, sagt Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten gegenüber medienpolitik.net. Twitter, so Kreißig, ist ein Medienintermediär und müsse sich als solcher an die spezifischen Vorgaben aus dem Medienstaatsvertrag halten. Das seien vor allem die Transparenzvorgaben und die Diskriminierungsfreiheit. Twitter sei verpflichtet, Nutzerinnen und Nutzern nachvollziehbar darzustellen, nach welchen Kriterien ihnen Inhalte präsentiert würden. Eine Abweichung zulasten bestimmter Inhalte-Anbieter dürfe nicht stattfinden.

medienpolitik.net: Herr Kreißig, welche Rolle spielen soziale Netzwerke heute für die Meinungsbildung in Deutschland?

Kreißig: Die zunehmende Bedeutung von Google, Meta & Co. im Informationsrepertoire der Bevölkerung in Deutschland ist kein neues Phänomen, allerdings ist die Geschwindigkeit ihrer steigenden Relevanz bemerkenswert. Mittlerweile nennen mehr als 30 Prozent der 14- bis 29-Jährigen Soziale Medien als ihre wichtigste Quelle für Nachrichten und Informationen zum aktuellen Zeitgeschehen. Das zeigt unsere neueste Mediengewichtungsstudie, die wir in Kürze veröffentlichen. Soziale Medien bieten aber nicht nur einfach einen neuen Touchpoint für Nachrichten und Informationen. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Prozesse der öffentlichen Kommunikation und Meinungsbildung tiefgreifend verändert haben. So wünschenswert es in einer Demokratie ist, dass jede und jeder die Möglichkeit hat, seine Meinung zu verbreiten, so gewaltig kann die mögliche Wirkung sein. Im positiven wie im negativen Sinn: Stichwort Desinformation, Fake News und gefälschte Nachrichtenseiten. Soziale Netzwerke sind auf Werbeeinnahmen angewiesen und die wichtigste Währung ist die Aufmerksamkeit. Die Plattformökonomie kann dabei durchaus auch zur Destabilisierung demokratischer Meinungsbildungsprozesse führen.

medienpolitik.net: Elon Musk hat Twitter gekauft. Ist das für Sie in Bezug auf die stärkere Rolle sozialer Medien auf die Meinungsbildung problematisch?

Kreißig: Wie sich die Eigentumsverhältnisse bei Twitter entwickeln, verdient auf jeden Fall besondere Aufmerksamkeit. Zwar liegt Twitter nicht an der Spitze der am meisten genutzten sozialen Medien in Deutschland, doch ist die gesellschaftliche Relevanz des Dienstes für die politische Diskussion zwischen Aktivistinnen und Aktivisten, Journalistinnen und Journalisten, Politik und der Bevölkerung beachtlich. Ob dieser Kauf problematische Auswirkungen hat, wird sich zeigen und hängt davon ab, ob und wie sich der Dienst in Bezug auf seine Inhalte zukünftig entwickeln bzw. welcher Einfluss hierauf ausgeübt wird. Zunächst einmal hat Herr Musk angekündigt, dass Nutzerinnen und Nutzer grundsätzlich twittern können, was immer sie wollen, Hauptsache es ist legal. Ganz klar ist aber: Was legal und was illegal ist, kann sich nicht nach den Geschäftsbedingungen von Twitter richten, sondern ist Sache des Gesetzgebers. Der Konzern wird personell und organisatorisch sicherzustellen haben,  dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden.

„Die EU hat endlich damit begonnen, die Prärogative des Gesetzgebers zurückzuholen.“

medienpolitik.net: Die Bundesregierung hat zur Übernahme von Twitter durch den Techmilliardär Elon Musk geäußert, man werde die Entwicklung „sehr genau“ beobachten. Ist das alles, was Deutschland bei diesem wichtigen Kommunikations- und Informationskanal, der hierzulande von 8 Millionen Menschen genutzt wird, unternehmen kann?

Kreißig: Nein, das ist natürlich nicht alles, was Deutschland bzw. speziell auch die Gesetzgebung durch die Länder und deren Umsetzung durch die Medienanstalten in Bezug auf Twitter leisten können. Wir haben in Deutschland mit dem Medienstaatsvertrag (MStV) und dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) klare Vorgaben dazu, welche Inhalte über Twitter kommuniziert werden dürfen bzw. welche nicht. Hass und Hetze wie zum Beispiel Volksverhetzung oder die Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sind unzulässig. Das Gleiche gilt für die Verbreitung von Pornografie. Die Landesmedienanstalten monitoren regelmäßig verschiedene Telemedienangebote, zu denen natürlich auch Twitter-Accounts gehören. Wenn Verstöße gegen den MStV oder JMStV bei Twitter festgestellt werden, leiten die Landesmedienanstalten verwaltungsrechtliche Verfahren ein. So wurden in der Vergangenheit erfolgreiche Verfahren gegen Twitter wegen der Verbreitung von frei zugänglicher Pornografie geführt. Die unzulässigen Accounts wurden daraufhin von Twitter gelöscht oder für den Abruf aus Deutschland heraus gesperrt.

medienpolitik.net: Welchen Einfluss können die von der EU kürzlich beschlossenen Richtlinien, der DMA und DSA, auf die Verbreitung und den Inhalt von Twitter nehmen?

Kreißig: Grundsätzlich dürften die neuen EU-Verordnungen einen sehr großen Einfluss haben. Die EU hat endlich damit begonnen, die Prärogative des Gesetzgebers zurückzuholen. Dies ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, denn jetzt sichert die EU eine Bindung ausländischer, globaler Plattformen an europäische Werte. Die Medienregulierungsbehörden in den EU-Mitgliedstaaten werden jede für sich und vor allem koordiniert über die ERGA jedenfalls sehr genau hinschauen, inwieweit der absolute Meinungsfreiheitsanspruch mit einer eher nuancierten Grundrechteabwägung in Europa kompatibel ist. Und wir erwarten von der EU-Kommission, dass sie die sich selbst zugeschriebenen Kompetenzen in Bezug auf sehr große Online-Plattformen – wozu Twitter mit Sicherheit zählen dürfte – von Beginn an ernst nimmt.

„Die Plattformökonomie kann zur Destabilisierung demokratischer Meinungsbildungsprozesse führen.“

medienpolitik.net: Auch der Medienstaatsvertrag enthält für Medienplattformen und Medienintermediäre Vorgaben zu Transparenz und Diskriminierungsfreiheit. Sind diese auch für Twitter verbindlich?

Kreißig: Twitter ist ein Medienintermediär und muss sich als solcher an die spezifischen Vorgaben aus dem MStV halten. Das sind vor allem die Transparenzvorgaben und die Diskriminierungsfreiheit. Twitter ist verpflichtet, Nutzerinnen und Nutzern nachvollziehbar darzustellen, nach welchen Kriterien ihnen Inhalte präsentiert werden. Eine Abweichung zulasten bestimmter Inhalte-Anbieter darf nicht stattfinden.

medienpolitik.net: Angenommen Twitter verstößt gegen die Regelungen. Was können die Medienanstalten unternehmen?

Kreißig: Verstößt Twitter gegen Regelungen des MStV oder den JMStV kann die zuständige Landesmedienanstalt, die erforderlichen Maßnahmen treffen. Das sind insbesondere Beanstandung, Untersagung und Sperrung. Die jeweilige Maßnahme wird anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewählt. Kommt es zu einem Verfahren, entscheidet – je nach Fallgestaltung – die Kommission für Zulassung auf Aufsicht (ZAK) oder die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), da es sich um einen Fall von bundesweiter Relevanz handelt.

medienpolitik.net: Die Bedeutung sozialer Medien für die Meinungsbildung nimmt weiter zu. Die Politik plant das Medienkonzentrationsrecht zu reformieren. Ist ein deutsches Recht für die Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht überhaupt noch relevant? Ist das nicht angesichts der globalen Entwicklung aus der Zeit gefallen?

Kreißig: Deutschland ist für Social-Media-Plattformen ein wichtiger Markt. Die Erfahrung zeigt, dass wir internationalen Playern durchaus auf Augenhöhe begegnen können. Und: Gerade unser deutscher Medienstaatsvertrag (MStV) hat in Europa Vorbildcharakter. Klar ist mit Blick auf das heutige Konzentrationsrecht: Es ist nicht mehr zeitgemäß. Darüber besteht längst kein Dissens mehr. Die Intermediäre, also große Plattformen und soziale Netzwerke, waren viel zu lange ein blinder Fleck bei der Regulierung, obgleich sie heute die entscheidenden Gatekeeper sind. Wenn es um freie – und staatsferne! – Meinungsbildung geht, die das Medienkonzentrationsrecht schützen soll, müssen sie noch viel stärker in den Blickpunkt gerückt werden. Deshalb begrüßen wir es, dass die Politik das Medienkonzentrationsrecht jetzt – unter enger Einbindung der Medienanstalten – modernisieren will. Hierbei wird der Fokus der Regulierung vor allem darauf gerichtet sein müssen, dass auch in Zukunft unter Einbeziehung auch der Relevanz und Wirkweisen globaler Plattformen eine freie, vielfältige individuelle und öffentliche Meinungsbildung in Deutschland gewährleistet ist.

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