Der Rechtsstaat verlangt einen „echten“ Schiedsrichter

Die Flexibilisierung ermöglicht eine Selbstbedienung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zulasten der Beitragszahlenden
12.12.2022. Von Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Universität Leipzig, Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht
Da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das zu finanzieren ist, was beauftragt ist. Das heißt, da der zuvor bestimmte Auftrag im späteren Beitragsfestsetzungsverfahren zugrunde zu legen ist und nicht mehr korrigiert werden darf, ermöglicht das System der Selbstbeauftragung (Flexibilisierung) eine Selbstbedienung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zulasten der Beitragszahlenden. Der Staat darf die Sendeanstalten nicht dazu ermächtigen, über die grundrechtlich geschützten Interessen der Beitragszahlenden (und der privaten Anbieter) zu disponieren.
Wenn sich der Staat aus der legislatorischen Steuerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zurückzieht und damit den von Verfassungs wegen notwendigen Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einerseits und der Beitragszahlenden (und der privaten Anbieter) andererseits nicht mehr vornimmt, darf er dies nicht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk überlassen. Die Sendeanstalten sind zwar dazu berufen, ihren Funktionsauftrag zu konkretisieren. Sie sind aber nicht legitimiert, über die grundrechtlich geschützten Interessen der Beitragszahlenden (und der privaten Anbieter) zu verfügen. Die mit der Flexibilisierung des Sendeauftrags verbundenen Entscheidungen (Einstellung und Änderung von Fernsehprogrammen, Überführung von Fernsehprogrammen ins Internet [linear oder nichtlinear] und Änderung entsprechender Telemedienangebote) sind allesamt finanzwirksam, d. h. rundfunkbeitragsrelevant. Vor den Grundrechten der Beitragspflichtigen muss nicht nur eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags Bestand haben, sondern der Beitrag als solcher. In allen Fällen ist eine Abwägung mit den Grundrechten der Beitragszahlenden geboten.
„Es bedarf von Verfassung wegen einer externen Kontrollinstanz, die letztverbindlich über den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entscheidet und den erforderlichen Güterausgleich vornimmt.“
Von Verfassungs wegen erforderlich ist eine Aufsichtsinstanz über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, welche die von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu entwickelnde Angebotskonzeption in Abwägung bringt mit den damit verbundenen (Mehr-)Belastungen der Beitragszahlenden (und mit den grundrechtlich schutzwürdigen Interessen privater Anbieter). So wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine externe Finanzkontrolle durch die KEF geboten ist, die nicht den Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sondern nur dessen Finanzbedarf auf Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit überprüft, bedarf es von Verfassung wegen einer externen Kontrollinstanz, die letztverbindlich über den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entscheidet und den erforderlichen Güterausgleich vornimmt. Hierzu brauchen keine neuen Institutionen geschaffen zu werden. Die Landesmedienanstalten, die bislang allein für die privaten Anbieter zuständig sind, wären konzeptionell dazu in der Lage. (Nennenswerte) Bürokratiekosten entstünden nicht. Verzichtet der Gesetzgeber auf eine legislatorische Beauftragung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und legt er die Konkretisierung des Auftrags in die Hände der Sendeanstalten, muss er also regeln, wer anstelle von ihm, also dem Gesetzgeber, den von Verfassungs wegen notwendigen Ausgleich der grundrechtlich geschützten Interessen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einerseits und der Beitragszahlenden (und der privaten Anbieter) andererseits vornimmt. Der Gesetzgeber darf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit dieser Güterabwägung nicht betrauen, weil die Sendeanstalten in „eigener Sache“ entscheiden, es ihnen an notwendiger Distanz und Neutralität fehlt, sie also als „Schiedsrichter“ a priori ausscheiden. Der grundgesetzliche Rechtsstaat verlangt einen „echten“ Schiedsrichter.