Medienpolitische Diskurse müssen auch mit den Bürgern geführt werden

Die Beitragszahler wollen die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mitgestalten
06.12.2022. Von Dr. Frauke Gerlach, Direktorin des Grimme-Instituts
Fühlt es sich nur so an oder wurde niemals intensiver über Medienpolitik geredet – insbesondere mit Blick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Nun hat die rbb-Krise – zu Recht – einiges ausgelöst. Hier bieten sich auch zahlreiche Anknüpfungspunkte an, eine schon länger brodelnde und heute vollends entfachte Legitimationsdebatte geordnet zu Ende zu führen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird aktuell mal wieder ganz neu gedacht. Einige denken dabei konstruktiv, andere mit destruktiven Intentionen, die oftmals zugleich eine öffentliche Wahrnehmung garantieren. Angesicht der aktuellen Lage wird sich die Grundsatzdebatte diesmal nicht versenden. Das ist auch gut so. Sie könnte den Ausgangspunkt für einen strukturierten und ergebnisorientierten Reformprozess bilden.
Vielleicht täte es auch mal gut, die Perspektive zu ändern und diejenigen einzubeziehen, die am Ende von den Entscheidungen betroffen sein werden, nämlich die Beitragszahlerinnen und -zahler. Offen ist aber, ob überhaupt partizipative Elemente in den Reformprozess zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks integriert werden sollen. In der aktuellen Debatte wird viel über einen „Runden Tisch“ diskutiert, der einen Gesellschaftsvertrag zur Reform erarbeiten könnte. Ist aber ein „Runder Tisch“, der einen solchen Gesellschaftsvertrag entwickeln könnte, wirklich eine gute Idee? Um diese Frage seriös beantworten zu können, sind zunächst zentrale Fragen zu klären: Wer nimmt an diesem Tisch Platz und mit welcher Legitimation? Wie lautet der konkrete Auftrag und was sind die Ziele? Welche Interessen und Perspektiven werden berücksichtigt? Wird es ein exklusiver Kreis sein, der „keine Tabus“ kennt und „Tabula rasa“ macht?
Nimmt man die Idee eines „Runden Tisches“ als ein Gedankenkonstrukt, das den Weg zu einem ergebnisorientierten Prozess ebnet, dann müsste eigentlich klar sein, dass er nicht im traditionellen Sinn des letzten Jahrtausends konzipiert werden kann. In einer modernen Demokratie beutet dies, dass es klare transparente Verfahren, ein legitimierendes Mandat sowie einen konkreten Auftrag, und nicht zuletzt, ausdifferenzierte Möglichkeiten der Partizipation geben muss.
Wir bewegen uns im Politikfeld der Rundfunkregulierung, die unter den Bedingungen der Mehrebenenpolitik agiert. Ein einziges Zentrum, das legitimiert ist, abschließende Entscheidungen zu treffen, existiert nicht. Im deutschen Föderalismus entscheiden die Landtage über die Regulierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf der Grundlage der Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz, die die Rundfunkkommission der Länder vorbereiten. Außerdem sind die rechtlichen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, diese können zum Glück nicht vom Tisch gewischt werden.
„Ein ‚Runder Tisch‘ wird nicht ausreichen, um die komplexe Ausgangslage zu strukturieren und Ergebnisse zu produzieren, die politisch mehrheitsfähig sind und zugleich von den Bürgerinnen und Bürgern getragen werden.“
Aus dieser voraussetzungsreichen Struktur der Entscheidungsprozesse folgt nicht zwingend, dass es mehr als eine Dekade dauern muss, um Ergebnisse zu erzielen. Es wird sehr darauf ankommen, wie die aktuelle Reformdynamik aufgegriffen und wie der Reformprozess gestaltet wird. Da es um die „große“ Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine Zukunftsfähigkeit im (post-)digitalen Zeitalter geht, sollte, auch gesellschaftspolitisch, klar sein, welche Ziele verfolgt werden und welche Prämissen als Leitplanken dienen. Die Sender brauchen schlankere Strukturen und dass die Haushaltsgrundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu beachten sind, versteht sich eigentlich von selbst. Da aber alles mit allem zusammenhängt, fragt es sich, wo gespart werden soll und was Wirtschaftlichkeit im Kontext dieses Systems bedeutet. Es geht doch darum, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk den wirkmächtigen Folgen der digitalen Kommunikation, der Netz- und Plattformökonomie sowie den Öffentlichkeiten sozialer Netzwerke zukünftig etwas entgegensetzen kann. Dies ist jedenfalls die Prämisse des Bundesverfassungsgerichts, wenn es um die Gestaltung einer „positiven Ordnung“ im digitalen Zeitalter geht. Ob dies wirklich gelingen kann, hängt wesentlich davon ab, dass die Bürgerinnen und Bürger von „ihrem“ öffentlich-rechtlichen Rundfunk überzeugt sind und auch die nächste Generation diesem System Vertrauen schenkt.
Von Reformen müssen auch die Macher überzeugt werden, die dafür sorgen, dass es öffentlich-rechtliche Angebote überhaupt gibt. Vor allem aber brauchen sie Freiräume und eine solide Finanzierung, wenn die Bürgerinnen und Bürger mit Inhalten, die einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen und die im besten Fall von hoher Qualität sind, versorgt werden sollen. Wenn Dokumentationen, Reportagen, Magazine sowie Fernsehfilme, Serien, Satire und Shows in nachfrageorientierte Formate gepresst werden, um Geld zu sparen und Klicks zu generieren, wäre dies sicher keine Antwort auf die Frage, wie öffentlich-rechtliche Medienangebote im digitalen Zeitalter aussehen sollten, im Gegenteil.
Und dann sind da noch die Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender, sie repräsentieren die Allgemeinheit und wachen über die Erfüllung des Auftrages. Ihnen kommt eine zentrale Funktion zu. Wie will man sie von den Reformen überzeugen, ihre Anregungen und Vorschläge aufnehmen? Über die Gremien der Sender, ihre Aufgaben und in Teilen über ihr Versagen wurde in den letzten Monaten regelmäßig debattiert. Die aktuelle Reform des Medienstaatsvertrages sieht anspruchsvolle neue Aufgaben für sie vor. Offen ist, ob und wie die Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender in den Reformprozess einbezogen werden.
Auf die Frage, wie die unterschiedlichen Interessen, Erwartungen und Möglichkeiten in Einklang zu bringen sind, gibt es nicht das eine Instrument. Wie in allen Reformprozessen wird es sicher Anhörungen von Experten, Interessenvertretungen und Verbänden geben. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Relevanz der Reform bedarf es darüber hinaus neuer Partizipationsmöglichkeiten.
„Vielleicht täte es gut, die Perspektive zu ändern und diejenigen einzubeziehen, die am Ende von den Entscheidungen betroffen sein werden, nämlich die Beitragszahlerinnen und -zahler.“
Das Online-Partizipationsverfahren #meinfernsehen2021 zeigt eine Möglichkeit, wie man erfolgreich und in einem überschaubaren Zeitraum öffentliche Diskurse initiieren und mit konkreten Ergebnissen zum Abschluss kommen kann. Das Grimme-Institut hat in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Düsseldorfer Institut für Internet und Demokratie der Heinrich-Heine-Universität interessierte Bürgerinnen und Bürger eingeladen, sich an einer Online-Diskussion zu beteiligten, um zu erfahren, welche Erwartungen Zuschauerinnen und Zuschauer an die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben. Die Arbeit startete bereits im Frühsommer 2020 und wurde Anfang November 2022 mit Veröffentlichung der Publikation „#meinfernsehen2021 – Bürgerbeteiligung: Wahrnehmungen, Erwartungen und Vorschläge zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medienangebote“ abgeschlossen (Hrsg. Frauke Gerlach und Christiane Eilders).
Im Ergebnis konnten vertiefte Einblicke in die sehr heterogenen Erwartungen an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewonnen werden. Formuliert wurden zahlreiche Ideen, die zur Verbesserung des Angebots beitragen könnten – ohne in die redaktionelle Freiheit einzugreifen. Es gab Anmerkungen, Lob und Kritik zum Programm, zum Zugang zu den Angeboten und zur Struktur. Die Resonanz war groß, insgesamt haben sich 637 Personen aktiv an der Diskussion beteiligt, es gab 9.793 Likes oder Dislikes, 3.924 Kommentare und 107 konkrete Vorschläge. Das Verfahren verlief in drei Phasen. In den ersten beiden wurden Ideen gesammelt und diskutiert. In der dritten Phase fand eine Abstimmung zu den besonders kontroversen Punkten statt. Entscheidend war, dass die Beteiligten miteinander kommunizierten, ohne dass die Initiatoren steuernd Einfluss genommen haben. Moderatoren, die nicht zum Projektteam gehörten, beobachteten den Diskurs, um einen fairen und geschützten Dialog aller Beteiligten sicherzustellen. Der Diskurs verlief erfreulicherweise zivil und konstruktiv. Unter den Beteiligten der Partizipationsplattform bestand eine große Einigkeit darüber, dass die organisatorische Struktur und das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umgestaltet werden sollten. Die Beteiligten haben zudem konkrete Vorschläge zum Programm und zur Zugänglichkeit gemacht, die in der Publikation zu #meinfernsehen2021 dokumentiert worden sind.
Die Beiträge der Teilnehmenden haben insgesamt gezeigt, dass es einen starken Willen zur Mitgestaltung der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt. Damit dies gelingen kann, wären zunächst die Voraussetzungen hierfür zu schaffen.
Die Initiatorinnen von #meinfernsehen2021 empfehlen hierzu u.a.:
- Medienpolitische Diskurse sollten auch mit den Bürgern geführt werden (Bund, Land und Gemeinden).
- Die Verbindung zwischen Entscheidern und Publikum bedarf einer Stärkung. Dazu könnte auch eine Verbesserung der Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen der Sender und der Medienpolitik der Länder beitragen.
- Es wurden Wissenslücken zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen identifiziert, die geschlossen werden sollten.
- Die Sender und die Medienpolitik, aber auch die Akteure der Medienbildung, sind gefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Historie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner Strukturen besser zu erklären.
- Grundsätzliche Programmreformen sollten nicht nur auf der Grundlage von empirischen Reichweiten-Daten erfolgen, sondern vor allem aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit begründeten Anliegen entwickelt werden, die sich in Rede und Gegenrede im Diskurs durchgesetzt haben.
Ist ein „Runder Tisch“ vor dem Hintergrund der skizzierten Ausgangslage eine gute Idee? Im Ergebnis wird ein einziger „Runder Tisch“ nicht ausreichen, um die komplexe Ausgangslage zu strukturieren und Ergebnisse zu produzieren, die politisch mehrheitsfähig sind und zugleich von den Bürgerinnen und Bürgern getragen werden. Denn es geht im Kern um „ihren“ öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Legt man diesen Maßstab an, benötigt der Reformprozess differenzierte Instrumente und Formate, deren Ausgestaltung sich an den Inhalten und den Interessen- bzw. Zielgruppen orientieren. Das Partizipationsverfahren #meinfernsehen2021 kann als Blaupause für ergebnisorientierte Dialogformate dienen. Zudem bieten die Ergebnisse und Analysen des Projektes Anregungen und Impulse für den Reformprozess zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Weitere Informationen: https://www.meinfernsehen2021.de/