„Nachhaltigkeit zu leben heißt publizistische Verantwortung wahrnehmen“

Der „Nachhaltigkeitspakt Medien Bayern“ stößt bundesweit auf Interesse
14.12.2022. Interview mit Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM)
Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien hat jüngst den Nachhaltigkeitspakt Medien Bayern vorgestellt. BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege ist Initiator und Ideengeber des Pakts. Der Pakt ist bundesweit auf viel Interesse gestoßen. Mit Blick auf die Medienbranche soll Nachhaltigkeit aus Sicht der Initiative weit mehr bedeuten, als sorgfältig mit Energie- oder Papierressourcen umzugehen. In dieser besonderen Branche mit ihrer wichtigen Rolle für die freiheitliche Meinungsbildung geht es um Relevanz, um Qualität, um Compliance, so Schmiege. Es geht damit um publizistische Verantwortung, die nach innen und außen eine wichtige Rolle spielt. Für den Nachhaltigkeitspakt haben sich ganz unterschiedliche Partner zusammengeschlossen. Dazu zählen internationale Inhalte- und Infrastrukturanbieter wie Amazon Prime Video Deutschland, ProSiebenSat.1 und Vodafone Deutschland sowie der regionale Hörfunkanbieter egoFM, der bayerische Journalistenverband, die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Ludwig-Maximilians-Universität München sowie der Bayerische Rundfunk.
medienpolitik.net: Herr Schmiege, was ist das Ziel dieses „Nachhaltigkeitspakt Medien Bayern“?
Schmiege: Nachhaltigkeit ist kein Schönwetterthema oder ein kurzfristiger Trend, auf den man eben mal aufspringt. Mit Nachhaltigkeit muss sich jedes Unternehmen auseinandersetzen, das langfristig in einer Welt knapper werdender Ressourcen bestehen möchte – das gilt schon seit Carl von Carlowitz, dem inoffiziellen Schöpfer des Begriffs der Nachhaltigkeit. Bei Medienunternehmen kommt ein weiterer Faktor hinzu, der auch für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft überlebensnotwendig ist – gerade in diesen von Krisen und Krieg geprägten Zeiten: Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Mit dem Nachhaltigkeitspakt Medien Bayern ist es gelungen, ganz unterschiedliche relevante Akteure aus der Medienbranche zusammenzubringen, die sich dieser Verantwortung bewusst sind. Sie alle eint ein Ziel: Sie wollen aktiv an der Gestaltung einer nachhaltigen Medienwirtschaft mitwirken und ein branchenspezifisches Verständnis von Nachhaltigkeit entwickeln. Dabei geht es in dieser besonderen Branche mit ihrer wichtigen Rolle für die freiheitliche Meinungsbildung um viel mehr als über den Klimawandel zu berichten oder im Unternehmen Energie einzusparen. Die Akteure des Nachhaltigkeitspakts sind davon überzeugt: Nachhaltigkeit zu leben heißt publizistische Verantwortung wahrzunehmen. Das bedeutet, nach bestimmten Werten zu handeln und sich daran messen zu lassen. Glaubwürdigkeit, (Programm-)Qualität und vertrauensvolles Handeln sind dabei zentral.
medienpolitik.net: Mit „publizistischer Verantwortung“ befassen sich bereits der MStV, die Medienanstalten der Länder, es gibt dazu Erklärungen, Leitlinien und Verpflichtungen der Medien. Warum bedarf es dazu noch eines Nachhaltigkeitspakts?
Schmiege: Natürlich ist das Thema der publizistischen Verantwortung an sich nicht neu – die besondere Rolle der Presse für die Meinungsbildung ist ja schon in unserem Grundgesetz verankert. Und der Pressekodex gibt beispielsweise Empfehlungen für die publizistische Arbeit, auf die der Medienstaatsvertrag indirekt Bezug nimmt, wenn er in § 19 den Landesmedienanstalten die Überwachung journalistischer Sorgfaltspflichten überträgt. Aber ist es für ein Medienhaus ausreichend, die publizistische Verantwortung darauf zu beschränkten, nicht gegen journalistische Sorgfaltspflichten zu verstoßen bzw. auszureizen, was gerade noch zulässig ist? Hinzu kommt, dass sich Verantwortung im Einzelfall nur schwer regulieren lässt ohne gleich in Bevormundung umzuschlagen – ein auch verfassungsrechtlich höchst fragwürdiges Unterfangen. Neu ist daher die Verortung der „publizistischen Verantwortung“ als wesentlicher Nachhaltigkeitsaspekt. Wir wollen auch jenseits von klaren Verstößen gegen Sorgfaltspflichten einen klaren Kompass geben. Darum geht es im Nachhaltigkeitspakt: Mehr zu tun, als das, wozu man gesetzlich ohnehin verpflichtet ist. Das gilt insbesondere beim Thema der publizistischen Verantwortung.
Und selbstverständlich werden viele Medienanbieter dieser publizistischen Verantwortung bereits gerecht. Sie wird jedoch nicht systematisch im Form einer konsequenten Nachhaltigkeitsstrategie wahrgenommen. Verständlich – weil es zunächst durchaus Ressourcen braucht, um sich mit dem wichtigen Thema auseinanderzusetzen. Hinzu kommt: Die Besonderheiten der Medienbranche werden bisher in allgemeinen Nachhaltigkeitsansätzen nicht abgebildet. Selbst große Kapitalgesellschaften, die gesetzlich zur Abgabe einer nichtfinanziellen Konzernerklärung verpflichtet sind, finden im Handelsgesetzbuch nur ein unspezifisches Mindestprogramm vor.
Die letzten Monate des Austausches und der Diskussion haben gezeigt, wie unglaublich vielfältig das Thema ist, wie unterschiedlich die Blickrichtungen und die Ansätze sind. Fast jedes Handeln eines Medienunternehmens kann man unter Nachhaltigkeitsaspekten bewerten. Der Nachhaltigkeitspakt Medien Bayern verdeutlicht diese enorme Bandbreite und zeigt die Besonderheiten der Medienbranche auf.
„Nachhaltigkeit ist kein Schönwetterthema oder ein kurzfristiger Trend, auf den man eben mal aufspringt.“
medienpolitik.net: Sie sprechen mit diesem Pakt auch den Bayerischen Rundfunk, also ein öffentlich-rechtliches Medium an, das sich gerade in einer sehr intensiven Diskussion befindet und mit dem 3. Medienänderungsstaatsvertrag auch zu Relevanz, Qualität, um Compliance verpflichtet. Was sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk hier noch mehr leisten?
Schmiege: Der Bayerische Rundfunk ist Teil unseres dualen Rundfunksystems, das aus zwei ungefähr gleich starken Säulen besteht. In einem solchen System ist es vollkommen klar, dass die Krise der einen Säule auch auf die andere Säule ausstrahlt. Bemerkenswert war meines Erachtens, dass es von Seite der privaten Anbieter auf den Medientagen München ein ganz klares Bekenntnis für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegeben hat. Es ist nicht meine Aufgabe, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Hinweise oder Empfehlungen zu geben, diese offensichtliche Vertrauenskrise zu überwinden. Der Nachhaltigkeitspakt gibt sicherlich den Anlass, sich selbst mit den Themen Relevanz, Qualität und Compliance auseinanderzusetzen. Vielleicht sollte man die Krise auch als Zäsur zu verstehen, sich noch klarer danach auszurichten, wie man vom Publikum wahrgenommen werden will, um auch in Zukunft ein unverzichtbarer Pfeiler der Medienordnung zu bleiben.
medienpolitik.net: Warum zum jetzigen Zeitpunkt. Was können und müssen Medien leisten, um nachhaltig ihrer Verantwortung gerecht zu werden? Was sind die Inhalte des Pakts?
Schmiege: Das Thema Nachhaltigkeit wird für Unternehmen immer wichtiger – und zwar nicht nur als Erfolgsfaktor nach außen, sondern auch nach innen. Nachhaltiges Handeln wird auch immer öfter von den Mitarbeitenden selbst eingefordert und ist Voraussetzung dafür, ob und wie sehr sich die Belegschaft mit dem Unternehmen identifiziert. Im Austausch mit zahlreichen Anbietern habe ich wiederholt die Rückmeldung bekommen, dass sich viele gerne intensiver diesem Thema widmen wollen. Der Pakt kann meines Erachtens dabei helfen, das Interesse an dem Thema nicht durch seine Komplexität zu erschlagen. So sollen unsere Leitlinien, wie Nachhaltigkeit in dieser Branche umgesetzt werden kann, gerade auch mittleren und kleineren Medienunternehmen Orientierung und Hilfestellung geben, nachhaltiges Unternehmertum in die Praxis umzusetzen.
„Neu ist die Verortung der ‚publizistischen Verantwortung‘ als wesentlicher Nachhaltigkeitsaspekt.“
Zu den Inhalten des Nachhaltigkeitspakts Medien Bayern: Der bekannte, klassische Nachhaltigkeitsansatz, das Drei-Säulen-Modell mit dem Bezug auf Ökologie, Ökonomie und Soziales, lässt sich zwar auch von Medienunternehmen anwenden. Er bildet aber den bereits angesprochenen, entscheidenden Unterschied nicht ab: nämlich die herausragende Rolle von Medienunternehmen bei der Organisation und Konstruktion von Meinungsbildungsprozessen. Diese publizistische Verantwortung kann dazu führen, dass in der Medienbranche auch ein höherer unternehmerischer Aufwand mit ökologischen und sozialen Auswirkungen nachhaltig sein kann. Der Erfolg einer Nachhaltigkeitsstrategie entscheidet sich für Medienunternehmen danach, wie gut es gelingt, alle diese Dimensionen bestmöglich zum Ausgleich zu bringen. Den Zusammenhang stellt – soweit ich weiß – erstmals der Nachhaltigkeitspakt Medien Bayern her.
medienpolitik.net: Sind diese Regeln für alle Partner verpflichtend?
Schmiege: Wer beim Nachhaltigkeitspakt Medien Bayern mitmachen will, dem wird ein einfacher und konkreter Leitfaden an die Hand gegeben: Durch die Beantwortung vorformulierter Fragen kann sich ein Anbieter strukturiert mit grundlegenden Fragen der Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Für Unternehmen, die dabei sein wollen, ist es verpflichtend, sich diesen Fragen zu stellen und sie zu beantworten. Eine Aufnahme setzt neben der zu veröffentlichenden Beantwortung der Fragen und der Benennung eines Ansprechpartners in Nachhaltigkeitsfragen und damit ein Bekenntnis zu den grundsätzlichen Inhalten dieses Pakts voraus. Danach heißt es: Am Ball bleiben, neue Konzepte testen, den Austausch mit Mitarbeitenden und Interessensgruppen pflegen und den Mut nicht zu verlieren. Wichtiger als sofortige Ergebnisse sind die transparente Darstellung des eigenen Nachhaltigkeitsansatzes und des stetigen Fortschritts – denn der wird eintreten, davon bin ich überzeugt.
medienpolitik.net: Können Sie sich auch soziale Netzwerke oder weitere Plattformen als Partner vorstellen?
Schmiege: Das können wir uns natürlich vorstellen – jedes Medienunternehmen, das sich unseren Leitlinien gegenüber verpflichtet und das auch öffentlich macht, ist willkommen. Mit Amazon Prime Video Deutschland ist ja auch schon eine Plattform dabei.
medienpolitik.net: Mit dem Nachhaltigkeitspakt soll eine Verantwortungsgemeinschaft entstehen. Was soll diese Gemeinschaft auszeichnen?
Schmiege: Der Nachhaltigkeitspakt Medien Bayern richtet sich an Medienunternehmen und Medieneinrichtungen unterschiedlichster Größe, Art und Beschaffenheit. Diese heterogene, und teils auch im Wettbewerb stehende Gemeinschaft zeichnet aus, dass sie übergreifende Leitlinien für nachhaltiges Wirtschaften in Produktion und Distribution von Medieninhalten formuliert haben und auch weiterentwickeln wollen. Leitlinien, deren Einhaltung durch möglichst viele Unternehmen im Interesse der gesamten Medienindustrie liegt.