„Das wichtigste Gut der Anstalten ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in sie“

von am 03.01.2023 in Aktuelle Top Themen, Archiv, EU-Politik, Gesellschaftspolitik, Medienordnung, Medienpolitik, Medienwirtschaft, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Verlage

„Das wichtigste Gut der Anstalten ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in sie“
Rudolf Hoogvliet, Medienstaatssekretär in Baden-Württemberg

Traditionelle Umfrage von medienpolitik.net zu den medienpolitischen Schwerpunkten der Länder für 2023

03.01.2023. Fragen an Rudolf Hoogvliet (B90/Grüne), Staatssekretär für Medienpolitik und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund

medienpolitik.net fragt seit einigen Jahren die für Medienpolitik Verantwortlichen in den Senats- und Staatskanzleien der Bundesländer nach den medienpolitischen Schwerpunkten des neuen Jahres. Zudem interessiert uns auch, wie es mit der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weitergehen wird. Mit den heutigen Antworten von Rudolf Hoogvliet, Medienstaatssekretär in Baden-Württemberg beginnend, werden wir die medienpolitischen Vorhaben der Länder für 2023 in den nächsten Tagen publizieren. Unter dem Vorsitz von Baden-Württemberg habe die Rundfunkkommission Regelungsvorschläge zur Verbesserung von Compliance, Transparenz und Governance im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Reaktion auf die Vorfälle beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) vorgelegt, sagt Rudolf Hoogvliet. Diese Themen seien von so grundsätzlicher Bedeutung, dass diese auch im weiteren Reformprozess im Blick bleiben würden. Neben weiteren Reformen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, zählt Hoogvliet eine Verbesserung der Medienbildung, eine weitergehende Förderung regionaler TV-Veranstalter sowie eine wirtschaftliche Unterstützung der Presse, zu den medienpolitischen Schwerpunkten für dieses Jahr.

medienpolitik.net: Herr Hoogvliet, welches sind die medienpolitischen Schwerpunkte für 2023 aus Ihrer Sicht?

Hoogvliet: Nachdem die Rundfunkkommission der Länder unter Vorsitz von Baden-Württemberg unter Hochdruck Regelungsvorschläge zur Verbesserung von Compliance, Transparenz und Governance im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Reaktion auf die Vorfälle beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) vorgelegt hat, werden nach erfolgter Anhörung die finalen Staatsvertragsberatungen anstehen. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, hier sehr schnell Ergebnisse erzielt zu haben und einen guten Schritt vorangekommen zu sein. Die Themen sind aber von so grundsätzlicher Bedeutung, dass diese auch im weiteren Reformprozess im Blick bleiben werden.

Nicht nur die Corona-Pandemie, der Angriffskrieg in der Ukraine, sondern zuletzt auch wieder die kruden Vorstellungswelten in Reihen der Reichsbürger verdeutlichen die gestiegene Bedeutung der Medienkompetenz. Neben all den wichtigen Themen in diesem Feld ist alleine die Fähigkeit, Fakten von Fiktion zu unterscheiden zu können, eine der wichtigsten Aufgaben der heutigen Zeit. Wir haben daher bereits Ende des Jahres 2022 eine interministerielle Arbeitsgruppe Medienbildung unter Leitung des Staatsministeriums eingerichtet und wollen hier im Jahr 2023 zu weiterführenden Ergebnissen kommen. Die Bedeutung von Medienbildung wird in einer immer komplexeren, digitalen Welt ein essentieller Baustein sein, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere freiheitliche Demokratie zu stärken. Medienpolitik, das zeigt sich auch hier, wird immer stärker auch ein wichtiger Teil einer modernen Gesellschaftspolitik.

Eine vielfältige Medienlandschaft in der Bundesrepublik und natürlich auch in Baden-Württemberg zu erhalten, wird weiterhin eine wichtige Aufgabe bleiben. Ich freue mich sehr, dass wir auch in den kommenden Jahren private Regionalfernsehveranstalter mit Mitteln aus dem Landeshaushalt unterstützen können. Dies stärkt nicht nur die privaten Anbieter und journalistische public value-Bewegtbildangebote aus den Regionen Baden-Württembergs, sondern ermöglicht auch der hiesigen Medienanstalt, früher hier gebundene Mittel anderweitig einzusetzen. Auch im Bereich der Presseförderung erhoffe ich mir im Jahr 2023 wichtige Fortschritte. Die Presseverlage stehen vor großen Herausforderungen im Zuge der digitalen Transformation. In diesem Transformationsprozess braucht es eine zielgerichtete Unterstützung, die selbstverständlich die Unabhängigkeit der Presse sicherstellt. Nachdem die Länder über den Bundesrat ihre klare Erwartungshaltung an die Bundesregierung geäußert haben, die im Koalitionsvertrag angestrebten Fördermöglichkeiten zur flächendeckenden Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen umzusetzen, dränge ich darauf, dass hier zeitnah Konzepte vorgelegt werden. Ich habe mich hierzu in verschiedenen Gesprächen auf Bundesebene stark gemacht und werde das Thema weiter vorantreiben.

„Die Medienpolitik darf nicht von den Entwicklungen getriebenen sein, sondern wir müssen vor die Welle kommen und die entsprechenden strategischen Weichenstellungen treffen.“

Einen wesentlichen Schwerpunkt der medienpolitischen Debatte im Jahr 2023 werden auch die Europathemen einnehmen. Mit dem European Media Freedom Act (EMFA) hat die Kommission ihre Vorstellungen zur Sicherstellung und zum Ausbau der Medienfreiheit in Europa vorgelegt. Die Kritik der Länder ist dabei über die Rundfunkkommission der Länder und den Bundesrat sehr deutlich ausgefallen, denn dieser würde mit der Verlagerung und Zentrierung der Medienaufsicht auf die EU die gut funktionierende und bewährte Medienordnung in Deutschland in Frage stellen. Selbstverständlich stehen die Länder hinter den grundsätzlichen Zielen, welche die Kommission verfolgt. Insofern hoffe ich, dass wir in den weiteren Beratungen auf europäischer Ebene für Verständnis der föderalen Besonderheiten in Deutschland werben können und gemeinsam mit der EU einen guten Weg finden, um die zweifelsohne bestehenden Probleme hinsichtlich der Medienfreiheit in Europa wirksam und effektiv adressieren zu können. Ganz wichtig wird aber auch die Fortsetzung des Strukturreformprozesses der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sein.

medienpolitik.net: Wie soll es mit der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunk weitergehen?

Hoogvliet: Mit dem Dritten Medienänderungsstaatsvertrag gehen wir Länder einen wichtigen Schritt zur zeitgemäßen Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Zweifellos müssen diesem aber weitere Schritte folgen. Einerseits sind auch finanzrelevante Aspekte zu adressieren, da insbesondere die so genannte Budgetierung Voraussetzung für eine sinnvolle Umsetzung der Möglichkeiten zur Flexibilisierung ist. Sparanreize werden vor allem dann entstehen, wenn diese auf der anderen Seite auch ein kreatives Potential entfachen können.

Für die mittel- und langfristige Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen wir als Länder zudem ein gemeinsames Verständnis entwickeln, wo wir perspektivisch ARD, ZDF und Deutschlandradio sehen. Für die Entwicklung einer solchen Perspektive braucht es zeitnaher Entscheidungen. Wir dürfen hier als Medienpolitik nicht von den Entwicklungen getriebenen sein, sondern müssen vor die Welle kommen und die entsprechenden strategischen Weichenstellungen treffen. Ich hoffe hier auf eine gewisse Offenheit im Länderkreis, denn jeder muss seinen Beitrag für das Gelingen des Reformprozesses leisten.

„Die Anstalten müssen mit Argusaugen darauf achten, ihr wichtigstes Gut sorgsam zu schützen und wiederaufzubauen: Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in sie.“

Die Anstalten werden vor allem mit einem hervorragenden Programm überzeugen müssen, mit sauber recherchierten Informationen, klugen Beiträgen, unterhaltsamen Genres und vielem mehr. Dabei ist die Erreichung von allen Gesellschaftsteilen, insbesondere auch von jüngeren Menschen explizit staatsvertraglich gefordert. Hierauf werden die Gremien achten, denen eine stärkere Stellung zugesprochen wurde. Dies umfasst auch die Frage, wie die Programme langfristig aufgestellt werden müssen, wenn immer mehr Menschen – mal abgesehen von Livesportereignissen – die Angebote zeitversetzt in den Mediatheken schauen, statt zum Sendezeitpunkt. Daneben müssen die Anstalten mit Argusaugen darauf achten, ihr wichtigstes Gut sorgsam zu schützen und wiederaufzubauen: Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in sie.

Zeitgleich hierzu wirft die nächste Beitragsperiode, mit dem bereits laufenden Verfahren hin zum 24. KEF-Bericht, ihre Schatten voraus. Es braucht keiner hellseherischen Fähigkeiten um zu vermuten, dass die Beratungen im Länderkreis vor dem Hintergrund der allgemeinen Preisentwicklungen und der Geschehnisse im Zusammenhang mit der letzten Beitragsanpassung nicht leicht werden.

Insgesamt ist mir in diesem Gesamtkontext folgendes von besonderer Bedeutung: Bei aller, teilweise natürlich zutreffenden, Kritik an den beitragsfinanzierten Anstalten sollten wir uns stets vor Augen führen, von welch unschätzbaren Wert diese gerade in Zeiten von zunehmenden Populismus, Desinformationen und immer mächtiger werdenden Plattformen für eine gut informierte, kritische aber auch zusammenhaltende Gesellschaft sind. Die Debatte sollte daher unter dem Vorzeichen der Verantwortung für das öffentlich-rechtliche System geführt werden. Ziel des Reformprozesses muss daher bei allen sinnvollen Änderungen bleiben, die Anstalten stark, relevant und zukunftsfest fortzuentwickeln.

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