„Wir müssen in Europa Grundsätze von Medienvielfalt verankern“

Produzenten und Rundfunkveranstalter wollen ihre Interessen in Brüssel stärker durchsetzen
31.01.2023. Fragen an Björn Böhning, Geschäftsführer der Produzentenallianz und Prof. Dr. Stephan Ory, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR)
„Die EU hat ein wichtiges Signal gesendet – Deutschland muss die Chance nun ergreifen“, sagt Björn Böhning, Geschäftsführer der Produzentenallianz mit Blick auf Investitionsverpflichtungen von Plattformen in die Filmwirtschaft in anderen EU-Staaten. Gerade in Deutschland herrsche ein Missverhältnis zwischen den weltweiten Programminvestitionen der global operierenden On-Demand-Dienste und deren in Deutschland investierten Programmausgaben. Deutschland müsse dem Beispiel Frankreichs mit der dort bereits geltenden Investitionsverpflichtung folgen, wonach 25 Prozent des Umsatzes in die Herstellung europäischer audiovisueller Werke durch überwiegend unabhängige Produktionsfirmen investiert werden müssten. Beim European Media Freedom Act (EMFA), so Stephan Ory, Geschäftsführer der APR, stehe viel für die mitgliedsstaatliche Medienordnung auf dem Spiel. Ob Fundamentalopposition angesichts der laufenden Entwicklungen in Brüssel am Ende sinnvoll sei, darf bezweifelt werden. Es wird darum gehen, Grundsätze von Medienvielfalt zu verankern und der mitgliedsstaatlichen Umsetzung weitesten Raum zu eröffnen, um gewachsene Strukturen gerade im lokalen und regionalen Bereich nicht zu beschädigen.
Björn Böhning, Geschäftsführer der Produzentenallianz
medienpolitik.net: Mit welchen medienpolitischen Themen wird sich Ihr Verband 2023 vor allem beschäftigen?
Böhning: Das Ergebnis der Herbstumfrage hat verdeutlicht, warum die Produktionswirtschaft mit Sorgen auf das neue Jahr blickt. Die Herausforderungen der letzten Jahre halten an: steigende Kosten und die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeit am Set. Als eine der letzten Branchen sind für die Film- und TV-Wirtschaft die Folgen der Pandemie zum Jahresbeginn weiterhin mit erheblichen Belastungen verbunden. Insbesondere im Werbemarkt kommt eine neue Volatilität hinzu. Angesichts der gedämpften Konjunkturaussichten und nicht steigender Beitragsmittel der Rundfunkanstalten nimmt es wenig Wunder, dass die wirtschaftliche Lage für 2023 schlechter eingeschätzt wird als in 2022.
Bei den Kinofilmproduktionen treffen die Kostensteigerungen auf einen anhaltenden Trend sinkender Produktionsbudgets. Die Folge ist ein gravierendes Finanzierungsproblem. Die zentrale Frage ist daher in allen Produktionsbereichen: Wie kommen wir wieder zu auskömmlichen Budgets? Dies wird nur mit einer grundlegenden Reform unserer Filmförderungsinstrumente und der Handlungsbereitschaft der Auftraggeber gelingen.
Mit ihrer Ankündigung eines Konzepts zur Reform der Filmförderung hat die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien dieses Thema bereits ganz oben auf die Agenda gesetzt. Die durch das Verlängerungsgesetz gewonnene Zeit wurde und wird für intensive Gespräche mit allen Beteiligten genutzt. 2023 wird – so viel steht schon jetzt fest – für die Filmförderung zum entscheidenden Jahr. Eine automatisierte Förderung ist das Gebot der Stunde, um die Filmförderung in Deutschland wieder besser aufzustellen. Außerdem muss die Einführung einer Investitionsverpflichtung nach französischem Vorbild – wie im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgehalten – Priorität haben. Denn sie schafft die Grundlage dafür, dass sich die gewünschten wirtschaftlichen und kulturellen Effekte eines neuen Anreizmodells am Filmstandort Deutschland entfalten.
Ein weiteres Thema wird die Bekämpfung des weiter bestehenden Fachkräftemangels sein. Die Produzentenallianz hat mit dem „Career Guide Film: Arbeit und Ausbildung für Kino, Streaming und TV“ zum ersten Mal die Vielfältigkeit und Attraktivität der Branche als Arbeitsmarkt in den Fokus genommen. Auf diesem Grundstein werden wir die Verbandsarbeit kontinuierlich und nachhaltig ausbauen – auch mit weiteren Kooperationspartnern. Schließlich wird 2023 das Jahr, in dem die ökologischen Mindeststandards, zu welchen sich die Branche selbst verpflichtete, in eine bundeseinheitliche Regelung überführt werden sollen. Der konstruktive Austausch zwischen Politik, Branche und Förderinstitutionen stimmt hoffnungsvoll, dass dieser Weg erfolgreich sein wird.
„Bei den Kinofilmproduktionen treffen die Kostensteigerungen auf einen anhaltenden Trend sinkender Produktionsbudgets.“
medienpolitik.net: Welchen Einfluss hat die EU-Gesetzgebung auf die Arbeit Ihres Verbandes und Ihrer Mitglieder?
Böhning: Die Produzentenallianz hat ihre Aktivitäten auf europäische Ebene schon früh ausgebaut. Die jüngsten Beispiele – etwa die Umsetzung des Digital Services Act auf nationaler Ebene für strengere Haftungsregeln für Plattformen oder die Durchführung der europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie), bei der es uns vor allem um Vielfaltssicherung und Transparenz über die Nutzung der Filmwerke geht – zeigen, wie wichtig eine starke Vertretung unserer berechtigten Interessen auf europäischer Ebene geworden ist. Wir werden nicht lockerlassen, damit On-Demand-Dienste in die Pflicht genommen werden und die territoriale Lizenzvergabe auch weiterhin respektiert wird.
Ganz oben auf der Agenda steht aktuell die bereits zuvor erwähnte Verpflichtung für On-Demand-Dienste zu Direktinvestitionen in europäische Werke, wie sie der Artikel 13 der AVMD-Richtlinie auch ermöglicht. Gerade in Deutschland herrscht ein Missverhältnis zwischen den weltweiten Programminvestitionen der global operierenden On-Demand-Dienste und deren in Deutschland investierten Programmausgaben. Daher setzen wir uns mit Nachdruck dafür ein, dass auch Deutschland dem Beispiel Frankreichs mit der dort bereits geltenden Investitionsverpflichtung folgt, wonach 25 Prozent des Umsatzes in die Herstellung europäischer audiovisueller Werke durch überwiegend unabhängige Produktionsfirmen investiert werden müssen.
Stephan Ory, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR)
medienpolitik.net: Mit welchen medienpolitischen Themen wird sich Ihr Verband 2023 vor allem beschäftigen?
Ory: Im Jahr 2023 geht es darum, die Position lokaler und regionaler elektronischer Medien gegenüber einerseits den großen internationalen Plattformen und andererseits dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzusichern. Die Radiolandschaft ist vielfältig. Zwischen die Hörer und die Anbieter schieben sich verstärkt Gatekeeper, insbesondere Smartspeaker. Das ist in der Plattformökonomie nichts Neues, macht aber gerade Audio-Angeboten zu schaffen, denn auf Speakern ist die Auswahlmöglichkeit noch mehr eingeschränkt als bei den Suchergebnissen visuell wahrgenommener Plattformen. Die Ergebnisse des Public Value-Verfahrens der Medienanstalten zur Auffindbarkeit sind umzusetzen. Es zeigt sich aber schon jetzt, dass der Mechanismus des § 84 MStV zu schwerfälligen Verfahren führt. Die Vorschrift muss evaluiert werden. Ganz praktisch geht es in den kommenden Monaten darum, auf Oberflächen etwa in den Dashboards von Fahrzeugen überhaupt so etwas wie einen „Radioknopf“ zu haben.
Das Wettbewerbsumfeld ändert sich durch Daten. Radioveranstalter hatten bislang wenig direkte Daten, ein Radio sammelte diese nicht von den Hörern. Die Plattformen aber tun genau das und kombinieren ihre Kenntnisse mit anderen Nutzungsdaten. Sie sind damit in der Lage, Angebote gegen die Radioveranstalter aus Kenntnis der Nutzung von Radioprogrammen und ihren Kunden zu generieren. Das betrifft nicht nur die Werbung, sondern das meint auch Audioangebote, die die Plattformen selbst generieren. Man hat den Eindruck, dass die Medienanstalten diese Dimension der Vielfaltssicherung nicht hinreichend wahrnehmen und bei der Auffindbarkeit als Verlängerung der klassischen „Kabelbelegung“ stehenbleiben.
„Es wird darum gehen, Grundsätze von Medienvielfalt zu verankern und der mitgliedsstaatlichen Umsetzung weitesten Raum zu eröffnen, um gewachsene Strukturen gerade im lokalen und regionalen Bereich nicht zu beschädigen.“
Die Einstellung des Verfahrens Google News Showcase Ende 2022 hat insoweit Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Es zeigt sich, dass das Bundeskartellamt und die Medienanstalten wechselseitig aufeinander zeigen, wo datengetriebene große Plattformen die Stellung lokaler und regionaler Anbieter gefährden und damit in die Medienvielfalt eingreifen können.
In diesen Zusammenhang gehört die Betätigung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf Drittplattformen. Es ist nachvollziehbar, dass die Anstalten sich ebenfalls gegenüber den großen internationalen Plattformen positionieren. Dass sie dies aber ausgerechnet in der Weise tun, den Plattformen kostenfrei gut gemachten Content zur Verfügung zu stellen, den die Plattformen dann im Wettbewerb gegen mittelständischen Medienangeboten einsetzen, ist mit den Grundsätzen des dualen Rundfunks nicht vereinbar. Hinzukommen Auswüchse der Werbevermarktung solcher Angebote durch die Rundfunkanstalten beziehungsweise deren Werbetöchter selbst, wo die Anstalten eigentlich Telemedien werbefrei zu halten haben. Das führt zur Aufsicht über das Gebaren der Tochterunternehmen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und somit in die Diskussion, die die Länder zu Recht unter dem Stichwort Compliance und Transparenz gerade eröffnet haben. Hier wird sich die APR für ausgewogene Regelungen innerhalb des dualen Rundfunks einsetzen.
Europa kann für die Bedeutung der täglichen Arbeit der Medien und für die Medienpolitik nicht unterschätzt werden. Von Datenschutz über Urheberrecht bis hinüber in die Weiterentwicklung der Plattformregulierung als Folge der Anwendung von DSA und DMA zeigt sich das deutlich. Damit verschieben sich auch die Zuständigkeiten und Ansprechpartner für die alltägliche Arbeit der APR.
Beim European Media Freedom Act (EMFA) steht viel für die mitgliedsstaatliche Medienordnung auf dem Spiel. Ob Fundamentalopposition angesichts der laufenden Entwicklungen in Brüssel am Ende sinnvoll ist, darf bezweifelt werden. Es wird darum gehen, Grundsätze von Medienvielfalt zu verankern und der mitgliedsstaatlichen Umsetzung weitesten Raum zu eröffnen, um gewachsene Strukturen gerade im lokalen und regionalen Bereich nicht zu beschädigen. Das spricht eher für einen Rahmen auf der Unionsebene und weniger für ein unmittelbar in allen Staaten geltendes Regelwerk.