„Wir starten die umfassendste Verwaltungsreform in der Geschichte der ARD“

Als erste aller ARD-Anstalten beginnt der MDR mit der Einführung einer einheitlichen Verwaltungssoftware
02.01.2023. Interview mit Prof. Dr. Karola Wille, Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR)
Für die ARD beginnt heute ein Revolution. Der MDR startet die Einführung einer standardisierten, vereinheitlichten SAP-gestützten Verwaltungssoftware, die zu den zentralen Vorhaben der 2017 beschlossenen Strukturreform gehört. Seit Jahrzehnten verfügt jeder ARD-Sender über ein eigenes System für die Erfassung, Abrechnung und Kontrolle der Finanz- und Personalverwaltung, für Rechnungsbearbeitung, Monatsabschlüsse, Haushaltsplanung, Dienstreisen und Einkäufe. In einem ersten Schritt werden bis 2025 die Bereiche Finanzen, Controlling, Beschaffung und Dienstreisen harmonisiert. Damit ist geplant, 150 einzelne betriebswirtschaftliche Abläufe zu vereinheitlichen. Wie die MDR-Intendantin Karola Wille in einem medienpolitik.net-Gespräch informiert, würden somit die betriebswirtschaftlichen Prozesse effektiver und kostengünstiger und die Aufwendungen transparenter und vergleichbarer. Nach kurz- und mittelfristigen Investitionen komme es zu einer dauerhaften Kostensenkung. Den Projektinvestitionen von 59 Millionen Euro stünden Einsparungen von knapp 100 Millionen Euro gegenüber. Ob die ARD angesichts ihrer Akzeptanzkrise ein weiteres Sparpaket, im vergleichbaren Umfang von insgesamt knapp 2 Mrd. Euro beschließt, das unter dem MDR-Vorsitz 2017 verabschiedet worden ist, ließ Karola Wille in dem Gespräch allerdings offen.
medienpolitik.net: Frau Wille, der MDR startet am 2. Januar 2023 mit der Einführung einer systemübergreifenden Standardisierung von Verwaltungsprozessen durch SAP. Welche Prozesse können damit gesteuert werden?
Wille: Wir haben uns 2017 insgesamt 20 Kooperationsprojekte in der ARD-Strukturreform vorgenommen, zahlreiche davon mit Deutschlandradio oder auch dem ZDF. Das SAP-Projekt ist eines davon und um die Dimension zu verdeutlichen: dahinter verbirgt sich die wohl umfassendste Verwaltungsreform in der Geschichte der ARD. Alle neun ARD-Häuser sowie das Deutschlandradio und die Deutsche Welle harmonisieren und standardisieren alle SAP-unterstützten betriebswirtschaftlichen Prozesse. Verständlicher ausgedrückt: wir stemmen in einem für das Publikum nicht sichtbaren Bereich ein extrem komplexes Vorhaben. Und deshalb haben wir es in Cluster eingeteilt. Das betrifft in Cluster 1 zunächst die Bereiche Finanzen, Controlling, Beschaffung und Dienstreisen. Insgesamt werden so 150 einzelne betriebswirtschaftliche Abläufe ab 2023 im MDR, der als erstes Medienhaus startet, und bis 2025 in weiteren zehn Anstalten standardisiert und die Prozesse vereinheitlicht. Wir haben diese weitreichende Reform 2017 auf den Weg gebracht, als der MDR den Vorsitz in der ARD hatte, und sind auch ein bisschen stolz, dass es nun realisiert wird. Die ARD den Menschen seinerzeit umfassende Reformen versprochen und wir halten Wort. Anschließend planen wir, mit Cluster 2 auch die Geschäftsprozesse der Bereiche Rechte und Lizenzen sowie Personal und Honorare zu harmonisieren und zu standardisieren
medienpolitik.net: Welchen Effekt bringt die ARD-weite Einführung des SAP-Systems, für das der MDR die Federführung hat?
Wille: Es findet eine durchgängige Modernisierung in allen Verwaltungsbereichen statt. Die betriebswirtschaftlichen Prozesse werden effektiver und kostengünstiger. Die Aufwendungen werden zudem auch transparenter und vergleichbarer. Nach kurz- und mittelfristigen Investitionen kommt es zu einer dauerhaften Kostensenkung. Den Projektinvestitionen von 59 Millionen Euro stehen Einsparungen von knapp 100 Millionen Euro gegenüber. Das betrifft allerdings nur Cluster 1 mit den Bereichen Finanzen, Controlling, Beschaffung und Dienstreisen. In Cluster 2 setzen wir diesen Einsparkurs fort. Diese Reform ist darüber hinaus ein substanzieller Schritt auf dem Weg zu einem integrierten, föderalen Medienverbund. Wir stärken damit auch unser Teamplay.
medienpolitik.net: Warum dauert die Umsetzung so viele Jahre?
Wille: Das hört sich vielleicht erstmal lang an, aber man muss sich vor Augen führen: Elf unabhängige öffentlich-rechtliche Medienhäuser verändern sämtliche betriebswirtschaftlichen Abläufe im Verwaltungsbereich, die über Jahrzehnte gewachsen und sehr unterschiedlich sind. Ich hatte oben bereits die 150 unterschiedlichen Einzelabläufe erwähnt. Das ist ein beispiellos komplexer und aufwendiger Prozess. Das betrifft in der ARD hunderte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, deren Arbeit sich tiefgreifend verändert und die mit großem Engagement an der Realisierung arbeiten. In ihrem 23. Bericht hat die Finanzkommission (KEF) diese Anstrengungen gewürdigt, allerdings hat sie auch gefordert, das Reformtempo zu erhöhen.
„Wir haben diese weitreichende Reform 2017 auf den Weg gebracht, als der MDR den Vorsitz in der ARD hatte, und sind auch ein bisschen stolz, dass es nun realisiert wird.“
medienpolitik.net: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird bei der Verwaltung und den Kosten oft mit der öffentlichen Verwaltung verglichen. Welche Erfahrungen konnten Sie bei diesem Projekt übernehmen?
Wille: Auf der Ebene der Bundesländer kenne ich kein derartig komplexes Vorhaben in dieser Größenordnung. Wir sind mit diesem Kraftakt also in weiten Teilen Vorreiter in einem föderalen Gebilde. Entscheidend für das Gelingen dieser Verwaltungsreform ist auch die Gemeinschaftseinrichtung Informationsverarbeitungszentrum (IVZ) in Potsdam, das die Umstellung als zentraler SAP-Steuerer für alle beteiligten Medienhäuser vornimmt. Das IVZ begleitet die Umstellung und den Technologiesprung der elf bisherigen Systeme auf eine gemeinsame neue und zukunftsfähige SAP-Lösung. Und es steuert zukünftig zentral diese Lösung für alle Rundfunkanstalten.
medienpolitik.net: Es in letzter Zeit oft von „Shared Services“ die Rede, wenn es um weitere Einsparungen geht. Was heißt das, am Beispiel der SAP-Einführung für die ARD konkret?
Wille: Unsere SAP-Reform bildet die Grundlage für diese Shared Services.Es ist unser Ziel, dass nach der Vereinheitlichung der Prozesse solche Shared-Services-Center in unseren öffentlich-rechtlichen Häusern entstehen. Damit können wir ARD-weit arbeitsteilige Bereiche in der Verwaltung schaffen. Einfach ausgedrückt: Es muss dann nicht mehr jeder alles machen, sondern ein Haus übernimmt die Aufgaben für alle. Beispielsweise ein Haus die Abrechnung der Dienstreisen, ein anderes die Abrechnung der Honorare. Shared Services setzen aber voraus, dass die Geschäftsprozesse harmonisiert und standardisiert sind. Wenn das neue SAP überall etabliert ist, könnten ab 2026 die ersten Shared-Services-Center in der ARD entstehen und somit die Verwaltungskosten weiter deutlich gesenkt werden. Und wir haben genau dieses Ziel im Kreis der Intendantinnen und Intendanten erst kürzlich bekräftigt.
medienpolitik.net: Sie haben sich bisher bei der Reform vor allem auf Technik und Verwaltung konzentriert. Warum?
Wille: Wir haben uns bei der ARD-Strukturreform bewusst für die Bereiche Produktion, Technik und Verwaltung entschieden. Dabei entfallen 20 % unserer Gesamtkosten auf die Bereiche, in denen derzeit diese Strukturreformen realisiert werden. Durch mehr Arbeitsteilung, Kooperation und Standardisierung werden bis 2028 Einsparungen in Höhe von 588 Mio. Euro erreicht. Und neben den zwanzig ARD-Strukturprojekten kommen noch zusätzlich im Bereich der Programmverbreitung bis 2028 bislang geplante Einsparungen von rund 360 Mio. Euro. Und man darf hier auch nicht unsere Reform der Altersversorgung vergessen, die wir 2017 gemeinsam mit den Gewerkschaften auf den Weg gebracht haben: der Systemwechsel bei den Betriebsrenten hat zu 1,2 Mrd. Euro Entlastung geführt. Zusammengenommen bringen diese Reformpakete also ca. 2 Mrd. Einsparpotenzial bis 2028. In der jetzigen Beitragsperiode bis 2024 führte dies beispielsweise zu einer Entlastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler um 18 Cent. Die Menschen können sich darauf verlassen: unsere Reformen gehen weiter.
„Auf der Ebene der Bundesländer kenne ich kein derartig komplexes Vorhaben in dieser Größenordnung.“
medienpolitik.net: Die SAP-Einführung gehört zu einem Paket von Strukturoptimierungen innerhalb der ARD. Warum wurden diese 2017 unter dem ARD-Vorsitz des MDR beschlossen?
Wille: Es gab auch zu dieser Zeit eine öffentliche Debatte über die Akzeptanz des Rundfunkbeitrags, die vor allem mit der Umstellung vom früheren Gebühren- auf das neue Beitragsmodell im Zusammenhang stand. Deshalb beschlossen wir neben der Reform der Altersversorgung dieses Strukturreformpaket, um unsere Zusammenarbeit zu fördern und damit Kosten nachhaltig zu reduzieren. Darüber hinaus wollen wir die Chancen der Digitalisierung langfristig und strategisch nutzen, um unseren Auftrag bestmöglich und wirtschaftlich zu erfüllen. Die ARD-Strukturreformen sind deshalb auch als Modernisierungsprogramm und ambitioniertes Veränderungsprojekt mit genau dieser Zielrichtung angelegt. Dazu gehört bspw. die Weiterentwicklung unserer Archivinfrastruktur: Redakteurinnen und Redakteure werden in einer einheitlichen crossmedialen Suchoberfläche auf der Plattform einer gemeinsamen Archivdatenhaltung aller ARD-Landesrundfunkanstalten inklusive der Deutschen Welle und des Deutschlandradios recherchieren können. Künftig soll auch mit Künstlicher Intelligenz in diesem Bereich gearbeitet werden. Und lassen Sie mich zwei weitere Teilprojekte mit signifikanten Einspar-Volumina erwähnen: Durch Kooperationen und gemeinsame Leistungserstellung im IT-Bereich erschließen wir uns weitere über 100 Mio. Euro. Und mit dem Projekt Benchmark Produktion nochmal über 100 Millionen €, unter anderem, in dem immer mehr automatisierte Techniksysteme zum Einsatz gelangen. Und in 2023 gehen MDR, NDR und Radio Bremen auch bei der Sendeabwicklung einen gemeinsamen Weg. In Zukunft erfolgt die Sendeabwicklung für das lineare TV-Programm aller drei Sender für acht Bundesländer technisch aus Leipzig. Das bringt Einsparungen und zeugt von Vertrauen.
medienpolitik.net: Die ARD ist eine Arbeitsgemeinschaft mit neun selbständigen Anstalten. Von der Arbeitsgemeinschaft zum Medienverbund, der inhaltlich crossmedial und strukturell integriert ist. Wie weit hat es die ARD noch bis zu diesem „Medienverbund“?
Wille: Wir sind auf dem Weg. Dafür benötigen wir im Übrigen auch Rechtssicherheit. Wir haben gegenüber der Medienpolitik bereits mehrfach auf die Kollisionslage zwischen Rundfunkrecht und Kartellrecht hingewiesen. Unser dringender Wunsch an den Gesetzgeber ist deshalb seit Längerem: Kooperationen der ARD-Häuser untereinander aber auch mit ZDF und Deutschlandradio rechtssicher zu gestalten, beispielsweise durch eine sektorspezifische Freistellung im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Unser nächster Schritt in der digitalen Transformation wird von einem föderalen Verbund – hin zu einem öffentlich-rechtlichen regional verwurzelten Content-Netzwerk führen. Letztlich geht es darum, auch in einer digitalen Welt mit rasanten Veränderungen des Mediennutzungsverhaltens vielfältige und hochwertige Angebote zielgerichtet für alle Bevölkerungs- und Altersgruppen unterbreiten zu können.
medienpolitik.net: Müssen für ein Netzwerk, wie Sie es anstreben, für eine konsequente Arbeitsteilung nicht auch verbindliche Vereinbarungen getroffen oder Strukturen geschaffen werden?
Wille: Das ist richtig. Für das SAP-Projekt wurden beispielsweise zwischen den Rundfunkanstalten Vereinbarungen geschlossen, die die partnerschaftlichen Rechte und Pflichten klar regeln. Die Umsetzung großer Reformprojekte ist in der ARD immer mit verbindlichen Vereinbarungen verbunden. Denn die ARD ist im juristischen Sinne eine nicht rechtsfähige Gemeinschaft einzelner öffentlich-rechtlicher Anstalten. Das macht Reformen oft schwierig. Andererseits ist es eine große Chance für Innovationen, wenn so vielfältige Medienhäuser, die tief regional verwurzelt sind, in wichtigen Feldern zunehmend enger zusammenarbeiten und hier ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen und bündeln.
„Die Grundsätze der bisherigen Strukturreform – strategische Arbeitsteilung, konsequentes Benchmarking und Einsatz neuer Technologien – können die Blaupause für eine noch stärker programmbezogene Zusammenarbeit sein.“
medienpolitik.net: Seit 2017 sind fünf Jahre vergangen. Inzwischen haben sich auch die technischen Möglichkeiten und die Medienlandschaft weiterentwickelt. Wie könnte ein neues Strukturoptimierungs-Paket der ARD aussehen, das ab 2028 zu konkreten Einsparungen führt?
Wille: Wir sind uns im Kreis der Intendantinnen und Intendanten einig, dass wir nicht nur in Verwaltung, Produktion und Technik Synergien schaffen wollen, sondern auch im Programm noch intensiver zusammenarbeiten müssen als bisher. Wir wollen z.B. Kompetenzen bündeln und themenbezogen strukturierter zusammenarbeiten. Meines Erachtens können die Grundsätze der bisherigen Strukturreform – strategische Arbeitsteilung, konsequentes Benchmarking und Einsatz neuer Technologien – auch Blaupause sein für eine noch stärker programmbezogene Zusammenarbeit. Wenn wir unsere regionale Vielfalt beibehalten und uns zugleich gemeinsam fokussieren, gewinnen unsere Inhalte noch mehr Tiefe und publizistische Relevanz. Welche finanziellen Effekte wir damit in der ARD erreichen können, das werden wir im nächsten Jahr weiter konkretisieren. Dazu gehört im Übrigen auch, die bisherigen Kooperationsprojekte konsequent umzusetzen und beispielsweise um den oben angesprochenen Bereich von Shares Services zu erweitern. Einig sind wir uns auch, dass wir für den weiteren digitalen Umbau der ARD in eine gemeinsame digitale technologische Infrastruktur investieren müssen, die über eine einheitliche IT-Infrastruktur und standardisierte Prozesse verfügt. Dabei wäre eine gemeinsame technologische Infrastruktur mit dem ZDF eine in die Zukunft gerichtete Antwort.
medienpolitik.net: Ihre Intendanz endet am 31. Oktober 2023. Inwieweit kümmern Sie sich noch um die Realisierung der 2017 gefassten Beschlüsse?
Wille: Natürlich bin ich mit Leidenschaft und Überzeugung als Intendantin bis 31. Oktober 2023 in diesem digitalen Entwicklungsprozess wie auch bei der Umsetzung der Reformen engagiert dabei. Ich weiß, dass beispielsweise das SAP-Projekt für den MDR aktuell ein Kraftakt ist, dass es große Anstrengung der Kolleginnen und Kollegen hier in unserem Haus bedeutet, wenn so viele einzelne Prozesse verändert und neu gedacht werden müssen. Ich bin den Mitarbeitenden unheimlich dankbar, dass sie diesen Weg mitgehen. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Schritt für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks notwendig ist.
medienpolitik.net: Die Strukturreform wurde beschlossen als der MDR den ARD-Vorsitz hatte, und sie ist jetzt mitten in der Umsetzung. Ist es nicht doch ein Abschied mit Wehmut?
Wille: Der MDR konnte in der ARD vieles auf den Weg bringen, wie man zum Beispiel mit der jetzigen Strukturreform sieht. Und wir haben auch in unserem Sendegebiet eine breite Akzeptanz. Ich bin noch mehr als zehn Monate Intendantin und ich habe gegenüber den Gremien erklärt, dass mein Dienst für den MDR und die ARD am 31. Oktober endet – keinen Tag früher.