Am Ende entscheiden allein die Zahlen

von am 12.02.2023 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Filmwirtschaft, Kreativwirtschaft, Kulturpolitik, Medienförderung, Medienwirtschaft

Am Ende entscheiden allein die Zahlen
Thomas Hacker, film- und medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag

Die deutsche Filmförderung muss endlich europäische Wettbewerbsfähigkeit erreichen

12.02.2023. Von Thomas Hacker, film- und medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag

Wenn ab 16. Februar der Marlene Dietrich-Platz in Berlin für wenige Tage die urbane Februar-Tristesse vergessen lässt und sich die internationale wie nationale Kino-Branche dort auf dem roten Teppich begegnet, dann ist endlich wieder Berlinale. Die 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin sind dabei eine besondere Herausforderung für Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek und den künstlerischen Leiter Carlo Chatrian. Die richtige Balance für ein international beachtetes Filmfestival zwischen einer auslaufenden Pandemie, einer Welt zunehmender politischer Krisen und einer kostentreibenden Energiekrise zu finden, ist keine Aufgabe, um die beide zu beneiden sind. Der Tarifkonflikt zwischen Verdi und der Yorck-Gruppe, die das großartige Kino International und weitere Spielstätten betreibt, und mögliche Streiks könnten für zusätzliche Sorgenfalten bis zur Verleihung der Goldenen Bären führen.

„Filmfestivals sind heutzutage wichtiger für die Kinolandschaft als je zuvor, weil sie unabhängig vom Markt sind“, erklärte Carlo Chatrian erst vor wenigen Tagen im Interview mit dem Debatten-Magazin „Cicero“. Der erfahrene Filmfestivalorganisator mag aus seiner Perspektive vor allem die internationale Sichtbarkeit von Filmproduktionen im Blick haben, für die Branche zählt aber allein der Markt. In Europa sogar jeder einzelne nationale Marktplatz.

Über die Notwendigkeit einer grundlegenden Neuaufstellung der deutschen Filmförderung sprechen Politik und Filmwirtschaft seit Jahren – allein, richtungsweisende Initiativen für einen Neustart sind bisher noch nicht Realität geworden. Ohne staatliches Geld geht wenig im deutschen Kino, die Tschechische Republik, Ungarn und selbst Post-Brexit Großbritannien sind für Filmschaffende und Produktionsfirmen wesentlich attraktiver. Klar ist: Am Ende entscheiden allein die Zahlen über den finalen Produktionsstandort. Im Gespräch mit Studios, Filmproduzenten, Virtual Production-Dienstleistern oder Streaming-Diensten hört man dabei immer wieder: Die deutsche Förderung ist noch immer zu kurzfristig gedacht, zu unflexibel, es gibt keine Planbarkeit.

„Man kann viel für den Filmstandort Deutschland tun – man muss nur endlich anfangen.“

Mit mehr als 450 Millionen Euro fördern wir aktuell die Entwicklung und Produktion von Filmen Made in Germany. Jährlich werden Fördervolumina erhöht, reichen aber nicht aus, um die Verlagerung von Produktionen nach Prag, Wien oder Budapest zu stoppen. Die „Dark Bay“, Europas erstes LED-Studio für virtuelle Produktionen, steht schon nicht mehr in den historischen Hallen in Potsdam-Babelsberg, sondern aus Finanzierungs- und Auslastungsgründen in Großbritannien. In der Ampel-Koalition waren wir uns in den Koalitionsverhandlungen einig, den Weg des „Stupid German Money“ endlich hinter uns zu lassen. Allen ist klar: die deutsche Filmförderung muss endlich reale europäische Wettbewerbsfähigkeit erreichen. Wir brauchen eine grundlegende Neuaufstellung!

Die Einführung eines steuerlichen Anreizmodells (Tax Incentive) – in anderen EU-Ländern bereits Status quo – wäre das überfällige Bekenntnis zum Filmstandort Deutschland, auf das die gesamte Branche wartet. Es wäre das dringend herbeigesehnte Standort-Update. Nicht nur in Sachen Planbarkeit, sondern auch bei Rechtssicherheit, Gleichbehandlung und Antragsbeschleunigung. Bei der letztjährigen Rede zur Eröffnung der Berlinale hat die Kulturstaatsministerin mit Ihren Worten nach einer Weiterentwicklung der Filmförderung, die unser Land international wettbewerbsfähig macht und unsere vielfältige Kinokultur stärkt, große Hoffnungen bei vielen Beteiligten geweckt. Wenn die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) jetzt befürchtet, dass „die große Reform gegen Ende der Legislaturperiode dem Wahlkampf zum Opfer fallen könnte“, dann muss die zuständige Kulturstaatsministerin Roth endlich reagieren. Björn Böhning, langjähriger Chef der Berliner Senatskanzlei und Aufsichtsratschef beim Medienboard Berlin-Brandenburg, jetzt Geschäftsführer der Produzentenallianz, formuliert es unmissverständlich: Die Kulturstaatsministerin muss Antreiberin einer Reform sein.

„Steuermodelle sind per se diskriminierungsfrei und ermöglichen wirklich faire Chancen.“

Mehrere Studien verweisen auf die Vorteile eines steueranreizbasierten Fördermodells. Laut einer Deloitte-Studie wären je nach Wirkungsgrad der Steuergutschrift eine Bruttowertschöpfung zwischen 578 Millionen und 1,36 Milliarden Euro möglich – damit verbunden bis zu 15.000 neue Arbeitsplätze. Die Studie kritisiert zugleich, was Filmschaffende schon seit Jahrzehnten bemängeln: unsere heimische Filmförderung ist zu bürokratisch, zu detailverliebt, zu zerfasert – zu weit von der Realität der Filmschaffenden entfernt. Ein weiterer Vorteil: Steuermodelle sind per se diskriminierungsfrei und ermöglichen wirklich faire Chancen. Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit des Filmstandorts Deutschland ist neben international kompatiblen Anreizsystemen mit Steuervergünstigungen, Zuschüssen sowie Steuerkrediten, ein Ende der Planungsunsicherheit. Wenn wir dem eklatanten Fachkräftemangel in der deutschen Film- und TV-Branche endlich wirkungsvoll begegnen wollen, dann muss die Branche mit einer kontinuierlichen Auslastung planen und Fachkräfte ausbilden können.

Investitionsverpflichtungen, wie sie von Teilen der Branche gefordert werden, sind kein verlässliches Förderinstrument zur Stärkung des Standortes. Die Investition in nationale Produktionen wäre weiterhin volatil, da jährlich die Umsätze und Gewinne der Streaming-Anbieter wechseln. Die damit einhergehenden vertraglichen Verknüpfungen stellen zudem einen anlasslosen Eingriff in die Vertragsfreiheit dar. Rechte und Vergütung sind auch immer eine Frage der wirtschaftlichen Risikolast. Gerade junge Filmschaffende arbeiten daher gern mit Streaming-Anbietern zusammen. Wir müssen die Antragsbedingungen vereinfachen – Antragsformulare dürfen nicht länger als die Drehbücher sein. In Zukunft gerne auch immer digital! Nachhaltigkeit, Gendergerechtigkeit, Diversität in Gremienbesetzung als auch zielführende Verwertungsketten mit exklusiven Auswertungsfenstern gehören auf die Agenda einer grundlegenden Neufassung der deutschen Filmförderung. Gerade weil die Herstellung von Filmen ein großes wirtschaftliches Risikogeschäft ist, ist die unter Initiative von Bundesfinanzminister Christian Lindner jüngst getroffene einstimmige Entscheidung der Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder zur Anpassung der Besteuerung von Koproduktionen zu begrüßen. Entsprechende Regeln sollen in den kommenden Wochen erarbeitet werden. Man kann also viel für den Filmstandort Deutschland tun – man muss nur endlich anfangen. Seien wir also gespannt, mit welchen grundlegenden Änderungen Kulturstaatsministerin Roth beim Deutschen Produzententag (zeitgleich zum Berlinale-Start) den überfälligen Neustart einleitet.

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