Mut zur Entscheidung

von am 01.02.2023 in Aktuelle Top Themen, Archiv, Gesellschaftspolitik, Medienordnung, Medienpolitik, Medienregulierung, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Mut zur Entscheidung
Prof. Dr. Karsten Rudolph, Mitglied des WDR-Verwaltungsrats

In der Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fordert ein Mitglied des WDR-Verwaltungsrats mehr medienpolitische Verantwortung von den Landesparlamenten

01.02.2023. Von, Prof. Dr. Karsten Rudolph, Mitglied des WDR-Verwaltungsrats

Das Erscheinungsbild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist miserabel. Den Anlass hierfür bot das zweifache Führungsversagen der RBB-Intendanz — im ARD-Vorsitz und im eigenen Haus. Die Ursachen für den Ansehensverlust liegen tiefer, und zwar in einer seit längerem schwelenden Sinnkrise. Die Debatte über diese Krise wird seitdem von drei Standpunkten aus geführt. Alle drei führen jedoch in eine Sackgasse. Die erste Betrachtungsweise sucht das Heil der Öffentlich-Rechtlichen in einer Organisationsreform, mit der Doppelstrukturen überwunden und kostenträchtiger Ballast abgeworfen werden sollen. Ihr Irrtum besteht darin zu glauben, nur möglichst rasche und entschieden genug vorgetragene technisch-organisatorischen Maßnahmen würden den Vertrauensverlust aufhalten können.

Natürlich ist es richtig, wenn die Vorsitzenden der ARD-Gremien in Windeseile einen Public Corporate Governance Kode erarbeiten, um eine gemeinsame Aufsichtsordnung in der ARD zu implementieren; natürlich ist ein zeitgemäßes Compliance-System vonnöten und sicherlich muss die Kontrolle der Senderspitzen durch die Gremien gestärkt bzw. überhaupt ermöglicht werden. Damit sind aber Selbstverständlichkeiten ausgesprochen, für die der Rundfunkbeitrag nicht unbedingt gedacht war. Einen Schritt weiter gehen die Intendanten der ARD, wenn sie einen linearen Spartenkanal ins Digitale schicken, die Anzahl gleicher Radiokanäle reduzieren und die Dritten Programme von gleichen Formaten entrümpeln wollen. Dies ist immerhin der Einstieg in eine Strukturreform; nur das aus einem Weniger-vom-Gleichen-Prinzip noch keine positive Strategie wird.

Die zweite Sichtweise beruft sich auf das Bundesverfassungsgericht, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Medium und Faktor einer Meinungsbildung sieht, die sowohl der individuellen Selbstentfaltung wie der kollektiven Selbstbestimmung dient. In ihr wird vor allem der demokratiefördernde Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen sowie deren kulturbildendes Leistungsvermögen hervorgehoben und vor einer Verflachung des Programms – sei es aus Kosten-, sei es aus Quotengründen – eindringlich gewarnt. Einige Mahner sehen vor allem die Staatsferne als Heilmittel gegen die Krise des gemeinnützigen Rundfunks und beklagen den Einfluss der Parteien in den Gremien. Staatsfreiheit garantiert noch keine freie Meinungsbildung, und es lässt sich nicht ernsthaft bestreiten, dass Parteien zu den bedeutsameren gesellschaftlichen Gruppen, die die Allgemeinheit in den Rundfunkräten repräsentieren sollen. Vor allem leidet eine solche Betrachtungsweise darunter, dass sie zwar normativ überzeugend argumentiert, aber empirisch nicht immer zutrifft. Sehr oft, aber nicht immer genügt der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Qualitätsansprüchen, die man erwarten darf.

„Organisations-, Qualitäts- und Beitragsdebatte müssen endlich zusammengeführt werden.“

Doch geht es nicht nur um Einzelfälle. Systematisch ließe sich vielmehr fragen, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Themen der Printmedien eher verstärkt statt eigene zu setzen, ob er die starke Meinung mehr schätzt als die zurückhaltende Sachkenntnis, ob er Trends lieber verstärkt und Ereignisse dramatisiert statt abgeklärt über sie zu berichten und ob er eher auf Durchhören, Erfolgsgewohntes und Eintöniges setzt statt auf Ungehörtes, Besonderes und Vielfalt. Wie auch immer: Selbst der kritische qualitative Blickwinkel kann den Verdacht nicht gänzlich abschütteln, Reformen allein innerhalb des Programms zu suchen, aber ansonsten am Status-Quo festhalten zu wollen.

Die dritte Position, von der aus die Debatte geführt wird, behauptet, höhere Rundfunkbeiträge den schon gebeutelten Bundesbürgern nicht länger zumuten zu können. Dabei kommt es zu Vorschlägen, den Beitrag mittelfristig zu halbieren und das System so zu verkleinern, dass es wieder mehr Akzeptanz gewinnt. Tatsächlich läuft eine solche Zielsetzung auf eine Zerstörung des öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinaus, ohne dies offen aussprechen zu wollen. Denn nicht die Höhe des Beitrags löst die Kritik aus, sondern dessen Verwendung für hohe Intendantengehälter, ungewöhnliche Ruhegelder oder beträchtliche Pensionsansprüche. Verschwendung in diesem Sinn meint, das Geld werde nicht für das Publikum ausgegeben, sondern für programmfremde Zwecke.

Zu Ende gedacht, landet jeder dieser Ansätze in einer Sackgasse. Keiner von ihnen kann eine Linie definieren, von der aus der ÖRR wieder genügend Vertrauen gewinnen und seine Zukunft selbst in die Hand nehmen kann. Ab wann ist die Organisationsreform erfolgreich? Bei der Abschaffung von zwei Spartensendern, zehn Radiosendern und vier Klangkörpern? Oder erst bei der Zusammenlegung von ARD und ZDF? Wann führt die Qualitätsdebatte zu besseren Programmen? Dieses Jahr, nächstes Jahr oder bleibt sie eine ständige Mahnung? Wann erscheint der Rundfunkbeitrag akzeptabel? Wenn er bei 24, 18 oder 12 Euro liegt? Und machen wir uns nichts vor: Für die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fällt die Organisationsreform stets zu klein, die Qualitätsdebatte ständig zu nachsichtig und der Beitrag immer zu hoch aus. Solange diese drei Standpunkte neben- oder sogar gegeneinander stehen, rückt eine Reformlösung in weite Ferne.

„In diesen Rufen verbindet sich direkt-demokratisches Wunschdenken mit der Sehnsucht nach einem aufgeklärten Herrscher, der mithilfe einer Schar Weiser die Dinge richtet.“

Organisations-, Qualitäts- und Beitragsdebatte müssen endlich zusammengeführt werden. Deswegen ist es kein Zufall, wenn nach einem Konvent beim Bundespräsidenten, einer Expertenkommission oder nach einem im Losverfahren ausgewählten Publikumsrat gerufen wird. In diesen Rufen verbindet sich direkt-demokratisches Wunschdenken mit der Sehnsucht nach einem aufgeklärten Herrscher, der mithilfe einer Schar Weiser die Dinge richtet. Nun bedeutet eine solche Lösung nicht nur eine Kapitulationserklärung und ein Betätigungsverbot für alle bisher Verantwortlichen, sie bietet auch keinen realistischen Ausweg. Und außerdem gibt es ja bereits eine Kommission: die Rundfunkkommission der Länder. Hier sollen Staatssekretäre medienpolitische Vorarbeiten leisten, aber Medienpolitik darf kein Vorrecht für Staatssekretäre sein, sondern gehört jetzt in die Hände der Ministerpräsidenten, um politische Verantwortung erkennbar zu machen. Letzten Endes steht und fällt der gemeinnützige Rundfunk mit seinem gesetzlichen Auftrag. Denn aus diesem gesetzlichen Auftrag entspringen Organisation, Qualität und Beitragshöhe. Dass bedeutete natürlich nicht, der Politik die ganze Reformarbeit einfach zu überlassen. Die Öffentlichkeit erwarten zurecht Vorschläge. Kluge Intendantinnen und Intendanten können dabei vorangehen. Auch die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) kann eine pro-aktive Rolle spielen. Eine große Plenarkonferenz aller Rundfunk- und Verwaltungsräte könnte dafür ebenso hilfreich sein wie die ständige Auseinandersetzung mit der Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen im Programm der Öffentlich-Rechtlichen selbst. So ließe sich aus den Debattenroutinen ausbrechen.

„Aus der Debattenroutine auszubrechen heißt, medienpolitische Weichenstellungen aus dem Arkanum staatlicher Spezialgremien herauszuführen.“

Die Rundfunkkommission hat inzwischen erkannt, dass sie die Fliehkräfte der Reformdebatte nur einfangen kann, wenn sie einen integrierten Reformansatz wählt. Aber sie bekommt ihn nicht hin, was im wesentlichen zwei Gründe hat. Der erste Grund ist staatsferner und verfahrenstechnischer Natur. Es gibt nämlich keinen staatlichen Reset-Knopf. Alles ist schon da, und es läuft: die Mittelanmeldungen der Sender bei der KEF (schon wieder eine Kommission!), die Kaskade an Medienänderungsstaatsverträgen, die durch sie ausgelösten einzelgesetzlichen Novellen, die parlamentarischen Anhörungen, Beteiligungen, Abstimmungen.

Der zweite Grund: Aus der Debattenroutine auszubrechen heißt, medienpolitische Weichenstellungen aus dem Arkanum staatlicher Spezialgremien herauszuführen. Die Rundfunkkommission kann einen solchen Prozess einleiten und begleiten, aber sie kann ihn nicht komplett steuern, und das Ergebnis steht nicht von vornherein fest. Weil ihr ein solcher Weg als zu riskant erscheint, legt sie sich lieber einen Zukunftsrat zu. Aber Medienpolitik darf nicht länger Nischenpolitik für Feinschmecker sein, dafür ist sie zu wichtig. Sie gehört auf die Tagesordnung der Parlamente, schon um allgemein sichtbar zu werden. Denn eine echte Reform bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die genuin politischer Natur sind. Und dies können letzten Endes nur ausreichend demokratisch legitimierte Institutionen leisten, aber keine exekutivföderalistischen Kommissionen.

Prof. Dr. Karsten Rudolph ist Mitglied des WDR-Verwaltungsrats und war zuvor stellvertretender Vorsitzender des WDR-Rundfunkrates. Dem nordrhein-westfälischen Landtag gehörte er zwischen 2002 und 2010 und von 2017 bis 2022 an. Er lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. 

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