„Streaming und Fernsehen dürfen den Kinofilm nicht verwässern“

Verbände und Institutionen der Filmwirtschaft fordern radikale Änderung der Filmförderung
02.02.2023. Die „Initiative Zukunft Kino und Film“ schlägt in einer Erklärung ein „grundsätzlich verändertes deutsches Filmfördersystem“ vor. Dabei geht es vor allem um den Kinofilm, dessen Förderung im FFG neu geregelt werden soll. Der Initiative gehören neun Verbänden und Institutionen der Filmbranche an: AG Animationsfilm, AG Kurzfilm, Bundesverband kommunale Filmarbeit, Bundesverband Regie, Crew United, Hauptverband Cinephilie, Verband der deutschen Filmkritik Sowie Zukunft deutscher Film. Drei Leitgedanken, so die Autoren, tragen dieses Papier: Die Filmkultur soll sich durch eine größere Vielfalt auszeichnen „sowohl eine Vielfalt der Herkünfte, der beteiligten Menschen vor und hinter der Kamera als auch eine Vielfalt der Stoffe, der Dramaturgien, der Längen, Formate und Gattungen sowie der Asthetiken.“ Die künstlerischen und wirtschaftlichen Kriterien der Förderung sollen „unzweideutig“ voneinander unterschieden werden. Bei der Bewertung und Entscheidung über Förderanträge sollen diese Kriterien „nicht gegen einander ausgespielt“ werden können. Bei der Förderung von Kinofilmen sollten zudem Einflüsse durch Fernsehsender und Streaming-Dienste auf ein Minimum begrenzt werden. „Sie dürfen den Kinofilm nicht verwässern.“
Aus der Initiative „Für einen Neuanfang im deutschen Film“:
„Die Filmförderung auf Bundesebene soll künftig in zwei Förderbereiche unterteilt werden, die mit je 50 Prozent des Fördervolumens ausgestattet werden und allen Vorhaben offen stehen:
– eine Förderung nach künstlerischen Kriterien und
– eine Förderung nach wirtschaftlichen Kriterien
Die Mittelvergabe nach künstlerischen Kriterien erfolgt:
– überwiegend selektiv durch Jurys
– zu einem kleineren Anteil automatisch
Die Mittelvergabe nach wirtschaftlichen Kriterien erfolgt:
– überwiegend automatisch zu einem kleineren Anteil selektiv durch Jurys .
Innerhalb dieser vier Förderlinien gibt es jeweils Kategorien für:
– Entwicklung
– Produktion
– Verwertung (Kinos, Verleih, Home Entertainment)
– Talent und Innovation.
Die Filmförderung erfolgt bisher nach unterschiedlichen Kriterien und Maßstäben, die mit Erwartungen an die Projekte und ihren künstlerischen und/ oder wirtschaftlichen Erfolg verknüpft sind. Bei einem Großteil der Fördertöpfe werden diese Kriterien und Maßstäbe vermengt: Nur wenn eine Kombination unterschiedlicher Faktoren erfüllt wird, werden Fördergelder bewilligt. Um die Chancen zu erhöhen, dass sowohl künstlerisch als auch wirtschaftlich erfolgreiche Filme in Deutschland entstehen und verwertet werden, soll die Filmförderung künftig in zwei Förderbereiche mit grundsätzlich unterschiedlichen Vergabekriterien unterteilt werden. Anhand dieser Kriterien wird in jedem Fördertopf entschieden, welche Projekte förderwürdig sind und in welcher Höhe. Jedes Vorhaben kann grundsätzlich in beiden Bereichen eingereicht werden. Nicht die Filme sollen kategorisiert, sondern der Vergabeprozess klarer, nachvollziehbarer und transparenter werden. Die künstlerischen Kriterien sind schwer quantifizierbar und werden daher überwiegend durch Jurys beraten, kommuniziert und entschieden. Wesentliche Kriterien hierfür sind u.a. bisherige künstlerische Erfolge der Antragsteller und beteiligter Gewerke sowie Originalität, Qualität und Eigensinn von Stoff, Figuren, Struktur, Dialogen, visuellen und auditiven Konzepten.
Die wirtschaftlichen Kriterien sind überwiegend quantifizierbar und werden deshalb überwiegend automatisch bewertet. Darunterfallen u.a. Standortfaktoren wie Beschäftigungseffekte, Drehtage, sichtbare touristische Motive im Bild sowie Budgethöhe, Verleihgarantien und Vorabverkäufe, vorherige (relative und absolute) wirtschaftliche Erfolge der Antragsteller, Bekanntheit der Drehbuchvorlage oder von Projektbeteiligten. Die beiden Förderbereiche stehen allen Vorhaben offen, ganz gleich, ob sie sich in der Eigenbetrachtung als eher kommerziell oder künstlerisch definieren. Entscheidend für die Förderung ist ausschließlich, ob sie die Kriterien des jeweiligen Förderbereiches und Fördertopfes erfüllen. Anträge können in beiden Bereichen zeitgleich oder auch nacheinander gestellt werden.
„Nicht die Filme sollen kategorisiert, sondern der Vergabeprozess klarer, nachvollziehbarer und transparenter werden.“
Produktionsförderung
Die Produktionsförderung wird deutlich entlastet durch die Stärkung der Entwicklungsförderung – und geschärft durch die Aufteilung in die zwei Förderbereiche KK und WK. Die Produktionsförderung nach wirtschaftlichen Kriterien soll dabei verstärkt automatisiert vergeben werden.
Verbesserungen der Produktionsförderung:
– vereinfachte Antragstellung
– schnellere Finanzierungen durch weniger Förderer mit höheren Beträgen pro Projekt
– vereinfachte Finanzierung durch eine Ankaufsverpflichtung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in angemessener Höhe sowie Investitionsverpflichtungen der Streamer für Kinofilme.
Regionaleffekte
Die strukturellen Verbesserungen für die Kinofilmproduktion hängen entscheidend von der Rolle der Länderförderungen ab. Die mehrfache Verpflichtung zur Erfüllung von Regionaleffekten verteuert die Produktion, zwingt zu künstlerischen Zugeständnissen und schadet der Umwelt. Das FFG muss dringend den Fördertourismus verhindern, indem zum Beispiel eine auf Bundesebene geförderte Produktion maximal von einer einzigen Länderförderung zur Erbringung von Regionaleffekten verpflichtet werden darf. In diesem Zusammenhang regen wir die Einführung von Instrumenten an, die einzelne Produktionsfirmen vom Zwang zur Erfüllung von Regionaleffekten (und deren Nachweis) entbinden.
„Die strukturellen Verbesserungen für die Kinofilmproduktion hängen entscheidend von der Rolle der Länderförderungen ab.“
Referenzförderung
Im Rahmen der Produktionsförderung kommt der Referenzförderung für erfolgreich ausgewertete Filme eine besondere Rolle zu. Sie ist neu zu gestalten. Referenzmittel können aus beiden Töpfen erhalten und kumuliert werden. Die Trennung nach wirtschaftlichen und künstlerischen Kriterien hat zur Folge, dass sowohl künstlerischer als auch wirtschaftlicher Erfolg honoriert wird. Die Mittel sollen anteilig an Produktionsfirmen, Regisseuren und Drehbuchautoren für ihre nächsten Projekte vergeben werden. Die in Deutschland tätigen Streaming-Anbieter sollen nach französischem Modell zu einer Investition von 25 Prozent ihres in Deutschland erzielten Umsatzes in europäische Filmproduktionen verpflichtet werden. Besonders wichtig ist dabei eine Festschreibung des Anteils an deutschen Kinoproduktionen mit einem Rechterückfall an die von Sendern und Streaming-Anbietern unabhängigen Produktionsfirmen.
Auswertung
Aufbauend auf den strukturellen Verbesserungen von Entwicklungs- und Produktionsförderung kommt der Auswertungsförderung künftig eine größere Rolle zu. Sie soll es Kinos und Verleihen langfristig ermöglichen, neues Publikum zu gewinnen und zu binden. Ebenso wie das durch die Corona-Pandemie verloren gegangene Publikum kann auch ein neues und zukünftiges Publikum nur durch ein vielfältiges, einzigartiges und innovatives Programm (wieder-) gewonnen werden. Das Engagement von Kinos für Filmkultur und Filmbildung sollte noch stärker unterstützt werden. Die Förderung von Verleihunternehmen nach künstlerischen Kriterien sollte zudem ausgebaut werden. Wie bei Entwicklung und Produktion sollte auch in der Auswertung und den dafür vergebenen Preisen (z.B. Kinoprogrammpreise, Verleih-Preise) das Engagement der Akteur*innen für formatoffene Talent- und lnnovationsförderung finanziell unterstützt werden. Gefördert werden sollen Verleihe, Festivals und Kinos, die in ihren Programmen Filme sichtbar machen, die neue Maßstäbe setzen, künstlerische Experimente wagen, die Filmsprache weiterentwickeln und mit ihrer Innovationskraft die Zukunft des Bewegtbildes prägen können.
Internationalität
Die Bedeutung internationaler Filme – insbesondere derer, die nicht aus Europa und nicht aus den USA stammen – für die Filmkultur in Deutschland findet bislang keinen Niederschlag in den Förderbedingungen für Kinos und Verleihe. Die Förderung von Kinos unter Auflage eines prozentualen Einsatzes deutscher und europäischer Filme greift zu kurz, weil hiermit nicht nur US-amerikanische Filme gedeckelt werden, sondern genauso Filme aus allen anderen außereuropäischen Ländern. Für eine inklusive Filmkultur in Deutschland ist daher bei der Kinoförderung eine Quote nicht-US-amerikanischer Filme zielführender. Um die Vielfalt des Weltkinos zum deutschen Publikum zu bringen, sollte die Verleihförderung für Filme ohne deutsche Beteiligung geöffnet werden. Die begründeten Anträge sind daraufhin zu prüfen, ob eine Verleihförderung eine größere Chancengleichheit der Filme herstellen kann. Insbesondere Filme aus Ländern, die in Deutschland wenig Sichtbarkeit im Kino erfahren, sind zu fördern.“