Drogenverherrlichung bei TikTok & Co.

24. April 2023
Diese Angebote dürften laut Gesetz nicht frei zugänglich für Minderjährige sein

Junge Musiker besingen in ihren Musikvideos ihre Drogenexzesse und bebildern das mit entsprechendem Partyambiente. Joints werden gedreht, an Bongs gezogen und codeinhaltiger Hustensaft mit Sprite gemixt. Bei Instagram, TikTok und YouTube beschreiben Influencer mit großer Reichweite, welche Drogen am besten wirken oder teilen „den Trip ihres Lebens“. Drogenverherrlichung und -verharmlosung sind bei rund 60 Prozent der geprüften Angebote zu finden, so das Ergebnis einer neuen Studie der Landesmedienanstalten im Auftrag der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Als erstrebenswerte Selbsterfahrung oder Problemlöser wird der Konsum in den untersuchten Angeboten bei YouTube, TikTok oder Instagram häufig dargestellt. Die jugendaffine Ansprache und Gestaltung sowie der Einsatz von Humor und Memes machen die Videos, Storys und Posts gerade für die junge Zielgruppe spannend.

Experten wie Burkhard Blienert (Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen) und Dr. Marc Jan Eumann (Vorsitzender der KJM und Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz) sehen dringenden Handlungsbedarf. Bewegen sich Plattformen und Anbieter nicht, werden entsprechende Verfahren eingeleitet.

Dr. Marc Jan Eumann, Vorsitzender der KJM: „Es gibt einen klaren Befund: Alkohol- und Drogenkonsum wird verherrlicht. Und weil der Befund so eindeutig ist, müssen die Anbieter und die Plattformen ihrer gesetzlichen Verantwortung nachkommen und technische Mittel oder Alterskontrollen vorschalten oder andernfalls entsprechende Inhalte löschen. Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag gibt klare Regeln vor, werden diese nicht eingehalten, werden wir tätig.“

Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, ergänzt: „Der Befund ist wirklich erschreckend. Eines muss klar sein: Auch die sozialen Medien sind kein rechtsfreier Raum – kein Wildwest! Wenn Inhalte Alkohol, Nikotin, Drogen oder auch Glücksspiel verherrlichen, dann dürfen sie für Jugendliche nicht zugänglich sein! Ich erwarte von Anbieterinnen, Anbietern und Plattformen, dass ihnen das Wohl ihrer Nutzerinnen und Nutzer ein Anliegen ist und sie konsequent für Jugendschutz sorgen. Dazu sind sie rechtlich verpflichtet, es sollte aber auch so eine Selbstverständlichkeit sein. Wenn sie dem aber nicht nachkommen, dann ist natürlich die Aufsicht gefragt, der ich hier ganz explizit den Rücken stärken möchte.“

Social-Media-Angebote wie Instagram und TikTok sowie die Video-Plattform YouTube gehören laut JIM-Studie 2022 zu den wichtigsten von Jugendlichen genutzten Medien und erzielen hohe Reichweiten. Auch sind immer jüngere Kinder regelmäßig online. Eine Alterskontrolle ist daher unerlässlich, um Kinder vor ungeeigneten Inhalten zu schützen. Verstöße müssen umgehend gelöscht werden. Die Landesmedienanstalten haben zu ersten Verdachtsfällen bereits Verfahren eingeleitet und Angebote, bei denen Anbieter unbekannt sind, bei den Plattformen gemeldet. Die Reaktionen der Angeschriebenen zeigen, dass ein hohes Interesse besteht, die Angebote gesetzeskonform zu gestalten. So sperrte Meta die betroffenen Angebote bereits. Auch TikTok löschte bereits zahlreiche Inhalte. Auf YouTube wurden zahlreiche Videos in den 18er-Jahre-Bereich verschoben oder mit einer DE-Sperre für Nutzer aus Deutschland gesperrt.

Über 160 Angebote geprüft – über die Hälfte enthält Verstöße

Darstellungen von Alkohol und Drogen in den Medien haben grundsätzlich eine hohe Jugendschutzrelevanz. Ein Problempotenzial besteht bei positiven, aber auch einseitigen, unkritischen und unreflektierten Darstellungen risikobehafteter und selbstschädigender Verhaltensweisen beim Alkohol- und Drogenkonsum. Solche Darstellungen können für die psychische und physische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen problematisch sein. Besonders relevant sind jugendaffine, also bei Jugendlichen beliebte und viel genutzte Medieninhalte. Viele bei Jugendlichen bekannte Influencer präsentieren sich, ihr Lebensumfeld und ihre Lebensgewohnheiten dort oft mehrmals pro Woche oder sogar täglich. Sie dienen als Multiplikatoren und werden von Kindern und Jugendlichen häufig als Vorbilder betrachtet. Hierzu gehören auch Angebote mit Erfahrungsberichten über Alkohol- und Drogenkonsum von Influencern oder anderen Stars. Kinder und Jugendliche können ohne große Hindernisse gezielt oder zufällig auf Beiträge und Videos stoßen, die Alkohol- und Drogenkonsum thematisieren oder darstellen.

Ziel der Schwerpunktuntersuchung 2022 war deshalb, Erkenntnisse über jugendschutzrelevante Alkohol- und Drogendarstellungen in Sozialen Medien zu erhalten. Die Analyse fokussierte sich auf aktuelle und reichweitenstarke Angebote auf Instagram, TikTok und YouTube und bezog sich im Wesentlichen auf Alkohol und Cannabis. Auf Basis des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) war Maßstab der Überprüfung zum einen die Eignung der Angebote, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen (§ 5 Abs.1 JMStV) oder zu gefährden (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 JMStV). Zum anderen wurden Aspekte des Jugendschutzes in der Werbung und im Teleshopping (§ 6 JMStV) einbezogen.

Wesentliche Ergebnisse

Vielzahl an Verstoß-Verdachtsfällen festgestellt Bei insgesamt 162 vertiefend geprüften Angeboten wurde bei mehr als der Hälfte (95 Fälle) ein Anfangsverdacht auf einen Verstoß gegen die Bestimmungen des JMStV festgestellt. Der Großteil der vermuteten Verstöße bewegte sich im Bereich der Entwicklungsbeeinträchtigung für unter 18-Jährige (64 Fälle) bzw. für unter 16-Jährige (21 Fälle); in einem Fall für unter 12-Jährige. In neun Fällen lag ein Anfangsverdacht auf eine offensichtlich schwere Jugendgefährdung vor. Darüber hinaus fand sich in einigen Angeboten ein Anfangsverdacht auf Verstöße gegen die Bestimmungen zum Jugendschutz in der Werbung, z.B. in Form von Werbung für alkoholische Getränke, die sich an Kinder oder Jugendliche richtet, durch die Art der Darstellung Kinder und Jugendliche besonders anspricht oder sie beim Alkoholgenuss darstellt.

Die Risiken der Folgen von Alkohol-/Drogenkonsum wurden bei fast der Hälfte der Angebote verharmlost, verherrlicht, als einseitig positiv oder wichtiger als die Gesundheit präsentiert. Selbstgefährdende Verhaltensweisen wurden bei einem Viertel der Angebote in den Kommentaren als erstrebenswerte Selbsterfahrung, als selbstverständliches Mittel zur Steigerung des persönlichen Wohlbefindens oder zur Erlangung außergewöhnlicher Rauschzustände, als Stimulans, Entspannungsmittel oder lebensbereichernde Erfahrung angepriesen. In fast gleicher Anzahl wurde der Konsum von Alkohol/Drogen in den Kommentaren als erstrebenswertes Verhaltensideal, als alternativlose bzw. selbstverständliche Lösung von persönlichen Problemen oder als Mittel zur Steigerung des Selbstwertgefühls präsentiert. Kritische Einordnungen waren die Ausnahme. Unter den geprüften Angeboten befand sich eine große Anzahl mit einem hohen Realitätsgrad und großer Alltagsnähe. Oftmals wurde ein hohes Identifikationspotenzial für Kinder und Jugendliche festgestellt. Dieses zeigte sich in einer jugendaffinen Art der Gestaltung, z.B. in Sprache, Bildern oder Symbolen. Häufig wurden Bezüge zur jugendlichen Lebenswelt hergestellt. Ein hoher Anteil der untersuchten Angebote war zudem auf die Wahrnehmungsfähigkeiten und Rezeptionsgewohnheiten jüngerer Nutzer zugeschnitten. In kaum einem der geprüften Angebote fanden sich die erforderlichen Informationen zu Jugendschutzbeauftragte

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