Der Hörfunk muss seine Sendeinfrastruktur überprüfen

13. Juni 2022
Der Hörfunk muss seine Sendeinfrastruktur überprüfen

Radio und die Weltfunkkonferenz 2023

13.06.2022. Von Helmut G. Bauer, Rechtsanwalt

Ende 2023 wird die nächste Weltfunkkonferenz (WRC-23) u.a. darüber entscheiden, wie das UHF-Fernsehspektrum in Zukunft genutzt werden soll. Auch wenn es auf den ersten Blick nur um TV geht, hätte ein Abschalten des terrestrischen Fernsehens erhebliche Auswirkungen auf den Hörfunk, weil er viele TV-Senderstandorte mit nutzt. Das UHF-Frequenzband zwischen 470 und 694 MHz wird derzeit für die Ausstrahlung des terrestrischen Fernsehens und für drahtlose Produktionsmittel (PMSE) genutzt. Um in Zukunft über noch mehr Übertragungskapazitäten verfügen zu können, fordert der Mobilfunk weltweit die Zuordnung zumindest eines Teils dieser Frequenzen für seine Dienste. Auch die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in Deutschland fordern einen Teil dieser Übertragungskapazitäten, um im Krisenfall besser kommunizieren zu können. Die Flutkatastrophe im vergangenen Sommer und der Krieg in der Ukraine hätten die Notwendigkeit eines funktionierenden Zivil- und Katastrophenschutzes deutlich gemacht.

Diesen Forderungen widersprechen die Fernsehveranstalter und die Kulturwirtschaft, auch mit Verweis auf die bereits für den Mobilfunk freigeräumten Frequenzen. Das terrestrische Fernsehen sei für den Mix an Verbreitungswegen notwendig, um unabhängig von den anderen Infrastrukturanbietern zu sein. Der Grundversorgungsauftrag umfasse auch die Pflicht, einen unentgeltlichen Verbreitungsweg anzubieten. Mit ?5G Broadcast? stehe ein neuer leistungsstarker Übertragungsstandard zur Verfügung, um DVB-T 2 HD ab 2030 ablösen zu können. Er biete außerdem die Möglichkeit die Bevölkerung im Katastrophenfall warnen zu können, wenn andere Wege ausgefallen sind (Warnmittelmix).

Die Kulturwirtschaft hebt hervor, dass für den zuverlässigen Einsatz von drahtlosen Mikrofonen dieses Spektrum unverzichtbar sei. Ein Verlust oder nur eine weitere Einschränkung hätte massive Auswirkungen auf Veranstaltungen und Kulturereignisse. Sie fordert die unveränderte Zuweisung der UHF-TV-Frequenzen über das Jahr 2030 hinaus. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt, das UHF-Band dauerhaft für Kultur und Rundfunk zu sichern. Die Bundesrepublik Deutschland ist aber nur einer von 193 Mitgliedsstaaten der Weltfunkkonferenz.

Die Mehrheit der Fernsehzuschauer nutzt Kabel, Satellit und Internet für den TV-Empfang. Nach Untersuchungen der Landesmedienanstalten empfangen nur noch 6,7 Prozent (2,6 Millionen) der Haushalte Antennen Fernsehen terrestrisch via DVB-T2 HD. Das Antennenfernsehen wird bundesweit über 152 Senderstandorte ausgestrahlt. Sie befinden sich meist an exponierten Stellen auf Bergen oder es wurden Fernsehtürme in Städten aufgebaut, um mit hohen Sendeleistungen große Gebiete versorgen zu können (Grundnetzsender). An vielen dieser Standorte befinden sich auch Antennen und Sender für Hörfunkprogramme. Vom Mobilfunk werden die Standorte vorrangig für Richtfunkstrecken genutzt. Für die Mobilfunkversorgung eignen sich Antennen auf niedrigeren Masten, Türmen und auf Häusern besser. Der größte Teil der Kosten entfällt auf die Fernsehsender. Fallen diese aus, müssen die verbliebenen Nutzer die Kosten des Standortes tragen.

?Es ist zu erwarten, dass Radioveranstalter in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, wenn die Verbreitungskosten exorbitant steigen.?

Unabhängig davon ist insgesamt mit höheren Preisen zu rechnen. Türme und Masten sind wegen ihres Monopols ein lukratives Geschäft. Zurzeit bietet die Deutsche Telekom AG ihre Tochtergesellschaft ?Deutsche Funkturm? zum Verkauf an. Nach Presseveröffentlichungen wird der Wert auf 15 bis 18 Milliarden Euro geschätzt. Attraktiv für Investoren dabei sind aber nicht die hohen Türme, sondern die über 33.000 Mobilfunkstandorte. Auch der WDR hat sich im Jahr 2016 die hohen Bewertungen zunutze gemacht und 186 kleinere Sendemasten samt Grundstücken an den amerikanische Konzern American Tower Corporation (ATC) veräußert.

Der öffentlich- rechtliche Rundfunk betreibt in den alten Bundesländern seine Senderstandorte selbst. In vielen Fällen teilt er wechselseitig diese mit anderen Infrastrukturanbietern wie der DFMG Deutsche Funkturm. Beim Wegfall der Fernsehverbreitung müsste der Hörfunk diese Infrastrukturen alleine finanzieren, gleichzeitig würden die Kosten für das Antennenfernsehen wegfallen. Zusätzlich stehen die Rundfunkanstalten unter Druck, weil die KEF unmissverständlich deutlich gemacht hat, dass sie für die Ausstrahlung über UKW ab 2030 keine Mittel mehr ausweisen wird.

Die öffentlich-rechtlichen Veranstalter in den neuen Ländern und die privaten Radioveranstalter haben in der Regel einen Vertrag mit einem Netzbetreiber wie der Media Broadcast, Uplink oder Divicon, welche die Infrastruktur, also den Standort, Sender und die Antenne vermieten. Der Preis für einen Senderstandort setzt sich aus einer fixen Grundmiete, einem Preis, der sich nach der Höhe richtet, in der die Antenne angebracht ist, und einem Preis nach der Fläche der Antenne zusammen. Nach einer Untersuchung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) macht diese Infrastruktur-Miete für einen Standort im Durchschnitt die Hälfte der Verbreitungskosten aus. Da der Mobilfunk kleinere Antennen benötigt, wären bei Wegfall des Antennenfernsehens die höheren Kosten im Wesentlichen von den Hörfunkveranstaltern zu tragen. Auch wenn Veranstalter langfristige Verträge mit ihren Netzbetreibern abgeschlossen haben, müssen sie mit höheren Kosten rechnen, wenn die Verträge angepasst werden können oder nach dem Auslaufen verlängert werden müssen.

Die privaten Veranstalter finanzieren die Verbreitungskosten in der Regel über ihre Werbeeinnahmen. Nach der Studie von Landesmedienanstalten zur ?Wirtschaftlichen Lage des Rundfunks in Deutschland 2019? (WiLa) machen sie bei lokalen und landesweiten Veranstaltern im Durchschnitt rund 10 Prozent des Budgets aus. Bei bundesweiten Programmen ist dies deutlich höher. Vor der Corona-Pandemie lag der Kostendeckungsgrad des landesweiten Hörfunks bei 117 Prozent und des lokalen Hörfunks bei 109 Prozent. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass Radioveranstalter in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, wenn die Verbreitungskosten exorbitant steigen. Dies trifft besonders Veranstalter, die ihre Programme über UKW und DAB+ ausstrahlen. Sie wären doppelt von höheren Verbreitungskosten betroffen. Radioveranstalter müssen sich auf höhere Verbreitungskosten einstellen. Das zwingt sie, sich rechtzeitig mit der Frage auseinandersetzen, über welche Infrastrukturen sie ihre Programme in Zukunft verbreiten wollen. Das Deutschlandradio und einige private Veranstalter haben erste Konsequenzen gezogen und unrentable UKW-Standorte zugunsten der DAB+-Ausstrahlung aufgegeben.

Autor: Helmut G. Bauer hat Rechtswissenschaften, Publizistik, Politik und Ethnologie an den Universitäten in Heidelberg und Mainz studiert. Er war u.a. Geschäftsführer des Kabelpilotprojektes Ludwigshafen, Direktor der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz und Geschäftsführer verschiedener Medienunternehmen. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Fragen der Rundfunkinfrastruktur und neuer Medientechnologien, insbesondere für den Hörfunk. Bauer ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und war viele Jahre Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten.

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