?Der politische Wind hat sich gedreht?
11. April 2022
DAB+ erfährt in den Ländern und auch bei privaten Veranstaltern mehr Unterstützung
11.04.2022. Interview mit Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM)
DAB+ gehört zu den Gewinnern der aktuellen Untersuchung der Reichweiten von Hörfunksendern. Im weitesten Hörerkreis kommt DAB+ mittlerweile auf einen Anteil von 24,5 Prozent (Hörer ab 14 Jahre, ma 2021 Audio: 20,4 Prozent). Allerdings ist die Relevanz dieser Ergebnisse für die Zukunft des Radios weiter umstritten. So sagte Marco Maier, Geschäftsführer von Radio/Tele FFH in einem medienpolitik.net-Gespräch: ?Die drei Übertragungswege (UKW, IP, DAB+) werden mit veränderten Gewichtungen noch sehr lange parallel existieren.? Vor allem mangelnde finanzielle Unterstützung wird von den privaten Hörfunkanbietern kritisiert. Bayern gehört zu den stärksten Befürwortern und Förderern von DAB+. Seit einem Jahr können alle UKW-Radioprogramme in Bayern auch über DAB+ empfangen werden. So werden von privaten Anbietern aktuell mehr als 80 lokale, landesweite und bundesweite DAB+ -Programme verbreitet. Zusammen mit den Digitalradioprogrammen des Bayerischen Rundfunks sind es insgesamt mehr als 100 DAB+ - Programme. Nach Einschätzung von Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) verliert UKW seit Jahren an Relevanz, während die Reichweite von DAB+ kontinuierlich wächst. Dies lässt sich auch immer besser kommerzialisieren. Dabei verweist Schmiege auch auf die höheren Kosten bei der UKW-Verbreitung.
medienpolitik.net: Herr Dr. Schmiege, wie bewerten Sie die Entwicklung bei DAB?
Schmiege: Sehr positiv ? das war auch der Tenor der Branchenveranstaltung ?DAB+ im Dialog? Ende März in Berlin. Der positive Trend zeigt sich nicht nur an den wachsenden Zahlen verkaufter Geräte, sondern vor allem auch an den vielen Interessensbekundungen und den zahlreichen Anträgen für Ausschreibungen in vielen Ländern. In Kürze wird bereits der zweite bundesweite DAB+-Multiplex mit dem 16. und damit letzten Programm belegt sein. Im Branchendialog wurde von sämtlichen Vertreterinnen und Vertretern der privaten Hörfunkbranche ? übrigens auch von solchen, die früher skeptisch waren ? die Bedeutung des digital-terrestrischen Rundfunks ausdrücklich betont.
medienpolitik.net: Ist für die Privatradios DAB attraktiver geworden, so dass mehr Sender in DAB investieren?
Schmiege: Die Zukunft gehört DAB+. Und diese Zukunft hat bereits begonnen. Wer dies nicht verpassen möchte, der muss spätestens jetzt investieren. Die hohe Zahl an Bewerbungen auf ausgeschriebene DAB-Kapazitäten belegt das eindrucksvoll. Der gesamte digitale Audiomarkt boomt. Antenne Deutschland ist dank seiner DAB+-Angebote laut aktueller ma Audio das am stärksten wachsende Radiounternehmen Deutschlands. Die Vielfalt an Radio-Angeboten hat sich in den letzten Jahren deutschlandweit noch einmal deutlich erhöht. Auch dazu trägt DAB+ mit vielfältigen Investitionen in innovative Programme und eine bessere Versorgung bei.
medienpolitik.net: Lässt sich inzwischen mit DAB Geld verdienen?
Schmiege: Im Moment ist UKW noch für viele Sender die Basis ihrer Finanzierung. DAB+ wird aber zu einem immer wichtigeren Standbein im Business, also eine wichtige Quelle der Refinanzierung, die man nicht mehr missen möchte. UKW verliert zudem seit Jahren an Relevanz, während die Reichweite von DAB+ kontinuierlich wächst. Dies lässt sich auch immer besser kommerzialisieren. Mit der Vollintegration der Reichweitenerhebung in die ma Audio steht in diesem Jahr ein weiterer Schritt in Richtung Refinanzierung bevor. Die provokante Gegenfrage lautet also: Wie lange lässt sich mit UKW noch Geld verdienen und wann übersteigen die sehr hohen Verbreitungskosten die damit tatsächlich erzielten Einnahmen im Vergleich zu DAB+?
?Wie lange lässt sich mit UKW noch Geld verdienen und wann übersteigen die sehr hohen Verbreitungskosten die damit tatsächlich erzielten Einnahmen im Vergleich zu DAB+??
medienpolitik.net: Ist die Unterstützung der Politik ausreichend?
Schmiege: Das ist natürlich sehr unterschiedlich. Wir sehen allerdings: Selbst in den skeptischen Ländern hat sich der politische Wind gedreht. Ein sehr positives Signal ist zudem, dass die Arbeit im Digitalradio Board wiederaufgenommen werden soll. Da Rundfunk Ländersache ist, sollte das weitere Vorgehen, gemeinsam mit den Akteurinnen und Akteuren auf Seiten der Inhalteanbieter und der Landesmedienanstalten, eng abgestimmt werden. In punkto Förderung wünschen sich gerade die privaten Programmanbieter einen neuen Impuls. Ich bin mir sicher: Es wäre ein weiterer Booster für DAB+, wenn die rein auf Verbreitungskosten bezogenen Fördermodelle, wie sie z.B. in Bayern existieren, auf andere Länder übertragen würden.
medienpolitik.net: Was hemmt die weitere Verbreitung von DAB vor allem?
Schmiege: Die größten Steine sind schon aus dem Weg geräumt: Seit Einführung der Digital-Radio-Pflicht in Neuwagen und auch bei stationären Geräten mit Display sind fast alle verkauften Neugeräte Digitalradio-tauglich. Beim Radio ist es wie beim HD-Fernsehen: Wer einmal DAB+ in seiner Qualität und Vielfalt gehört hat, möchte es nicht mehr missen. Deshalb geht es jetzt darum, auch Dritt-, Viert- und Fünft-Geräte in den Garagen, Werkräumen und Bügelzimmern dieser Republik zu digitalisieren. Denn nur bei entsprechend hoher Nutzung können wir konkret über einen Ausstieg aus der analogen Terrestrik sprechen.
?Es wäre ein weiterer Booster für DAB+, wenn die auf Verbreitungskosten bezogenen Fördermodelle, wie z.B. in Bayern, auf andere Länder übertragen würden.?
medienpolitik.net: Stefan Raue, Intendant des Deutschlandradios fordert: ?Wir müssen uns auf Kriterien verständigen, die den Umstieg von analog auf digital definieren.? Halten Sie das auch für erforderlich?
Schmiege: Kriterien für einen Umstieg von UKW auf DAB+ sind elementar: Um allen Beteiligten Klarheit zu geben, aber auch um von einer unnötigen Diskussion über ein einheitliches Abschaltdatum wegzukommen. Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen einen klaren Umstiegskorridor entlang von Kriterien, bei denen die unterschiedlichen Verhältnisse und Voraussetzungen berücksichtigt werden können. Das gibt uns die Möglichkeit einer flexiblen Gestaltung, bei der auch berücksichtigt werden kann, dass einige Länder und Inhalteanbieter bei DAB+ noch hinten dran sind. Denn ein Umstieg funktioniert nur, wenn öffentlich-rechtliche und private Sender diesen Pfad gemeinsam gehen und vor allem auch klar ist, was mit frei werdenden UKW-Frequenzen wird.
Denn die Reduzierung der viel zu hohen Verbreitungskosten betrifft beide Säulen des dualen Rundfunksystems. Hier besteht Handlungsbedarf, wie wir nicht erst seit dem KEF-Bericht vom Februar dieses Jahres wissen. Allein in Bayern bezahlen zwei Drittel der lokalen Hörfunkanbieter deutlich mehr für die UKW-Verbreitung als für größere und versorgungstechnisch bessere DAB+-Netze. Die Hälfte aller Anbieter bezahlt mindestens das Doppelte für UKW, bis hin zum Fünffachen.
medienpolitik.net: Welche Kriterien sollten dazu gehören?
Schmiege: In Bayern sind zwei wichtige Fragen bereits geklärt: Wir haben mit dem Bayerischen Rundfunk vereinbart, dass dieser bei gemeinsamen Abschaltungen von UKW-Sendern z.B. aus Unwirtschaftlichkeitsgründen, voranschreitet. Eine solche Vereinbarung ist in Deutschland einmalig, aber das richtige Zeichen. Außerdem hat der bayerische Gesetzgeber klargestellt: freiwerdende Frequenzen werden nicht mehr vergeben, außer dies ist aufgrund regionaler oder lokaler Besonderheiten im Versorgungsgebiet erforderlich, um eine ausreichende Angebots- und Meinungsvielfalt sicherzustellen. Fragen zur Förderung privater Angebote sollten ebenfalls geklärt sein. Nicht zuletzt muss die Kommunikation abgestimmt werden, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten mit gleicher Stimme sprechen.
medienpolitik.net: Warum sollte das terrestrische Radio unbedingt gesichert werden?
Schmiege: Dafür gibt es viele gute Gründe: So sind terrestrische Rundfunknetze aufgrund ihrer hohen Verfügbarkeit von besonderer Bedeutung für Krisen- und Katastrophen-Informationen. Die Digitaltechnik bietet zudem neue Alarmierungsmöglichkeiten, von der Programmunterbrechung bis hin zum ?Aufwachen des Gerätes? aus dem Stand-by-Modus. Und, ganz wichtig: Aufgrund des niederschwelligen und kostengünstigen Zugangs bieten terrestrische Rundfunknetze ein hohes Maß an gesellschaftlicher Teilhabe für alle Schichten der Bevölkerung. Unter rundfunkpolitischen Gesichtspunkten ermöglichen sie eine gestaltbare Angebotslandschaft bis hin zur Verfügbarkeit gesellschaftspolitisch relevanter und kuratierter Inhalte, die vor allem auch regionale und lokale Informationen einfach und gesichert auffindbar machen.
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