?Der Rundfunk darf nur einer ?beschränkten staatlichen Rechtsaufsicht? unterworfen werden?
17. Juni 2022
Einschränkungen bei der ?Unterhaltung? im Auftrag sind verfassungsrechtlich zulässig
17.06.2022. Interview mit Prof. Dr. Prof. Dr. Bernd Holznagel, Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (ITM), WWU Münster
Am 2. Juni hat die Ministerpräsidentenkonferenz den Entwurf der Auftragsnovellierung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gebilligt. Gegenwärtig befindet sich das Papier im Umlauf zur Unterschrift durch alle Regierungschefinnen und -chefs. Anschließend werden die Landtage unterrichtet. Die Länder wollen damit unter anderem die Rolle der Gremien stärken. Sie sollen deutlich mehr Verantwortung für Programmstrukturen und die Kontrolle der Wirtschaftlichkeit erhalten. Wie der Medienrechtler Bernd Holznagel in einem Interview mit medienpolitik.net sagt, ist damit keine ?Selbstbeauftragung? verbunden. Das Bundesverfassungsgericht habe die Möglichkeit eröffnet, dass die Anstaltsgremien einer staatlichen Aufsicht unterworfen werden können. ?Ob es hierzu gar eine Pflicht gibt, hat es offengelassen.? Nach seiner Auffassung ist auch die Einschränkung im Entwurf, dass bei Unterhaltung der öffentlich-rechtliche Auftrag der Anstalten zum Ausdruck kommen müsse, verfassungsrechtlich zulässig, um ?einer übermäßigen Orientierung an den Einschaltquoten entgegenzuwirken.?
medienpolitik.net: Herr Holznagel, die Länder übertragen immer mehr Verantwortung für ein ?öffentlich-rechtliche Profil? des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an die Anstalten und die Gremien. Während der private Rundfunk durch die Landesmedienanstalten kontrolliert wird, kontrolliert sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer stärker selbst. Wie weit darf diese Selbstbeauftragung und Selbstkontrolle verfassungsrechtlich gehen?
Holznagel: Der Auftrag des gemeinwohlorientierten Rundfunks wird in den von den Ländern in Kraft gesetzten § 26 Abs. 1 MStV umfangreich bestimmt. Zur Konkretisierung der in dieser Norm verwendeten Rechtsbegriffe sind aufgrund ihrer in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG niedergelegten Programmfreiheit die Veranstalter selbst aufgerufen. Die Auslegung von Rechtsbegriffen ist ein im Rechtsleben normaler Vorgang. Hiermit ist keine Selbstbeauftragung verbunden. Nach der in der Bundesrepublik eingeübten und bewährten Tradition folgt der Rundfunkgesetzgeber bei der Organisation des öffentlichen Rundfunks dem binnenpluralistischen Modell. Hiernach wird die Veranstaltung von Rundfunk einer öffentlich-rechtlichen Anstalt übertragen. Die Leitung ihrer Geschäfte obliegt einer Intendanz. Jedoch wird diese einer umfassenden Aufsicht durch plural zusammengesetzte Gremien, den Rundfunk- und Verwaltungsräten, unterworfen.
Ein zentrales Leitprinzip für die Arbeitsweise dieser Gremien ist das Gebot der Staatsferne des Rundfunks. Zugleich und zuvörderst soll es eine politische Instrumentalisierung des Rundfunks verhindern. Diese Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht in jüngster Zeit im Hinblick auf die Zusammensetzung der Gremien der Anstalten konkretisiert (Stichwort: ZDF-Urteil). Aber auch über das Ausmaß der Zulässigkeit einer staatlichen Aufsicht über die Organe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks finden sich in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts bindende Aussagen. Das Gebot der Staatsferne steht naturgemäß in einem Spannungsverhältnis zu einer staatlichen Aufsicht der Gremientätigkeit. Denn es besteht hier die Gefahr, dass über die zur Verfügung stehenden Aufsichtsinstrumente Einfluss auf die Entscheidungsabläufe in den Gremien und damit mittelbar auf die Programmgestaltung genommen wird. Andererseits ist es ein legitimes Anliegen des Staates, für die Einhaltung der gesetzlichen Vorkehrungen zu sorgen, die einer am Vielfaltsziel ausgerichteten Rundfunkorganisation dienen. Das Bundesverfassungsgericht hat daher die Möglichkeit eröffnet, dass die Anstaltsgremien überhaupt einer staatlichen Aufsicht unterworfen werden können. Ob es hierzu gar eine Pflicht gibt, hat es offengelassen. Jedoch darf der Rundfunk ?höchstens einer beschränkten staatlichen Rechtsaufsicht? unterworfen werden. Diese diene, so heißt es schon im ersten Rundfunkurteil, der Aufgabe, die Einhaltung zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit ergangenen Bestimmungen sicherzustellen. Dies erklärt, warum im gemeinwohlorientierten Rundfunk die Selbstkontrolle so bedeutsam ist. Für eine Staatsaufsicht gibt es praktisch kaum verfassungsrechtliche Spielräume.
Die Anstalten sind aufgerufen eine Art ?(Dach)Marke? zu entwickelt, die auch das Besondere des gemeinwohlorientierten Rundfunks kenntlich macht.
medienpolitik.net: Im aktuellen Entwurf heißt es: ?Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen. Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Profil entspricht, ist Teil des Auftrags.? Ist diese Einschränkung verfassungsrechtlich möglich?
Holznagel: Ja. Im älteren Schrifttum ist oft die Auffassung vertreten worden, dass der gemeinwohlorientierte Rundfunk praktisch schrankenlos Unterhaltungsprogramme veranstalten dürfe. Denn auch Unterhaltung trage zur Herausbildung gesellschaftlicher Werte und des gesellschaftlichen Zusammenhangs bei. Zudem sei sie erforderlich, um die Akzeptanz des gemeinwohlorientierten Rundfunks in der Bevölkerung sicherzustellen. Heute wird eher einer engeren Sichtweise gefolgt, die der Rundfunkgesetzgeber nun im novellierten MStV folgen will. Dann muss in den Unterhaltungsprogrammen der öffentlich-rechtliche Auftrag der Anstalten zum Ausdruck kommen. Dies ist auch verfassungsrechtlich zulässig, um einer übermäßigen Orientierung an den Einschaltquoten entgegenzuwirken.
medienpolitik.net: Der Begriff des ?öffentlich-rechtlichen Profils? durchzieht den Staatsvertrag wie ein roter Faden. Was ist aus verfassungsrechtlicher Sicht ein ?öffentlich-rechtlichen Profil??
Holznagel: Mir ist nicht bekannt, dass dieser Begriff vom BVerfG verwendet oder im Schrifttum bereits ausgedeutet wurde. Aus der Zusammenschau der Neuregelungen des MStV ergibt sich aber, dass sich die Orientierung des Programms an dem im novellierten MStV niedergelegten Auftrag auf die ?gesamte Breite? des Angebots und nicht etwa nur die linearen Programme oder einzelnen Telemedienangeboten im Netz beziehen soll. Insofern sind die Anstalten aufgerufen eine Art ?(Dach)Marke? zu entwickelt, die auch das Besondere des gemeinwohlorientierten Rundfunks kenntlich macht. Dies ist eine Folge der Absicht, das Programmangebot zu flexibilisieren und einen Übergang von linearer zur non-linearen Verbreitung zu ermöglichen. Die Herausbildung eines ?öffentliche Profil? soll hier integrierend wirken. Verfassungsrechtlich ist diese Vorgehensweise nicht zu beanstanden. Sie nutzt die neuen technischen Möglichkeiten, unterschiedliche Angebote zu Vernetzungen und über wechselseitige Verweisungen auf ein intendiertes ?Profil? hinzuweisen.
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