?Die äußeren Rahmenbedingungen sind alles andere als rosig?
03. Mai 2022
Rückgang der Gesamtauflage von Anzeigenblättern um 10 Prozent / Reputation der Gattung gewachsen
03.05.2022. Interview mit Dr. Jörg Eggers, Hauptgeschäftsführer, Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA)
2020 wurden etwa 18 Prozent der Anzeigentitel auf Dauer eingestellt wurden. 2020 existierten deutschlandweit 1.208 Titel, 2021 waren es noch 970. Die Gesamtauflage im Anzeigenblattmarkt habe sich, so Dr. Jörg Eggers, Hauptgeschäftsführer des BVDA bei ?58,9 Mio. Exemplaren pro Woche eingependelt?. Dies entspreche einem Rückgang von etwa 10 Prozent im Jahr 2021. Der Rückgang ist vor allem auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen. Bei manchen Titeln sind die Werbeerlöse um bis zu 90 Prozent eingebrochen. Gegenwärtig belasten die Verlage vor allem steigende Papier- und die Logistikkosten sowie der höhere Mindestlohn. Gleichzeitig, so Eggers, stehe die Gattung in ihrer Reputation so gut da wie noch nie. In der Hochphase der Coronapandemie haben die Wochenblätter bewiesen, warum sie systemrelevant seien. Im Kampf gegen Fake News und für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten sie einen wertvollen Beitrag. Trotz wachsender Präsenz der Anzeigenblätter im Internet, werde die gedruckte Information, so Eggers, nicht infrage gestellt: 59 Prozent der Bevölkerung orientierten sich beim Einkauf gezielt an Produkten und Angeboten, die sie zuvor im Prospekt gesehen hätten. Der Hauptgeschäftsführer des BVDA fordert von der Koalition dringend eine Infrastrukturförderung, da die aktuellen Belastungen eine akute Bedrohung für die Presse- und Meinungsvielfalt darstellten.
medienpolitik.net: Wie geht es den Anzeigenblättern nach zwei Jahren Corona-Pandemie?
Eggers: Auf diese Frage gibt es zwei Antworten: Wirtschaftlich hat die Gattung mit vielen nicht hausgemachten Herausforderungen zu kämpfen: Während der Lockdowns sind die Werbeerlöse ? unsere einzige Finanzierungsquelle ? bei manchen Titeln um bis zu 90 Prozent eingebrochen. Die Papier- und die Logistikkosten sind bereits in den letzten beiden Jahren gestiegen, und zuletzt sind hier die Preise geradezu explodiert. Hinzu kommt im Herbst noch ein außerplanmäßiger Anstieg des Mindestlohns ? unter all diesen externen Faktoren haben die Anzeigenblattverlage zu leiden. Gleichzeitig steht die Gattung in punkto Reputation so gut da wie noch nie. In der Hochphase der Coronapandemie haben die Wochenblätter bewiesen, warum sie systemrelevant sind. Im Kampf gegen Fake News und für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten sie einen wertvollen Beitrag, der von Politik, Wirtschaft und Medien anerkannt wird. Und die journalistische Qualität der Gattung insgesamt ist so gut, dass wir auf unserer Frühjahrstagung am 5. Mai und 6. Mai Festredner bzw. Podiumsteilnehmer haben, die vor 20 Jahren vermutlich noch einen Bogen um die lokalen Wochenblätter gemacht hätten. Als Beispiele nenne ich Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen, der die Festrede bei unserem Medienpreis ?Durchblick? hält oder David Schraven von CORRECTIV, mit denen uns eine erfolgreiche Kooperation verbindet.
medienpolitik.net: Die Gesamtauflage der kostenlosen Wochenzeitungen ist 2020 um knapp 30 Prozent zurückgegangen. Wie sieht es 2021 aus?
Eggers: Der Auflagenrückgang im vorletzten Jahr war zu einem großen Teil der Coronapandemie geschuldet. Dabei wurden sowohl temporäre als auch dauerhafte Einstellungen von Anzeigenblatttiteln berücksichtigt. Rückblickend zeigt sich, dass im Jahr 2020 um die 18 Prozent auf Dauer eingestellt wurden. Im letzten Jahr gab es naturgemäß noch Friktionen ? jetzt hat sich die Gesamtauflage im deutschen Anzeigenblattmarkt bei 58,9 Mio. Exemplaren pro Woche eingependelt. Dies entspricht einem Rückgang von etwa 10 Prozent in 2021. Das sind immer noch ausgezeichnete Werte im Gesamtkonzert der Mediengattungen.
medienpolitik.net: Also gibt es künftig mehr ?weiße Flecken? bei der Verbreitung von Anzeigenblättern?
Eggers: Speziell zur Wochenmitte gab es Rückgänge, da einige Verlage ihre Titel eingestellt haben. Wichtig zu wissen ist aber, dass die Menschen auch dort, wo dies der Fall ist, weiterhin konstant mit lokalen redaktionellen und werblichen Informationen versorgt werden. Schließlich geben bzw. gaben die meisten Verlage zwei Anzeigenzeitungen pro Woche heraus.
medienpolitik.net: Gibt es einen Lichtblick, dass sich die Lage jetzt bessert?
Eggers: Wie eingangs skizziert, sind die äußeren Rahmenbedingungen auch in diesem Jahr alles andere als rosig. Perspektivisch wird einiges davon abhängen, wie sich der Werbemarkt entwickelt und wieviel bei einem positiven Trend auf unser lokales Medium entfällt. Die Verlage haben sich in der Pandemie noch einmal neu aufgestellt und damit Perspektiven geschaffen ? jetzt kommt es darauf an, dass auch die Rahmenbedingungen stimmen, das heißt: sich deutlich verbessern.
?Die Verlage haben sich in der Pandemie noch einmal neu aufgestellt und damit Perspektiven geschaffen ? jetzt kommt es darauf an, dass sich die Rahmenbedingungen deutlich verbessern.?
medienpolitik.net: Viele Anzeigenblätter werden von Tageszeitungs-Verlagen herausgegeben und waren jahrelang auch wirtschaftlich eine Stütze der Verlage. Werden Sie jetzt eher zum Bremsklotz?
Eggers: Diese Frage kann ich klar verneinen. Was mir aus der Branche gespiegelt wird ? und da schließe ich jetzt die Zeitungsverlage ein - ist ein funktionierendes Mit- und Nebeneinander von Tageszeitungen und Anzeigenblättern. Beide erfüllen ihre Funktion für die jeweiligen Bedarfe im Leser- und Werbemarkt. Es wäre auch für die Presse- und Medienvielfalt in Deutschland fatal, wenn eines der beiden Medien seine bisherige Relevanz verlieren würde.
medienpolitik.net: Wie relevant sind Anzeigenzeitungen heute noch für den Handel?
Eggers: In zwei Worten: absolut relevant. Nicht nur unser Nettowerbeumsatz mit rund 1,2 Mrd. Euro belegt die Bedeutung für den Handel. Auch unsere Markt- und Mediastudien sprechen hier eine eindeutige Sprache. Schließlich waren und sind Anzeigenzeitungen auch immer ein Trägermedium für Prospekte. Und die Menschen schätzen den Prospekt vor allem als Einkaufshilfe. Zwei Beispiele aus unserer aktuellen Leserakzeptanzstudie: 59 Prozent der Bevölkerung orientieren sich beim Einkauf gezielt an Produkten und Angeboten, die sie zuvor im Prospekt gesehen haben. Und 40 Prozent wurden auf interessante Produkte hingewiesen, die ihnen sonst nicht aufgefallen wären.
medienpolitik.net: Der Handel ist in diesen zwei Jahren weiter ins Internet gewandert. Die Anzeigenblätter auch?
Eggers: Die meisten unserer Verlage sind im Internet aktiv und dieser Anteil ist gleichbleibend hoch. Unser Kerngeschäft bleibt aber die gedruckte kostenlose Wochenzeitung. Unsere Leser und Werbekunden schätzen auch im digitalen Zeitalter die Leistungswerte der Wochenblätter als Printmedium. So hat zum Beispiel die aktuelle repräsentative Leserakzeptanzstudie des IfD Allensbach ergeben: Der gedruckte Prospekt als Beilage im Anzeigenblatt behauptet seine Spitzenstellung als Werbeträger gegenüber digitalen Varianten. 59 Prozent der Menschen, die Prospekte erhalten, ziehen demnach den Print-Prospekt seiner digitalen Alternative vor. Für ausschließlich digitale Varianten, beispielsweise per Newsletter oder App distribuiert, sprechen sich lediglich 14 Prozent aus.
medienpolitik.net: Die Anzeigenblätter werben für sich damit, dass sie eine hohe Reichweite haben, viele Kontakte erreichen, man sie mit zum Einkaufen nehmen kann. Dennoch: stellt die veränderte Mediennutzung die gedruckte Anzeigenzeitung infrage?
Eggers: Die gedruckte Anzeigenzeitung wird gar nicht infrage gestellt ? im Gegenteil: Viele unserer Kooperationspartner setzen auf die hohe Reichweite der Wochenblätter und damit auf die Leserinnen und Leser, die sie digital in dieser Zahl nie erreichen würden. Ein Beispiel ist unser Kooperationspartner CORRECTIV. Das Recherchenetzwerk veröffentlicht regelmäßig einen Faktencheck zu bestimmten Themen, um Fake News entgegenzuwirken. Im Vergleich zur Online-Veröffentlichung erreichen sie aber mit denen im Anzeigenblatt veröffentlichten Faktenchecks eine viel größere Zahl an Menschen. Im Übrigen gehe ich davon aus, dass die kostenlose Wochenzeitung auch in Zukunft ihre Relevanz nicht verlieren wird, denn sie hat bereits heute Leserinnen und Leser, die auch im Internet unterwegs sind.
medienpolitik.net: Die Papierpreise sind exorbitant gestiegen, Sie sagten es eingangs. Anzeigenblätter werden in hohen Auflagen verteilt. Wie wirken sich gestiegene Papierpreise und ein höherer Mindestlohn auf die Anzeigenblattverlage aus?
Eggers: Da sprechen Sie zwei Themenfelder an, die unseren Mitgliedern und uns als Verband große Sorge bereiten. Bei einer aktuell wöchentlichen Auflage der BVDA-Mitglieder von 38,4 Mio. Exemplaren liegt auf der Hand, dass nach bereits massiv gestiegenen Preisen jeder weitere Anstieg der Papierpreise eine fatale Auswirkung hat. Wenn im Herbst auch noch ein Mindestlohn von 12 Euro hinzukommt, ist die Belastungsgrenze der kostenlosen Wochenblätter mehr als erreicht.
?Die Herausforderungen ? eigentlich möchte ich eher von Gefahren sprechen ? für die Gattung, stellen eine akute Bedrohung für die Presse- und Meinungsvielfalt dar.?
medienpolitik.net: Welche Rolle spielen die Anzeigenzeitungen bei der lokalen Information?
Eggers: Nahezu flächendeckende Verteilung, haushaltsnahe Zustellung und journalistische Qualität ? das ist ein Versprechen, das die Wochenblätter in Deutschland einlösen, vielleicht von ein paar Ausnahmen abgesehen. Das heißt, in ihrer lokalen und sublokalen Ausrichtung bilden die Anzeigenzeitungen so gut wie kein anderes Medium den Nahbereich ab. Vor allem als journalistischer Begleiter des Ehrenamts verleihen sie freiwillig Engagierten ein Gesicht und tragen so zu deren Wertschätzung bei. Oder ermöglichen überhaupt, das bürgerschaftliches Engagement stattfinden kann. Es gibt zwar auch andere Medien, die lokale Informationen vorhalten, aber oft fehlt immer ein Merkmal, das in der Summe die Einzigartigkeit unserer Gattung ausmacht. Entweder ist es die Qualität, oder die Frequenz und Aktualität, oder die Push-Wirkung, mit der sie in fast jeden Haushalt gelangt, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
medienpolitik.net: Sind sie das letzte Massenmedium?
Eggers: Ich antworte mit einem klaren Ja und kann dies auch mit einem Beispiel begründen: Als wir mit CORRECTIV eine Sonderreihe des Faktenchecks zur Bundestagswahl entwickelt haben, wurden die Informationen in einer Auflage von über 20 Millionen Exemplare an die Haushalte in Deutschland distribuiert. Mir ist kein Medium bekannt, dass pro Erscheinungstermin so viele Menschen mit einem Thema auf einen Schlag erreicht.
medienpolitik.net: Die Anzeigenzeitungen sollten mit zu den Empfängern der gescheiterten Presseförderung durch den Bund gehören. Wie wichtig wäre diese Förderung für die Anzeigenblätter gewesen?
Eggers: Die von mir skizzierten Herausforderungen ? eigentlich möchte ich eher von Gefahren sprechen ? für die Gattung, stellen eine akute Bedrohung für die Presse- und Meinungsvielfalt dar. Dies hätte durch eine Infrastrukturförderung abgefedert werden können. Die aktuellen externen Rahmenbedingungen sind für die kostenlosen Wochenblätter denkbar schlecht, von daher ist es mehr als bedauerlich, dass die bereits angeschobene Presseförderung nicht bereits in der letzten Legislaturperiode umgesetzt worden ist ? hier ist wertvolle Zeit verschenkt worden.
medienpolitik.net: Die Koalition will die Versorgung mit ?periodischen Presseerzeugnissen? gewährleisten. Wie verstehen Sie das? Als eine Neuauflage der Presseförderung auch für die Anzeigenblätter?
Eggers: Das interpretieren wir als Neuauflage bzw. überfällige Umsetzung einer Presseförderung. Nicht nur aufgrund des Wortlauts, sondern weil es auch eine konsequente Maßnahme wäre, die der mündlich permanent vorgetragenen Wertschätzung unserer Gattung eine reale Handlung folgen ließe. Vor allem impliziert der Terminus ?periodische Presseerzeugnisse?, dass darunter tatsächlich Printprodukte und nicht deren Online-Varianten zu verstehen sind. Wir setzen darauf, dass die Ampel-Koalition mit der Verankerung im Koalitionsvertrag eine wichtige Weiche für den Erhalt der Pressefreiheit und -vielfalt in Deutschland stellt.