?Die Filmförderung braucht einen Systemwechsel?

13. Juli 2022
?Die Filmförderung braucht einen Systemwechsel?

Steuerliches Anreizmodell würde Produktion von Filmen und Serien in Deutschland stärker fördern als Filmförderfonds

13.07.2022. Interview mit Nick Kriegeskotte, Leiter Infrastruktur & Regulierung des Bitkom

Ein steuerliches Anreizmodell, wie es etwa im Vereinigten Königreich oder in Spanien existiert, würde die Produktion von Filmen und Serien in Deutschland deutlich stärker fördern als die bisherigen, stark gedeckelten Filmförderfonds, analysiert eine neue von Deloitte durchgeführte Bitkom-Studie. Das in der Studie untersuchte Modell besteht im Kern in der Verrechnung einer Steuergutschrift gegen die Steuerlast eines Produktionsunternehmens. Die Verrechnung erfolgt über das Finanzamt mittels der Steuererklärung. Zunächst wird mit einem kulturellen Eignungstest überprüft, ob eine Produktion förderungswürdig ist. Danach erhalten die Produzenten eine Steuererstattung auf ihre Unternehmenssteuern in Höhe der Förderung. Von neuen Serien und Filmen aus Deutschland profitieren dabei nicht nur die Zuschauerinnen und Zuschauer, sondern auch der Wirtschaftsstandort. Je nach Wirkungsgrad der Steuergutschrift ergibt sich eine zusätzliche Bruttowertschöpfung zwischen 578 Millionen und 1,36 Milliarden Euro. Daraus resultiert ein Beschäftigungseffekt von bis zu 15.000 zusätzlichen Stellen pro Jahr. In ihrem Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP vorgenommen, die Filmförderinstrumente und die Rahmenbedingungen des Filmmarktes neu zu ordnen, zu vereinfach und transparenter zu machen.

medienpolitik.net: Herr Kriegeskotte, warum präferiert der Bitkom grundsätzlich eine Filmförderung über steuerliche Anreize?

Kriegeskotte: Deutschland kann im internationalen Wettbewerb der Produktionsstandorte für Filme und Serien nur bestehen, wenn es attraktive und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen bietet. Das ist derzeit nicht gewährleistet und verhindert, dass wir unser kreatives und wirtschaftliches Potenzial voll ausschöpfen. Mit der Studie legen wir einen tragfähigen Reformvorschlag für ein skalierbares, schlankes und planungssicheres Steueranreizmodell vor.

Zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die Einführung des Steueranreizmodells nicht nur zu makroökonomischen Gewinnen führt, sondern auch fiskalisch vorteilhaft ist. Die Beispiele und die Kalkulation zeigen, dass es mit geschickt gestalteten Förderinstrumenten gelingen kann, zusätzliche Investitionen ins Land zu holen, die auch zu einem Mehr an Steuereinnahmen führen. Entscheidend ist für uns zudem, dass alle Marktteilnehmer von diesem Systemwechsel profitieren: Vereinfachte administrative Verfahren, mehr Übersichtlichkeit im Fördersystem, gleiche Zugangsbedingungen für alle produzierenden Häuser und vor allem die Sicherheit, jederzeit und planbar auf die Förderung zugreifen zu können, nutzen allen in der Branche, groß wie klein. Zugleich können etablierte Mechanismen für die kulturelle und regionale Filmförderung erhalten bleiben, was die Integration des Modells in das deutsche System vereinfacht. Anders als bisweilen geäußert, ist ein solches Anreizmodell auch kein Auslaufmodell in Europa, sondern erfreut sich unverändert großen Zuspruchs, wie auch unser Nachbarland Österreich jüngst bewiesen hat: Dort soll bereits zum 1.1.2023 ? mit breiter Unterstützung der Produzenten übrigens ? ein neues Fördermodell implementiert werden, bei dem bis zu 35 Prozent der in Österreich investierten Mittel refundiert werden.

medienpolitik.net: Der Koalitionsvertrag sieht neben der Prüfung steuerliche Anreize auch die Prüfung von Investitionsverpflichtungen für Plattformen, die Filme anbieten, vor. Warum ist für Sie das Steuer-Anreiz-Modell die bessere Alternative?

Kriegeskotte: Die beiden Instrumente verfolgen zwei gänzlich unterschiedliche Zielsetzungen. Ein steuerliches Fördermodell hat das Ziel und das Potenzial, die Produktionswirtschaft in Deutschland in Gänze zu stärken ? von den Auftraggebern über die Produzenten bis zu den Auswertern und Kreativen. Indem es das Produktionsvolumen in Deutschland massiv vergrößert, sorgt es für Aufträge und Erlöse, an denen alle Marktteilnehmer entlang der Verwertungskette partizipieren. Zugleich kann es gesellschaftspolitische (z.B. Diversität, Nachhaltigkeit) und branchenspezifische Anliegen (z.B. Fachkräfteausbildung) adressieren. Das steuerliche Fördermodell ist darüber hinaus so strukturiert, dass es sich jeder konjunkturellen Lage anpassen kann. Die Investitionsverpflichtung verfolgt hingegen das Ziel einer Umlenkung der Erlöse von einer Gruppe Marktteilnehmer an eine andere Gruppe. Insoweit ist dies also eher ein protektionistisches Umverteilungsmodell statt eines innovativen Standortstärkungsmodells. Die Stärkung der Produktionswirtschaft oder gar der Film- und Fernsehwirtschaft in Gänze und die Förderung von bislang nicht ausgeschöpftem Potenzial sind nicht ihr Ziel und können mit diesem Instrument auch nicht erreicht werden. Unbeantwortet bleibt bislang auch die Frage, wer genau profitieren soll ? anders gefragt: Was hätten eigentlich Fiskus, Publikum, Kinos, Verleiher und kleinere Produzenten davon, dass Sender (auch die würden letztlich einbezogen) und Streamer verpflichtet werden, größere Ausgaben in Deutschland zu tätigen? Wir sehen hier keinen Mehrwert für das Gros der Branche, für Fiskus und Publikum sogar Nachteile. Zudem ist die Investitionsverpflichtung ein Instrument, das sich konjunkturellen Schwächephasen nicht ausreichend anpasst ? es ist für Zeiten des Booms gedacht. Bei abnehmender Konjunktur schwächt sie eine wichtige Gruppe von Investoren erheblich und sorgt damit für eine Schwächung des gesamten Produktionsmarkts. Das kann politisch kaum gewünscht sein.

medienpolitik.net: Sind beide Modelle für Sie nebeneinander denkbar?

Kriegeskotte: Beide Modelle schließen sich gegenseitig zwar nicht grundsätzlich aus, aber aufgrund der erheblich positiveren Effekte und seines inklusiven statt protektionistischen Charakters bietet das steuerliche Anreizmodell entscheidende Vorteile.

?Die Investitionsverpflichtung ist ein Instrument, das sich konjunkturellen Schwächephasen nicht ausreichend anpasst ? es ist für Zeiten des Booms gedacht.?

medienpolitik.net: Betrifft ihr Vorschlag auch die Filmförderung durch die Länder?

Kriegeskotte: Die Filmförderung der Länder fokussiert vordringlich auf die kulturelle Filmförderung und regionale Struktureffekte. Beide bleiben unberührt durch den Reformvorschlag. Das steuerliche Anreizmodell soll vielmehr bundesweit wirtschaftliche Akzente setzen und den Produktionsstandort Deutschland attraktiver machen. Es ergänzt also die Filmförderung der Länder und kann deren Strukturförderung durch neue Markteintritte und zusätzliche Investitionen deutlich stärken.

medienpolitik.net: Für die Filmwirtschaft stehen gegenwärtig mehr als 400 Mio. Euro durch FFA, Bund und Länder zur Verfügung. Sollen diese vollständig ersetzt werden?

Kriegeskotte: Die Filmförderung in Deutschland auf Bundesebene ruht bislang auf vier Säulen. Während die FFA und die BKM-Kulturförderung insbesondere kulturelle Aspekte in den Vordergrund rücken, sind der Deutsche Filmförderfonds (DFFF) und der German Motion Picture Funds (GMPF) auf die Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit von Film- und Serienproduktionen in Deutschland ausgerichtet. Unser Vorschlag setzt bei der Wirtschaftsförderung an ? und den unumstrittenen Kritikpunkten an GMPF und DFFF. Immer wieder zeigt sich, dass die Fördersumme der beiden Töpfe, das Windhundrennen um die Mittel, das komplexe Antragsverfahren und die unterschiedlichen Zugangsbedingungen der Dynamik des Marktes nicht standhalten. Hier reicht es nicht, an Stellschrauben zu drehen. Es braucht einen Systemwechsel, der Verlässlichkeit und Planbarkeit für alle Marktteilnehmer schafft. Unser Modell geht deshalb davon aus, dass die bestehenden Förderprogramme der Länder, der BKM-Kulturförderung und der FFA bestehen blieben, jedoch der Deutsche Filmförderfonds (DFFF I und DFFF II) sowie der German Motion Picture Fund (GMPF) durch ein steuerliches Anreizmodell ersetzt werden würden. DFFF (I und II) und den GMPF stellten 2021 ein Fördervolumen von rund 147,4 Millionen Euro bereit, welches im Falle des GMPF für 2022 letztmalig nochmals aufgestockt wurde.

medienpolitik.net: Wo liegt der Vorteil des Tax-Incentives-Modells gegenüber der bisherigen Filmförderung?

Kriegeskotte: Anders als die bestehenden Instrumente für die wirtschaftliche Film- und Serienproduktion (GMPF und DFFF I und II) schafft ein steuerliches Anreizmodell die für Investitionen dringend benötigte Planungssicherheit, indem es automatisch und kalkulierbar einen festgelegten und nicht-gedeckelten Steuerabzug auf die jeweilige Investitionssumme garantiert, jederzeit. Lange Bearbeitungszeiten, Unstimmigkeiten mit anderen Förderfristen und ein teurer Verwaltungsapparat können dabei vermieden werden. Gleichzeitig steht das steuerliche Fördermodell, anders als die bestehenden Instrumente, allen produzierenden Marktteilnehmenden gleichermaßen und zu gleichen Bedingungen offen. Mit diesen Elementen ? Planungssicherheit, schlanke Handhabung und Zugang für alle Film und Serien produzierende Unternehmen ? wird das steuerliche Fördermodell erhebliche Mehrinvestitionen für den deutschen Produktionsmarkt sichern. Denn genau diese Elemente sind mitentscheidende Faktoren bei der Auswahl des Produktionsortes ? für VoD-Anbieter ebenso wie für Sender und Produktionshäuser jeder Größe.

?Es braucht einen Systemwechsel, der Verlässlichkeit und Planbarkeit für alle Marktteilnehmer schafft.?

medienpolitik.net: Wo liegt der wirtschaftliche Nutzen für die Filmwirtschaft und wo für Bund und Länder?

Kriegeskotte: Aus der Einführung eines steuerlichen Anreizmodells folgen Effekte auf drei Ebenen: Zunächst direkte Effekte, sprich unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen von Aktivitäten im Zusammenhang mit der Produktion von Filmen und Serien ? hier erleben wir also eine Stärkung der ?klassischen? Filmwirtschaft in Deutschland. Es folgen indirekte Effekte, welche in vorgelagerten Produktionsbereichen anfallen, beispielsweise in Gastronomie und Hotellerie, was regional für Mehrinvestitionen sorgt. Und schließlich erleben wir induzierte Effekte, sprich weitere positive Multiplikatoreffekte, die durch die das Ausgeben und damit den Rückfluss der generierten Einkommen der Beschäftigten entstehen ? hier profitiert der Fiskus. In der Studie wurde das an einigen Kennziffern plastisch gemacht: Als Rentabilitätsmaß wurde analysiert, wie viel wirtschaftlicher Wert (Bruttowertschöpfung) pro 1 EUR an Investitionen in Steuergutschriften geschaffen wird. Abhängig davon, wie erfolgreich das Modell zusätzliche Produktionen anzieht, wird in einem pessimistischen bzw. optimistischen Szenario ein gesamtwirtschaftlicher Rentabilitätsfaktor von 4,1 bis 5,2 errechnet. Das bedeutet, dass für jeden durch das steuerliche Anreizmodell (in Form von Steuergutschriften) investierten Euro, ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen von rund 4-5 Euro in Form von zusätzlicher Bruttowertschöpfung geschaffen wird. Bei isolierter Betrachtung der potenziellen zusätzlichen Produktionen (Bruttoeffekte ohne Berücksichtigung von Mitnahmeeffekten) ergeben sich noch höhere Multiplikatoren von 6,6. Insgesamt kann durch die Steuergutschrift eine zusätzliche Bruttowertschöpfung von bis zu 1,36 Mrd. Euro generiert werden.

medienpolitik.net: Die Studie geht von einem positiven Beschäftigteneffekt durch Tax-Incentives aus. Worauf beruht der Zuwachs von 15.000 Beschäftigten?

Kriegeskotte: Auch hier ergibt sich die Summe aus den errechneten direkten, indirekten und induzierten positiven Effekten: In dem betrachteten optimistischen Szenario zusätzlicher Produktionen in Deutschland aufgrund eines attraktiven Förderrahmens kann ein Gesamtbeschäftigungseffekt von ca. 15 Tausend Beschäftigten erreicht werden. Die Zahl der Personen, die einer Beschäftigung im unmittelbaren Zusammenhang mit der Produktion von Filmen und Serien nachgingen (= direkte Effekte), läge bei rund 4 Tausend.

medienpolitik.net: Die Filmwirtschaft ist durch sehr viele klein- und mittelständische Betriebe geprägt. Inwieweit profitieren auch diese und nicht nur die wenigen großen von Steuersparmodellen?

Kriegeskotte: Der Vorschlag ist unabhängig von der Unternehmensgröße attraktiv. Das System verlangt deutlich weniger Verwaltungsaufwand als die bestehenden Töpfe. Es ist gerade für kleinere Häuser ein großer Vorteil, wenn sie ihre eng begrenzten Ressourcen anders einsetzen können als für die zeitaufwändige Förderadministration. Außerdem steht die steuerliche Förderung jedem*r Antragsteller*in jederzeit in voller Höhe zur Verfügung und ermöglicht den Produzenten, in ihrem jeweiligen Tempo zu planen. Dagegen sind die bestehenden Töpfe an den jährlichen Bundeshaushalt geknüpft, in der Höhe begrenzt und werden nach dem Windhund-Verfahren verteilt. Diese Bedingungen sind eher für größere Häuser vorteilhaft, die eine größere Anzahl von Projekten steuern und Spezialisten im Team haben, die sich spezifisch um Förderverfahren kümmern.

medienpolitik.net: Der Bund spart gegenwärtig auf nahezu allen Ebenen. Wie würde die Finanzierung des Modells erfolgen?

Kriegeskotte: Das steuerliche Fördermodell erzielt einen beachtlichen Return on Invest von bis zu 6,6 des Bruttoinlandsprodukts. Jeder in die Steuergutschrift investierte Euro zieht also bis zu 6,60 Euro direkte, indirekte und induzierte Wertschöpfung nach sich. Dabei erzielt das System einen erheblichen Beschäftigungseffekt von derzeit ca. 38.000 Beschäftigten auf bis zu 53.000 Beschäftigte. Über diese Steigerungen fließen mit jedem investierten Euro zusätzliche 2,20 Euro aus Steuern und Sozialbeiträgen zurück an den Staatshaushalt. Damit ist die Refinanzierung der Fördermaßnahme realistisch. Ein vergleichbares Modell wurde 2020 übrigens für die Forschungsförderung geschaffen. Der Bund hat also bereits Erfahrungen, auf die er für den Umsetzungsprozess zurückgreifen kann.

medienpolitik.net: Inwieweit ist bei dem Modell die Vereinbarkeit mit den EU-Vorschriften für staatliche Beihilfen gegeben

Kriegeskotte: Mit der Studie liegt ein wirtschaftliches Gutachten vor, das die Vorteile steuerlicher Anreize für die Filmförderung klar aufzeigt. Ein Rechtsgutachten ist damit nicht verbunden. Gleichwohl wurden Aspekte, die auch beihilferechtlich essenziell sind, wie eben z. B. der kulturelle Eigenschaftstest, bewusst berücksichtigt Die erfolgreichen Modelle in den betrachteten EU-Mitgliedsstaaten Spanien und Ungarn zeigen aber nicht nur die grundsätzliche Vereinbarkeit mit dem EU-Beihilferecht, sondern auch den Erfolg entsprechender Modelle.

Download der Studie: https://www.bitkom.org/Themen/Recht-Regulierung/Medienpolitik/Tax-Incentives-Deutscher-Film-und-Serienproduktionsmarkt

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