Die Gremien dürfen nicht von den Anstalten abhängig sein

10. August 2022
Die Gremien dürfen nicht von den Anstalten abhängig sein

Die Politik muss die wirtschaftliche und inhaltliche Unabhängigkeit der Rundfunk- und Verwaltungsräte garantieren

10.08.2022. Fragen an Dr. Wolfgang Schulz, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung ? Hans-Bredow-Institut in Hamburg und Thomas Hacker, MdB, Medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion

Die Vorwürfe gegen die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger und den Verwaltungsratsvorsitzenden Wolf-Dieter Wolf haben einmal mehr die Funktion und Handlungsfähigkeit der Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Ihre Rolle als wichtigstes Kontroll- und Beratungsinstanz für die Geschäftsführung der Anstalten soll mit dem novellierten Medienstaatsvertrag weiter gestärkt werden. Aber seit langem bestehen berechtigte Zweifel, ob die Aufsichtsgremien aufgrund der rechtlichen Möglichkeiten, der Struktur und finanziellen Unabhängigkeit ihre bisherigen Aufgaben ordnungsgemäß wahrnehmen können. Das liegt weniger an der Zusammensetzung der 22 Gremien, sondern vor allem an unzureichender Kompetenz, mangelnder Informationspflicht der Geschäftsleitungen gegenüber den Kontrollorganen und einer fehlenden wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Dazu stellt der Hamburger Medienrechtlicher Wolfgang Schulz fest: ?Die Organisationsstruktur in den Anstalten muss den Gremien die Erfüllung ihrer Aufgaben auch ermöglichen. Es muss sichergestellt sein, dass ein Gutachten nicht vom Goodwill der Intendanz abhängig ist. So fordert auch das Europarecht, das die Gremien hierbei nicht von den Anstalten abhängig sein dürfen, dass sie selbständig agieren können.? Und Thomas Hacker, medienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion sagt: ?Die Gremien dürfen sich natürlich nicht als Teil ihrer Anstalt sehen, sondern als externes Beratungs- und Kontrollorgan im Auftrag der Bürger, die mit ihrem Beitrag den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanzieren.?     

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Dr. Wolfgang Schulz, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung ? Hans-Bredow-Institut in Hamburg:

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medienpolitik.net: Nach dem Entwurf des novellierten Medienstaatsvertrages soll die Rolle der Gremien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestärkt werden, sollen sie mehr Verantwortung übernehmen. Inwieweit verlagert die Politik damit einen Teil ihrer Aufgaben auf ehrenamtliche Gremien?

Schulz: In diesem Bereich ist der Einfluss des Staates durch den Grundsatz der Staatsferne, der verfassungsrechtlich abgesichert ist, sehr begrenzt. Deshalb können die Länder nur den Organisationsrahmen festlegen und Aufgaben abstrakt beschreiben, aber die Umsetzung und vor allem die Festsetzung der Qualitätsmaßstäbe, ist der Politik entzogen. Das kann nur durch die Gremien erfolgen. Wenn ihnen jetzt noch mehr Verantwortung übertragen wird, ist das eine sehr konsequente Entwicklung eines möglichst staatsfern agierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

medienpolitik.net: Im Medienstaatsvertrag ist an mehreren Stellen vom ?öffentlich-rechtlichen Profil? die Rede. Ist das nicht doch eine Qualitätsbeschreibung?

Schulz: Nein.Der Gesetzgeberdefiniert diesen Begriff nicht näher. Verfassungsrechtlich problematisch wäre es, wenn die Qualitätskriterien dafür genau definiert wären. Ein ?Öffentlich-rechtliches-Profil? konkret zu beschreiben, ist zum Beispiel eine Aufgabe der Gremien.

medienpolitik.net: So sollen sie unter anderem ?über die Erfüllung des Auftrags gemäß § 26 sowie über eine wirtschaftliche und sparsame Haushalts- und Wirtschaftsführung? wachen und auch Maßstäbe festlegen, ?die geeignet sind, die Bewertung der Einhaltung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie eine vergleichende Kontrolle der Ressourceneffizienz zu ermöglichen.? Verfügen die Verwaltungsräte, Rundfunk ? und Fernsehräte für diese komplexe Aufgabe über die erforderliche fachliche Kompetenz?

Schulz: Die Verwaltungsräte arbeiten schon heute weitgehend wie professionelle Aufsichtsräte und sind mit den Haushalts- und Wirtschaftsführungsaufgaben vertraut. Bei den Rundfunk- und Fernsehräten besteht hier möglicherweise noch Nachholbedarf. Zudem überwachen zusätzlich die Rechnungshöfe, Wirtschaftsprüfer und auch die KEF den Haushalt der Anstalten. Das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Akteure muss natürlich funktionieren. Die neuen Aufgaben für die Gremien erfordern eine größere Kompetenz in vielen Bereichen, die durch Schulungen und externe Expertisen erweitert werden müssen.

medienpolitik.net: Wenn die Gremien bisher Expertisen einholen wollen, müssen sie den Verwaltungsdirektor um Geld und den juristischen Direktor um Rat bitten. Schafft das nicht Abhängigkeiten?

Schulz: Die Organisationsstruktur in den Anstalten muss den Gremien die Erfüllung ihrer Aufgaben auch ermöglichen. Es muss sichergestellt sein, dass ein Gutachten nicht vom Goodwill der Intendanz abhängig ist. So fordert auch das Europarecht, das die Gremien hierbei nicht von den Anstalten abhängig sein dürfen, dass sie selbständig agieren können. Dazu gehört auch die Unabhängigkeit bei der Finanzierung der Gremien und Gremienbüros sowie der personellen Ausstattung. Ich habe keinen Überblick darüber, ob das bei allen Anstalten so der Fall ist, dass es den europarechtlichen Anforderungen genügt.

?Der Strukturwandel ist eine Kombination aus zwei Faktoren, der entsprechenden Haltung der Gremienmitglieder und den nötigen Instrumenten zur Erweiterung ihrer Kompetenz.? (Wolfgang Schulz)

medienpolitik.net: Das bedeutet, dass die Gremien auch über eigene Budgets verfügen müssten?

Schulz: Es muss nicht unbedingt ein eigenes Budget sein, aber sie müssen die Finanzmittel erhalten, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind und dürfen hier nicht von der Gnade der Intendantin oder des Intendanten abhängig sein. So muss klar sein, dass die Mitarbeiter in den Gremienbüros für die Gremien arbeiten und nicht für die Rundfunkanstalt.

medienpolitik.net: In Ihrer Stellungnahme zum Entwurf haben Sie geschrieben, dass ?es sich hierbei um eine Strukturveränderung der Entscheidungsverfahren und -maßstäbe handelt, die ein nachhaltiges und breites strategisches und Wissensfundament der Gremien voraussetzen.? Wie sollen die Gremien über ein solche ?Fundament? verfügen?

Schulz: Die Gremienbürosmüssen zum einen mit der notwendigen Expertise ausgestattet werden. In einigen Gremienbüros arbeiten bereits heute fachlich hoch kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber die Ausstattung ist nicht in allen Anstalten gleich. Zum zweiten müssen punktuell extern Expertisen eingeholt werden. So könnte man für eine bestimmte Zeit, für ein wichtiges Thema, eine wissenschaftliche Begleitung verpflichten, wie es bei den Drei-Stufen-Tests schon praktiziert worden ist. Drittens ist die kontinuierliche Schulung dafür ein wichtiges Element, um eine stärkere Professionalisierung der Gremien zu erreichen. Durch die weitere Ausdifferenzierung der Medien steigt auch der Bedarf an konkretem Wissen, zum Beispiel über Plattformen, über Mediennutzung oder über die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Um externen Sachverstand einzuholen, bedarf es meiner Meinung auch keiner speziellen gesetzlichen Absicherung, das ist eine Selbstverständlichkeit.

medienpolitik.net: Sie fordern einen Strukturwandel. Wie soll der aussehen?

Schulz: Der Strukturwandel wird durch diesen Staatsvertrag bereits eingeleitet. Die Steuerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Zukunft kann nur durch einen relativ breiten Rahmen des Gesetzgebers erfolgen, in dem er festlegt, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk die kommunikativen Erfordernisse der Gesellschaft, die sich ständig verändern, erfüllen. Dazu müssen die Gremien eine Art Sparringpartner der Intendanz sein, sie müssen die Qualitätskriterien definieren und weiterentwickeln und so eine andere systemsteuernde Funktion als heute erhalten. Der Strukturwandel ist eine Kombination aus zwei Faktoren, der entsprechenden Haltung der Gremienmitglieder und den nötigen Instrumenten zur Erweiterung ihrer Kompetenz.

medienpolitik.net: Müssen die Landesregierungen, bei denen von Ihnen geforderten Regelungen für die Gremien oder auch die Aufstellung von Qualitätskriterien nach Inkrafttreten des Medienstaatsvertrages in den Landesrundfunkgesetzen nachziehen, damit es einheitliche Regeln für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für sämtliche Angebote gibt?

Schulz: Nein. Die Landesregierungen sind dazu nicht verpflichtet. Es besteht kein Harmonisierungsdruck durch den Medienstaatsvertrag über das hinaus, was er konkret regelt. Da, wo die Länder eigenständig agieren können, etwa bei bestimmten landesweiten Programmen, steht es ihnen frei, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach eigenen Kriterien organisieren.

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Thomas Hacker, MdB, Medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion:

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medienpolitik.net: Nach dem Entwurf des novellierten Medienstaatsvertrages soll die Rolle der Gremien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestärkt werden, sollen sie mehr Verantwortung übernehmen. Verlagert die Politik damit einen Teil ihrer Aufgaben auf ehrenamtliche Gremien?

Hacker: Nein, die Politik schafft vielmehr die notwendige Trennung. Die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland basiert auf Staatferne als zentraler rechtlicher Voraussetzung. Die Politik nimmt weder auf das Programm und redaktionelle Inhalte Einfluss noch hat sie direkte Kontrollmöglichkeiten. Diese Kontrolle erfolgt allein über die Rundfunk- und Fernsehräte beziehungsweise die Verwaltungsräte. Deshalb war es überfällig, den Gremien mehr Verantwortung zu übertragen und somit die staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu festigen.

medienpolitik.net: Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind alle Rundfunk- und Fernsehräte neu gewählt worden und der Anteil der direkt von Parteien entsandten Vertreter hat sich verringert. Sind sie jetzt ausreichend staatsfern besetzt?

Hacker: Das Bundesverfassungsgericht erachtet es als richtig und notwendig, dass auch weiterhin Vertreter der Parlamente in den Gremien vertreten sind. Jedoch hat das Gericht der Praxis, dass zusätzlich Politiker, die von Organisationen entsandt worden sind, hier ebenfalls präsent sein konnten, einen Riegel vorgeschoben und so die staatsferne Kontrolle bekräftigt.

medienpolitik.net: So sollen die Gremien ?über die Erfüllung des Auftrags gemäß § 26 sowie über eine wirtschaftliche und sparsame Haushalts- und Wirtschaftsführung? wachen. Verfügen die Verwaltungsräte, Rundfunk ? und Fernsehräte für die ?Überwachung? über die erforderliche fachliche Kompetenz?

Hacker: Die Erweiterung der Aufgaben erfordert natürlich eine weitere Professionalisierung der Gremientätigkeit. Die Institutionen und Organisationen, die die Rundfunk- und Fernsehräte entsenden, müssen künftig mehr auf entsprechende Qualifikation und Kompetenz achten. Die Aufgabe der Politik ist es allein, den Auftrag zu formulieren. Die praktische Umsetzung muss dann staatsfern erfolgen - hierfür tragen die Gremien künftig die entscheidende Verantwortung.

medienpolitik.net: Die Gremien sollen Maßstäbe festlegen, ?die geeignet sind, die Bewertung der Einhaltung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie eine vergleichende Kontrolle der Ressourceneffizienz zu ermöglichen.? Inwieweit kann eine solche Aufgabe von einem ehrenamtlichen Gremium geleistet werden?

Hacker: Auch ein ehrenamtliches Gremium muss seine Kompetenzen weiterentwickeln - insbesondere wenn es mit dem zentralen Akteur der deutschen Medienlandschaft befasst ist. Der Medienstaatsvertrag sieht unter anderem vor, dass sich die Rundfunk- und Fernsehräte Entscheidungs- und Verfahrensrichtlinien geben müssen, um Beschlüsse transparent zu machen. Das wird dafür eine wichtige Grundlage sein. Sicher besteht die Notwendigkeit ? und der Entwurf der Auftragsnovellierung sieht das auch vor ? mehr als bisher, auch wissenschaftliche Expertisen zu nutzen. Dies kann nur von Vorteil sein.

?Die Erweiterung der Aufgaben erfordert natürlich eine weitere Professionalisierung der Gremientätigkeit.? (Thomas Hacker)

medienpolitik.net: Sollte der Anteil von Wissenschaftler und fachspezifischen Experten erhöht werden?

Hacker: Es ist zunächst eine bewusste politische Entscheidung, dass die Gremien die Breite und Vielfalt der Gesellschaft repräsentieren sollen. Unsere gesellschaftliche Diversität und Veränderung muss sich auch im Programm wiederspiegeln. Die Institutionen und Organisationen, sollten künftig noch stärker auf Mitglieder mit explizierter Medienerfahrung zurückgreifen, die es in vielen Bereichen gibt. Das öffentliche-rechtliche Profil werden wir zugleich aber auch nicht durch wissenschaftliche Expertise allein stärken. Mehr als bisher kommt es darauf an, die Öffentlichkeit in die Arbeit der Gremien stärker einzubinden und diese transparenter zu gestalten. Die Definition des Auftrages ist der erste Teil der Reform. Im Zweiten soll eine notwendige Strukturreform beschlossen und umgesetzt werden. Über daraus entstehende Einsparpotenziale muss dann in Gremien und mit der Öffentlichkeit diskutiert werden.

medienpolitik.net: Reicht es aus, dass die Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hauptsächlich durch ehrenamtliche Gremien erfolgt?

Hacker: Wenn die Gremien ihren staatsfernen Kontrollauftrag kompetent erfüllen und sachgerecht zusammengesetzt sind, ist das aus meiner Sicht ein wirkungsvolles Instrument, um eine Aufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch die Gesellschaft zu garantieren.

medienpolitik.net: Wie sollte die Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verbessert werden?

Hacker: Es kommt sehr darauf an, mit welcher Ernsthaftigkeit der Medienstaatsvertrag umgesetzt wird. Dazu muss eine weitere Qualifizierung der Räte stattfinden. Diese dürfen sich natürlich nicht als Teil ihrer Anstalt sehen, sondern als externes Beratungs- und Kontrollorgan im Auftrag der Bürger, die mit ihrem Beitrag den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanzieren.

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