?Eine filmpolitische Investitionsquote erhöht nicht Vielfalt und Output der Branche?

16. Mai 2022
?Eine filmpolitische Investitionsquote erhöht nicht Vielfalt und Output der Branche?

VAUNET hält Investitionsverpflichtungen für VoD-Plattformen verfassungsrechtlich für bedenklich

16.05.2022. Interview mit Daniela Beaujean, Geschäftsführerin des Verbands Privater Medien (VAUNET)

Spätestens mit dem Koalitionsvertrag vom November 2021 gehört sie zu den Standardforderungen der Film- und TV-Produzenten: die Investitionsverpflichtung für in- und ausländische VoD-Plattformen. Diese sollen per Quotenvorgabe gezwungen werden, einen größeren Anteil an Produktionen als bisher in Deutschland in Auftrag zu geben. Am Wochenende hatte die Schweiz beschlossen, dass künftig internationale Streaming-Anbieter sowie ausländische Fernsehsender mit Schweizer Werbefernsehen verpflichtet werden, vier Prozent des inländischen Umsatzes in der Schweiz zu investieren. Für den Verband Privater Medien (VAUNET) stellen neue Quoten- und Investitionsvorgaben immer Eingriffe in die Rundfunk-, Programm- und unternehmerische Freiheit dar. ?Wir halten sie weder für erforderlich noch verhältnismäßig, sondern für verfassungsrechtlich fragwürdig?, so die Geschäftsführerin Daniela Beaujean. Eine Investitionsquote würde den VoD-Anbietern und in der Folge dem Produktionsmarkt wirtschaftlich schaden, indem sie den schon ohnehin entbrannten Wettbewerb von lokalen Anbietern in ihren Differenzierungsmöglichkeiten gegenüber finanzkräftigen, global agierenden Streaming-Plattformen verschärft. Die privaten TV-Sender leisteten jährlich mehr als 20 Millionen Euro an Bundes- und Landesförderungen. Sie sehen jedoch deutlichen Reformbedarf im Bereich der wirtschaftlichen Förderung auf Bundesebene.

medienpolitik.net: Frau Beaujean, wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Produktionslandschaft, der Kinofilmförderung und welchen Beitrag leisten dabei die privaten Medienunternehmen?

Beaujean: Nie wurde in Deutschland so viel produziert wie heute ? trotz und nicht wegen der nach wie vor wenig planbaren und im internationalen Vergleich wenig wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen. Die Produktionswirtschaft befindet sich im Vollbeschäftigungsmodus, die Studios sind ausgebucht und die Auftraggeber für Produktionen zahlreich und vielfältig. Gleichwohl ist die Situation stark projektgetrieben und volatil. Auch die Mitgliedsunternehmen des VAUNET aus dem Free-TV-, Pay-TV- und VoD-Bereich tragen maßgeblich zu den hohen Produktionsvolumina bei. Sie investieren jährlich in Milliardenhöhe in audiovisuelle Inhalte, davon einen sehr hohen zweistelligen Millionenbetrag in Kinoproduktionen, bewerben und verwerten sie über zahlreiche Plattformen und gehen strategische und langfristige Partnerschaften mit Produktionsfirmen ein. Zudem haben sie sich in der besonders herausfordernden Pandemiesituation bis zum Greifen der Ausfallfonds über obligatorisch mit einem signifikanten Anteil (teils bis zu 50 % und mehr) der coronabedingten Abbruch- bzw. Unterbrechungskosten engagiert und tragen die Präventivkosten (insbesondere Hygienemaßnahmen) auch weiterhin sogar in voller Höhe. Neben den privaten TV-Sendern beauftragen zudem die öffentlich-rechtlichen Sender und ausländische VoD-Anbieter in mehrstelliger Millionenhöhe Produzenten. Unter dem Strich ist noch nie so viel und vielfältig in lokale Produktionen investiert worden wie in den vergangenen zwei Jahren. Dieser Boom im deutschen Produktionsmarkt hat Einfluss auf die Förderinstrumente der Filmwirtschaft, insbesondere auf jene der Bundesebene. So treten aus Sicht des VAUNET in diesen dynamischen Zeiten bereits bestehende Unzulänglichkeiten des deutschen Fördersystems besonders hervor: Lange Antragsfristen, uneinheitliche Zugangsbedingungen, schwer kalkulierbare und insgesamt zu geringe Fördersummen können im internationalen Filmgeschäft von Nachteil für deutsche Auftraggeber und lokale Produktionen sein. Der VAUNET steht zur föderalen Förderstruktur. Die privaten TV-Sender leisten jährlich mehr als 20 Millionen Euro an Bundes- und Landesförderungen. Sie sehen jedoch deutlichen Reformbedarf im Bereich der wirtschaftlichen Förderung auf Bundesebene. Um den Medien- und Filmstandort Deutschland als einen der größten und wachstumsstärksten Wirtschaftszweige international attraktiv zu halten, müssen verbesserte Anreizstrukturen geschaffen und neue, einseitige Verpflichtungen unbedingt vermieden werden.

Unter dem Strich ist noch nie so viel und vielfältig in lokale Produktionen investiert worden wie in den vergangenen zwei Jahren.

medienpolitik.net: Kürzlich hat die FFA die sogenannte Plattformstudie von Goldmedia, ein Gutachten zur Plattformökonomie und der Möglichkeit einer Investitionsverpflichtung für VoD-Anbieter, veröffentlicht. Der VAUNET lehnt eine Investitionsverpflichtung, wie sie seit längerem diskutiert wird, ab. Warum?

Beaujean: Neue Quoten- und Investitionsvorgaben stellen immer Eingriffe in die Rundfunk-, Programm- und unternehmerische Freiheit dar. Wir halten sie weder für erforderlich noch verhältnismäßig, sondern für verfassungsrechtlich fragwürdig, vor allem wenn sie auf das existierende Kinofilm-Abgabensystem nach dem FFG und die umgesetzten Regelungen der AVMD-Richtlinie zur Förderung europäischer Werke ?aufgesattelt? würden. Im Falle zusätzlicher Subquoten für Kinofilme würden sie zu untragbaren Doppelbelastungen für einige FFG-Einzahlergruppen führen.

Das Goldmedia-Gutachten stellt zutreffend dar, wie stark die Investitionen in lokale Produktionen wachsen ? gerade auch durch Anbieter von VoD-Diensten. Richtig ist auch, dass sich ein Teil der VoD-Anbieter in ihrer Struktur und Größe erheblich von vielen lokalen Produktionsunternehmen unterscheidet. Der Markt ist geprägt von vielfältigen Anbietern und einem vielfältigen Angebot und damit grundsätzlich gesund. Einzig der in der Studie ebenfalls konstatierte Fachkräftemangel der Branche ist eine marktimmanente Herausforderung, die angegangen werden muss. Im Übrigen kommt die Studie selbst zu dem Ergebnis, dass eine Investitionsverpflichtung (ohne Steuerungselemente) ins Leere liefe sowie angesichts des ohnehin schon deutlich überhitzten Marktes sogar kontraproduktiv wäre. Ein solcher Markteingriff würde zu einer Umverteilung bestehender Kapazitäten und weiter steigenden Produktionskosten für Unternehmen und schließlich der Verbraucher führen. Eine Investitionsquote würde den VoD-Anbietern und in der Folge dem Produktionsmarkt wirtschaftlich schaden, indem sie den schon ohnehin entbrannten Wettbewerb von lokalen Anbietern in ihren Differenzierungsmöglichkeiten gegenüber finanzkräftigen, global agierenden Streaming-Plattformen verschärft. Inhalte- und Special-Interest-Anbieter könnten nicht mehr flexibel auf die Zuschauerwünsche und sich ändernden Sehgewohnheiten reagieren, wenn sie ihre Umsätze in gesetzlich vorgegebene Kategorien investieren müssten. Zudem könnte eine Verlagerung von Produktionsaktivitäten oder zumindest eines Teils hiervon angesichts der beschriebenen Engpässe bei den Produktionskapazitäten ins benachbarte europäische Ausland stattfinden, um die Verpflichtung überhaupt erfüllen zu können.

Sollten vermeintliche Probleme aus anderen Bereichen resultieren, dann sollten die Produzenten diese erst einmal punktgenau und zielgerichtet erläutern. Rechteumfang und -nutzungszeiträume stehen bei den von privaten Sendern (mit-)finanzierten Produktionen im unmittelbaren Zusammenhang mit ihrem Finanzierungs- und Risikoanteil. Hier gibt es bereits funktionierende und flexible Modelle unter dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Wenn die Politik die audiovisuelle Wirtschaft und ihre Unternehmen in all ihrer Vielfalt fördern möchte, dann ist aus unserer Sicht ein steuerliches Anreizsystem, das im Koalitionsvertrag als Prüfauftrag verankert ist, richtungsgebend. Letzteres sieht der neue Koalitionsvertrag als gleichwertige Maßnahme ausdrücklich vor. Die Plattformstudie, die vor der Koalitionsbildung beauftragt wurde und somit auch nicht als Prüfauftrag der Ampel-Koalition angesehen werden kann, widmet sich diesem Aspekt nicht. Sie kann daher keineswegs allein zur politischen Entscheidungsfindung herangezogen werden. Ein steuerliches Anreizsystem nutzt allen Marktteilnehmern gleichermaßen, belastet bestimmte Player wie VoD-Anbieter nicht einseitig und bietet zudem Investitionsvorteile und Steuerungsmöglichkeiten.

?Wenn die Politik die audiovisuelle Wirtschaft und ihre Unternehmen in all ihrer Vielfalt fördern möchte, dann ist aus unserer Sicht ein steuerliches Anreizsystem, das im Koalitionsvertrag als Prüfauftrag verankert ist, richtungsgebend.?

medienpolitik.net: Wie erklären Sie es sich denn, dass die Studie hinsichtlich der Investitionsverpflichtung zu einer gegenteiligen Auffassung kommt?

Beaujean: Zum einen liegt es daran, dass sich die Plattformstudie mit Alternativen zu Investitionsverpflichtungen und positiven Effekten von z. B. Steuermodellen gar nicht befasst. Zum anderen führen wir das Ergebnis auf konzeptionelle und methodische Schwächen des Gutachtens zurück. Die Einführung einer Investitionsverpflichtung erfährt keine schlüssige Ableitung aus der Studie selbst. Vielmehr stellt sie fest, dass es bereits jetzt eine ?hohe Nachfrage nach audiovisuellen Inhalten? gibt, die Investitionen in audiovisuelle Inhalte signifikant gestiegen sind und weiterhin steigen und dass ?die vorhandene Produktionskapazität nun weitgehend ausgeschöpft? ist. Dass durch diese Entwicklung die Verhandlungsposition der Produzenten in Deutschland nachhaltig gewachsen ist, lässt die Studie völlig außer Acht. Stattdessen geht sie in einem Markt, der nachweislich von starkem Nachfrageüberhang im Produktionsbereich gekennzeichnet ist, sogar von einer Schwächung der anbietenden Produzenten aus. Das ist ein glatter Widerspruch. Schließlich scheinen auch die empirischen Grundlagen an einigen Stellen etwas dünn. So wurden z. B. insgesamt nur 17 Vertreter der nationalen und internationalen Filmwirtschaft und dementsprechend auch nur vereinzelt Mitgliedsunternehmen aus dem VAUNET überhaupt befragt.

?Wenn die Politik bei der Finanzierung von Kinofilmen mehr Engagement sehen möchte, könnte sie dieses im Rahmen der Auftragsdebatte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stärker einfordern.?

medienpolitik.net: Wo sehen Sie darüber hinaus Handlungsbedarf für eine erfolgreiche Filmwirtschaft in Deutschland?

Beaujean: Es gibt eine Marktchance für Deutschland und deutsche Produzenten, vom derzeitigen Wettbewerb um Inhalte zu profitieren. Ein Ziel der Regierungskoalition sollte es deshalb sein, Deutschland als Produktionsstandort weiter zu stärken, um angesichts des globalen Wettbewerbs mit anderen Ländern neue Anreize für Investitionen, auch von internationalen Auftraggebern in Deutschland, zu schaffen. Für eine funktionierende Filmwirtschaft sollten neue Modelle der Filmförderung in Betracht gezogen werden, die einen Fokus auf langfristige Planbarkeit und Verlässlichkeit haben und international wettbewerbsfähig sind. In anderen europäischen Ländern sind Steueranreizmodelle bereits erfolgreich etabliert und das Volumen der dort produzierten Werke ist stetig gewachsen. Neben diesem neuen Instrument sollten die hiesige kulturelle Filmförderung des Bundes, eine deutlicher an wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtete FFG-Kinofilmförderung sowie die weiteren Förderinstrumente, auch auf Länderebene, im Sinne von noch mehr Kohärenz und ?Profilschärfung? aufgestellt werden. Verfolgtes Ziel sollte dabei sein, dass viele, aber auch nicht zu viele Inhalte, erfolgreich ein breites Publikum finden. Die FFA-Förderung sollte sich weiterhin nur auf die Kinofilmförderung konzentrieren. Wenn die Politik bei der Finanzierung von Kinofilmen mehr Engagement sehen möchte, könnte sie dieses im Rahmen der Auftragsdebatte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stärker einfordern.

Ausdrücklich zu begrüßen sind die von der BKM verkündeten Aufstockungen der Serien-Produktionsförderung im German Motion Picture Fund (GMPF) auf insgesamt 90 Millionen Euro in diesem Jahr. Die Benachteiligung der privaten TV-Sender beim German Motion Picture Fund im Vergleich zu Streaming-Anbietern sollte jedoch dringend behoben werden. Derzeit darf einzig bei TV-Sendern der eigene Finanzierungsanteil bei max. 70 Prozent liegen, wodurch eine Finanzierungslücke entsteht, die durch weitere Finanzierungsbestandteile, wie z. B. Länderförderungen, geschlossen werden muss. Im Wettbewerb mit Streaming-Anbietern entstehen hierdurch Verzögerungen, die bei dem Windhundrennen-Prinzip des GMPF in der Vergangenheit bereits zu faktischen Benachteiligungen geführt haben. Hier muss eine Gleichbehandlung etabliert werden.

Darüber hinaus ermöglichen Steueranreizmodelle durch Zuschüsse, Steuergutschriften oder -vergünstigungen mehr Flexibilität und Planungssicherheit, sowohl zeitlich als auch finanziell. Damit könnte Geld schnell und unkompliziert in neue Ideen und Produktionen investiert werden. Klassische Fördertöpfe (s. z. B. GMPF) hingegen sind limitiert. Zudem müssen die für sie erforderlichen Abgaben und Steuern erst durch die öffentliche Hand erhoben und dann in zum Teil wieder komplexen Verfahren vergeben werden. Von Anreizmodellen könnten heimische Produktionsstätten verstärkt direkt profitieren.

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