Ohne Kontrolle kein Vertrauen
08. August 2022Die Kompetenz der Rundfunkräte ist der Dreh- und Angelpunkt für eine wirksame Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
08.08.2022. Von Helmut Hartung, Chefredakteur, www.medienpolitik.net
Patricia Schlesinger ist nun endlich auch als RBB-Intendantin zurückgetreten. Doch damit darf die Aufarbeitung der anscheinenden Verquickung privater und dienstlicher Interessen, der mutmaßlichen Verschwendung von Beitragsmitteln, der Ursachen für die massive Beschädigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht beendet sein. Und es müssen schnellstens strukturelle und gesetzliche Konsequenzen gezogen werden. Hier sind sowohl die Rundfunkkommission der Länder, die Staats- und Senatskanzleien, die Landesparlamente, der neue ARD-Vorsitzende, seine Kollegen beim ZDF und Deutschlandradio aber auch die Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte gefragt. Und natürlich die Beitragszahler.
Die Vorwürfe an die bisherige RBB-Intendantin und ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger sowie den Vorsitzenden des RBB-Verwaltungsrates Wolf-Dieter Wolf offenbaren zahlreiche Unzulänglichkeiten im öffentlich-rechtlichen System, anscheinend vor allem in einigen Führungsetagen. Zum einen betreffen sie die ethisch-moralischen Normen, nach denen leitendes Personal der öffentlich-rechtlichen Sender sein Handeln ausrichten müsste, es existieren zudem nur unzulängliche Festlegungen und Maßstäbe innerhalb der ARD für das Ausschließen von Interessenskonflikten sowie für Intendantenvergütungen und -Privilegien und die Kontrollinstrumente sind mangelhaft. Der Ruf an die Politik nach strukturellen Reformen hört sich zwar wohlfeil an, löst aber das Problem nicht. Alle bisher bekanntgewordenen möglichen Verfehlungen beim RBB wären auch bei schlankeren Anstalten und einer Verringerung des Beitrages denkbar, wenn nicht endlich die Überprüfung und Grundsätze für die Verwendung des Beitrages neu justiert werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach darauf verwiesen, dass der Rundfunkbeitrag ausschließlich durch einen gesellschaftlich determinierten Programmbedarf, den nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk erbringen kann, gerechtfertigt ist. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Verwaltungskosten auf ein absolut notwendiges Maß beschränkt werden müssen. Super-Dienst-PKW, exorbitante Intendantengehälter - gekoppelt mit einen Bonus - die Bewirtung ?lieber? Gäste und überteuerte Investitionen gehören sicher nicht dazu. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat das Privileg, dass durch die KEF alle vier Jahre politisch unabhängig festgelegt wird, wieviel die Bürger monatlich für ihn zahlen müssen. Inflationsraten, medienspezifische Teuerungen werden ebenso berücksichtigt, wie Gehaltsanpassungen für die Mitarbeiter. So stehen gegenwärtig nahezu neun Milliarden Euro jährlich zur Verfügung. Aber nicht nur für das Programm, sondern eben auch für eine anscheinend ungebremste Imponiersucht einer Intendantin. Die KEF verlangt auch Einsparungen und ein verantwortungsbewusstes Wirtschaften in den Anstalten. Das führt bei den Sendern zu Personalabbau und eine teilweise unzureichende Honorierung freier Mitarbeiter. Auf der einen Seite wird beim Personal und dem Programm gespart und auf der anderen Seite, diesen Schluss lassen die bekanntgewordenen Informationen aus dem RBB zu, verfährt man in der RBB-Geschäftsleitung wohl nach dem Grundsatz: Was man dort für wichtig erachte, wird angeschafft und kann kosten was es wolle. Da das moralische Postulat, dass es selbstverständlich sei, dass auch in der Intendanz argwöhnisch auf jeden Cent geschaut wird und nicht nur in den Redaktionen, anscheinend nicht in allen Sendern gilt, muss sich die ARD hier sehr schnell dafür eine verbindlichere Ordnung geben, die auch den Umgang mit Beratern und Gutachtern regelt und jeden Anschein von Interessenskonflikten und damit möglichen ungerechtfertigten höheren Kosten und Beitragsverschwendung ausschließt. Dass die Compliance-Regeln für alle Anstalten einheitlich gelten sollten, ist selbstverständlich. Das muss die Medienpolitik einfordern und kontrollieren.
?Auf der einen Seite wird beim Personal und dem Programm gespart und auf der anderen Seite verfährt man in der RBB-Geschäftsleitung wohl nach dem Grundsatz: Was man dort für wichtig erachte, wird angeschafft und kann kosten was es wolle.?
Der zweite Schwachpunkt ist offensichtlich die Kontrolle zum einen durch die Rechnungshöfe und zum anderen durch die Rundfunkräte und Verwaltungsräte. Es reicht nicht aus, dass im Entwurf des Medienänderungsstaatsvertrages deren Rolle gestärkt wird. Die neu zugeschriebene Macht muss auch ausgeübt werden können. Rundfunk- und Veraltungsräte sind die internen Kontroll- und Beratungsgremien der Geschäftsleitung. Zwar erfolgt die wirtschaftliche Kontrolle durch die Verwaltungsräte, aber diese werden vom Rundfunkrat gewählt.
Die Steuerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Zukunft kann nur durch einen relativ breiten Rahmen des Gesetzgebers erfolgen, in dem er festlegt, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk die kommunikativen Erfordernisse der Gesellschaft erfüllen soll, sagt Prof. Dr. Wolfgang Schulz, Leibniz-Instituts für Medienforschung / Hans-Bredow-Institut in einem Gespräch mit der FAZ am 5. August. Für Schulz ist das ein gravierender ?Strukturwandel?, für den die Rahmenbedingen aber noch geschaffen werden müssen und bei dem die Gremien eine entscheidende Rolle spielen. Die Gremien müssten eine Art Sparringpartner der Intendanz sein, die Qualitätskriterien definieren und weiterentwickeln und so eine andere systemsteuernde Funktion als heute erhalten. Der Strukturwandel sei eine Kombination aus zwei Faktoren, der entsprechenden Haltung der Gremienmitglieder und den nötigen Instrumenten zur Erweiterung ihrer Kompetenz, sagt der Hamburger Medienrechtler.
Woran es allerdings krankt und welche Defizite bestehen, damit sie endlich zum ?Sparringpartner? werden können, hat die bisherige Vorsitzende der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz Friederike von Kirchbach gegenüber der FAZ am 5. August plastisch beschrieben: Es fehlt vor allem an Kompetenz und an den erforderlichen Mitteln, unabhängige Expertisen ?einzukaufen?. Denn Kontrollieren kann nur, wer auch über das notwendige Wissen verfügt, oder es sich beschaffen kann und wer Zugang zu allen beitragsrelevanten Ausgaben des Senders hat. ?Wir Rundfunkräte sind keine Experten, sondern bei Bedarf von Experten unterstützte Generalisten. Wir bringen gesellschaftlich relevante Kompetenzen in die Beratung der Programmverantwortlichen ein, um den Wert der Angebote für die Allgemeinheit zu bewerten und sicherzustellen, dass die Vielfalt der Ansichten abgebildet wird.? Wichtiger, als es der Gesetzgeber explizit klarstelle, sei es den Rundfunkräten zu ermöglichen, im Bedarfsfall Expertise anzufragen. Hierbei seien eigene Etats und unabhängige Mitarbeitende in den Geschäftsstellen entscheidend, die einen Überblick haben, welche Expertinnen und Experten den Gremien weiterhelfen können. Deshalb fordern die Gremienvorsitzenden der ARD ein eigenes Budget, das die KEF festlegt und der Finanzierung der Landesmedienanstalten durch den Rundfunkbeitrag vergleichbar ist, so Kirchbach. Wie wichtig informierte, kritische und von der Intendanz auch finanziell unabhängig agierende Rundfunk- und Fernsehräte für die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner Beitragsfinanzierung sind, zeigt die Causa Schlesinger.
Zu den Reaktionen aus der Berliner und Brandenburger Landespolitik gehört jetzt plötzlich der Vorschlag, die Landesrechnungshöfe häufiger prüfen zu lassen. Wann immer sie in den letzten Jahren aktiv waren, sind sie auch fündig geworden und konnten Missstände bei der Verwendung der Beitragsmittel nachweisen. Nun fordert Brandenburgs SPD-Fraktionsvorsitzender Daniel Keller gegenüber dem ?Tagesspiegel?, eine strengere Aufsicht durch die Finanzkontrolleure von Berlin und Brandenburg über den Sender. So sollten künftig alle finanziellen Vorgänge im RBB der Prüfung durch den Landesrechnungshof unterliegen. Entsprechende Regeln müssten im Staatsvertrag über den RBB getroffen werden. Eine späte Einsicht.
Der WDR-Intendant Tom Buhrow, ist sich des Glaubwürdigkeitsverlusts und der Notwendigkeit schnell und nachhaltig zu handeln, durchaus bewusst, wenn er zu Beginn seines Vertretungs-ARD-Vorsitzes sagt, dass die ARD bei ihrem Umbau keine Zeit zu verlieren habe. Zumal die Reform tiefgreifender sein muss als bisher geplant.
?Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter hohem Rechtfertigungsdruck?, stellt die ehemalige Investigativ-Journalistin Patricia Schlesinger in der Pressemeldung zu ihrem Rücktritt als RBB-Intendantin fest. Dass das nicht nur vom Programm, sondern dem verantwortungsbewussten Umgang mit dem Bürger-Beitrag und der moralischen Integrität jedes Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Anstalten abhängt, hat sie aber bis heute anscheinend nicht verstanden.
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