?Vertrautes stärken, Neues wagen?

14. Juli 2022
?Vertrautes stärken, Neues wagen?

Wie Intendantin Karola Wille den MDR umgestaltet - Ein medienpolitisches Porträt

14.07.2022. Prof. Dr. Karola Wille gehört zu den langfristig gestaltenden und prägenden Persönlichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In den bisherigen elf Jahren als MDR-Intendantin und zeitweilige ARD-Vorsitzende hat sie mit Initiativen und programmatischen Erklärungen für Diskussion innerhalb und außerhalb der ARD gesorgt. Der von ihr geprägte Begriff des ?gemeinwohlorientierten Kommunikationsnetzwerkes? ist aus der medienpolitischen Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht mehr wegzudenken. Die promovierte Juristin trägt als Intendantin auch die Verantwortung für den digitalen Transformationsprozess. Ihre Ziele sind klar, an Ideen mangelt es der 63-Jährigen nicht. Besonderen Wert legt sie darauf, dass der MDR ein moderne Medienhaus mit Angeboten für alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen sowie deren Interessen ist. Ein Portrait von Malina Reckordt.

Der MDR durchläuft derzeit einen digitalen Transformationsprozess. Für diesen trägt Karola Wille die Verantwortung. Das Ziel der MDR-Intendantin dabei ist klar: ?Wir wollen Vertrautes stärken, aber auch noch mehr Neues wagen.? Und wie soll das erreicht werden? Mit viel Kreativität, bekräftigt Wille.

Wille kennt den MDR genau. Seit mehr als 30 Jahren ist sie für diese öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt tätig. Nach dem Abitur 1977 im damaligen Karl-Marx-Stadt zog sie nach Jena, um dort Rechtswissenschaften zu studieren.  Das Studium schloss sie als Diplomjuristin ab, absolvierte ein Forschungsstudium und promovierte 1986 zur Dr. jur. Anschließend setzte sie ihre wissenschaftliche Karriere an der Universität in Leipzig fort, wo sie von 1986 bis 1991 am Institut für Internationale Studien als wissenschaftliche Assistentin tätig war. Die Lehrbefähigung in Medienrecht erreichte sie 1991 an der Juristenfakultät. Für kurze Zeit arbeitete Wille als Justiziarin bei der Stadt Leipzig, ehe sie im November 1991 in die Juristische Direktion des damals neu gegründeten MDR wechselte. Zunächst als Referentin und ab 1996 als Juristische Direktorin. In dieser Funktion leitete Wille 1997 und 1998 die Juristische Kommission von ARD und ZDF. Denn der MDR hatte zu dieser Zeit erstmals den ARD-Vorsitz inne. 2010 wurde sie bereits zum dritten Mal als Juristische Direktorin des MDR berufen.  Ein Jahr später, im Oktober 2011, erfolgte ihre Wahl zur Intendantin des MDR. In dieser Funktion wurde sie 2016/17 auch ARD-Vorsitzende, als der MDR zum zweiten Mal den ARD-Vorsitz innehatte. Eng in Kontakt ist Wille auch mit Produzentenverbänden sowie mit der Film- und Fernsehwirtschaft. Denn sie ist auch Filmintendantin der ARD.

Aktuell nimmt die meiste Zeit der 63-Jährigen der digitale Wandel beim MDR ein. Schließlich soll der MDR in seinem Sendegebiet alle Bevölkerungsschichten erreichen. Das gelinge aber nicht mehr allein mit dem linearen Radio und Fernsehen, so Wille. Die digitale Netzwelt sei inzwischen enorm wichtig, gerade um auch Jüngere zu erreichen. Daher richte der MDR seine Angebote nun strategisch an einer non-linearen und mobilen Mediennutzung aus. ?Unser Auftrag ist es, für alle da zu sein und einen Beitrag zum Gemeinwohl der gesamten Gesellschaft zu leisten. Mit dem MDR-Entwicklungsplan gehen wir konsequent den nächsten Schritt in der digitalen Transformation, um die Menschen überall mit relevanten Inhalten zu erreichen, wo sie unterwegs sind?, betont Wille. So seien Inhalte des MDR fest in der Bevölkerung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verankert, denn annähernd 90 Prozent der Menschen ab 14 Jahren würden innerhalb von zwei Wochen mindestens ein MDR-Angebot nutzen.

?Die MDR-Intendantin legt großen Wert darauf, den Menschen zuzuhören und mit ihnen in einen Dialog zu treten.?

Apropos junge Leute. Auf die Kritik, die auch von vielen jungen Menschen geäußert wird, dass der Rundfunkbeitrag zu hoch sei und man das Angebot ohnehin nicht nutze, weiß Wille zu reagieren. ?Ich würde solchen Leuten sagen  ,Ihr wollt doch auch kein schmutziges Wasser. Ihr wollt doch verlässliche Informationen??. In dem Zusammenhang betont Wille auch, wie wichtig es sei, dass die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich und kein Privileg für wenige einzelne Personen seien, die sich das leisten könnten. ?Das hat im Endeffekt auch was mit der Menschenwürde und Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger zu tun?, unterstreicht die Intendantin. Den Preis von 18,36 Euro im Monat hält sie für einen angemessenen Beitrag. Und sie verweist darauf, dass für diejenigen, die sich diesen nicht leisten könnten, eine gesetzlich geregelte Befreiungsmöglichkeit bestehe. Darunter fallen Menschen, die Sozialleistungen erhalten wie zum Beispiel Arbeitslosengeld II, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Leistungen, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden.

?Wir sind ein Medium für alle Menschen. Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass wir Angebote für alle Menschen machen müssen?, meint die 63-Jährige. Die Bürgerinnen und Bürger müssten sich in den Angeboten wiederfinden. ?Wir müssen Teil ihrer Lebenswelt sein?, bekräftigt. Als Parade-Beispiel führt sie FUNK an, ein Content-Netzwerk von ARD und ZDF. Mit den Inhalten von FUNK sollen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren erreicht werden. Und wie können junge Leute grundsätzlich angesprochen werden? ?Wir müssen da sein, wo junge Leute ohnehin unterwegs sind und sie für die Plattformen, die wir selbst gestalten, interessieren?, sagt Wille. Dabei sei es wichtig, nicht abhängig von anderen Plattformanbietern zu sein, sondern die eigene Audio- und Mediathek stark zu machen.

?Für sie stellt Vielfalt eine Schlüsselkategorie dar, weshalb sie auch viel darüber nachdenkt, wie man als öffentlich-rechtlicher Rundfunk gesellschaftliche Vielfalt noch sichtbarer machen kann.?

Die MDR-Intendantin legt großen Wert darauf, den Menschen zuzuhören und mit ihnen in einen Dialog zu treten. Und sie auch miteinzubeziehen wie beispielsweise bei dem bundesweiten Kreativwettbewerb ?ARD-Kultur Creators?, zu dem die neue ARD-Gemeinschaftseinrichtung mit Sitz in Weimar aufgerufen hatte. Freischaffende Kreative aller Kultursparten konnten seit Anfang Februar Projekte zum Thema Verbundenheit einreichen. Mehr als 600 Ideen wurden Wille zufolge vorgelegt, welche sich mit Themen wie der Klimakrise, Stadtentwicklung oder aber Auswirkungen der Pandemie befassten. Auf der re:publica Anfang Juni wurden die neun Gewinnerprojekte bekannt geben. Diese werden nun von den Rundfunkanstalten umgesetzt und auf verschiedenen ARD-Plattformen ausgespielt.

Bei dem großen Thema Reform/Transformation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks taucht auch immer wieder der Aspekt Vielfalt auf. Wie sehr dieser Aspekt beim MDR schon verankert ist, zeigt unter anderem die Tatsache, dass dort im vergangenen Jahr ein internes Vielfaltsmanagement etabliert worden ist. Dieses Management kümmere sich laut Karola Wille nicht nur um die Vielfalt bei Themen, sondern auch um die Vielfalt innerhalb der Redaktionen, also darum, dass diese beispielsweise divers zusammengesetzt sind. ?Das Vielfaltmanagement ist struktureller Ausdruck dessen, dass wir tatsächlich diese Aufgabe sehr ernst nehmen und es als Querschnittsdisziplin im gesamten Haus ansehen?, hebt sie hervor. Für sie stellt Vielfalt eine Schlüsselkategorie dar, weshalb sie auch viel darüber nachdenkt, wie man als öffentlich-rechtlicher Rundfunk gesellschaftliche Vielfalt noch sichtbarer machen kann. 

Die zweite Amtszeit von Karola Wille als Intendantin begann am 1. November 2017 und endet am 30. Oktober 2023. Ob sich eine dritte Amtszeit anschließt, ist noch unklar. In ihrer Freizeit erholt sich die leidenschaftliche Skifahrerin bevorzugt in den Bergen. Dies sei, egal ob im Sommer oder Winter, für sie schon immer eine Möglichkeit gewesen, Kraft zu tanken. Womöglich ist die Lust auf Berge aber auch eine Charaktereigenschaft, die beim digitalen Umbau des MDR hilft ? auch wenn dieser nicht nur wie bei Zwischenerfolgen Kraft geben, sondern auch Kraft kosten wird. Dabei scheint sie von dem Vertrauen getragen, dass zuvor investierte Energie sich letztlich auszahlen wird.

Zur Autorin: Malina Reckordt hat Wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund studiert. Nach ihrem zweijährigen Volontariat beim Mindener Tageblatt wurde sie 2018 dort als Digitalredakteurin fest angestellt. Parallel zum Job startete sie 2020 den MA-Studiengang Journalistik an der TU Dortmund.

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