Kein uneingeschränktes Vertrauen in genutzte Medien

26. März 2024
„Vertrauen in etablierte Nachrichtenquellen“: eine Sonderauswertung von Daten des Reuters Institute Digital News Survey

In Deutschland kann Vertrauen in etablierte Nachrichtenquellen am besten durch das Alter erklärt werden: Ältere Internetnutzer schenken den Nachrichten tendenziell mehr Vertrauen als jüngere. Unterschiede ergeben sich auch mit Blick auf die politische Orientierung: Befragte, die ihre politische Orientierung als rechts bzw. konservativ einordnen, stehen den Nachrichten im Allgemeinen skeptischer gegenüber als jene, die sich am linken äußeren Spektrum oder in der politischen Mitte einordnen. Darüber hinaus geht ein höherer formaler Bildungsabschluss tendenziell mit einem höheren Vertrauen in die Nachrichten einher. Wer konkrete Nachrichtenmarken nutzt, vertraut diesen erwartungsgemäß auch, allerdings nicht uneingeschränkt. Wer innerhalb einer Woche keine Nachrichten genutzt oder diese nur in sozialen Medien erhalten hat, hat am wenigsten Vertrauen. Dies sind Ergebnisse einer Sonderauswertung von Daten des Reuters Institute Digital News Survey 2023, die das Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg vorgenommen hat.

Nachrichten informieren uns in der Regel gerade über die Dinge, die wir selbst nicht aus eigener Erfahrung wissen können. Die regelmäßige Nutzung von und das Vertrauen einer Gesellschaft in medienvermittelte Nachrichten schafft somit die Grundlage für ein kollektiv geteiltes Verständnis von Wirklichkeit. Auf Basis des Reuters Institute Digital News Survey wurde daher untersucht, wie es um das Nachrichtenvertrauen der Bevölkerung in Deutschland bestellt ist und inwiefern die genutzten Nachrichtenquellen mit dem entgegengebrachten Vertrauen in Nachrichten zusammenhängen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Nachrichtenvertrauen ein hochkomplexes soziales Phänomen ist, das sowohl von allgemeineren Kontextvariablen als auch von individuellen Aspekten abhängt. Dabei unterscheiden sich die gefundenen Muster in den Zusammenhängen im Hinblick auf das Vertrauen in Nachrichten im Allgemeinen und das Vertrauen in die genutzten Nachrichten nur gering.

Langfristig sinkendes Vertrauen in Medien

Das Vertrauen, das den Nachrichten im Allgemeinen sowie den regelmäßig genutzten Nachrichten geschenkt wird, unterscheidet sich deutlich zwischen den untersuchten Ländern und hat sich dort im Zeitverlauf zudem sehr unterschiedlich entwickelt. Im Ländervergleich steht Deutschland gut da, jedoch zeichnet sich hierzulande langfristig ein sinkendes Vertrauen in die Nachrichten ab, welches möglicherweise auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Nachrichtenmüdigkeit zu bewerten ist. Weitere potenzielle Einflussfaktoren auf das Nachrichtenvertrauen in den Ländern sind die jeweiligen länderspezifischen politischen Gegebenheiten sowie die Eigenschaften des Mediensystems (z. B. politische Polarisierung, Grad der Pressefreiheit). Umso bemerkenswerter ist die Beobachtung, dass die Corona-Pandemie und die damit verbundene Wertschätzung der Nachrichtenmedien durch weite Teile der Bevölkerung in den meisten Ländern einen vertrauensstiftenden Effekt hatte (siehe auch Newman et al., 2021). Das in dieser Studie untersuchte Nachrichtenvertrauen kann somit als ein subjektiver Indikator dafür gewertet werden, wie die Qualität der etablierten Nachrichtenmedien im eigenen Land vom Durchschnitt der Bevölkerung wahrgenommen wird und welche gesellschaftliche Bedeutung diesen tendenziell beigemessen wird.

Digital Natives schenken den Nachrichten signifikant weniger Vertrauen als Internetnutzer ab 55 Jahren

Insgesamt haben die individuellen Faktoren Alter, Geschlecht, Bildung und politische Orientierung nur einen geringen Einfluss auf das Nachrichtenvertrauen. Es wird jedoch deutlich, dass sich das Vertrauen in keinem der untersuchten Länder so stark zwischen den Altersgruppen unterscheidet wie in Deutschland, wobei die Digital Natives den Nachrichten signifikant weniger Vertrauen schenken als Internetnutzer im Alter ab 55 Jahren. Auch wenn aufgrund des Querschnittdesigns der Studie nicht beantwortet werden kann, ob die Altersunterschiede auf einen Alters- oder Generationeneffekt zurückgeführt werden können, verweisen sie doch auf die wichtige Rolle der Erfahrungen, die Menschen im Laufe ihres Lebens mit der Nachrichtenberichterstattung in Deutschland machen. Ein besonderes Augenmerk der Studie lag dabei auf der Nutzung digitaler Nachrichtenquellen. Erfolgt der Zugang zu Online-Nachrichten ausschließlich über Algorithmen vermittelte Kanäle wie soziale Medien oder Suchmaschinen, geht dies tendenziell mit einer skeptischen Haltung gegenüber den Nachrichten einher. Ein geringes Nachrichtenvertrauen ist jedoch besonders unter denjenigen zu finden, die Nachrichten hauptsächlich oder gar ausschließlich in sozialen Medien erhalten. Das gilt nicht nur für das Vertrauen in Nachrichten im Allgemeinen, sondern auch für das Vertrauen in die regelmäßig genutzten Nachrichten. In der Studie kann leider nicht erfasst werden, welche konkreten Nachrichteninhalte in sozialen Medien empfangen und genutzt werden. Dennoch deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Menschen, die von aktuellen Ereignissen ausschließlich in den sozialen Medien erfahren, vermutlich andere Erfahrungen mit Nachrichteninhalten machen als Menschen, die sich darüber hinaus noch auf anderen Kanälen informieren. Zwar stellen soziale Medien nur für einen Bruchteil der Bevölkerung die einzig genutzte Nachrichtenquelle dar (6 %); in der jüngsten Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen ist dieser Anteil mit 15 Prozent jedoch am größten.

Die Mischung macht‘s

Für das Nachrichtenvertrauen ist somit nicht entscheidend, ob eine Person ein Angebot regelmäßig nutzt, sondern welche Bedeutung dieses im Vergleich zu anderen Quellen in ihrem individuellen Nachrichtenrepertoire einnimmt. Hierbei gilt die Devise: Die Mischung macht’s. So deuten die Studienergebnisse darauf hin, dass Menschen, deren individuelles Nachrichtenrepertoire aus verschiedenen Nachrichtenangeboten und Zugangswegen besteht – was für die Mehrheit der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland der Fall ist – tendenziell ein höheres Nachrichtenvertrauen haben als jene, die nur eine einzige oder gar keine der genannten Nachrichtenquellen innerhalb einer Woche genutzt haben. Umgekehrt gilt: Menschen, die dem Großteil der Nachrichten in der Regel vertrauen, nutzen mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Vielzahl an verschiedenen Nachrichtenangeboten und digitalen Zugangswegen. Indem sie Informationen aus verschiedenen Quellen gegenüberstellen können, sind sie vermutlich auch besser gegenüber Desinformation gewappnet.

Auf der Ebene konkreter Nachrichtenmarken (z. B. tagesschau, RTL aktuell, Bild) zeigt sich ebenfalls, dass die Nutzung einer Quelle mit einem signifikant höheren Vertrauen in diese Quelle verbunden ist. Allerdings bringen Menschen den Inhalten einer Nachrichtenquelle nicht automatisch ein uneingeschränktes Vertrauen entgegen, wenn sie diese regelmäßig nutzen. Schließlich ist der Zusammenhang zwischen Nachrichtenvertrauen und Nachrichtennutzung keine Kausalfrage, weil Nachrichten aus ganz verschiedenen Gründen genutzt werden, etwa um sich die Zeit zu vertreiben, mitreden zu können, sich mit gegenteiligen Meinungen und Weltvorstellungen auseinanderzusetzen oder schlichtweg aus Gewohnheit. Insgesamt lässt sich aus den Ergebnissen jedoch ableiten, dass sich ein sinkendes Nachrichtenvertrauen auf lange Sicht in geringeren Reichweiten von Nachrichten niederschlagen kann und vice versa. Damit steigen Risiken der Desinformation und kollektives Handeln, welches informierte Bürger vorrausetzt, wird erschwert.

Vertrauen durch gut recherchierten, ausgewogenen Qualitätsjournalismus erarbeiten

In der Konsequenz ist die gesamte Gesellschaft gefordert, wenn es darum geht, das Nachrichtenvertrauen der Bevölkerung zu bewahren bzw. zurückzugewinnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Nachrichtenvertrauen ein vielschichtiges Phänomen ist, dass sich auf die Nachrichtenmedien im eigenen Land, die genutzten Nachrichten, einzelne Themenfelder oder Nachrichtenmarken beziehen kann. So genießen Nachrichtenmarken mit einer hohen Reputation und langen Tradition in der linearen Medienwelt (z. B. die ARD Tagesschau) tendenziell ein höheres Vertrauen als „neuere“ Online-Only-Anbieter, die ihren Schwerpunkt in den sozialen Medien haben. Dies verweist darauf, dass sich das Vertrauen über die Zeit hinweg entwickeln und vom Publikum verdient werden muss. Eine Herausforderung für die Zukunft besteht folglich darin, vertrauensstiftende Praktiken auch ins Digitale zu überführen, wobei der Spielraum der Nachrichtenanbieter angesichts der vielfältigen Vorlieben und Nutzungsgewohnheiten des Publikums möglicherweise begrenzt ist. Vor dem Hintergrund der theoretischen Definition des Nachrichtenvertrauens anhand traditionell journalistischer Qualitätskriterien ist vor allem zu betonen, dass sich das Vertrauen der Nutzenden durch gut recherchierten, ausgewogenen Qualitätsjournalismus erarbeitet werden muss. Dies setzt einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über die Erwartungen an die Nachrichtenmedien sowie deren gesellschaftliche Funktion voraus.

Besondere Informationsbedürfnisse junger Menschen berücksichtigen

Mit Blick auf die erwähnten Altersunterschiede im Nachrichtenvertrauen gilt es darüber hinaus, die besonderen Informationsbedürfnisse junger Menschen zu berücksichtigen. Hierzu zählen beispielsweise die verständliche Aufbereitung von Inhalten, die Einbindung verschiedener Perspektiven und Meinungen oder das Experimentieren mit verschiedenen Darstellungsweisen. Ein weiterer Ansatz könnte sein, nicht nur das Vertrauen in das Endprodukt (Nachrichteninhalte), sondern auch das Vertrauen in den journalistischen Prozess in den Blick zu nehmen, indem journalistische Qualitätsstandards und Arbeitsweisen nähergebracht werden, sei es durch konkrete, ergänzende Angebote zur Nachrichtenberichterstattung oder durch Bildungsprojekte in Schulen. Doch auch der bzw. der einzelne Bürger ist gefragt, ihr bzw. sein persönliches Nachrichtennutzungsverhalten zu hinterfragen und eine kritische und differenziertere Haltung gegenüber Nachrichten zu entwickeln. Die entscheidende Grundlage hierfür ist die Etablierung vielfältiger, langfristig vertrauensstiftender Nutzungsroutinen, anstatt sich ausschließlich darauf zu verlassen, wichtige Informationen automatisch in sozialen Medien zu erhalten. Dies beinhaltet auch die Bereitschaft, für qualitativ hochwertigen Journalismus (im Internet) zu bezahlen und damit die Arbeitsbedingungen von Journalisten zu verbessern. Aus einer breiteren Perspektive steht die gesamte Gesellschaft in der Verantwortung, das Interesse an Nachrichten und Politik zu fördern, was auf die enorme Wichtigkeit der politischen Bildung in Erziehung und Schule verweist. Darüber hinaus gilt es weiterhin zu gewährleisten, dass durch faire Löhne sowie die vehemente Verteidigung der Pressefreiheit angemessene Rahmenbedingungen für die journalistische Arbeit geschaffen werden. Da das Nachrichtenvertrauen vermutlich eng mit der Wahrnehmung von Politik zusammenhängt, ist zudem eine geringe politische Polarisierung sowie ein hoher gesellschaftlicher Zusammenhalt wünschenswert.

Aus der Perspektive der Wissenschaft besteht weiterer Forschungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob ein geringes Vertrauen in Nachrichten mit einer mangelnden Medienkompetenz gleichzusetzen ist oder ob (bzw. unter welchen Bedingungen) es als gesunde Skepsis interpretiert werden kann. Dies gilt auch im Zusammenhang mit denjenigen Befragten, die sich bei der Frage nach ihrem Vertrauen in Nachrichten nicht eindeutig positionierten („stimme weder zu noch nicht zu“). Besonders mit Blick auf die Etablierung generativer KI wie ChatGPT erscheint es umso wichtiger, dass online verbreitete Informationen nicht einfach unkritisch von den Nutzern übernommen werden, wobei allerdings noch wenig über die Nutzung und Akzeptanz derartiger Systeme im Kontext von Nachrichten und politischen Informationen bekannt ist. Zu guter Letzt bieten die Befunde zum Zusammenhang zwischen Nachrichtenvertrauen und -nutzung, insbesondere im Hinblick auf das geringe Nachrichtenvertrauen unter Personen mit einem weniger breiten bzw. schwach ausgeprägten Nachrichtenrepertoire, weitere Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschung zu den Ursachen und Folgen von Nachrichtenvermeidung.

 

https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/93328

 

 

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