„ARD-Anstalten dürfen durch Drittplattformen keine Werbeeinnahmen erzielen“

22. August 2023
Prof. Dr. Dieter Dörr und Prof. Dr. Matthias Cornils
Prof. Dr. Dieter Dörr und Prof. Dr. Matthias Cornils
Medienrechtler äußern Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Werbung in Telemedien durch ARD-Töchter

Fragen an Professor Dr. Matthias Cornils, Lehrstuhl für Medienrecht, Kulturrecht und öffentliches Recht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Prof. Dr. Dieter Dörr, ehem. Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Medienrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Seit 2009 dürfen öffentlich-rechtliche Anstalten nicht in Telemedien werben. Zum Schutz privater Anbieter haben die Länder dieses Verbot im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag verankert. Doch inzwischen gibt es Anzeichen, dass sowohl einzelne Rundfunkanstalten als auch die ARD-Media versuchen, dieses Edikt zu umgehen. So werden Werbespots, von einer Sendertochter produziert und vermarktet in ARD-Angeboten auf Drittplattformen platziert. Der Verband privater Medien (Vaunet) sieht darin einen Verstoß gegen das Telemedien-Werbeverbot und wertet es als Versuch, die Grenzen des Medienstaatsvertrages auszutesten. Dagegen verteidigt die ARD Media diese Praxis mit dem Hinweis, dass für ARD-Töchter das Werbeverbot nicht gelte. Fragen dazu an die Medienrechtler Matthias Cornils und Dieter Dörr.

Professor Dr. Matthias Cornils, Lehrstuhl für Medienrecht, Kulturrecht und öffentliches Recht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz:

medienpolitik.net: Welches Ziel verfolgt die Medienpolitik mit dem Werbeverbot in Telemedien der öffentlich-rechtlichen Anstalten?

Cornils: In einem weiteren Sinn fügt sich das 2009 in den damaligen Rundfunkstaatsvertrag eingefügte Verbot in den Gesamtzusammenhang aller Vorschriften, auch derjenigen über den Programmrundfunk, welche die Wirtschaftswerbung als Ertragsquelle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks begrenzen. Das Totalverbot von Werbung in öffentlich-rechtlichen Telemedien ist gleichsam die radikale Variante dieser Begrenzung; eine solches Verbot wird indes auch schon seit langem für den linearen Rundfunk, also für den gesamten Funktionsauftrag der Anstalten, diskutiert und immer wieder gefordert. Sinn dieser Begrenzungen und also auch des Werbeverbots in Telemedien ist mithin nicht nur der Schutz der Ertragsmöglichkeiten privatwirtschaftlicher Medien, sondern auch die Gewährleistung der Eigenrationalität des nichtkommerziellen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der sich durch seine Finanzierung aus Abgabenmitteln gerade von den Marktmedien unterscheidet. Er unterliegt damit nicht – oder nur sehr begrenzt – den vom Bundesverfassungsgericht für den Privatrundfunk stets angenommenen „vielfaltsverengenden“ Zwängen der Werbefinanzierung. Die weitgehende Werbefreiheit und Finanzierung aus öffentlichen Mitteln ist aus dieser Sicht maßgebliche Bedingung für die spezifische Funktionseignung gerade des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine funktionale Überlegenheit gegenüber privaten Rundfunkveranstaltern. Das (Total-) Verbot von Werbung in Telemedien ist schon Bestandteil der ersten ausführlichen Regelung des öffentlich-rechtlichen Telemedienauftrags im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag 2008/2009 gewesen. Die Regelung ist Umsetzung einer (von mehreren) Zusagen, die die Bundesrepublik Deutschland im sogenannten Beihilfenkompromiss der Europäischen Kommission gemacht hatte, um die Genehmigungsfähigkeit der Rundfunkgebühr als Beihilfe zu sichern. Die Kommission hatte die mangelnde Bestimmtheit der nach den früheren Bestimmungen erfolgten Beauftragung der Anstalten mit dem Angebot „neuer Mediendienste“ beanstandet und insofern eine präzisere Fassung des Telemedienauftrags gefordert. Dies sei erforderlich, um den für die Beihilfenrechtfertigung geforderten gemeinwirtschaftlichen Charakter des öffentlich-rechtlichen Angebots in der Beauftragung rechtlich abzusichern und so Wettbewerbsverzerrungen infolge eines Tätigwerdens der Anstalten außerhalb des legitimen gemeinwirtschaftlichen Funktionsbereichs nach Möglichkeit zu vermeiden. Aus dieser wettbewerbsschützenden Zielsetzung des Beihilfenrechts lässt sich schließen, dass das Werbeverbot unionsrechtlich als Maßnahme zum Schutz der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten der Marktteilnehmer begriffen worden ist. Allerdings muss auch gesehen werden, dass dieses Werbeverbot nicht etwa eine unabdingbare Forderung der EU-Kommission war, der Deutschland entsprochen hätte, vielmehr umgekehrt Deutschland im Beihilfeverfahren unter anderen diese Zusage gemacht hat, die die Kommission sodann in Verbindung mit den anderen Zusagen als hinreichend anerkannt hat, um das Beihilfeverfahren einzustellen.

medienpolitik.net: Bedeutet die Regelung im Medienstaatsvertrag, dass die ARD-Töchter auf ihren Online-Plattformen Werbung uneingeschränkt verkaufen können?

Cornils: Die Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dürfen, insoweit ermächtigt durch eigene Vorschriften des Rundfunk-, heute: Medienstaatsvertrags, auch kommerzielle Tätigkeiten ausüben, dies allerdings in strikter Trennung gegenüber den Tätigkeiten aus dem beitragsfinanzierten Funktionsauftrag und organisatorisch im Regelfall nur durch selbstständige Tochtergesellschaften. Zentrale Anforderung ist zudem, dass sich die Gesellschaften im kommerziellen Bereich marktkonform verhalten; Leitidee dieser Regelung ist, dass die Quersubventionierung kommerzieller Tätigkeiten aus den öffentlichen Abgabenmitteln ausgeschlossen sein muss. Auch diese Konzeption geht auf die Neufassung der Bestimmungen entsprechend dem Beihilfekompromiss zurück. Das Unionsrecht steht einer Ermächtigung öffentlicher Unternehmen zu kommerzieller Tätigkeit im Wettbewerb mit privaten Marktteilnehmern nicht entgegen, solange diese Tätigkeit selbst nach Marktbedingungen erfolgt. Zu den danach grundsätzlich zulässigen kommerziellen Tätigkeiten gehört, wie der Medienstaatsvertrag sogar ausdrücklich formuliert, insbesondere auch Werbung. Rechtlich umstritten und bis heute nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob und inwieweit die für die Tätigkeit der Anstalten in Erfüllung ihres Funktionsauftrags geltenden Bedingungen und Grenzen, darunter insbesondere auch das Werbeverbot in öffentlich-rechtlichen Telemedien, auch für kommerzielle Tätigkeiten gelten. Aus einer grundsätzlichen Perspektive dürfte noch weitgehend anerkannt sein, dass die kommerziellen Tätigkeiten jedenfalls nicht nach Inhalt und Maß ein Gepräge annehmen dürfen, der zu Gefährdungen der Erfüllung des „eigentlichen“ Funktionsauftrags führt. Eine derart weitgehende „Neben“-Beauftragung der Anstalten als Wirtschaftsunternehmen liefe dem auch verfassungsrechtlich verankerten Funktionsauftrag zuwider und wäre daher auch gesetzlich kaum möglich; die staatsvertragliche Ermächtigungsnorm ist in diesem Sinn verfassungskonform zu interpretieren. Kaum akzeptabel dürfte daher auch ein „Ausweichen“ der der Anstalten auf die Möglichkeit kommerzieller Betätigung sein, um die gesetzlichen Beschränkungen ihrer Tätigkeit im Bereich des Funktionsauftrags zu umgehen. Geht es in der Sache bei der in Rede stehenden Tätigkeit, etwa dem Angebot nichtlinearer Inhalte auf eine online-Plattform, um die Erfüllung des Auftrags, so wie er in § 30 MStV staatsvertraglich-gesetzlich umrissen ist, spricht viel dafür, dass die Anstalten nicht berechtigt sind, diese Tätigkeit als kommerzielle Betätigung auf ihre Tochtergesellschaften auszulagern und so die Bindungen durch die Beauftragung und die Tätigkeitsverbote in der genannten Vorschrift abzustreifen. Für die Verbote des § 30 Abs. 5 MStV, darunter das Werbeverbot, lässt sich dies – so wird im Schrifttum überzeugend argumentiert – auch systematisch darauf stützen, dass diese Bestimmung (anders als § 30 Abs. 2 Satz 2 MStV) keine Klausel enthält, nach der Angebote nach Maßgabe der §§ 40 ff. (betreffend die kommerziellen Tätigkeiten) unberührt bleiben. Auch die neuere Rechtsprechung der Wettbewerbsgerichte geht davon aus, dass die allgemeinen rundfunkrechtlichen Anforderungen aus der Beauftragung auch für kommerzielle Angebote gelten.

medienpolitik.net: Inwieweit dürfen kommerzielle ARD-Töchter im Wettbewerb mit privaten Anbietern stehen?

Cornils: Die Frage dürfte im Wesentlichen mit den vorstehenden Ausführungen schon beantwortet sein. Im Ausgangspunkt gilt: Eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt kann nicht, auch nicht durch eigene Tochtergesellschaften, aus eigenem Willen (nach privatautonomer Entscheidung) in Märkten tätig werden. Ihre Berechtigung dazu ergibt sich vielmehr aus der gesetzlichen Ermächtigung, hier also § 40 MStV. Diese Vorschrift erlaubt grundsätzlich eine kommerzielle Betätigung im Wettbewerb mit privaten Anbietern, solange sich die der öffentlich-rechtlichen Anstalt zuzurechnenden Gesellschaften marktkonform verhalten, also insbesondere ihre Leistungen im Markt nicht aus Abgabenmitteln refinanzieren. Wettbewerbsrechtlich (auch unionsrechtlich) ist gegen eine Konkurrenz öffentlicher Unternehmen unter Marktbedingungen an sich nichts zu erinnern. Was die Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen „Rund-funkunternehmen“ angeht, ergeben sich allerdings aus dem Vorrang des verfassungsrechtlich vorgezeichneten Funktionsauftrags, also dem eigentlichen Grund der Existenz der Anstalten als Funktionsträger, die schon skizzierten Begrenzungen. Diese Begrenzungen sind mithin weniger Ausdruck eines verfassungsrechtlich oder unionsrechtlich gebotenen Konkurrenzschutzes als des Schutzes der Integrität der spezifischen Funktionseignung des öffentlich-rechtlichen, nichtkommerziellen Rundfunks in seiner Andersartigkeit im Vergleich mit privaten Anbietern.

 

Prof. Dr. Dieter Dörr, ehem. Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Medienrecht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz:

 medienpolitik.net: Warum haben die Länder eine Werbeverbot für Telemedien in den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag aufgenommen?

Dörr: Zunächst haben die Länder mit diesem Werbe- und Sponsoringverbot für alle Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie es nunmehr in § 30 Abs. 5 Satz 1 MStV verankert ist, die Zusagen Deutschlands umgesetzt, die in der Einstellungsentscheidung der Europäischen Kommission vom 24.4.2007 festgeschrieben sind (sog. Brüsseler Beihilfekompromiss). Bei dem Werbeverbot geht es um den Schutz der Finanzierungsquellen der Presse. Ein solches Werbeverbot zum Schutz der Finanzierungsquellen der Presse ist verfassungsrechtlich zulässig. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in der Vierten Rundfunkentscheidung explizit anerkannt, dass der Schutz der Finanzierungsgrundlagen der Presse einen legitimen Zweck darstellen kann, der Eingriffe in die Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu rechtfertigen vermag. Dabei unterscheidet es in der Fünften Rundfunkentscheidung strikt zwischen dem Schutz vor publizistischer Konkurrenz und dem Schutz vor wirtschaftlicher Konkurrenz. Diese Unterscheidung ist nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts geboten, da der Erhalt freien publizistischen Wettbewerbs den Grundgedanken der Gewährleistung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bildet. Gerechtfertigt sind daher jedenfalls Verbote der Werbung, des Sponsorings und von Anzeigen. Demnach ist das in § 30 Abs. 5 Satz 1 MStV bzw. in Nr. 1 der Negativliste verankerte Werbeverbot für alle Telemedienangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks rechtlich unbedenklich.

medienpolitik.net: Sind Podcasts Telemedien?

Dörr: Podcasts sind eindeutig Telemedien. Der Begriff der Telemedien wird in § 2 Abs. 1 Satz 3 MStV in Form einer Negativabgrenzung definiert. Danach muss ein elektronischer Informations- oder Kommunikationsdienst vorliegen, der gerade kein Rundfunk ist. Nur wenn das entsprechende Angebot die Merkmale des Rundfunkbegriffs in § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 MStV nicht erfüllt oder durch § 2 Abs. 3 MStV wieder aus dem Rundfunkbegriff herausgenommen wird, kann es sich um ein Telemedium handeln. Auf Grund dieser Negativabgrenzung stellen in erster Linie die Informations- und Kommunikationsdienste auf Abruf Telemedien dar, da der einfachgesetzliche Rundfunkbegriff ein lineares Angebot voraussetzt. Hinzu kommen Angebote, die nicht entlang eines Sendeplans verbreitet werden, nicht journalistisch-redaktionell gestaltet sind oder keine Bewegtbilder oder Töne enthalten, da dies ebenfalls notwendige Voraussetzungen für einfachgesetzlichen Rundfunk darstellen. Zudem darf es sich nicht um einen Telekommunikationsdienst oder einen telekommunikationsgestützten Dienst handeln. Für die Einordnung als Telekommunikationsdienst ist entscheidend, dass der Dienst ausschließlich oder zumindest überwiegend in der Übertragung von Signalen in das Telekommunikationsnetz besteht. Podcasts erfüllen mangels Linearität nicht die Voraussetzungen des Rundfunkbegriffs und beschränken sich auch nicht auf die Übertragung von Signalen. Sie sind also als Telemedien, regelmäßig sogar als rundfunkähnliche Telemedien im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 13 MStV einzuordnen. 

medienpolitik.net: Inwieweit darf sich in Podcasts der ARD-Anstalten Werbung befinden - sowohl auf den Online-Seiten oder Podcast-Channel der Anstalten als auch auf Drittplattformen wie Spotify?

Dörr: Das Werbeverbot gilt gemäß § 30 Abs. 5 Satz 1 MStV für alle Telemedien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Von diesem umfassenden Werbeverbot sieht die Sonderregelung des § 30 Abs. 6 MStV nur eine Ausnahme vor. Diese Ausnahme setzt voraus, dass für die Verbreitung öffentlich-rechtlicher Telemedienangebote gemäß Absatz 4 Satz 2 Drittplattformen genutzt werden. Sie beruht darauf, dass die Rahmenbedingungen maßgeblich von den kommerziellen Intermediären, also den Betreibern der Drittplattformen, bestimmt werden. In den von den Intermediären betriebenen Plattformen findet daher Werbung und Sponsoring regelmäßig statt. Allerdings würde bei einer großzügigen Ausgestaltung der Ausnahmeregelung die Gefahr drohen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Verbot von Werbung und Sponsoring durch Nutzung von Drittplattformen nahezu vollständig unterlaufen könnte. Daher verlangt die Bestimmung des § 30 Abs. 6 MStV, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bei einer Nutzung von Drittplattformen auf eine Einhaltung des Werbe- und Sponsoringverbots „hinwirken“. Diese Hinwirkungspflicht ist nach dem Wortlaut der Vorschrift darauf ausgerichtet, dass die Intermediäre Werbung und Sponsoring unterlassen, soweit ihre Plattformen von den in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, dem ZDF und dem Deutschlandradio zur Verbreitung ihrer Telemedienangebote genutzt werden. Allerdings obliegt es letztlich der Entscheidung der Intermediäre, ob sie dem Anliegen der öffentlich-rechtlicher Veranstalter Folge leisten, solange der Gesetzgeber ihnen keine diesbezüglichen Pflichten auferlegt. Angesichts der Markt- und Meinungsmacht der Intermediäre fehlen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten effektive Mittel, um ihrem Wunsch auf Einhaltung des Werbe- und Sponsoringverbots Nachdruck zu verleihen. Deshalb ordnet § 30 Abs. 6 Satz 2 MStV an, dass jedenfalls die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio durch die Nutzung der Drittplattformen keine Einnahmen durch Werbung und Sponsoring erzielen dürfen. Damit wird letztlich vom Gesetzgeber hingenommen, dass bei der Nutzung von Drittplattformen zur Verbreitung öffentlich-rechtlicher Telemedien Werbung und Sponsoring durch die Intermediäre stattfindet und diese alleine von den Einnahmen profitieren, auch soweit solche Einnahmen speziell durch die Anwesenheit öffentlich-rechtlicher Inhalte generiert werden.

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