Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
Ein Jahr lang hat die Staatsministerin Claudia Roth die Eckpunkte für eine große Reform der Filmförderung zu Entwürfen für drei Gesetze in ihrem Haus weiterentwickeln lassen. Beifall kommt nur von wenigen. Das Novellierte Filmfördergesetz liegt als Referentenentwurf vor, das heißt, das Bundeskabinett hat dem bisher nicht zugestimmt und die beiden Vorlagen für das Aufkommen der wesentlichen Fördergelder ist sogar nur ein Diskussionsentwurf. Erst morgen soll es dazu ein Gespräch mit dem Bundesfinanzminister und den Ländern geben. Bisher hatte Frau Roth – abgesehen von der 70 Millionen Euro Branchenmitteln der FFA – die Bundesförderung von ca. 330 Millionen Euro aus ihrem Budget bezahlt. Künftig soll der größte Teil aus den Steuereinnahmen der Länder und der Bundesregierung und von deutschen TV-Sendern und internationalen Plattformen stammen. Ob das reicht, ab wann Netflix, Amazon und Co. zur Kasse gebeten werden können, wieviel aus dem Rundfunkbeitrag zugesteuert werden muss und ob die Zuschüsse der privaten Sender für die Länderförderungen angerechnet werden können, ist alles nicht klar.
Aber Claudia Roth macht Ihre Rechnung nicht nur ohne wichtige Auftraggeber für die deutsche Filmwirtschaft, die Sender, sondern auch ohne die EU-Kommission. Das von den Produzenten wiederholt ins Spiel gebrachte „französische Abgabemodell“ von bis zu 25 Prozent des Umsatzes von Streamingplattformen ist in Brüssel als „unverhältnismäßig“ auf Kritik gestoßen. Dass die EU-Kommission auch die deutliche niedrigere Abgabe in Dänemark von sieben Prozent hinterfragt, kann als Signal für ein mögliches Übermaßverbot gesehen werden. In Spanien beträgt die Investitionsabgabe fünf Prozent. Da sowohl das Steuersparmodell als auch die Investitionsabgabe, sollten sie es jemals als Gesetz durch Bundestag und Bundesrat schaffen, auch noch von der EU notifiziert werden müssen, ist die Zukunft der Förderfinanzierung ungewiss.
Die Position Bayerns, als einem der wichtigsten Produktionsstandorte, zu den Finanzierungsvorschlägen der Berliner Kulturstaatsministerin hatte Anfang des Jahres Dr. Florian Herrmann, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei und für die Filmförderung zuständig, auf den Punkt gebracht: „Die Einführung eines steuerlichen Anreizmodells entspricht inzwischen internationalen Standards und würde eine wegweisende Änderung der Fördersystematik in Deutschland darstellen. Ein solches Instrument bietet erhebliches Wachstumspotential für den Produktionsstandort Bayern. Allerdings müssen die zu erwartenden Steuerausfälle von Ländern und Kommunen kompensiert werden. Hinsichtlich der diskutierten Investitionsverpflichtung für Sender und Streaming-Plattformen muss aus meiner Sicht besonderes Augenmerk auf die Bedeutung der TV-Sender gelegt werden. Sie sind ohnehin bereits stark reguliert und unterscheiden sich in ihrer publizistischen Dimension deutlich von internationalen Streamingplattformen. Ihre Beiträge zu den Länderfilmförderungen müssen auf jeden Fall Berücksichtigung finden.“ An dieser Haltung wird sich inzwischen nichts geändert haben. Der Vaunet hat in einem Schreiben an die Staatskanzleichefs der Länder vom 9. Februar 2024 darauf verwiesen, dass eine Investitionsverpflichtung, wie sie jetzt geplant ist, orginäre Kompetenzfelder der Bundesländer berührt, und sie sich deshalb aktiv in das Gesetzgebungsverfahren einbringen müssen.
Die Filmbranche wartet seit Jahren auf die überfällige Reform der Filmförderung. Zweimal wurde das bestehende, nicht mehr zeitgemäße, FFG verlängert. Bevor wieder Hoffnungen geweckt und Illusionen geschürt werden, sollte die künftige Finanzierung geklärt sein. Oder man verschiebt die Reform der Filmförderung lieber erneut um ein Jahr.
Kritik an den drei Papieren kommen auch von der ARD, dem Vaunet und von Verbänden der Filmwirtschaft:
Der Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF KINO e.V.) moniert, dass die angekündigte Berücksichtigung der Gesamtheit der Filmbranche bleibt bei den Vorlagen allerdings ausbleibe – mit fatalen Folgen, nicht nur für den deutschen Kinostandort. Insbesondere eine von allen Verbänden geforderte Stärkung des Investitionswillens der Kinos in Höhe von 112 Millionen Euro finde keinen Ansatz in den Vorlagen der BKM. Die Entwürfe für die Reform seien nach Maßgabe des HDF KINO e.V. in ihrer jetzigen Art unzureichend auf die Bedürfnisse der Kinobetreiber ausgelegt. Zwei Kernforderungen würden gänzlich ignoriert werden. Zum einen die Möglichkeit, mit staatlicher Unterstützung flächendeckend dringend nötigte Investitionen in deutsche Kinostandorte tätigen zu können. Nicht nur, um weiterhin das seit der Pandemie zögerliche Publikum zurückzugewinnen, sondern auch um den Return of Invest aller Branchenakteure zu steigern. Eine stärkere Kinoinvestitionsförderung sei dafür unerlässlich. Ebenso müssten die neuen Fördermodule vorsehen, dass bei Kinoproduktionen eine Exklusivität für den geförderten Kinofilm die Grundlage bilde. In Folge muss eine Klarheit über die Sperrfrist der deutschen Filmproduktionen für Kinos hergestellt werden, damit Kinobetreiber in ihrer wirtschaftlichen Planbarkeit nicht noch weiter eingeschränkt würden. In beiden Punkten bedarf es zwingend einer Nachbesserung. Christine Berg, Vorstandsvorsitzende HDF Kino e.V.: „Bei einem großen Wurf muss die Politik alle Zusammenhänge berücksichtigen. Die Zugkraft des Kinos ist für den wirtschaftlichen Aufschwung des Gesamtmarktes nicht zu ersetzen, ganz abgesehen von der kulturellen und gesellschaftlichen Aufgabe dieser Kulturorte. Wir erwarten, dass im weiteren Prozess die Belange des Kinos und der Auswertung – insbesondere mit Blick auf den Investitionsbedarf sowie das exklusive Auswertungsfenster – stärker berücksichtigt werden, damit die deutschen Kinos weiterhin ein verlässlicher Partner bleiben können.“
Für die AG Verleih sind die Vorschläge für die Reform der Filmförderung „Ein schlechter Tag für den deutschen Kinofilm“. In den vorliegenden Reformplänen sieht der Verleiherverband eine „völlig unangemessene Gewichtsverschiebung in Richtung Streaming und TV. Eine starke Auswertung ist Voraussetzung für den Publikumserfolg deutscher Kinofilme. Verleih und Kino wurden leider nicht entsprechend mitgedacht, sodass wir das erklärte gemeinsame Ziel der acht Branchenverbände, 35 Millionen Zuschauer für den deutschen Film zu begeistern, in der Form nicht erreichen werden. Der vielfach beschworene Satz, die Herausbringung deutscher Kinofilme zu stärken ist verschwunden. Eine nachhaltige Stärkung des Kinofilms und seiner Sichtbarkeit wurde leider verpasst, es fehlt ein überzeugendes Konzept für den Erfolg geförderter Filme an der Kinokasse oder auf Festivals. Der Gesetzentwurf spiegelt Partikularinteressen einzelner Branchenteilnehmer im Gesetzgebungsprozess. So wurde ein Schulterschluss der Branche leider nicht genutzt, um den Verleih im Steueranreizmodell mitzudenken. Es wurde die Chance auf ein innovatives Förderinstrument vergeben, welches eine europaweite Leuchtturmfunktion hätte haben können. Im Sinne des Erfolges des deutschen Kinofilmes hätten wir einen ganzheitlicheren Ansatz gebraucht. Ausdrücklich begrüßen wir die Vereinfachung und den Übergang zu automatischen Förderinstrumenten im Rahmen der vorgestellten Pläne. Wenn die FFA zukünftig auch den kulturell wichtigen Film und dessen Auswertung, bisher im Bereich der BKM, verantwortet, braucht es aber eine entsprechende höhere finanzielle Gesamt-Ausstattung für Verleih einen politischen Rahmen, um den kulturell wertvollen Film innerhalb der FFA fest zu verankern. Eine funktionierende demokratische Gesellschaft braucht die unabhängigen, kulturell und gesellschaftlich wichtigen Filme.“
Nach Ansicht der ARD, einer der größten Auftraggeberinnen der Filmbranche, werden mit der Novelle zum FFG „die Rahmenbedingungen für ein Engagement des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Kinofilm absehbar leider deutlich verschlechtert." Wörtlich heißt es in der ARD-Pressemeldung: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden auftragsbedingt wesentlich weniger Effekte aus der neuen ausschließlich erfolgsbasierten Anreizförderung für das Kino ziehen können und bleiben zudem weiterhin am Ende der Auswertungskette stehen. Für die anvisierte Investitionsverpflichtung werden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dagegen für ihre Mediendienste umfassend und stark regulierend in Anspruch genommen. Damit liegt ein massiver Eingriff in die Rundfunkfreiheit und Programmautonomie der Sender vor, was in Zeiten, in denen die Medienfreiheit angegriffen wird, ein falsches Signal ist. Was derzeit auf dem Tisch liegt, würde den öffentlich-rechtlichen Rundfunk empfindlich treffen - das wäre ein Kollateralschaden der anvisierten Filmförderreform, der nicht gewollt sein kann.“
Auch aus Sicht des Verbandes Privater Medien (Vaunet) wurden die Chancen für eine Stärkung des Filmstandorts Deutschland nicht genutzt. Die Vorschläge seien unausgewogen und lassen wiederholt die Anliegen der privaten Medienanbieter als wesentlichen Teil der Wertschöpfungskette weitgehend unberücksichtigt. Mit den vorgelegten Entwürfen komme die BKM ihrer Verantwortung, einen Interessensausgleich für das Funktionieren der Gesamtbranche zu finden, nicht nach, so der Verband. Auf Sender- und Streaming-Seite bestehe die erhebliche Gefahr einer Vielfaltsgefährdung, wenn Anbieter ihre Investitionen in einem sich entwickelnden, hochintensiven Wettbewerbsmarkt der Abrufangebote nicht mehr wirtschaftlich nachhaltig gestalten könnten. Die Politik sollte diesen Markt durch ein kluges Steueranreizmodell gestalten. Die jetzt geplante Kombination mit einer viel zu hohen Investitionsverpflichtung und unzähligen Subquoten für z. B. Kinofilme, unabhängige Produktionen oder Rechteteilung greife tief in die Angebotshoheit der betroffenen Anbieter ein und wird den Filmstandort Deutschland im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten nicht nach vorne bringen. Eine Investitionslenkung mit mehr Bürokratie und (Über-)Regulierung sei kontraproduktiv und verkennt die Marktrealitäten. Vielmehr sollte die erhebliche Gefahr, gute Ideen eines Anreizmodells durch die Investitionsverpflichtung vollständig abzudämpfen, im weiteren Gesetzgebungsverfahren ausgeräumt werden. Auf zusätzliche, in den Entwürfen vorgesehene Belastungen der Rundfunkanbieter durch Begrenzung des eigenen Finanzierungsanteils an steuerbegünstigten Filmvorhaben oder durch Abschaffung der höchst effektiven Medialeistungen zur Bewerbung von Kinofilmen sollte verzichtet werden.
Sehr kritisch sieht der Bundesverband kommunale Filmarbeit e.V. den Wegfall der Förderung des Kurzfilmabspiels, der die Kommunalen Kinos als diejenigen Kinos, die das Kurzfilmformat insbesondere präsentieren, besonders betrifft. Auch die Streichung der Kinoreferenzförderung werde negativ beurteilt und stehe im Widerspruch zum Vorhaben des Gesetzes, der Förderung und Präsentation des deutschen (und europäischen) Kinofilms. Den Wegfall der Kinokommission zugunsten einer teilautomatischen Förderung bewertet der Verband als Schwächung der Vorhaben kleiner Kinos und filmkultureller Initiativen.