Von Helmut Hartung, Chefredakteur www.medienpolitik.net
ARD und ZDF haben eine Zusammenarbeit vereinbart, die über das bisherige Reform-Klein-Klein hinausgeht, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf die Erfordernisse der digitalen Transformation einstellt und messbare Einsparungen ermöglichen kann. Der Senderverbund und die Mainzer Anstalt wollen ihre Aktivitäten im Streaming-Bereich in einer gemeinsamen selbstständigen Organisationseinheit bündeln. Wie es in Pressemeldung heißt, sollen in dieser Einheit alle wesentlichen technischen Komponenten des sogenannten Streaming Operating System (OS) von ARD und ZDF entwickelt und betrieben werden. Parallele Entwicklungen in den Rundfunkanstalten soll es künftig nicht mehr geben.
Teile des Streaming Operating System von ARD und ZDF sollen Kultureinrichtungen, aber auch Plattformanbieter im In- und Ausland zur Verfügung gestellt werden. So können auch andere Medienanbieter von Know-how und der Technologie der beiden öffentlich-rechtlichen Anbieter profitieren. Das ZDF hat dabei die Federführung für ein gemeinsames Büro und damit entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung und Betrieb der einheitlichen Plattform, denn hier sollen „die Aufgaben und Ressourcen beider Häuser gesteuert und das Projekt nach außen etwa gegenüber potentiellen Partnern“ vertreten werden. Für eine gemeinsame Tochterfirma für den technischen Betrieb, wird die ARD die Federführung haben.
Verständlich, dass die Rundfunkkommission der Länder dieses Vorhaben umgehend begrüßte. Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die Vorsitzende der Rundfunkkommission, bezeichnete diese Entscheidung für ein gemeinsames Streamingsystem als „eine große Chance und einen wichtigen Schritt.“ Die Koordinatorin der Rundfunkkommission, Medienstaatssekretärin Heike Raab ordnete diese Übereinkunft in die Forderungen der Bundesländer und der Öffentlichkeit nach grundsätzlichen Veränderungen ein: „Dass die Rundfunkanstalten in einem gemeinsamen Plattformsystem in einer gemeinsamen Einheit nun viel stärker als bisher zusammenarbeiten, haben wir Länder und auch der von uns eingesetzte Zukunftsrat schon lange gefordert. Auch die jüngsten Beschlüsse der ARD zur verstärkten Zusammenarbeit im Hörfunk, neue Kompetenzcenter und der Plan für eine zentrale ARD-Tech-Unit zeigen, dass der Reformprozess bereits jetzt konkrete Früchte trägt. Wir Länder werden das Tempo und den Druck im Reformprozess hochhalten und das Momentum nutzen. Im Herbst wollen wir mit dem Reformstaatsvertrag ein kraftvolles Paket vorlegen.“
„Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) muss endlich geändert werden.“
ARD und ZDF hatten ihre Pläne für eine Mediathek 2007 auf der Berliner Funkausstellung vorgestellt – natürlich getrennt – und das Streaming-Angebot 2008 gestartet. 17 Jahre lang haben beide beitragsfinanzierten Systeme parallel und weitgehend unabhängig, ihre technischen Systeme entwickelt. Erst 2021 verständigte man sich auf ein „gemeinsames“ Netzwerk, das im vergangenen Jahr startete. Von einem gemeinsamen Operationssystem oder gar einer Organisationseinheit war nicht die Rede. Beide Seiten „verteidigten“ ihre technischen Systeme wie Bollwerke als Bastionen redaktioneller Unabhängigkeit. Erstmals ist jetzt von einer „gemeinsame Plattform-Strategie“ die Rede.
Dieser Gemeinschaftssinn, der noch vor Monaten undenkbar schien, gibt auch Hoffnung für weitere substantielle Reformen und große Sparpotentiale. Dabei ist die gemeinsame Pressemeldung erstaunlich zurückhaltend und sachlich. Hier wo es angebracht wäre, von der „bisher größten Reform“ zu sprechen, ist nur von einem „wegweisenden Schritt“ die Rede. Das ist vernünftig, denn mehr kritische Selbstreflektion der bisherigen ARD-Reformen, würde der Debatte um den Rundfunkbeitrag guttun.
Nach diesen jüngsten Plänen der Anstalten müssen nun die Länder im neuen Reformstaatsvertrag, der im Oktober vorliegen soll, die Voraussetzungen schaffen: Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) muss endlich geändert werden. Seit Jahren wird vom Bundeswirtschaftsministerium gefordert, den privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern mehr Kooperationen zu ermöglichen. Bisher erfolglos. Nun scheint Bewegungen in den Gesetzesprozess zu kommen. Kooperationen der öffentlich-rechtlichen Sender, so die medienpolitische Sprecherin der CDU Christiane Schenderlein und Oliver Schenk, Chef der Sächsischen Staatskanzlei in einem Beitrag für die F.A.Z. vom 4. Mai, stellten einen wesentlichen Pfeiler des Reformprozesses dar. Aufgrund der föderalen Grundstruktur der ARD seien Kooperationen ein notwendiges Mittel, um die gleichmäßige Erfüllung des überaus wichtigen regionalen Funktionsauftrags durch die Landesrundfunkanstalten auch unter den erhöhten Anforderungen unserer Zeit an Wirtschaftlichkeit und Effizienz sicherzustellen. Faire Partnerschaften mit privatwirtschaftlichen und weiteren öffentlich-rechtlichen Anbietern, insbesondere aus Deutschland und Europa, könnten zur gewünschten Medienvielfalt beitragen und dem Gemeinwohl dienen. Auch die CDU fordere in ihrem Bundesvorstandsbeschluss vom Januar eine „Pflicht“ zu Kooperationen, um entsprechend Wirtschaftlichkeitspotentiale zu heben. Eine solche „Pflicht“ soll auch Künftig im Staatsvertrag verankert sein.
Aufgrund bestehender Rechtsunsicherheiten würden Kooperationsprojekte enorm verlangsamt oder oft gar nicht umgesetzt, stellen beide Autoren fest. Das Bundeskartellamt sah in der Vergangenheit Kooperationen zwischen den Rundfunkanstalten und verschiedenen TV-Produktionsunternehmen kritisch an. So bemängelte es u.a. die zu hohen Beteiligungsbarrieren für dritte Anbieter bei einer geplanten gemeinsamen Video-on-Demand (VoD)-Plattform („Germany’s Gold“), die Archivmaterial der letzten Jahrzehnte von ARD, ZDF und privaten Produktionsfirmen gegen Entgelt bereitstellen sollte. Das Projekt wurde nach Prüfung des Bundeskartellamtes 2013 eingestellt.
Im Hinblick auf die anstehende 12. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) fordern Schenderlein und Schenk aufgrund der geänderten Marktsituation die Einführung einer Bereichsausnahme, vergleichbar mit der Regelung für den Presse-Grosso, zu befürworten. „Solche Bereichsausnahmen aus Effizienzgründen sind ein nicht unübliches kartellrechtliches Instrument. Eine Bereichsausnahme sollte jedoch auf Kooperationen sowohl im öffentlich-rechtlichen als auch im privaten Mediensektor anwendbar sein. Dabei ist hervorzuheben, dass der Rundfunk nicht gänzlich vom Anwendungsbereich des Kartellrechts ausgenommen werden soll, sondern lediglich Kooperationen die mit erheblichen Effizienz- und Verbrauchervorteilen verbunden sind. Zudem müssen neue Reformvorhaben der Länder, die eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den regionalen Landesrundfunkanstalten sowie zwischen der ARD und den nationalen Anbietern ZDF und Deutschlandradio zum Ziel haben, kartellrechtlich flankiert werden. Es gilt die gesamte Flexibilität, die das Kartellrecht bietet, zu nutzen. Ziel ist ein größtes Maß an Handlungs- und Rechtssicherheit für die Rundfunkanstalten zu schaffen“, so die beiden Medienpolitiker.