Ein neuer Kompass für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

10. Juli 2023
Florian Kumb, ZDF
Florian Kumb, ZDF
Transparenz als ein Schlüssel für gesellschaftliche Akzeptanz

Von Dr. Florian Kumb, Zweites Deutsches Fernsehen

Der Erhalt einer breiten gesellschaftlichen Verankerung ist die zentrale Aufgabe zur Zukunftssicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In der wichtigen aktuellen Debatte stehen dabei Strukturen und Governance im Fokus. Zu wenig Augenmerk liegt auf den Fragen zu Rolle und Leistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für unsere demokratische Öffentlichkeit. Der nachfolgende Beitrag soll daher aufzeigen, wie das ZDF sein Programmangebot für die Bürgerinnen und Bürger mit dem neu entwickelten ZDF Kompass ganzheitlicher evaluieren und die Ergebnisse der Gesellschaft gegenüber umfangreicher als bislang transparent machen will.

Das ZDF hat als nationale mediale Kraft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in unserer komplexen Gesellschaft die Verantwortung die verschiedenen Gruppen der Bevölkerung zu informieren, die aktuelle Lage einzuordnen, Hintergründe zu liefern, Themen in den Fokus des Diskurses zu rücken, gesellschaftliche wie kulturelle Ereignisse abzubilden und gemeinschaftliche Erlebnisse zu schaffen, ebenso für Unterhaltung und Entspannung zu sorgen. Die Rundfunkfreiheit, eine Bestands- und Entwicklungsgarantie, der Rundfunkbeitrag als wichtigste Finanzierungsquelle, festgelegt von einer unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs, sind die wesentlichen Grundlagen, um diese Aufgabe erfüllen zu können.

Wir wollen zur Erfüllung dieses Auftrags Qualitätsinhalte anbieten. Alle Menschen in Deutschland mit Informationen und Programmen aus den Bereichen Bildung, Beratung, Kultur und Unterhaltung versorgen. Ein ZDF für alle sein. Über verschiedene Kanäle und Plattformen Zugänge anbieten, weil die Menschen Medieninhalte ganz individuell nach ihren jeweiligen Interessen und Bedürfnissen nutzen. Dabei weiß jeder, dass die Arbeit eines öffentlich-rechtlichen Anbieters – wie dem ZDF – seit jeher emotionales Potential aufweist. Jeder kann und soll sich zu unserem Angebot äußern und eine Bewertung unserer Leistung abgeben. Zugleich suchen wir nach Möglichkeiten der Objektivierung, nach transparenten Maßstäben, an denen wir uns selbst systematisch messen können. Dafür haben wir den ZDF Kompass entwickelt. Eine Navigationshilfe dem Wortsinn nach, die sowohl für Redaktionen, Führungskräfte als auch Aufsichtsgremien – vereinfacht gesagt – bei der Beantwortung der Frage hilft: Erfüllen wir die in uns gesetzten Erwartungen?

Um zu überprüfen, ob das Angebot des ZDF seinem Qualitätsanspruch gerecht wird, definieren wir mit dem ZDF Kompass zeitgemäße Qualitätsmerkmale, versehen sie mit Zielen, messen und werten aus. Dies tun wir zum einen, um unsere Arbeit in den Redaktionen bestmöglich am heutigen Auftrag und den aktuellen Bedürfnissen der Nutzenden auszurichten und zum anderen, um mit den Aufsichtsgremien einen regelmäßigen Dialog über die inhaltliche Arbeit des ZDF zu führen. Und nicht zuletzt soll eine solche Bewertung des Programms allen Beitragszahlenden zeigen, dass der Anteil des ZDF am Rundfunkbeitrag effizient eingesetzt wird und sich in einem ausgewiesenen Qualitätsangebot niederschlägt. Wir wollen durch messbare Leistung hohe Akzeptanz in der Gesellschaft sicherstellen.

Verschiedene Perspektiven und Dimensionen von Qualität

Qualität hat viele Perspektiven. Im Falle eines öffentlich-rechtlichen Senders wie dem ZDF zunächst die des Auftraggebers, also der demokratisch gewählten Länderparlamente. Sie formulieren die Ansprüche der Gesellschaft als Rahmen, an dem sich das Programm orientieren muss. Dazu kommt die Perspektive des Senders und damit seiner Journalistinnen und Journalisten sowie den Kreativschaffenden, die täglich ihren professionellen Ansprüchen verpflichtet sind. Außerdem die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger, die das Programm nach ihren persönlichen Erwartungen ganz unterschiedlich bewerten. Und schließlich die des Medienmarktes, der sich in einem ständigen, schnellen Wandel befindet und eigene Standards bei Produktionswert, Zielgruppenansprache und Dramaturgie auf den verschiedenen Ausspielplattformen setzt.

Glaubwürdigkeit ist in jedem Fall die Grundlage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, für seine Rolle in der Demokratie, für seine Aufgabe die Menschen nicht nur über alle wichtigen Ereignisse und Entwicklungen zu informieren, sondern dies unabhängig von der politischen Führung und anderen Machtinstanzen im Land zu tun. Deshalb gilt es hier, journalistische Qualität und Verlässlichkeit durch maximale Transparenz, Kommunikation und Aufklärung sichtbar zu machen, Vertrauen immer wieder im Dialog mit den Zuschauenden neu zu erarbeiten und zu erhalten. Und in Befragungen zu überprüfen, ob diese Qualität dauerhaft anerkannt wird. Ein weiteres übergeordnetes Qualitätsmerkmal ist die Stärkung der Gemeinschaft in der Demokratie. Das Programm soll bei den Bürgerinnen und Bürgern Empathie und Verständnis für ihre Mitmenschen schaffen und zum Miteinander beitragen. Ob dies gelingt, kann aus Umfragen dazu abgeleitet werden, ob sich die Meinungsvielfalt und die Vielfalt der Lebenswelten im Programm wiederfindet; und durch Auswertungen, ob sich die gesellschaftliche Vielfalt auch in den Menschen spiegelt, die das Programm herstellen. Maximale Zugänglichkeit zum Programm durch Barrierefreiheit gehört sicherlich auch dazu, ebenso wie die Verwurzelung in der Gesellschaft durch Kooperationen mit anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen und dem Dialog mit seinen Nutzenden. Hierfür wird im ZDF derzeit ein nationales Zuschauerpanel für den ZDF Kompass etabliert, das einen regelmäßigen Austausch der Programmmacher mit der Bevölkerung ermöglicht.

Herausforderungen bei der Messung

Maßstäbe und Messung sind dabei mit Herausforderungen konfrontiert, die es zu beachten gilt: Die Gesellschaft und die Mediennutzungsgewohnheiten ändern sich heute stärker und schneller als in früheren Zeiten. Dies verändert auch die Maßstäbe der Erwartungshaltung an uns. Die Einführung einer systematischen Messung birgt zudem die Gefahr, dass sie die Leistungserstellung selbst beeinflusst und sie zu eng auf die Erfüllung der messbaren Indikatoren ausrichtet. Mögliche negative Auswirkungen zu hoher Quantifizierungsbemühungen, müssen beachtet werden. Prinzipien wie die ziel- und ergebnisorientierte Steuerung des New Public Management sollen mit der Einführung des ZDF Kompass ausgebaut werden, ohne jedoch die Besonderheiten journalistischer wie kreativer Tätigkeiten außer Acht zu lassen.

Die vier Ebenen der Überprüfung des ZDF-Angebots

Der entwickelte ZDF Kompass verfügt über vier Ebenen zur regelmäßigen Leistungsprüfung des ZDF-Angebots:

Die Nutzung der ZDF-Inhalte auf allen eigenen Distributionswegen sowie auf Social Media Plattformen befindet sich auf Ebene 1des Steuerungsinstruments, da ein regelmäßiger Konsum von ZDF-Inhalten die beste Form darstellt, um eine hohe Akzeptanz unserer Leistungen in der gesamten Bevölkerung sicherzustellen. Die Evaluation der Nutzung erfolgt künftig plattformübergreifend und verbindet die Daten der TV-Sender mit der ZDFmediathek sowie mit Social Media Plattformen, die das ZDF zur Distribution eigener Inhalte nutzt, um auch dort seinen Auftrag zu erfüllen, beispielsweise durch vertrauenswürdige Informationsinhalte in einem Umfeld interessengeleiteter Angebote.

Die Überprüfung der formalen Qualität der ZDF-Angebote entspricht Ebene 2 des Steuerungsinstruments, um die Einhaltung besonderer öffentlich-rechtlicher Qualitätsansprüche sicherzustellen. Die Gefahr der Subjektivität in der Qualitätseinschätzung wird dabei durch die Festlegung klar definierter und quantifizierbarer Messgrößen vermieden.  Auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse der Medienforschung wurden sieben Bewertungsdimensionen als relevant für die effektive Qualitätsmessung identifiziert. Diese sind die gesellschaftliche Relevanz des ZDF-Angebots, messbar beispielsweise in Form von Resonanz in anderen Medien oder durch den Erhalt von Preisen und Auszeichnungen, die Vielfalt der Inhalte, Meinungen und Darstellungsformen, die Zugänglichkeit des ZDF-Angebots, auch durch entsprechende Algorithmen im Digitalen, die Wirkung des ZDF auf die positive Entwicklung der Medienbranche, die Glaubwürdigkeit des ZDF sowie Kompetenzzuschreibungen und Programmbewertungen durch das Publikum.

Hohe Nutzung und hohe Qualität sollen zu einer entsprechenden Wirkung beitragen, der Ebene 3 des Steuerungsinstruments. Die wahrgenommene Wirkung auf unseren Auftrag in den Dimensionen Kultur, Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung steht hierbei im Fokus. Haben die Angebote eine positive Wirkung, werden die Menschen in Deutschland bestätigen, dass wir als ZDF unseren öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllen. Um dies zu überprüfen, müssen die juristischen Formulierungen aus dem Staatsvertrag für das Publikum übersetzt werden. So ist der Kulturauftrag des ZDF viel zu abstrakt, um dem Publikum eine Einschätzung abzuverlangen. Stattdessen fragt das ZDF danach, ob die Menschen zustimmen, dass wir das „kulturelle Leben in Deutschland zeigen, wie es ist“. Die Zustimmung zu Aussagen wie „Das ZDF hilft mir dabei, die Welt um mich herum besser zu verstehen“ überprüfen den Informationsauftrag. „Das ZDF hilft mir, abzuschalten und auf andere Gedanken zu kommen“ gibt Hinweise auf den Unterhaltungsauftrag.

Die Akzeptanz des ZDF als öffentlich-rechtlicher Medienanbieter basiert auf dem wahrgenommenen persönlichen sowie gesellschaftlichen Wert des ZDF, der im Zentrum der Ebene 4 steht. Die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks basiert auf der nutzenstiftenden Wirkung für jeden Einzelnen sowie für die Gesellschaft als Ganzes. Fragestellungen, ob sich das ZDF in den Augen des Publikums von kommerziellen Medienanbietern unterscheidet oder ob die Zeit, die eine Nutzerin mit dem ZDF verbracht hat, gut investiert war, werden hier eingesetzt. Und schlussendlich bildet auch die Finanzierung über den Rundfunkbeitrag eine Dimension der Akzeptanz, die eingeschlossen ist. Die Antworten auf die Frage, ob die Menschen bereit sind, den monatlichen Anteil des Rundfunkbeitrags in Höhe von 4,69 Euro für das ZDF und sein Programmangebot zu bezahlen, geben einen wichtigen Hinweis auf die Akzeptanz in der Bevölkerung.

So ergibt sich in der Gesamtschau aus Nutzung, Qualität, Wirkung und Akzeptanz eine Art „Blutbild“, das aus verschiedenen Werten besteht und dadurch Auskunft über die Leistungserfüllung geben kann. Die Wechselwirkung der verschiedenen Ebenen ist dabei einfach zu beschreiben: Ohne hinreichende Nutzung keine nachhaltige positive Wirkung des ZDF-Angebots. Ohne differenzierende Qualität keine Abgrenzung von kommerziellen Angeboten. Ohne intensivierte Wirkungsforschung ist der Wert für die Gesellschaft und die Einzelnen nicht zu erfassen und damit die Frage nach der Akzeptanz nicht zu klären. Mit dem ZDF Kompass und seinen vier Ebenen soll ein Beitrag zur Transparenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seinen unterschiedlichen Facetten geleistet werden. Eine Grundlage für Debatten über unsere Rolle und unseren Beitrag für die demokratische Öffentlichkeit, die dringend mehr Aufmerksamkeit in der aktuellen Diskussion bekommen sollte.

Dr. Florian Kumb ist Leiter der ZDF-Hauptabteilung Programmplanung. Die Hauptabteilung Programmplanung des ZDF umfasst Programmstrategie und -portfolio, Medienforschung, internationale Programmbeobachtung, Programm-IT, Programmwirtschaft, Produktionsplanung, Sendeleitung sowie die Planungsredaktion für das ZDF-Hauptprogramm und die Planungskoordination für die Programmfamilie aller Ausspielwege des ZDF.

 

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