Es geht weiter

10. Mai 2023
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Das nächste Aus für eine gedruckte Regionalzeitung in einem Landkreis

Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

Es geht weiter. Der Landkreis Greiz in Thüringen bleibt nicht die einzige Region, in der keine gedruckte Tageszeitung mehr erscheint. Gestern teilte die Madsack Mediengruppe mit, dass „Der Prignitz-Kurier“ am 30. September 2023 zum letzten haptisch seine Leser erreicht. Das Medienhaus mit Sitz in Hannover begründet diesen Schritt damit, dass die gedruckte Lokalausgabe der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“, der „Prignitz Kurier“ (rund 2.800 Abonnements), „schon längst nicht mehr kostendeckend zugestellt werden kann. Die Region Prignitz im Nordwesten Brandenburgs gehöre zu den am dünnsten besiedelten Gebieten Deutschlands. Insgesamt nur rund 76.000 Einwohnerinnen und Einwohner lebten auf einer Fläche, die mehr als zweimal so groß sei wie Berlin. Die bei der Zustellung der gedruckten Lokalausgabe zurückzulegenden Wegstrecken seien weit und damit kostenintensiver als in dicht besiedelten Räumen. Im Umkreis von Greiz sind es 300 Abonnenten der „Ostthüringer Zeitung“, im Landkreis Prignitz – auf halbem Weg zwischen Berlin und Hamburg – sind es 2.800 Leser der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ die nur noch auf digitalem Weg informiert werden können.

Madsack bezeichnet die Einstellung der gedruckten Tageszeitung sehr euphemistisch als „innovativen Schritt auf dem Weg zur Digitalisierung regionaler und lokaler Medien“. Mit dem Modellprojekt für Lokaljournalismus im Landkreis Prignitz hätte die Mediengruppe gemeinsam mit Leserinnen und Lesern sowie Multiplikatoren vor Ort in einem mehrmonatigen Austausch digitale Produkte und Lösungen entwickelt, mit denen qualitativ hochwertiger und relevanter Lokaljournalismus auch in dünn besiedelten ländlichen Regionen eine langfristige Zukunft haben solle. Madsack investiere dabei auf Basis der Digitalpublishing-Plattform RND One-Platform nicht nur in neue digitaljournalistische Produkte, sondern zusätzlich in eine neu aufgestellte Prignitz-Redaktion, die sich mehr denn je auf die Themen vor Ort fokussiert, welche für die Einwohnerinnen und Einwohner in Perleberg, Wittenberge und Pritzwalk relevant und wichtig seien. Der Prignitz-Kurier solle sich zum beispielgebenden Zukunftsmodell auch für andere Regionen Deutschlands entwickeln.

Doch ob dieses Modell klappt, ist nicht sicher und auch der Wunsch mit Innovationen beispielgebend zu sein, ist nicht der Grund für diese Entscheidung des großen Medienhauses. Thomas Düffert, Vorsitzender der Konzerngeschäftsführung der Madsack-Mediengruppe bringt das Problem auf den Punkt: „Wir haben auch infolge der mehrfachen Mindestlohnerhöhung aus 2022 nun aber nicht nur in der Prignitz, sondern auch in anderen ländlichen Regionen in ganz Deutschland den Punkt erreicht, an dem die Zustellung der gedruckten Zeitung wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist. Eine weitere Quersubventionierung der immer teureren Zustellinfrastruktur müssten wir mehr und mehr zu Lasten der journalistischen Qualität finanzieren. Das ist für uns ausgeschlossen. Wir setzen daher nun aktiv auf ein rein digitales Geschäftsmodell für Lokaljournalismus. Madsack zieht sich journalistisch nicht zurück, ganz im Gegenteil, wir bauen den Lokaljournalismus mit neuen Produkten mit voller Kraft genau in diesen Regionen digital aus“.

Auch die Funke Mediengruppe, bei der die „Ostthüringer Zeitung“ erscheint, bezeichnet die Einstellung ihrer gedruckten lokalen Zeitung leicht beschönigend als „Modellprojekt“. In einem Gespräch mit medienpolitik.net sagte Michael Tallai, Geschäftsführer von Funke Medien in Thüringen, dass mit dem Modellprojekt ermittelt werden solle, wie die Leser reagierten, wenn sie keine Alternative zum digitalen Bezug hätten. Man möchte wissen, wie viele der bisherigen Abonnentinnen und Abonnenten sich für die digitalen Angebote entscheiden und unter welchen Bedingungen. Dafür betreibe Funke einen großen Aufwand, mit Schulungen, einem Callcenter für Hilfestellungen und kostenlosen Tablets. Zudem seien Partner in der Region angesprochen worden, die ebenfalls ein Interesse hätten, dass Kunden digital aktiver werden.

Allerdings gehören die Leser gedruckter regionaler Zeitungen im ländlichen Raum zumeist nicht zu den Heavy Usern, sondern ähneln in ihrer Altersstruktur mehr den linearen Zuschauern von ARD und ZDF. Doch während die öffentlichen Sender bei ihrer Transformation auf die Beiträge der Bürger von jährlich gegenwärtig 10 Milliarden Euro zurückgreifen können und jetzt wohl auch einen sogenannten Mehrbedarf für die technische Infrastruktur angemeldet haben, müssen die Zeitungsverlage diese Kosten aus den Vertriebseinnahmen und der Werbung schultern. Im Jahr 2021 waren rund 27,2 Prozent der Zeitungsleser 70 Jahre und älter. Als Zeitungsleser gelten Personen, die zum Zeitpunkt der Erhebung angegeben haben, mehrmals in der Woche Zeitung(en) zu lesen. In der Bevölkerung waren es rund 17,4 Prozent. Zudem machen sich die gestiegenen Lebenshaltungskosten gerade auch in dieser Altersgruppe besonders bemerkbar.

„Die Bundesregierung nimmt hier anscheinend einen Kollateralschaden in der Medienlandschaft in Kauf, um einen weiteren Streit innerhalb des Dreierbündnisses zu vermeiden.“

„Die gedruckte Zeitung als abgeschlossenes Medium und Verbindung zur Welt ist für viele Menschen, insbesondere Ältere, noch immer ein wahnsinnig wichtiges Medium. Und sie haben ein Recht, Informationen so zu beziehen, wie sie dies wünschen“, sagte Sigrun Albert, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), auf den Medientagen Mitteldeutschland am 3. Mai in Leipzig. Es gelte deshalb, die Versorgung gerade der ländlichen Gebiete mit dem gedruckten Zeitungsabo sicherzustellen und dies wirtschaftlich trotz der enormen Kostensteigerungen bei der Zeitungslogistik auch weiterhin zu stemmen.

Michael Tallai geht davon aus, dass den sogenannten Modellversuchen in den Landkreisen Greiz und Prignitz weitere folgen werden und nicht nur im Osten: „Die Zustellkosten haben sich inzwischen so erhöht, dass wir mit den Abos in den Städten diejenigen in den ländlichen Gebieten subventionieren. Ich weiß, dass sich auch andere Verlage mit zum großen Teil ländlich strukturierten Verbreitungsgebieten mit ähnlichen Überlegungen tragen. Wir waren jetzt die ersten, die das öffentlich gemacht haben. Es liegen inzwischen mehrere Anfragen anderer Verlage über unsere Beweggründe und Erfahrungen vor.“

Diese negative Entwicklung vor Augen, fordern die regionalen Zeitungsverlage und auch die Bundesländer deshalb seit Jahren eine Förderung für die Zustellung der gedruckten Zeitung, wie sie in anderen europäischen Ländern Alltag ist. Doch in der jetzigen Bundesregierung ist nicht einmal die Zuständigkeit für diese drängende Frage geklärt.

„Mit ihrer Untätigkeit gefährde die Bundesregierung nicht nur die bundesweit einmalige Pressevielfalt in Bayern, sondern letztlich auch eine Säule der Demokratie“, sagte in der vergangenen Woche Andreas Scherer, Erster Vorsitzender des Bayerischen Verlegerverbandes (VBZV), „Zeitungen“, so Scherer, „sind für eine demokratisch verfasste Gesellschaft systemrelevant. Deshalb müssen sie auch allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen, vor allem im ländlichen Raum. Weiße Flecken im Zeitungsvertrieb werden zu weißen Flecken in unserer Demokratie.“ Der VBZV-Vorsitzende nahm die Regierungskoalition in die Pflicht, die in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich vereinbart hat, die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen zu gewährleisten und entsprechende Fördermöglichkeiten zu prüfen. Bundeskanzler Scholz habe dieses Versprechen im letzten Sommer bei einer Verlegertagung erneuert.

Auch der SPD-Medienpolitiker Helge Lindh hatte sich bei den Mitteldeutschen Medientagen für eine Zustellförderung der lokalen Tageszeitungen stark gemachte „Es gibt nun mal Menschen, die sich nicht umerziehen lassen und die weiterhin ihre Informationen über die gedruckte Lokalzeitung beziehen wollen. Daher müssen wir für eine gewisse Übergangszeit ihre Versorgung mit lokaler Berichterstattung sicherstellen. Das sehe ich auch als Aufgabe der Politik“, erläuterte Lindh.

Bereits vor drei Jahren hat das Beratungsunternehmen Schickler davor gewarnt, dass bis zum Jahr 2025 die Anzahl der zustellgefährdeten Gemeinden in Deutschland ungefähr 40 Prozent aller Gemeinden betragen könnte. In diesen 4.396 Orten leben in Deutschland derzeit über 4,3 Mio. Einwohner, die von einer Zustellung mit der gedruckten Tageszeitung ausgeschlossen werden könnten. In Greiz und der Prignitz beginnt sich die Prognose jetzt zu bewahrheiten, allerdings schneller als befürchtet. Es ist höchste Zeit für die Ampelkoalition zu handeln, um den Schaden für die Demokratie wenigstens noch zu begrenzen. Bekanntlich sehen die Grünen eine Zustellförderung skeptisch. Deshalb nimmt die Regierung hier anscheinend einen Kollateralschaden in der Medienlandschaft in Kauf, um einen weiteren Streit innerhalb des Dreierbündnisses zu vermeiden.

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