Filmstandort Deutschland: Retten, was noch zu retten ist

12. November 2024
Achim Rohnke, Geschäftsführer, Verband technischer Betriebe Film und Fernsehen (VTFF)
Achim Rohnke, Geschäftsführer, Verband technischer Betriebe Film und Fernsehen (VTFF)
Trotz Minderheitsregierung und Wahlkampf muss die Politik die Reform der Film- und TV-Förderung vollenden – jetzt

Von Achim Rohnke, Geschäftsführer, Verband technischer Betriebe Film und Fernsehen (VTFF)

Mit dem Ende der Ampelkoalition stecken viele Gesetzesvorhaben im parlamentarischen Getriebe fest. Hat das zu einer Minderheitsregierung geschrumpfte Kabinett Scholz noch die Kraft, Gesetze durchs Parlament zu bringen? Die Wirtschaft steckt in einer Situation, die ihr am wenigsten behagt. Unsicherheit. Mangelnde Perspektiven. Fehlende Rahmenbedingungen, die unternehmerisches Handeln verhindern. Dies gilt auch und gerade für die deutsche Film- und Fernsehwirtschaft. In eben der Reform dieser Industrie bündelt sich wie in einem Brennglas, was man gemeinhin Politikversagen nennt.

Nach mehr als zwei Jahren eifriger Arbeit an der Neuaufstellung der Branche stehen Politik und Film- und TV-Schaffende nicht vor einem vollendeten Reformwerk, sondern vor einem Gesetzestorso. Wenn bis Ende dieses Jahres nicht ein kleines (parlamentarisches) Wunder passiert, rauscht die Film- und Fernsehbranche in ein Volldesaster hinein: Insolvenzen, Arbeitsplatzabbau, beschleunigter wirtschaftlicher Niedergang.

Die Reform der Filmförderung beruht auf drei Säulen: dem Filmförderungsgesetz (FFG), einer Investitionsverpflichtung für Sender und Streamingdiensten sowie einem Steueranreizmodell (Tax Incentives). Das FFG wurde vom Kulturausschuss des Bundestages just ein paar Stunden, bevor die Ampelregierung Geschichte war, verabschiedet. Die für das gesamte Reformwerk Verantwortliche, die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM), Claudia Roth, glänzte bei dieser entscheidenden Sitzung durch Abwesenheit. Ob das Gesetz, das zum 1. Januar 2025 in Kraft treten soll, noch vom Bundestag beschlossen wird, ist angesichts des aktuellen Schwebezustands der deutschen Politik höchst ungewiss. Im Notfall muss das alte FFG zum zweiten Male in die Verlängerung.  Noch düsterer sieht es für die Investitionsverpflichtung und das steuerliche Anreizmodell aus. Zwei Jahre nach schwer hin und her rollender Reformdiskussion, vollmundigen Ankündigungen und kunstvollen Rückziehern von Claudia Roth, Brandbriefen, flammenden Appellen und Notrufen von Filmschaffenden, Produzenten und den technisch-kreativen Dienstleistern der Branche, haben diese wichtigen Reformvorhaben noch nicht einmal den Aggregatzustand einer Kabinettsvorlage erreicht.

„Angesichts der gebrochenen Reformversprechen präsentiert sich das anstehende Produktionsjahr 2025 für die technisch-kreativen Unternehmen nicht als Verheißung, sondern als Blick in den Abgrund.“

Vor allem das steuerliche Anreizmodell ist für die Dienstleister der Film- und TV-Branche, die Studios, die Postproduktioner für Bild und Ton, Visual-Effects-Spezialisten, und Verleihunternehmen (Rentals) existentiell. Kurz gesagt geht es bei dem Modell darum, die Förderung eines Films oder einer Hochglanz-Serie nicht mehr als Subvention aus dem Bundeshaushalt zu unterstützen, sondern als Förderzulage aus den Einnahmen der Einkommens- bzw. Körperschaftsteuer. Gewährt würde sie als ein nicht gedeckelter Anspruch auf eine Steuervergütung. Ausgezahlt würde sie auf der Grundlage eines Bescheids des Finanzamts. Über 120 Länder weltweit verfügen über attraktive steuerliche Anreizmodelle, den Filmproduktion ist ein Hochrisikogeschäft. In Großbritannien und Österreich, um nur zwei herausragende Beispiele aus der Nachbarschaft zu nennen, können Sender und Produzenten Steuernachlässe geltend machen, von denen man am Filmstandort Deutschland nur träumen kann – beide Filmländer prosperieren prächtig. Allein in Österreich sind in wenigen Monaten 8000 neue Arbeitsplätze entstanden. Um Deutschland macht der Strom der (internationalen) Film- und TV-Produktionen indes einen großen Bogen und fließt dorthin, wo attraktive Förderungen winken. Auch die aus Beitragstöpfen gefütterten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten drehen Film um Film im Ausland. Der Filmstandort Deutschland ist international trotz hervorragender Infrastruktur und bestens ausgebildetem Fachpersonal einfach nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Folge für die technisch-kreativen Dienstleister: leere Studios, leere Auftragsbücher. Keine Investitionen in grüne Filmtechnik, in Digitalisierung und in von künstlicher Intelligenz getriebene Produktionsprozesse. Stillstand, schlimmer noch, Regression: Abbau von Arbeitsplätzen und Produktionskapazitäten, Abfluss von Know-how ins Ausland.

Die vom Verband technischer Betriebe für Film und Fernsehen (VTFF), regelmäßig durchgeführten Mitgliederbefragungen zeigen katastrophale Ergebnisse: Viele Unternehmen kämpfen um die nackte Existenz, die ersten rutschen in die Insolvenz. Angesichts der gebrochenen Reformversprechen präsentiert sich das anstehende Produktionsjahr 2025 für die technisch-kreativen Unternehmen nicht als Verheißung, sondern als Blick in den Abgrund.

Deshalb muss die Politik jetzt im Sprint erledigen, was auf der Langstrecke offenbar nicht zu schaffen war. Für parteipolitische Scharmützel, um den Bundespräsidenten zu zitieren, ist jetzt keine Zeit mehr. Die drei Säulen der Reform der Filmwirtschaft, speziell das steuerlicher Anreizsystem, müssen noch vor dem neuen Jahr Gesetz werden! Darüber sind sich alle Experten und Branchenverbände einig, sowie – über fast alle Parteigrenzen hinweg – die zuständigen Kulturpolitiker. Deshalb muss sich trotz Minderheitsregierung und anstehendem Wahlkampf jenseits von Parteipolitik und Fraktionszwang eine große Koalition der Sachpolitiker zusammenfinden, die das Reformwerk noch in diesem Jahr vollendet. Damit würde die Politik dem Film- und Fernsehproduktionsland Deutschland das eröffnen, was es am dringendsten braucht: Wettbewerbsfähigkeit, Spielräume für unternehmerisches Gestalten. Eine Zukunft!

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