„Für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sein Publikum ernstnimmt“

13. März 2024
Bündnis 90/Die Grünen fassen Beschluss zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Der Bundesvorstand von Bündnis 90 /Die Grünen hat Reformvorschläge für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschlossen. Auf der einen Seite müsse er den Wandel von linearer zu non-linearer Nutzung bewältigen, heiß es in dem Papier. Auf der anderen Seite zeigten die berechtigte Empörung über Skandale wie beim RBB, aber auch Debatten über Intendanten- und Moderatorengehälter, dass das Publikum hohe Ansprüche an seinen Rundfunk stelle und ein transparentes und verantwortungsvolles Wirtschaften erwarte. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei Bestandteil der demokratischen Grundordnung und ein Garant für Qualitätsjournalismus jenseits vom kommerziellen Druck, wird in dem Papier formuliert. Die Grünen setzten sich unter anderem dafür ein, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag an die Herausforderungen unserer Zeit angepasst werde, die Gesellschaft in ihrer Breite erreicht und auch Räume für politischen Debatten auf allen Kanälen umfasse, die Verwaltungsstrukturen effizient gestaltet und gute Arbeitsbedingungen gesichert werden und die Debatte um die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks versachlicht werde. Hier der Wortlaut des Beschlusses:

Beschluss des Bundesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen - Reformvorschläge für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk:

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk prägt unsere Gesellschaft und unsere demokratische Öffentlichkeit. Dem Gemeinwohl verpflichtet und zugleich staatsfern, produziert er vielfältige Angebote aus Information, Bildung, Beratung, Kultur und Unterhaltung. Seine regional verankerten, hochwertigen journalistischen Angebote sind wesentliche Grundlage für die Meinungsbildung, die offene Debatte und die kulturelle Bereicherung in einer demokratischen Gesellschaft. Sie tragen maßgeblich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Damit ist er eine tragende Säule unserer Demokratie. Angesichts der Transformation unserer Medienrealität ist er gerade im Begriff, sich neu zu erfinden. Der Umstieg von der linearen Ausstrahlung hin zu digitalen Medienplattformen ist in vollem Gange. Das ist eine Konsequenz des tiefgreifenden Wandels der Rezeption ebenso wie der Produktion und Distribution von Medienangeboten. Im Zentrum dieses Wandels stehen global operierende Plattformen, die als Gatekeeper mit der Logik von Algorithmen und Marktanteilen agieren und auf diese Weise bestimmen, wer welche Informationen wie angezeigt bekommt. In dieser digitalen Medienwelt, in der die Menge an medialen Angeboten rapide zunimmt und Desinformation immer weiter Raum greift, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland deshalb ein Glücksfall. Die öffentlich-rechtlichen Angebote sind für viele ein Fixpunkt und Orientierungsanker. In repräsentativen Umfragen zur Glaubwürdigkeit der Berichterstattung nimmt der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach wie vor unangefochten die Spitzenposition ein. Die „Tagesschau“ ist die populärste Nachrichtenmarke im Fernsehen und in sozialen Medien – auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Denn der Bedarf an sachlicher Einordnung und die Nachfrage nach Qualitätsjournalismus sind größer denn je – in allen Teilen der Bevölkerung. Gleichzeitig steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk europaweit unter wachsendem Rechtfertigungsdruck. Auch in Deutschland ist die Debatte um den Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio und deren Finanzierung von einer zunehmenden Polarisierung geprägt. Gerade die Entwicklung des Rundfunkbeitrags wird dabei immer mehr politisiert. Dabei vermischt sich das ehrliche Anliegen eines effizienten Mitteleinsatzes allzu oft mit dem politischen Anliegen, den öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus zu beschneiden. Diese Debatte findet vor dem Hintergrund statt, dass die Aufgaben, aber auch die Erwartungen an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewachsen sind. Auf der einen Seite müssen sie den Wandel von linearer zu non-linearer Nutzung bewältigen, der in der Übergangszeit aufwändige Doppelstrukturen mit sich bringt. Auf der anderen Seite zeigt die berechtigte Empörung über Skandale wie beim RBB, aber auch Debatten über Intendanten- und Moderatorengehälter, dass das Publikum hohe Ansprüche an seinen Rundfunk stellt und ein transparentes und verantwortungsvolles Wirtschaften erwartet. Um ihre zentrale Stellung in der öffentlichen Debatte beizubehalten, müssen die Sender diese Ansprüche erfüllen und ihre Standards in die neue, digital geprägte Medienwelt überführen. Die Länder haben als Mediengesetzgeber die Notwendigkeiten erkannt, auf diese Herausforderungen zu antworten, und wichtige Reformschritte eingeleitet. Die neu geschaffenen Flexibilisierungsregelungen im Dritten Medienänderungsstaatsvertrag (MäStV) schärfen das öffentlich-rechtliche Angebotsprofil und eröffnen den Anstalten die Möglichkeit, schneller auf veränderte Nutzungsgewohnheiten zu reagieren und Angebote aus der linearen in die non-lineare Verbreitung zu überführen. Der 4. MäStV schafft erstmals einheitliche gesetzliche Vorgaben zu Compliance und Transparenz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Rundfunkanstalten haben selbst viele Anstrengungen unternommen, um die digitale Transformation innerhalb des Auftrags und des verfügbaren finanziellen Rahmens zu meistern – wie koordinierte Beschaffungssysteme, aber auch die neu geplanten Kompetenzcluster sowie die Produktion gemeinsamer Sendestrecken für den Hörfunk. Diese Schritte weisen in die richtige Richtung, reichen aber noch nicht aus. Wir wollen einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sein Publikum ernstnimmt und der deshalb von den Menschen ernstgenommen wird. Dafür wollen wir notwendige Reformen skizzieren und damit einen Impuls für die gesellschaftliche Debatte setzen. Uns leitet dabei der Grundsatz der Eigenständigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er dient der ganzen Gesellschaft in ihrer Vielfalt, soll sie spiegeln und herausfordern und nicht der Logik von Markt und Quoten folgen. Er soll für seine Eigenständigkeit angemessen ausgestattet sein und dabei verantwortungsvoll, transparent und zielgerichtet mit seinen Mitteln umgehen. Wir stehen für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der seinen Auftrag in das Zentrum seiner Arbeit stellt und angesichts der veränderten Bedingungen immer wieder reflektiert. Dazu gehört es auch, kritisch zu prüfen, mit welchen Angeboten ein zeitgemäßer öffentlich-rechtlicher Auftrag umzusetzen ist. Es ist nicht Aufgabe der Politik vorzugeben, welche Inhalte und Formate konkret produziert werden sollen. Sie soll vielmehr den öffentlich-rechtlichen Auftrag zeitgemäß und unter Wahrung seiner herausragenden gesellschaftlichen und politischen Relevanz weiterentwickeln. Wir begrüßen daher eine breite gesellschaftliche Debatte zu Lösungsansätzen für die Herausforderungen der digitalen Medientransformation, wie sie beispielsweise der Zukunftsrat im Auftrag der Rundfunkkommission der Länder vorgelegt hat. Mit den folgenden Überlegungen wollen wir unsere Leitlinien für die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks skizzieren. Wir wollen sie mit den Beteiligten diskutieren und dadurch zu konkreten Handlungsempfehlungen für die verschiedenen politischen Ebenen kommen:

Den Auftrag angesichts der Herausforderungen unserer Zeit erweitern

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Forum für die demokratische Gesellschaft. Durch vielfältige Angebote in Kultur, Bildung, Information und Beratung trägt er zur Meinungsbildung, zu Debatten, zur Unterhaltung und zur Selbstverständigung der Gesellschaft bei. Das kann ein breites Spektrum von Angeboten beinhalten, von Nachrichtensendungen bis Spielfilme, von Sportübertragungen bis zu Wissenschaftsvermittlung. Was diese Angebote einen soll, ist, dass sie nach hohen journalistischen Standards gestaltet werden, ein breites Spektrum an Haltungen und Meinungen widerspiegeln, allen Teilhabe ermöglichen und auch jenseits kommerzieller Logik neue Impulse setzen und das Publikum herausfordern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann und soll auf diese Weise ein Referenzpunkt sein, der für unsere vielfältige Gesellschaft einen Gegenpol zu Filter- und Meinungsblasen darstellt. Zu dieser Akzeptanz ist es nötig, dass er seine Mittel sparsam einsetzt. Gleichzeitig bedarf es auch Programmteile, die qualitativ hochwertig und angemessen ausgestattet große Teile des Publikums ansprechen, etwa ausgewählte Sportgroßereignisse oder Shows. Sie müssen in einem angemessenen Verhältnis zu den anderen Programmbestandteilen stehen, die nötig sind, um den Auftrag angemessen zu erfüllen. Zu dieser Akzeptanz ist es ebenso nötig, die Art und Weise, wie der Auftrag erfüllt wird, immer wieder zu reflektieren. Denn der ÖRR hat den Auftrag, unsere Gesellschaft in ihrer Breite zu erreichen. Er hat den Auftrag, die Vielfalt unserer Gesellschaft abzubilden und mit dem Wandel von Denk- und Lebensweisen Schritt zu halten. Denn verständliche und leicht erreichbare Informationen sind Voraussetzung für demokratische Teilhabe. Dazu gehört, dass eigene Perspektiven in medialen Inhalten abgebildet werden. Das betrifft die Perspektiven von Stadt und Land, Jung und Alt, mit Migrationsgeschichte und ohne, akademisch und nicht-akademisch und umfasst auch vielsprachige Angebote, um der multilingualen Lebensrealität vieler Menschen in Deutschland entgegenzukommen. Wichtig ist, dass neue und diverse Formate gut sichtbar sind, wie beispielsweise auch im Hauptprogramm, und nicht in Nischen verschwinden. Denn der ÖRR hat eine besondere Verantwortung hinsichtlich Antidiskriminierung und Inklusion. Kinder und Jugendliche müssen mit zielgruppenspezifischen, qualitativen Informations- und Unterhaltungsangeboten angesprochen werden. Diese müssen in deren Alltag verfügbar sein, also auf sozialen Plattformen, aber auch leicht zugänglich in Mediatheken und Audiotheken. Die Sender haben hier bereits erfolgreiche Angebote entwickelt, beispielweise mit KiKA und dem Content-Netzwerk Funk. Barrierefreiheit gehört zu einem zeitgemäßen öffentlich-rechtlichen Auftrag selbstverständlich dazu. Sie sollte künftig umfangreicher von der KEF anerkannt werden. Insbesondere müssen die Möglichkeiten durch Digitalisierung und KI genutzt werden, um Menschen mit Behinderungen einen besseren Zugang und ein besseres Verständnis zu den Inhalten der öffentlich-rechtlichen zu gewährleisten, wie beispielsweise durch Gebärdensprachdolmetscher, Avatare oder Übersetzer-Tools, um auch schwierige Sprache in leichte Sprache zu übersetzen. Auch Ereignisse mit großer gesellschaftlicher Relevanz sind immer und in jedem Fall barrierefrei zu gestalten. Um der gestiegenen Desinformation zu begegnen, liefert der öffentlich-rechtliche Rundfunk inzwischen Angebote der Faktenprüfung, die online verbreitete Falschinformationen richtigstellen. Es gilt zu prüfen, wo eine Erweiterung dieses Angebots sinnvoll ist. Denn die multiplen Krisen unserer Zeit sowie die zunehmende Verbreitung von Desinformation verunsichern die Bürgerinnen und Bürger und stellen neue Anforderungen an die Sender. Diese neue Rolle erfordert zusätzliche Ressourcen, aber auch Kooperationen mit anderen journalistischen Anbieter*innen aus dem Online- und Pressebereich. Neben politisch motivierter Desinformation begegnen Mediennutzer online vielen hasserfüllten und beleidigenden Kommentaren, die dazu führen, dass sich Menschen aus Diskussionen zurückziehen. Hier hat der ÖRR die Aufgabe, Vorreiter zu sein und entsprechende Schutz- und Diskursräume zu bieten. Die Auftritte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in sozialen Netzwerken und auf Webseiten bieten dank der aufwändigen Moderation wichtige Debattenräume. Auch hier sehen wir eine wertvolle Auftragserweiterung, die in Zukunft auch in Mediatheken und Audiotheken zum Tragen kommen sollte. Kommentare bieten zudem eine wertvolle Chance für Feedback und der Anzeige von weiteren Informationsbedarfen durch Nutzer.

Für einen regional verankerten bürgernahen Rundfunk

Die ARD speist ihre Stärke aus der Verwurzelung in den Ländern. Die unterschiedlichen Landesrundfunkanstalten können den individuellen Charakter der einzelnen Regionen Deutschlands medial widerspiegeln und spezifische regionale Informationsbedarfe abdecken. Dieser Mehrwert muss für die Bevölkerung noch sichtbarer werden. Die regionale Verankerung hat viele Formen. Sie findet sich in investigativen Recherchen zu Landes- und Kommunalpolitik, in Auftritten von Radiosinfonieorchestern im ländlichen Raum, in Folkloresendungen oder Bürgerforen. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie den ÖRR vor Ort erlebbar machen. Auch Recherchekooperationen mit privaten Medien, wie sie bereits erfolgreich im Rahmen von Recherchenetzwerken erfolgen, sind eine Möglichkeit, um qualitativ hochwertige journalistische Produkte zu fördern und insbesondere zu einer stärkeren regionalen Ausrichtung der Berichterstattung beizutragen. Zur regionalen Verankerung gehört auch die Bürgernähe und der Austausch mit dem Publikum. Wir fordern die Anstalten dazu auf, noch stärker den direkten Austausch zu suchen und neue Konzepte dafür zu entwickeln. Die im 3. MäStV angelegten Vorgaben zum Publikumsdialog sind dementsprechend umzusetzen.

Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Kulturträger gestalten Mit dem 3. MäStV haben die Länder

die Rolle der Kultur im Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks deutlich gestärkt. Die Sender müssen diesem Auftrag als Kulturträger nachkommen. Das heißt, sie sollten nicht nur über Kultur berichten, sondern sie auch produzieren. Dazu gehören die Orchester der Anstalten, eigene Veranstaltungen und die Beteiligung an der Produktion von Kinofilmen. Einen entscheidenden Beitrag zu einer lebendigen Musiklandschaft leistet das Radio. Wir sagen: lieber weniger Radiowellen, dafür aber mit vielfältigen, aufregenden Musikprogrammen von Jazz, über Hiphop bis hin zu Neue Musik. Mit inhaltlich unverwechselbaren Wellen inklusive regionalen Fenstern für Konzerttipps, Kulturkritik und Informationen zu Kulturangeboten vor Ort schärfen wir das öffentlich-rechtliche Profil, erreichen neue gesellschaftliche Gruppen und stärken die Regionalität.

Den Wandel der Sender in die digitale Welt voranbringen

Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist zweifelsfrei digital. Die Plattformen der Anstalten werden in den kommenden Jahren zu zentralen Orten für die Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein. Beim Übergang von der linearen in die non-lineare Welt gilt es, neue Strukturen effizient und zielorientiert zu gestalten – ohne Parallelstrukturen und unnötige Bürokratie. Für ein attraktives non-lineares Angebot braucht es neue und innovative Formate, die den öffentlich-rechtlichen Auftrag zeitgemäß umsetzen. Den Spielraum dafür gibt es bereits durch die gesetzlichen Möglichkeiten für „online-only-Angebote“, die 2019 geschaffen wurden. Schon heute werden wegweisende Sendungen in erster Linie in den Mediatheken wahrgenommen. Zum anderen müssen sich öffentlich-rechtliche Inhalte mit attraktiven Formaten auf Plattformen Dritter präsentieren. Nur so werden die Inhalte für diejenigen Auffindbar, die sich (fast) ausschließlich über soziale Netzwerke informieren. Es gilt, Formate für unterschiedliche Altersgruppen zu entwickeln. Zentral ist, dass öffentlich-rechtliche Angebote im Netz gut auffindbar sind. Dafür braucht es die gemeinsame Mediathek und Audiothek für die Angebote von ARD und ZDF. Perspektivisch soll sie als Anlaufpunkt für weitere journalistische Qualitätsangebote im Netz dienen. Wir bestärken daher ARD und ZDF in ihren Plänen, weitere öffentlich-rechtliche Partner in Europa in ihr Streaming-Netzwerk einzubeziehen. So machen wir einen Schritt hin zu einer gesamteuropäischen Öffentlichkeit. Außerdem sollte das Streaming-Netzwerk auch für private und gemeinnützige Angebote geöffnet werden. So schaffen wir eine gemeinwohlorientierte Qualitätsplattform mit demokratischer Wertebasis, jenseits der Clickbaiting-Logik. Darüber hinaus ist es eine hochaktuelle medienpolitische Aufgabe, die Sichtbarkeit aller journalistisch wertvollen Inhalte in sozialen Medien zu stärken. Wir müssen genau prüfen, an welcher Stelle die Plattformregulierung dafür weiterentwickelt werden muss.

Effizient arbeiten

Ein qualitativ hochwertiges Programm ist personal- und kostenintensiv. Dabei ist nachhaltiges Wirtschaften essentiell. Das Ziel ist klar: mehr Redaktion, weniger Verwaltung. Insbesondere in der Verwaltung braucht es daher zeitgemäße, effiziente Strukturen sowie eine Bündelung von Ressourcen und den konsequenten Abbau von bürokratischen und innovationshemmenden Doppelstrukturen. Die Regionalität, die wir uns wünschen, bedeutet allerdings nicht, dass jede ARD-Anstalt ihr eigenes Gesundheitsmagazin produzieren oder eine 24-Stunden-Klassikwelle betreiben muss. Die Pläne zur Einrichtung von ARD-weiten Kompetenzzentren für die Themengebiete Gesundheit, Verbraucher, Klima und perspektivisch weiterer zeigen einen guten Weg auf, ebenso wie die Pläne zu gemeinsamen Mantelprogrammen in den Dritten Programmen. Dafür müssen wir Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Sendern ausbauen. Dazu prüfen wir, inwiefern das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) angepasst werden muss. Gleichzeitig können wir in der vom Zukunftsrat empfohlenen Gründung einer ARD-Anstalt noch keine Lösung mit einem Mehrwert in Bezug auf Effizienzsteigerung und Verwaltungsoptimierung erkennen. Bis 2030 wird nahezu ein Drittel der derzeitigen Mitarbeiter die Anstalten altersbedingt verlassen. Die Anstalten und der Gesetzgeber müssen daher die kommenden Jahre nutzen, um mit klugen Reformen insgesamt zu effizienteren Verwaltungsstrukturen zu kommen. Denn der drohende Fachkräftemangel wird voraussichtlich nicht aus dem Arbeitsmarkt gedeckt werden können. Klar ist: Die Qualität der Angebote muss immer im Mittelpunkt stehen. Wir wollen keinen Rückgang der Programmvielfalt und -qualität. Besonders journalistische Angebote müssen fundiert produziert werden und regionale Spezifika abbilden. Hier darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk um den Preis seiner Glaubwürdigkeit keine Abstriche machen.

Effektive Aufsichtsstrukturen

Das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk lebt von einer effektiven Aufsicht und Kontrolle. Dies gilt besonders bei einem System, das sich dem Gemeinwohl verschrieben hat und durch Beiträge aller finanziert wird. Wir brauchen starke, transparente Aufsichtsstrukturen, die in der Gesellschaft verankert sind. Der Umfang und die Komplexität der zu behandelnden Themen nehmen immer weiter zu. Vor diesem Hintergrund setzen wir uns dafür ein, dass allen Rundfunkräten angemessen ausgestattete professionelle Sekretariate an die Seite gestellt werden, die vor allem rechtliche und wirtschaftliche, aber auch inhaltliche Beratung leisten und es den Räten damit erleichtern können, ihrem Kontrollauftrag nachzukommen. In den Verwaltungsräten bedarf es unter den Mitgliedern selbst entsprechender Kompetenzen. Mit dem 4. MäStV haben wir erstmals einen einheitlichen, verbindlichen Rahmen für die Unabhängigkeit und die Fachkompetenz in den Aufsichtsgremien der ARD-Anstalten, des ZDF und des Deutschlandradios geschaffen. Die Rundfunkräte müssen die Gesellschaft widerspiegeln, um das Programm der Sender im Sinne der vielen Nutzer beaufsichtigen zu können. Dazu gehört, dass in den Räten Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung oder queere Menschen angemessen vertreten sind. Es liegt in der Verantwortung der entsendenden Organisationen, engagierte und kundige Vertreter zu entsenden und sich damit aktiv in die Gestaltung des Rundfunks einzubringen. Um Rundfunk- und Verwaltungsräte gegenüber der sie entsendenden Gesellschaft rechenschaftspflichtig zu halten, sollten ihre Sitzungen wo immer möglich öffentlich abgehalten werden. Darüber hinaus sollen Rundfunk- und Verwaltungsräte weitere Anstrengungen unternehmen, um ihre Arbeit dem sie entsendenden Publikum zu erläutern und zugänglich zu machen.

Der ÖRR als attraktiver Arbeitgeber

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht für Qualität. Diese Qualität kann es nur geben, wenn Arbeitsbedingungen und Gehälter fair sind. Es darf nicht sein, dass diejenigen, die mit viel Einsatz die wertvollen Inhalte der Sender gestalten, unter prekären Umständen arbeiten. Gute Arbeitsbedingungen, faire Löhne und gleiche Mitbestimmungsrechte für feste wie für freie Mitarbeiter müssen in allen Sendern zum Standard werden. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssen ein attraktiver Arbeitgeber sein, um zukunftsfähig zu bleiben und Talente zu rekrutieren. Ihre Attraktivität drückt sich nicht nur durch Gehälter, sondern auch durch Sicherheit von Beschäftigungsverhältnissen und inhaltliche Gestaltungsspielräume aus. Um eine verlässliche Grundlage für die Entlohnung zu haben, die verantwortungsvoller Wirtschaftsweise Rechnung trägt, sollte sich das Gehaltsniveau auf Führungsebene im öffentlich-rechtlichen Rundfunk am öffentlichen Dienst orientieren. Auch darüber hinaus sollten Gehälter und Tarifstrukturen fair und transparent sein. Über die Vergütung hinaus, braucht es mehr Transparenz im System: Über die Vergütung hinaus, braucht es mehr Transparenz im System: Wir plädieren für die Veröffentlichung der zentralen Parameter und Kennziffern im Zusammenhang mit der Beauftragung externen Produktionsfirmen sowie die Eckpunkte von Verträgen mit besonders herausgehobenen Moderatoren. Angesichts des Fachkräftemangels brauchen die Sender eine effektive Nachwuchspolitik, mit der sie junge Mitarbeiter ausbilden und ihnen Perspektiven bieten. Dazu bedarf es einer aktiven Zusammenarbeit mit Schulen und Hochschulen. Um die Vielfalt der Gesellschaft angemessen abzubilden, sollen Mitarbeiter aus marginalisierten Gruppen gezielt gefördert werden. Dabei geht es nicht nur um die Gesichter auf dem Bildschirm, sondern auch um Diversität hinter der Kamera, in Regie, Redaktionen und Auswahlgremien. Zur Attraktivität der ÖRR gehört auch eine zeitgemäße Leitungskultur. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Vorschläge des Zukunftsrates für eine kollegiale Geschäftsleitung anstelle des tradierten Intendantenmodells.

Versachlichung der Beitragsdebatte

Mit dem Rundfunkbeitrag trägt jeder Haushalt zur gesellschaftlichen Versorgung mit hochwertigen, vertrauenswürdigen Informationen und einem qualitativen Kultur- und Unterhaltungsprogramm bei und bekommt dafür ein breites Angebot zurück. Die Frage des Rundfunkbeitrags wird aktuell hitzig diskutiert, insbesondere angesichts der hohen Inflation, die auch die Portemonnaies der Beitragszahler betrifft. Die Sender stehen aktuell vor der Herausforderung, ihre Angebote an die veränderten Nutzungsgewohnheiten anzupassen, während sie in den vergangenen 1,5 Jahren einen deutlichen Anstieg der Kosten erlebt haben. Mehrere Ministerpräsidenten haben sich gegen eine Erhöhung des Beitrags ab 2025 ausgesprochen und damit der Empfehlung der KEF vorgegriffen. Dabei ist das Verfahren der Festsetzung des Beitrags aus gutem Grund staatsfern organisiert. Damit dient das KEF-Verfahren auch als EU-weites Positivbeispiel. So verlangt der europäische Medienfreiheitsakt, dass die Verfahren der Mitgliedstaaten zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks u.a. transparent, unabhängig und diskriminierungsfrei gestaltet werden. Politische Blockaden wie zuletzt bei der Beitragserhöhung 2021 deutet das Bundesverfassungsgericht als Eingriffe in die Rundfunkfreiheit. Das gemeinsame Ziel aller Beteiligten muss es sein, eine erneut notwendige Festlegung des Rundfunkbeitrags durch das Bundesverfassungsgericht zu verhindern und nachhaltigen Schaden für den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuwenden. Die Beitragsfrage muss entpolitisiert werden. Es braucht einen veränderten Mechanismus, der Planungssicherheit über die laufende Beitragsperiode hinaus schafft. Die Sender brauchen eine verlässliche Planungsgrundlage, damit sie qualitativ arbeiten und effiziente Strukturen aufbauen können. Die KEF als staatsfernes Fachgremium ist dabei zentral. Wir schlagen vor, einen indexierten Inflationsausgleich für den Rundfunkbeitrag festzuschreiben, ergänzt durch einen von der KEF festgelegten Rationalisierungsabschlag. So hätten die Anstalten hinreichende Sicherheit, dass die allgemeine Teuerung auch bei Ihnen abgedeckt wird, bei einem gleichzeitigen Anreiz, Strukturen effizient zu halten. Eine kritische Reflektion und auch regelmäßige Evaluation, wie gut die öffentlich-rechtlichen Angebote den gesellschaftlichen Auftrag erfüllen, sehen wir in der Verantwortung der gestärkten Rundfunkräte. Gleichzeitig lehnen wir den Vorschlag des Zukunftsrats ab, dass ein scheinbar objektives Verfahren der Bewertung von kaum messbaren Qualitätskriterien justiziable finanzielle Folgen haben soll. Es erscheint schwierig, diese Kriterien hinreichend objektivierbar zu machen, um mit ihnen gravierende finanzielle Einschnitte zu rechtfertigen. Zudem könnten solche Überlegungen auch Räume für politische Einflussnahme eröffnen, was es dringend zu verhindern gilt. Bei der Politisierung der Beitragsfestsetzung, aber auch grundsätzlich von Reformvorschlägen stellt die Androhung einer Kündigung von Rundfunkstaatsverträgen einen Eskalationsschritt dar, der grundlegende demokratische Grundprinzipien unserer föderalen Gemeinschaft angreift. Wir bekennen uns nachdrücklich zur föderalen Struktur unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks und unserer demokratischen Grundordnung. Hier waren wir auf Länderebene schon sehr weit, bevor die Reform aufgrund politischer Vorbehalte gestoppt wurde. Baden-Württemberg wird sich in den anstehenden Beratungen dafür einsetzen, dass wir hier endlich zu konkreten Ergebnissen kommen.

Presseähnlichkeit und kommerzielle Aktivitäten

Die Mediengattungen verschmelzen immer mehr, sodass eine trennscharfe Abgrenzung immer schwieriger wird. Für uns ist klar: Die Medienvielfalt und die Demokratie in Deutschland brauchen zwingend das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk sowie der Presse und gemeinnütziger Medien. Die derzeitigen Regeln und Schlichtungsverfahren reichen in diesem Kontext nicht mehr. Vielmehr gilt es, neue kommerzielle Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen wie Pay TV-Kanäle oder werbefinanzierte Podcasts auf Drittplattformen mit Blick auf mögliche Auswirkungen auf das gesamte Mediensystem kritisch zu prüfen. Wir wollen gemeinsam mit allen Beteiligten einen Prozess zur Klärung dieser medienpolitischen Schlüsselfragen im digitalen Zeitalter.

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